Mit dem FORBES-NEWSLETTER bekommen sie regelmässig die spannendsten Artikel sowie Eventankündigungen direkt in Ihr E-mail-Postfach geliefert.
Eigentlich wollte Anita Frauwallner nur ihrem Mann beistehen, der schon in jungen Jahren an einer Kolitis erkrankt war – sie entwickelte allergenfreie Nahrungsergänzungsmittel zur Verbesserung der Darmgesundheit. Heute erzielt das in Graz ansässige Unternehmen „Institut Allergosan“ einen Jahresumsatz von mehr als 100 Mio. € und vertreibt die Produkte der Eigenmarke Omni-Biotic in Apotheken auf der ganzen Welt. Doch die Gründerin und Geschäftsführerin verfolgt ein noch grösseres Ziel: die globale Marktführerschaft im Bereich Probiotika zu erlangen.
Im von Industrie geprägten Grazer Aussenbezirk Puntigam, unweit der Puch-Werke und der Brauerei, befindet sich seit 2017 ein mächtiger Glasbau. Die Aussenwand zieren weisse Ringe, die Bakterien darstellen, im Inneren schlängelt sich eine breite Wendeltreppe, die der Form eines Darms ähnelt, durch das Gebäude. Oben angekommen, am Ende des Ganges, erwartet den Gast das Büro von Anita Frauwallner – ein geräumiger, heller Raum mit Terrassengarten.
Die Kommunikation mit der Chefin des Instituts Allergosan gestaltet sich sehr offen, sie überzeugt durch ihre rhetorischen Fähigkeiten und ihre gute Laune. Beim Fotoshooting hat unser Fotograf Schwierigkeiten, ein ernstes Porträt zu erstellen, da Frauwallner immer wieder zum Lächeln neigt. Im Geschäftsleben dürfte sie aber Ernst machen: Die 67-jährige Steirerin hat ein führendes Probiotika-Unternehmen aufgebaut, das heute 480 Mitarbeiter beschäftigt, darunter etwa 200 am Standort Graz, wo der Frauenanteil 75 % beträgt.
Alles begann mit einer schweren Erkrankung ihres Ehemanns. Bereits in jungen Jahren litt er an hartnäckigen Magen-Darm-Problemen, die möglicherweise auf eine Infektion während der Maturareise in Nordafrika zurückzuführen waren. Diese Beschwerden wurden zunehmend schlimmer und die Medikamente, die ihm verschrieben wurden, führten nicht zur Heilung. Ein entscheidender Moment war, als eine geistliche Schwester im Krankenhaus empfahl, den Fokus auf die Ernährung zu legen. Dieser Rat war ein Wendepunkt für das Ehepaar: Trotz ihres abgeschlossenen Studiums der Linguistik entschied sich Frauwallner, einen anderen Weg einzuschlagen – sie begann ein Fernstudium in Ernährungswissenschaften an der Universität Giessen. Durch ihr neues Wissen stellte Frauwallner den Speiseplan ihres Gatten vollständig um. In der Folge verbesserten sich seine Beschwerden und er konnte zehn Jahre lang ohne tiefgreifende Probleme leben. Doch das Schicksal schlug dann völlig unerwartet zu: Ihr Ehemann erkrankte an Darmkrebs und starb im Alter von nur 40 Jahren.
Dieser tragische Verlust war der Auslöser für Anita Frauwallner, sich intensiv mit Mikrobiologie und der Bedeutung der Darmflora für die menschliche Gesundheit auseinanderzusetzen. Sie versuchte, die tieferen Ursachen von Erkrankungen zu verstehen, und erkannte, dass die konventionelle Medizin nicht immer ausreichend Antworten lieferte. Ausserdem spielten ihre Sorgen als Mutter eine entscheidende Rolle in ihrem Antrieb: „Was, wenn das genetisch ist? Was, wenn ich in zehn oder 15 Jahren hier am offenen Grab meines Sohns stehe?“ Sie besuchte Kurse an renommierten Universitäten, um tiefer in dieses Forschungsfeld einzutauchen. „Ich habe mich in diese Bakterien verliebt“, beschreibt sie ihre Faszination, als sie die Kleinstlebewesen das erste Mal unter dem Mikroskop sah.
Ein entscheidendes Ereignis war die Zusammenarbeit mit dem niederländischen Forscher Frans Rombouts, Leiter der Universität Wageningen und einer der weltweit führenden Mikrobiologen, der ihre Fragen als „die besten der letzten zehn Jahre“ bezeichnete. Während Frauwallner innovative Ideen hatte, fehlte es ihr an der notwendigen Infrastruktur und den Maschinen zur Umsetzung – Rombouts stellte den Kontakt zu Pieter Pekelharing her, dem Leiter des Microbiome Centers. Zusammen mit dem Unternehmer, der eine Produktionsstätte für Probiotika aufbaute, entwickelte Frauwallner ihr erstes Produkt, das für sie eine besondere Bedeutung hat. „Mein erstes Probiotikum habe ich für meinen Sohn gemacht“, erzählt sie. Omni-Biotic 6, das aus sechs Bakterienstämmen hergestellt wird, bezeichnet sie als „Allrounder für den Darm“.
