RAF CAmora Returns

2019 verkündete RAF Camora seinen Rücktritt von der Musik, um sein Leben als Geschäftsmann zu starten. Eine Pandemie, ein Comeback und vier Jahre später ist der Wiener erfolgreicher denn je: Als RAF Camora wurde er kürzlich zum meistgestreamten Musiker im deutschsprachigen Raum, als Raphael Ragucci verwaltet er ein Portfolio, das mehrere Mio. € Umsatz pro Jahr erwirtschaftet. Im exklusiven Forbes-Interview spricht er über seinen Erfolg.

Am 23. Juni 2023 erreichte der Hype um RAF Camora seinen vorläufigen Höhepunkt: Nachdem wenige Tage zuvor bekannt geworden war, dass der Wiener offiziell der meistgestreamte Künstler auf Spotify im deutschsprachigen Raum ist, musste das Organisationsteam des alljährlich ­ver­anstalteten Wiener Donauinselfests reagieren. Das Security-Personal wurde verdoppelt, vor der Bühne wurden drei Sektoren eingerichtet; alle Beteiligten wurden in Alarmbereitschaft versetzt. 33 Jahre nachdem er in die Stadt gezogen war und 20 Jahre nachdem er erstmals auf dem Festival spielte, versammelte RAF Camora 120.000 Fans vor der Bühne. Sofern die Zahlen ­stimmen, war es das zweitgrösste jemals im deutsch­sprachigen Raum gespielte Musikkonzert – nur Helene Fischer folgten 2022 mehr Fans nach München (damals kamen 130.000 Gäste).

Es war ein langer Weg für RAF Camora, der bürgerlich Raphael Ragucci heisst und gegenüber Forbes 2019 seinen Rücktritt von der Musik ­erklärte. Er wollte sich, nachdem er bereits von 2016 bis 2019 einen enormen Höhenflug erlebt hatte, auf die Arbeit hinter der Bühne fokussieren. Gemeinsam mit seinem langjährigen Manager und Partner Ronny Boldt wollte er intensiv an der gemeinsamen Künstleragentur RBK arbeiten. „Ich war damals der Meinung, dass man aufhören soll, wenn es am schönsten ist“, sagt Ragucci. „Was ich aber noch nicht gewusst hatte, war, welchen Stellenwert die Musik für mich hatte.“

Den Stillstand, zu dem die Coronapandemie den Vielarbeiter zwang, nutzte er, um seine Autobiografie namens „Der Pakt“ zu schreiben. In dem Buch, das mit 50.000 verkauften ­Exemplaren zum Bestseller wurde, erzählt Ragucci seinen Lebensweg – und kündigte im Zuge der Veröffentlichung auch seine Rückkehr als Musiker an. „Comebacks sind oft unglaubwürdig. Wenn ich zurückkommen sollte, wollte ich das erklärt haben. Und ein Buch mit 360 Seiten ist eine gute Erklärung, glaube ich“, so Ragucci. Im Nachsatz schimmert dann schon der Geschäftsmann durch: „Natürlich war das auch eine perfekte Crosspromo.“ Ragucci kam mit seinen Alben „Zukunft 1+2“ zurück, veröffentlichte dann „Palmen aus Plastik 3“ mit Bonez MC, bevor er im Zuge des Auftritts beim Donauinselfest sein neues Album „XV“ präsentierte.

Ganz falsch waren die Aussagen, die Ragucci im Zuge seines Interviews für die Coverstory von Forbes im Sommer 2019 getätigt hatte, dann doch nicht – denn die fast zwei Jahre, die er offiziell von der Musik pausierte, nutzte er, um sein unternehmerisches Portfolio zu erweitern und zu etablieren. Heute ist Ragucci nicht nur mit RBK aktiv, sondern betreibt ein Tonstudio, eine Brand-Agentur, einen Buchverlag, einen Tattoo- und Barbershop, eine Wodkamarke, ein Kleidungs­label, stellt E-Shishas her und besitzt Immobilien in Wien und Berlin.

Dabei arbeitet er stets mit Partnern zusammen, die das operative ­Geschäft übernehmen. „Ich bin ein guter Stratege, aber schlecht mit Zahlen“, so der 39-Jährige, als wir ihn vier Jahre nach der ersten Cover­story in ­seiner Wohnung in Wien treffen. Dass in der ­Zwischenzeit etwas mit ihm passiert ist, ist offensichtlich: Ragucci wirkt etwas weniger getrieben als 2019, man könnte fast sagen, er sei gesetzt. Fans müssen sich aber keine Sorgen machen, ein neuerlicher Rücktritt ist nicht geplant: „Musik ist mein Hauptgeschäft, und das läuft so erfolgreich wie nie.“ Doch wie genau verdient der Wiener sein Geld? Und welche Projekte hat ­Ragucci als Musiker und Unternehmer für die nächsten Jahre in der Pipeline?

