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Softwareprogramme wie Photoshop und Acrobat machten Adobe zu einem der grössten IT-Konzerne der Welt. Doch nun transformiert das Unternehmen nicht nur seine Kunden, sondern auch sich selbst: Mit Abomodellen, künstlicher Intelligenz und Konzentration auf den Mittelstand will Christoph Kull, Managing Director Central Europe, seine Kunden als „Digitalisierungspartner“ auf Augenhöhe begleiten. Doch der Plan hat seine Tücken.
Es begann, wie es bei vielen heutigen US-Softwareriesen begann: Im kalifornischen Los Altos starteten John Warnock und Charles Geschke 1982 ein Unternehmen in einer Garage. Der Name ist der eines nahe gelegenen Bachs (Adobe Creek), das Logo entwarf Warnocks Frau. Und der erste Investor der beiden war niemand anderer als Apple-Gründer Steve Jobs. Der überzahlte seine 19 % der Anteile so massiv, dass Adobe das Kunststück gelang, im ersten Jahr profitabel zu werden. Fast 40 Jahre später ist das Unternehmen nicht nur profitabel, sondern einer der erfolgreichsten Softwarehersteller weltweit: 2020 erwirtschaftete Adobe mit 22.500 Mitarbeitern einen Umsatz von 12,8 Milliarden US-$, der Gewinn betrug satte 5,2 Milliarden US-$. Während Adobe zu Beginn unter anderem Programme für Drucker herstellte, hat sich der Konzern seither zum Anbieter zahlreicher Softwareanwendungen für Unternehmen und Privatpersonen entwickelt. Von den Flaggschiffprodukten wie Photoshop und Adobe Acrobat über das Layoutprogramm Indesign bis hin zu Marketing-Anwendungen wie Magento will Adobe seinen Kunden helfen, ihre digitale Zukunft eigenhändig mitzugestalten. „Wir helfen Unternehmen bei der digitalen Transformation. Gemeinsam mit unseren Kunden wollen wir neue Geschäftsmodelle entdecken, die Kundenansprache in die digitale Zukunft übersetzen und neue Absatzkanäle schaffen“, erzählt Christoph Kull im Interview mit Forbes. Als Vice President und Managing Director für Central Europe verantwortet er die Märkte Deutschland, Schweiz, Österreich und Osteuropa. „Unsere Region reicht bis in die Türkei sowie nach Griechenland und Russland“, erzählt Kull. Rund 900 Mitarbeiter sind in dem von Kull betreuten Markt aktiv. Dabei ist die Aufgabe, die der Deutsche mit seinem Team umsetzen muss, die gleiche, die Adobe auch auf globalem Level fordert. Denn einerseits muss man Kunden davon überzeugen, Adobe als umfassenden Partner zu verstehen, statt nur in Einzelbereichen wie Bildbearbeitung mit dem Konzern zu kooperieren. Und während Kull Unternehmen bei der Digitalisierung helfen will, muss Adobe auch zugleich die eigene Transformation navigieren: Die Umstellung auf Abomodelle ist zwar weitgehend umgesetzt, doch müssen die Strukturen noch nachgezogen werden. Zudem will Adobe sein Portfolio im Bereich Marketingautomatisierung erweitern und die hauseigene künstliche Intelligenz „Sensei“ positionieren, die Kunden standardisierte Arbeitsschritte abnehmen soll. Adobe muss jedoch aufpassen: Der Erfolg des Unternehmens basiert – im Gegensatz zu Microsoft, IBM oder SAP – auch darauf, dass man Kreative ansprechen konnte, weil man selbst als kreatives Unternehmen wahrgenommen wurde. Die Expansion könnte dieses Image gefährden. Doch Kull beschwört die Werte des Unternehmens: „Wir sind mutig, menschlich, innovativ und transformativ. Wenn uns das nicht gelingt, sind wir nur wie jeder andere Softwareanbieter auch.“
Wir sind mutig, menschlich, innovativ und transformativ. Wenn uns das nicht gelingt, sind wir nur wie jeder andere Softwareanbieter auch.