Damals, in den frühen 90er-Jahren, begann Frauwallner ihre Arbeit tatsächlich bescheiden: Sie arbeitete mit nur einer Mitarbeiterin in einem kleinen Büro, das gleichzeitig als Lager diente. Grosse Anerkennung in Fachkreisen erhielt sie dann durch erfolgreiche Kooperationen mit europäischen Universitätskliniken. „Die Weltgesellschaft der Gastroenterologen hat 2009 unsere erste grosse Studie unter die zwölf besten Probiotika-Studien der Welt aufgenommen“, erinnert sich Frauwallner. Diese Anerkennung zog das Interesse von Wissenschaftlern weltweit nach sich und legte den Grundstein für weitere Zusammenarbeiten. 2015 war ein Höhepunkt, als ihre Forschung zur probiotischen Therapie von Leberfunktionsstörungen auf dem wichtigsten Kongress für Hepatologie, der renommierten „Liver Week“ der American Association for the Study of Liver Diseases (AASLD), geehrt wurde. „10.000 Studien wurden eingereicht und unsere wurde als die beste hepatologische Studie des Jahres ausgezeichnet. Das ist schon ein riesiger Forschungserfolg“, sagt Frauwallner stolz.
Mit über 120 abgeschlossenen Studien und vielen laufenden Forschungsprojekten setzt sie heute weiterhin Massstäbe in der Entwicklung von Probiotika. „Es war mir klar, dass chemische Medikamente allein nicht die Lösung sein können. Man muss den Lebensstil ändern und die Ursache der Erkrankung behandeln, nicht die Symptome“, sagt Frauwallner.
Studien sind zwar prestigeträchtig, was auch manche öffentliche Förderung nach sich zieht, doch die Einnahmen werden durch den Verkauf von Produkten generiert. Der grosse finanzielle Durchbruch kam mit dem Produkt Omni-Biotic 10, das speziell für die Anwendung während einer Antibiotikatherapie entwickelt wurde. „Zum ersten Mal haben auch viele Schulmediziner gesagt: ‚Das ist genau das, was wir brauchen!‘“, merkt sie an. Das Produkt ist nicht nur der meistverkaufte Export des Instituts Allergosan, sondern hat auch internationale Preise gewonnen. „Im Juli haben wir für Omni-Biotic 10 die Auszeichnung für das beste Probiotikum des Jahres 2024 in den USA erhalten“, so Frauwallner. Sie kann die Kritik am Preis von rund 40 € für eine Packung mit 30 Sachets nicht nachvollziehen und betont, dass die Kosten für ihre Produkte vergleichsweise gering sind: „Das sind 1,30 € am Tag oder bei zweimal täglicher Einnahme 2,60 €.“ Die Kunden müssen diesen Preis selbst tragen, da probiotische Bakterien natürliche Ergänzungen der Nahrung und keine Arzneimittel sind – und somit der Versicherungsträger derzeit keine Kostenübernahme vorsieht.
„Qualitativ sind wir die Nummer eins. Es mag weltweit einige gute Produkte geben, aber in dieser Fülle – mit insgesamt 17 verschiedenen Probiotika, die alle auf spezifische Indikationen abzielen und deren Wirkung durch Studien belegt ist – kann uns keiner das Wasser reichen.“ Anita Frauwallner
Zu den Topsellern zählt auch das Produkt Omni-Biotic Stress Repair, das die zweithöchsten Verkaufszahlen aufweist. Dieses Probiotikum ist speziell darauf ausgelegt, Stresssymptome zu lindern, etwa Schlaflosigkeit, Tagesmüdigkeit oder Konzentrationsprobleme. Ebenfalls sehr beliebt ist das im Jahr 2007 gelaunchte Omni-Biotic Panda, das speziell für Kinder und Schwangere entwickelt wurde. Obwohl Frauwallner die hohe Effektivität ihrer Produkte immer wieder betont und dabei auf völlig unabhängige Studien verweist, die von grossen Universitätskliniken durchgeführt wurden, gibt es Kritiker, die sich noch nicht mit dem Mikrobiom auseinandergesetzt haben – und dann die wissenschaftliche Fundierung dieser Forschung infrage stellen.
Beim Thema Marktführerschaft unterscheidet Frauwallner zwischen zwei zentralen Aspekten: Qualität und Umsatz. „Qualitativ sind wir die Nummer eins. Es mag weltweit einige gute Produkte geben, aber in dieser Fülle – mit insgesamt 17 verschiedenen Probiotika, die alle auf spezifische Indikationen abzielen und deren Wirkung durch Studien belegt ist – kann uns keiner das Wasser reichen“, sagt sie selbstbewusst.