Im März 2020 fand sich Ragucci allein in ­seiner Wohnung wieder. Um ihn herum war die Welt unerwartet zum Stillstand gekommen. Das Coronavirus führte von einem Tag auf den anderen zu landesweiten Lockdowns, abgesagten Grossveranstaltungen und Reise­verboten. „Das war wie eine Vollbremsung von 240 auf 0 km/h – eine Art emotionaler Schock. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass mich das so trifft“, sagt Ragucci.

In den Monaten und Jahren zuvor war er auf der Überholspur unterwegs gewesen. Nach vielen Jahren ohne echten Erfolg erlebte Ragucci zwischen 2016 und 2019 seinen ­endgültigen Durchbruch: Der Künstler knackte ­Streamingrekorde, füllte Stadien und sorgte mit Promo-Stunts für Polizeieinsätze. Auch unzählige Gold-, Platin- und sogar Diamant-Platten standen zu Buche. Im Sommer 2019 wollte er jedoch aufhören und sich nach seinem Abschiedsalbum „Zenit“ auf seine Rolle als Geschäftsmann und Labelboss fokussieren. Doch während Covid änderte sich alles. „Ich war in der ­kompletten Stille, quasi in der Dunkelheit. Ich dachte mir: ‚Wie geht’s weiter? Was hat mich das alles gekostet?‘“, erzählt Ragucci. Er fing an, sein Buch zu schreiben – und entschloss sich, dass es ohne Musik doch nicht geht. Mit Erfolg: Mit ins­gesamt 4,5 Milliarden Streams wurde RAF ­Camora im Juni 2023 offi­ziell zum meistgestreamten ­Musiker im deutschsprachigen Raum auf Spotify – und schlägt damit auch Weltstars wie Ed Sheeran oder Taylor Swift.

Doch die Musik ist auch ein unternehmerischer Hebel geworden. Abseits der Kunst startete Ragucci gemeinsam mit Ilja Jay Lawal und Pedram Parsaian während der Coronapandemie die Brand-Building-Agentur Ghøst. Das Trio verantwortet Kooperationen mit Künstlern und Sportlern, etwa im Zuge einer Marke für Sonnenbrillen, die mit Dominic Thiem produziert wurde. Mit Deutschrapper Bonez MC entwarf Ghøst ein Kleidungslabel, auch mit UFC-Kämpfer Aleksandar Rakic oder „Under 30“-Listmakerin Mathea Höller wird gearbeitet. Ghøst nimmt in der Regel „Stakes“ in den Marken, egal ob direkte Anteile oder Umsatzbeteiligung, und verdient so bei zunehmendem Erfolg proportional mit.

Angedockt an Ghøst gründeten Ragucci und Co zudem einen gleichnamigen Buchverlag, denn sie wollten von den Einnahmen seiner Bücher nicht so viel Geld abgeben. Nun erscheint Raguccis zweites Buch, „Dark Zen“, das im Juni 2023 in den Fanboxen für sein neues Album „XV“ lanciert wird. „Das Buch ist so persönlich, dass ich es erst mal nur für meine Fans machen wollte. Darin sind 15 Punkte enthalten, die mir wichtig geworden sind und auf die man meiner Meinung nach achten muss, um glücklich zu sein“, so der Rapper.

Ende 2020 eröffnete ausserdem ein Barber- und Tattoo-Shop namens „R. / Tattoo X Barber“ in Wien. Neben seinem Kleidungslabel Cørbo expandiert Ragucci zudem mit seiner 2019 zusammen mit Rapper Bonez MC gestarteten Wodkamarke Karneval. Seine E-Shishas „1150 Vapes“ komplettieren das Portfolio, das auch einige Immobilien in Wien und Berlin umfasst.

Während die Partner das Tages­geschäft erledigen, ist Ragucci selbst stets in den visuellen Auftritt in­­volviert. Zudem hilft er, wo möglich, mit seinem Namen und seiner Social-Media-Präsenz. „Ich kann Projekten zu Beginn einen schnellen Push geben, aber ab einem ge­­wissen Punkt muss das Team einfach Qualität abliefern“, so Ragucci. Auf die Frage, ob er Widerspruch ­duldet und wie schwierige Entscheidungen getroffen werden, sagt der Unternehmer: „Das funktioniert gut. Ich bin kritikfähig und nicht beratungs­resistent. Viele Entscheidungen treffe letztendlich ich, aber ich höre stark auf mein Umfeld.“

Dass das nötig ist, lernte Ragucci auf die ­harte Tour – denn auch bei ihm klappt bei Weitem nicht alles. „Beim Tattoo- und Barbershop dachte ich, dass ich das mit links mache. Da habe ich zu Beginn aber richtig ins Klo gegriffen und viel Geld verbrannt. Da wusste ich: Schuster, bleib bei deinen Leisten!“ Ragucci übergab die operative Leitung an Moritz Sageder, heute macht das Geschäft 1,5 Mio. € Bruttoumsatz im Jahr. Dieses Jahr wird eine weitere Filiale in Salzburg eröffnet.

