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Die Wiener Gründer Raphaël Besnier und Tobias Macke haben aus einem Schulprojekt ein Geschäft gemacht: Mit ihrer patentierten Technologie verwandelt Interactive Paper klassische Printprodukte in digitale Berührungspunkte. Nach einem erfolgreichen Start in Europa mit über 600 Firmenkunden wagt das Start-up nun den Sprung über den Atlantik.
Der Flyer sieht aus wie aus normalem Papier. Legt man aber kurz ein Smartphone darauf ab, öffnet sich eine Web-Applikation. Der Nutzer kann auf bestimmte Stellen auf dem Papier drücken, durch Verbindungen in der Tinte wird das Signal an das Smartphone geleitet und auf dem Bildschirm wird eine neue Seite angezeigt. Falls es noch nicht klar war: Es handelt sich hierbei um keinen normalen Flyer – sondern um Interactive Paper, das Produkt des gleichnamigen Start-ups, das 2017 von Raphaël Besnier und Tobias Macke gegründet wurde. Über 600 Unternehmen nutzen das Papier als Werbemittel, darunter Pfizer, Novartis, 3M, Ford, L’Occitane, Samsung, Deutsche Telekom und EY, denn es erlaubt ihnen, den Erfolg ihrer Printkampagnen messbar zu machen.
Die Zahlen geben den beiden 26-jährigen Gründern recht: Mit durchschnittlich 35 % Nutzungsrate (laut Unternehmensangaben) übertreffen Interactive-Paper-Kampagnen herkömmliche Printmassnahmen deutlich. Drei Mio. € Umsatz erwirtschaftete das 15-köpfige Team im vergangenen Jahr in Europa. Jetzt folgt der nächste Schritt: die Expansion in die USA. In Phoenix, Arizona, hat Interactive Paper bereits einen Produktionsstandort aufgebaut; der erste US-Mitarbeiter ist eingestellt, die ersten Kampagnen laufen. Aber warum möchte das Martech-Start-up (Martech steht für Marketing-Tech) eigentlich in die USA, bevor es noch den gesamten europäischen Markt bedient?

Die Geschichte von Interactive Paper beginnt 2017 in einem österreichischen Klassenzimmer. „Es gab eine Ausschreibung für einen Wettbewerb, in dem es darum ging, ein Magazin zu designen. Die Frage war: Wie sieht das Magazin der Zukunft aus?“, erzählt Macke. Der damals 17-Jährige hatte eine Idee: Was wäre, wenn man Papier interaktiv gestalten könnte? Er kontaktierte seinen ehemaligen Mitschüler Besnier. Macke wusste, dass sein Freund seit einigen Jahren ein Unternehmen gründen wollte, dass ihm aber die zündende Idee fehlte. „Ich habe meine VWA über Marketing und Finanzierung von Start-ups geschrieben. Ich war grundsätzlich bereit für das Thema, aber wusste nicht, welches Produkt ich verkaufen könnte“, sagt Besnier.
Die beiden trafen sich, tauschten ihre Ideen aus – und beschlossen, gemeinsam durchzustarten. Während ihrer letzten Schuljahre arbeiteten beide bereits als Freelancer für Werbeagenturen und produzierten Videos. „Uns fiel auf, dass es nur die halbe Miete ist, gute Inhalte zu produzieren“, erklärt Besnier. „Es geht auch darum, dass die Inhalte beim Zielpublikum ankommen. Wie bringt man die Menschen dazu, sich damit zu beschäftigen?“ Die Lösung von Macke und Besnier: eine Technologie, die das Beste aus beiden Welten, Print und Online, vereint. „Ein persönlich adressierter Brief schafft sehr viel mehr Aufmerksamkeit als ein E-Mail-Newsletter. Gleichzeitig sind die Möglichkeiten eingeschränkt, die ein Brief kommunizieren kann“, so Besnier. Und Unternehmen gewinnen kaum Informationen aus so einer Werbekampagne: Haben die Adressaten den Brief gelesen oder sofort weggeworfen? Haben sie die Website besucht, nachdem sie ihn gelesen haben? Wie lange haben sie sich mit der Werbung auseinandergesetzt? Interactive Paper soll beides möglich machen: Zielgruppen mit Papier zu erreichen und die Vorteile einer digitalen Kampagne in diese analoge Kommunikationsform mitzunehmen.