Das Institut Allergosan bezieht die Bakterienstämme von 20 Zulieferern. Vier Spezialfirmen kombinieren und bereiten sie so auf, dass sie gut vom menschlichen Körper aufgenommen werden können. Die Verpackung erfolgt in einer spezialisierten Anlage in Deutschland, um die Bakterien vor Feuchtigkeit zu schützen.
Laut IQVIA zählt Frauwallners Unternehmen in Bezug auf den Umsatz zu den drei grössten Probiotika-Brands weltweit. In Deutschland, Österreich und der Schweiz ist das Institut Allergosan verkaufstechnisch die unangefochtene Nummer eins. Das grosse Ziel – dem italienischen Spitzenreiter Enterogermina den Rang abzulaufen – ist kein leichtes Unterfangen. Probiotika haben in Italien eine wesentlich stärkere Präsenz als im deutschsprachigen Raum. Laut einer Studie des Mailänder Marketingunternehmens Future Concept Lab erreichte der Markt für Probiotika in Italien im Jahr 2023 einen Umsatz von 537,3 Mio. €.
Zum Vergleich: In Deutschland lag der Umsatz für Probiotika bei der letzten Erhebung im Jahr 2021 bei knapp 169 Mio. €. Trotz hoher Wachstumsraten wird die Marktgrösse in Deutschland für das Geschäftsjahr 2023 deutlich hinter der in Italien liegen. Frauwallner hat eine Erklärung dafür: „Die Menschen in Italien sind seit mehr als 50 Jahren daran gewöhnt, Probiotika zu nehmen. Fast jedes Kind bekommt dort automatisch welche verabreicht. Da haben wir noch einen Weg vor uns, das ist ganz klar“, sagt die Geschäftsführerin, die überzeugt davon ist, dass die Probiotika-Akzeptanzrate Italiens auch in anderen Teilen der Welt Fuss fassen wird.
Der weltweite Markt für Probiotika wächst erheblich. Laut Data Bridge Market Research wird erwartet, dass der Markt, der 2022 eine Summe von 66,3 Mrd. US-$ aufwies, bis 2030 auf 128,38 Mrd. US-$ ansteigen wird. Deshalb konzentrierte sich das Institut Allergosan in den letzten Jahren stark auf die Internationalisierung: „Wir sind mittlerweile in über 40 Ländern vertreten, aber nicht im gleichen Ausmass wie im deutschsprachigen Raum“, sagt Frauwallner.
Bernd Assinger, Frauwallners Sohn, trat 2012 in die Geschäftsführung ein und bringt seine Kenntnisse als Jurist bei Expansionen ein. Das Mutter-Sohn-Gespann hat seine Aufgaben klar aufgeteilt: Er kümmert sich um Business Development und rechtliche Aspekte, während sie die wissenschaftlichen Belange und den Schulungsbereich leitet.
Neben den USA zeigt sich ein enormes Potenzial in Asien. Im Juli 2024 schloss das Institut Allergosan eine zehnjährige Partnerschaft mit Zuellig Pharma, einem milliardenschweren Unternehmen, ab. Diese Partnerschaft öffnet dem Institut Allergosan die Türen zu bedeutenden asiatischen Märkten wie China, Indonesien, Thailand, Malaysia, Taiwan, den Philippinen und Singapur. In einige dieser Länder, wie Taiwan und China, liefert das Unternehmen bereits Produkte, doch die anderen Märkte stehen noch am Anfang.
Frauwallner beschreibt eine interessante Erfahrung in Singapur, bei der sie zu einer „Signing Ceremony“ eingeladen wurde – ein feierlicher Akt, den sie so aus Europa nicht kannte. „Das zeigt, wie ernsthaft die Unternehmen in Asien unsere Produkte und deren Wirksamkeit betrachten“, erzählt sie.
Die Frage, ob die Marktführerschaft erreicht werden kann, ist für sie weniger entscheidend als die eigentliche Vision, die sie verfolgt. „Wir können extrem viel an Krankheit mit unseren hochqualitativen Probiotika verhindern. Das ist nicht nur ein wirtschaftliches Ziel, sondern auch eine Mission, die meine Mitarbeiter und ich mit Leidenschaft verfolgen“, stellt Frauwallner klar. Die Motivation hinter dieser Arbeit ist der Einfluss auf das Leben von Menschen. Frauwallner: „Wir haben den Knoten gelöst, wie Bakterien tatsächlich funktionieren – und das wollen wir spürbar machen, für die ganze Welt.“
Anita Frauwallner, geboren 1957, ist die Gründerin des Instituts Allergosan, eines Kompetenzzentrums für Mikrobiomforschung, und der Probiotika-Marke Omni-Biotic. Gemeinsam mit ihrem Sohn Bernd Assinger leitet sie die Geschicke des Unternehmens.
Fotos: Gianmaria Gava