Seine Kleidungsmarke Cørbo will ­Ragucci wieder eigenhändig neu launchen: „Die Zusammenarbeit mit Partnern hat für mich nicht geklappt. Ich bin zu spezifisch in dem, was ich will, und auch nicht Mainstream genug.“ Auch der Exkurs in den von Deutschrappern bearbeiteten Softdrink-Markt erfüllte die Erwartungen nicht: Mit „Wild Crocodile“ wollten Ragucci und Bonez MC den Erfolg von Capital Bra („Bratee“) und Shirin David („Dirtea“) teilen. Das Timing war aber nicht richtig: „Der Einzelhandel war von der Aufmerksamkeit positiv überrascht und bestellte zu viele Einheiten. Als der Hype abebbte, sind sie darauf sitzen geblieben.“ Misserfolge sind in ­Raguccis Welt aber relativ: „Auch mit den Flops habe ich immer mindestens eine Million verdient.“

Er hat jedenfalls gemerkt, dass reines ­Geschäftemachen nicht sein Zugang ist. „Als ­Geschäftsmann erschien mir ‚Wild Crocodile‘ wie eine gute Idee. Ich selbst konsumiere aber eigentlich keine zuckerhaltigen Getränke, stand nie zu 100 % hinter dem Produkt. Ich muss Leidenschaft haben, damit etwas richtig gut läuft.“ Die Lösung: Neoh. Das Wiener Start-up, das ­dieses Jahr rund zwölf Mio. € Umsatz mit zuckerarmen Süssigkeiten generieren wird, kooperierte mit ­Ragucci. Dieser ist ein Fan der Kultmarke „Napoli Dragee Keksi“ (seit 1970 im Besitz von Manner) – mit Neoh entwickelte er eine zuckerarme Version. Die Kooperation rund um die „Drageelinos“ führte zu einem Investment von Ragucci in das Unternehmen. „Die Gründer sind mir sympathisch und Neoh ist ein Wiener Unternehmen. Das hat für mich einfach gepasst“, so der Künstler.

Dass Hip-Hop-Grössen auch als Unternehmer reüssieren, ist nicht ganz neu. Dr. Dre verkaufte seine Kopfhörermarke Beats by Dre 2014 um 3,2 Mrd. US-$ an Apple, und Jay-Z, der sein Geld neben der Musik auch mit Kleidung, Spirituosen, dem Streamingservice Tidal sowie grösseren Investitionen in Aktien wie Uber machte, schaffte es 2019 als erster Rapper überhaupt auf die Forbes Billionaires List (heutiges Vermögen: 2,5 Mrd. US-$).

Ganz so weit ist Ragucci nicht, doch der Erfolg hat auch sein Vermögen wachsen lassen. Der Mann, der in einer der ärmeren Gegenden Wiens aufwuchs und jahrelang von der Hand in den Mund lebte, erwirtschaftet mit dem Portfolio seiner unterschiedlichen Unternehmen rund zwölf Mio. € pro Jahr. Hinzu kommen einige Immobilien sowie die weiterhin hohen Einnahmen aus der Musik, die 2022 bei rund 16 Mio. € lagen. Zudem gehören ihm die Rechte an seinem gesamten Musikkatalog – „allein die sind einen zweistelligen Millionenbetrag wert“. Auf die Frage, ob er ausgesorgt habe, sagt der 39-Jährige nur: „Ja. Safe.“ Das kann man wohl sagen: Forbes schätzt sein Nettovermögen auf rund 50 Mio. €.

Doch Ragucci hat langfristige Pläne: „Ich schaue auf Cristiano Ronaldo oder Booba (französischer Rapper, Anm.), die seit Langem auf Top­niveau agieren.“ Dabei will er vor allem ­zeigen, dass er mit neuartigen Projekten – ­Ragucci spricht von „Moves“ – andere Wege aufzeigen kann. Neben dem nächsten Album, das für 2024 geplant ist, will Ragucci nächstes Jahr in einem Open-Air-Stadion spielen, vielleicht mit einem Streichorchester an seiner Seite. Ragucci selbst lernte in seiner Kindheit Geige und Klavier.

Auch sonst steht einiges an. Ragucci wird sich in naher Zukunft an Follow Austria beteiligen, der Influencer- und Werbeagentur von Lawal und Parsaian. Hinzu kommt die neue Filiale des Tattoo- und Barber-Shops sowie der Launch einer zugehörigen Männerkosmetik-Marke. Auch ein Tonstudio von RBK in Dubai sowie ein weiteres Buch sind geplant; eine Kaffeemarke könnte folgen. „Ich bin viel in Japan, da gibt es auch an Automaten guten Kaffee. Das interessiert mich.“ Ganz neue Projekte werden aber die Ausnahme bleiben, auch als Serien-Investor sieht er sich nicht. „Wenn etwas daherkommt, das perfekt passt, mache ich das gerne. Aber geplant ist es nicht.“ Vielmehr will sich Ragucci seiner ­Musik widmen und seine bestehenden Projekte wachsen sehen. „Ich habe das unglaubliche Privileg, nichts mehr machen zu müssen, sondern nur noch Dinge tun zu können, die mir Spass machen. Das will ich mir auch in Zukunft behalten.“

Fotos: Markus Mansi
Infografiken: Emin Hamdi

Klaus Fiala,
Chefredakteur

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