Was seinen Anfang im 17. Jahrhundert im Buch- und Magazinbereich nahm, ist heute der Fokus von so ziemlich jedem innovativen Geschäftsmodell: Abonnements. Unter dem Schlagwort der „Subscription Economy“ transformieren Unternehmen ihren Umsatzstrom – weg von lukrativen, aber für den Kunden teuren Einmalverkäufen hin zu wiederkehrenden kleineren Beträgen. Egal ob Soft- oder Hardware, Unternehmen bieten ihre Produkte „as a Service“ an; so auch Adobe. Die Umstellung erfordert ein strukturelles Umdenken, das Adobe noch nicht abgeschlossen hat. Doch die Reise hilft, so Kull, die Bedürfnisse der Kunden besser zu verstehen. „Warum haben wir das vor rund elf bis 12 Jahren gemacht? Auch, weil wir unsere Kunden besser verstehen mussten. Es war damals ein grosses Problem, dass wir diejenigen, für die wir unsere Produkte herstellen, überhaupt nicht kannten bzw. nur sehr wenig über die Art und Weise wussten, wie sie unsere Produkte nutzten“, sagt der Vice President und Managing Director Central Europe. Während der Technologiekonzern seine Produkte früher per Jahreslizenz verkaufte – die Premiumprogramme kosteten schon mal vierstellige Beträge – werden Kunden heute über die Creative Cloud serviciert. Dabei können Nutzer Anwendungen monatlich nutzen und jederzeit kündigen. Doch auch andere Unternehmen gehen in Richtung „Subscription Services“ – selbst die Automobilbranche. „Da kann man dann über ein Software-Update etwa ein Abo für Sitzheizungen abschliessen“, erzählt Kull; „etwa für drei Monate im Winter, und danach bestellt man den Service wieder ab.“ Doch die veränderten Zyklen erhöhen den Druck auf das Team. Adobe müsse viel enger am Kunden entwickeln, sagt Kull, denn Updates würden nicht mehr einmal pro Jahr, sondern oft schon täglich in die Software eingespielt. Und auch vertrieblich verändern sich die Anforderungen: „Früher verkaufte man einmal pro Jahr ein Produkt – fertig. Heute müssen wir den Kunden an dem Tag, an dem wir ihn überzeugt haben, an unsere Customer Success Manager übergeben, die für die erfolgreiche Nutzung – wir sprechen da von „Adoption“ – sorgen. Denn wenn die Kunden unsere Software nicht nutzen, verlängern sie ihr Abo nicht.“ Dabei ist die Kundenbasis sehr divers. Adobes Programme werden von Grosskonzernen gleichermassen genutzt wie von Freelancern, auch Applikationen für Smartphones bietet das Unternehmen an. Doch gerade in der Mitte – im Bereich der KMU – sieht Adobe noch Aufholbedarf. Nicht umsonst steht die Eroberung des deutschen Mittelstands ganz oben auf der Prioritätenliste von Kull: „Wir wollen unsere Präsenz bei diesen Unternehmen ausbauen – und zwar in Deutschland, Österreich und der Schweiz.“ Ein Blick auf die Zahlen zeigt, wie gross das Potenzial ist: 3,5 Millionen Unternehmen zählen alleine in Deutschland zu den KMU, 99,5 % aller Betriebe; in Österreich (99,6 %) sowie der Schweiz (99,7 %) liegt der Anteil sogar noch höher.
Christoph Kull lernte sein Handwerk im B2B-Geschäft. Beim deutschen IT-Konzern SAP arbeitete er sich vom Projektmanager zum Vice President Database & Technology hoch. 2014 wechselte er zum Software-as-a-Service-Anbieter Workday, wo er die DACH-Region verantwortete. Kull kennt das Geschäft mit Unternehmenskunden – in Tech-Unternehmen wird von „Enterprise Software“ gesprochen – in- und auswendig. Im Bereich der Endkunden, dem Consumer Business, hat er jedoch noch etwas zu lernen, wie er zugibt: „Das habe ich – das muss ich offen zugeben – nicht so gelernt wie die Arbeit mit Unternehmenskunden.“ Entgegen kommt dem Erfahrungsschatz des Managers aber auch die Erweiterung des Portfolios, die Adobe seit 2018 vorantreibt. Mit den Zukäufen Magento (Kaufpreis: 1,68 Milliarden US-$) und Marketo (4,75 Milliarden US-$) will Adobe in den wachsenden Markt der Marketingautomatisierung expandieren. Je nach Schätzung bietet die Branche ein Wachstumspotenzial von bis zu 15 % pro Jahr – kein Wunder also, dass der US-Konzern am wachsenden Kuchen mitnaschen will. Um seine Kunden zu unterstützen, setzt das Unternehmen stark auf „Sensei“ (japanisch für Lehrer, Anm.): Die Artificial Intelligence Engine von Adobe soll als gemeinsame Basis für alle Produkte dienen. „Sensei ist die Technologie, die unter allen Lösungen arbeitet. Egal, ob kreative Arbeit oder Marketingautomatisierung, alle Produkte bedienen sich dort.“ Dabei sollen Nutzern Routineprozesse abgenommen werden. Egal, ob es sich um die Freistellung einzelner Haare in der Bildbearbeitung oder die Segmentierung von Zielgruppen für Marketingzwecke handelt – diese mühsamen, aber essenziellen Aufgaben soll Sensei übernehmen. Die Technologie, die für den gesamten Konzern in Basel entwickelt wird, scheint Anklang zu finden: „Alle 30 DAX-Konzerne nutzen Sensei heute schon, wenn sie mit unseren Kreativ-Produkten arbeiten, und 23 von ihnen auch beim Betrieb unserer Digital Experience Lösungen“, so Kull.
Christoph Kull
... studierte Management Information Systems in den USA und startete seine Karriere beim deutschen IT-Unternehmen SAP. Nach einem kurzen Abstecher in die Beratung kehrte er zurück und stieg bei SAP zum Vice President Database & Technology auf. 2014 wechselte er als DACH-Chef zu Workday, 2018 kam er als Managing Director Central Europe zu Adobe.
Trotz erster Erfolge hat Kull, der seinen Job Ende 2018 antrat, sich für die nächsten Monate eine ordentliche To-do-Liste vorgenommen. Erstens will er im Mittelstand reüssieren – und dort Neukunden gewinnen. „Neukunden bedeuten zukünftigen Umsatz, daher ist das in diesem Bereich unser Erfolgsindikator“, sagt er. Zudem will Kull Adobe erst in Deutschland und später in Central Europe zum besten Arbeitgeber machen. In Deutschland sei man bereits Nummer vier, doch Kull will den Spitzenplatz. Das vielleicht wichtigste, aber auch schwerste Ziel wird für Adobe aber ein neues Image sein. Statt kreativ oder Marketing will Kull in Zukunft beides sein können: Adobe soll seine Kunden als „Digitalisierungspartner auf Augenhöhe“ begleiten und nicht nur Anbieter für eine Nische sein. Kull: „Ich will bei allen CEOs, mit denen wir heute schon arbeiten, ganz oben auf dem Whiteboard stehen, wenn es um das Thema Digitalisierung geht.“
Text: Klaus Fiala
Fotos: Adobe
Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 3–21 zum Thema „Künstliche Intelligenz“.