Prototypist

Es geht heute nicht mehr, nicht disruptiv zu sein, sagt Mike Sutcliff, Group Chief Executive von Accenture Digital – und..

Es geht heute nicht mehr, nicht disruptiv zu sein, sagt Mike Sutcliff, Group Chief Executive von Accenture Digital – und erhöht damit den Druck auf jene, die vor oder inmitten der sogenannten digitalen Transformation stehen. Wie die Kluft zwischen dem Heute und dem Morgen zu schaffen ist, verrät er uns aber.

Forbes: Sie haben den Bereich Accenture ­Digital mit heute 41.000 Mitarbeitern mit aufgebaut. Zu Accenture gestossen sind Sie 1987 – Sie kennen also auch eine Zeit vor dem Internet. Vermissen Sie etwas aus diesen ­alten Tagen?

Mike Sutcliff: Nicht wirklich. Ich bezeichne mich selbst als Technologie-Optimisten. Ich glaube daran, dass wir Technologie in einer Weise nutzen können, die unsere Art, zu ­leben und zu arbeiten, verbessert. In den frühen Jahren nutzten wir Technologien, um Probleme zu lösen. Heute tun wir nichts anderes – nur mit einem anderen Tool-Set.

Das 30-jährige Firmenjubiläum, das Sie in diesem Jahr begehen, ist aber nicht nur für Berater bemerkenswert. Langweilig war Ihnen offenbar nie.

Das stimmt. Das wirklich Spannende an einer Karriere in einem Unternehmen wie Accenture ist, dass wir mit den interessantesten Unternehmen weltweit und quer durch alle Branchen arbeiten und die Probleme, die sie versuchen zu lösen, verstehen wollen: bessere Gesundheitssysteme, bessere Bildungssysteme, bessere Fan-Experience oder ein besseres Kundenerlebnis. Es ist eben nicht auf ein bestimmtes Problem in einem bestimmten Bereich begrenzt – wir sehen uns alle Bereiche an und arbeiten daran, wie Technologie die Welt verbessern und verändern kann.

Das tut Ihr Unternehmen als einer der grössten Digital-Service-Provider weltweit. Wann sahen Sie intern den Zeitpunkt gekommen, das digitale Geschäft aufzubauen?

Es muss so zwischen 2002 und 2004 gewesen sein, wo wir merkten, dass wir uns Kompetenzen aneignen mussten, die wir zu dem Zeitpunkt noch nicht hatten. Wir starteten Initiativen rund um Datenservices, Analytics und Plattformen sowie eine Reihe von Services, die den Chief Marketing Officers half zu verstehen, wie sie die neuen digitalen Kanäle zu ihren Kunden nutzen können. Dieses Momentum haben wir von unseren Kunden mitbekommen. Und so haben wir beschlossen, Accenture Digital wie einen Accelerator zu launchen, nicht zuletzt auch, um junge, interessante Leute ins Unternehmen zu holen. Das, um einerseits von ihnen zu lernen und ihnen andererseits näherzubringen, was wir so tun – um letztlich als Team zusammenzuarbeiten. Wir haben damals versucht, eine sehr kollaborative Kultur aufzubauen – eine Kultur der Kulturen, wenn Sie so wollen.

Dann war es für Sie mehr eine kulturelle denn eine digitale Transformation, zu der Sie heute auch Ihren Kunden verhelfen?

Wir haben immer schon gesagt, dass Technologie nur ein Tool ist. Uns ging – und geht – es um eine Reihe von kulturellen Aspekten, die wir von jungen Unternehmern, von den Disruptoren, gelernt haben und lernen: ihren Willen, Dinge auszuprobieren, zu scheitern, zu lernen und dann wieder von vorne zu beginnen. Diesen Zyklus beherrschen diese Unternehmen in einer hohen Geschwindigkeit. Sie haben einen schnelleren Lernprozess und entdecken so auch schneller Dinge, die funktionieren – oder auch nicht. Viele unserer Corporate-Kunden möchten genau diese Art, zu lernen, erlernen und sie ins Unternehmen integrieren; auch, um schneller neue Lösungen zu kreieren. Das ist ein kulturelles Thema. Kulturell ist auch, dass man über diesen Weg auch seine Mitarbeiter dazu befähigt, das, was sie gut können, noch effizienter, produktiver und besser zu tun. Wenn ich also davon beeindruckt bin, wie Netflix künstliche Intelligenz nutzt, um zu wissen, was ich als Nächstes ansehen möchte – genauso beeindruckt wäre ich von einer Bank, die mich kennt und weiss, welches Service ich als Nächstes wohl gerne haben will.

Mit den „Future Camps“ – es gibt jetzt auch eines in Wien – gehen Sie diesen Schritt weiter und schaffen Räume des Voneinander-Lernens zu bestimmten Problemstellungen. Wie passiert das bei Ihnen?

Die Future Camps sind Teil eines Open-Innovation-Programms. Dieses zieht sich beginnend bei den Universitäten über die Laboratorien unserer Technologiepartner, wo wir versuchen, zu verstehen, woran die gerade arbeiten, bis hin zu den Accenture Labs, wo sich zahlreiche Kollegen mit Zukunftsthemen wie der künstlichen Intelligenz beschäftigen und gleichzeitig Märkte screenen, um zu beobachten, was heutzutage möglich ist – und was nicht. Zusätzlich gehen wir zu Start-ups, wir arbeiten auch mit Inkubatoren und sind mit zum Beispiel Venture-Capital-Fonds in Kontakt. Was wir in den Future Camps versuchen, ist, diese Punkte zusammen- und sie unseren Kunden näherzubringen. Es geht im Prinzip darum, über diese Anknüpfungspunkte und Partner ein grösseres Bild zu vermitteln, um danach zum Prototyping überzugehen und so rasch Antworten auf ihre Fragen zu finden.

Bei der digitalen Transformation geht es häufig in erster Linie um Geschwindigkeit. Werden Ihre Kunden auf diese Weise tatsächlich schneller, agiler?

Das ist unsere Hoffnung. Das Erste, was wir nämlich tun, wenn Unterneh­men zu den Future Labs kommen, ist, dass wir die Geschwindigkeit ­ihrer Fragestellungen steigern. Wir wollen, dass sie die richtigen Fragen stellen und erfahren, dass das, was wir bereits wissen, auch möglich ist. Was wir ihnen zeigen ist, was es schon gibt – in anderen Ländern, vielleicht auch in anderen Branchen. So können wir ihnen dabei helfen, die Kluft zwischen dem Heute und dem Morgen mit dieser Art von Proto­typing zu überbrücken, sodass sie die Sicherheit bekommen, dass es Zeit für sie ist, Aktionen in ihrem ­Bereich, in ihrem Markt zu setzen. Alle unsere Kunden wollen gute Arbeit für ihre Kunden leisten – wir geben ihnen nur die Tools, um das schneller zu tun.

Sie haben einmal gesagt, Sie möchten Ihre Kunden disruptiver machen. Da denkt man automatisch an Uber und Konsorten. Auch wenn deren Modelle disruptiv waren und sind, selbst verdient oder ohne Investoren überlebt hätte da noch keiner. Ist Disruption nicht zu hoch bewertet?

Nehmen wir Amazon als Beispiel: Die haben 20 Jahre lang Geld verloren, heute verdienen sie viel. Das ist das Phänomen der Plattform-Öko­nomie: eine Plattform zu kreieren, die dergestalt skaliert. Wenn Sie jetzt Richtung China schauen, sehen Sie Unternehmen wie Alibaba, die heute schon grösser sind als ihre westlichen Pendants. Die westlichen Firmen haben viel länger gebraucht, um dorthin zu kommen. Die Chinesen waren „very fast followers“, haben schnell gelernt, und viele machen deshalb noch keine Gewinne, weil sie immer noch im Scaling-Prozess sind. Es kommt immer darauf an: Wie viel will ich investieren, wie stark will ich wachsen und wie viel Gewinn will ich erzielen? Es geht heute nicht, kein Disruptor zu sein. Wenn es eine Möglichkeit gibt, ein besseres Produkt, einen besseren Service für einen Kunden zu schaffen, wird es – wenn man es selbst nicht macht – jemanden geben, der das tut. Für uns sind immer die gleichen Fragen zentral: Wie können wir eine bessere Gesundheitsversorgung für den Patienten schaffen? Wie können wir bessere Services für die Bürger kreieren? Und wie können wir unsere Mitarbeiter dabei unterstützen, noch effektiver zu sein? Dabei stellen wir immer den Menschen ins Zentrum dieser Designs – nicht das Business.

Worauf können wir uns in ­Sachen ­digitale Transformation noch vorbereiten?

In den kommenden Jahren wird sich vieles um den Quantencomputer drehen. Anders als bei den binären Systemen, die wir kennen, wird es mehr Graustufen geben – im Sinne von „Wie managen wir Logik?“ Wir haben kürzlich für einen Pharma- Kunden mit einem virtuellen Quantencomputer gearbeitet, um zu testen, wie die Computerwissenschaft in Zukunft auf diesem Feld aussehen könnte. Es wird noch ein paar Jahre dauern, bis Quantencomputer erhältlich sein werden. Bis dahin wollen wir verstanden haben, wie sie funktionieren, um sie zu programmieren.

MIKE SUTCLIFF

Sutcliff, Group Chief Executive Officer Accenture Digital und Mitglied des Global Management Committee bei Accenture, trat 1987 in das Beratungshaus ein. 1999 wurde er Partner. In seiner 30-jährigen Karriere hatte Sutcliff zahlreiche Positionen inne – u. a. leitete er das Global Finance & Performance Management der Gruppe, etablierte ein New Business Team und war Senior Managing Director der Financial Services Businesses für Nordamerika. Unter seiner Leitung wuchs Accenture Digital auf mehr als 41.000 Mitarbeiter weltweit und zu einem Zehn-Milliarden-US-$-Business an.

Text: Heidi Aichinger

Fotos: Jiří Turek & Jana Jabūrková, Accenture

 

 

 

Heidi Aichinger,
Herausgeberin

Up to Date

Mit dem FORBES-NEWSLETTER bekommen sie regelmässig die spannendsten Artikel sowie Eventankündigungen direkt in Ihr E-mail-Postfach geliefert.