Der Weg zum marktreifen Produkt war steinig. Mehrere Jahre investierten die Gründer in die Entwicklung ihrer Technologie. Ein besonders harter Rückschlag kam nach einem Jahr Entwicklung: Die ersten Prototypen funktionierten perfekt – für genau einen Tag. „Am nächsten Tag haben wir gemerkt, dass die Kontaktpunkte oxidieren“, erzählt Macke. „Wir mussten den gesamten Produktionsprozess neu angehen.“ In den ersten Jahren dauerte es drei Stunden, ein einziges Interactive Paper zu produzieren, so Macke.
Heute hat Interactive Paper in einem Netzwerk aus drei Druckereien in Deutschland die Kapazitäten, eine Million Stück pro Monat zu produzieren. Die Technologie basiert auf gedruckter Elektronik: Eine spezielle leitende Tinte ermöglicht es, dass das Papier mit dem Smartphone kommuniziert. Alles funktioniert ohne App und ohne QR-Code. Nutzer müssen nur ihr Smartphone auf das Papier legen oder es kurz an dieses halten. Die NFC-Technologie im Handy erkennt das Interactive Paper automatisch.

Das Geschäftsmodell ist einfach: Kunden können über eine Onlineplattform ihr Design hochladen, die digitalen Inhalte konfigurieren und die gewünschte Stückzahl bestellen. „Man kann sowohl das Design als auch die digitalen Inhalte auf unserer Plattform konfigurieren“, erklärt Besnier. Die Preisgestaltung orientiert sich an der Stückzahl und Komplexität der Kampagne. Besonders im Pharmabereich hat sich Interactive Paper durchgesetzt – aus einem simplen Grund: Strengere Regulationen schränken digitale Werbemöglichkeiten stark ein. „Du kannst hier nicht zum Beispiel eine Linkedin-Werbung machen, die sich an Ärzte richtet, weil das theoretisch auch Nichtmediziner erreichen kann, was nicht legal ist“, so Besnier. Der klassische Postkasten bleibt oft die einzige Möglichkeit, diese Gruppen direkt zu erreichen.
Aber auch im Konsumentenbereich findet die Technologie Anwendung: L’Occitane etwa nutzt Interactive Paper, um Bestandskunden zu reaktivieren, Snipes legte Flyer mit der Technologie in Schuhkartons bei, Samsung platzierte interaktive Aufsteller in Media-Markt- und Saturn-Filialen. „Wir schaffen die Brücke in die physische Welt in Bereichen, in denen sie noch nicht besteht: Verpackung, Geschäft, Veranstaltung, Messestand, Postsendung“, fasst Besnier zusammen.
Ein Vorteil zeigt sich besonders im Pharmabereich: Dort hilft Interactive Paper, Unternehmen 93 % an Papier zu sparen, so das Unternehmen. „Gerade Pharmaunternehmen produzieren oft Hunderte Broschüren – und dann ändert sich eine rechtliche Vorgabe und sie müssen alles noch mal drucken“, erklärt Besnier. Bei Interactive Paper werden nur die Basisinformationen gedruckt – alles andere kann digital angepasst werden. Ein interaktiver Flyer bleibt also für Monate aktuell. Das Prinzip funktioniert auch im Konsumentenbereich: Statt dicker Kataloge reicht eine kleine Karte, um komplexe Produktinformationen zu vermitteln. Die digitalen Inhalte dahinter können je nach Saison, Kampagne oder Zielgruppe angepasst werden – ohne einen einzigen neuen Druck.
Jetzt wollen die Gründer den US-Markt angehen. „Die Zielgruppen, die wir bespielen, sind in den USA zehnmal so gross wie im DACH-Raum“, so Besnier. Die ersten US-Kunden hat Interactive Paper bereits gewonnen: Philips nutzt die Technologie für ein Dental-Programm, das sich an Zahnärzte richtet; eine amerikanische Beauty-Marke rollt ein Loyalty-Programm mit interaktiven Verpackungen aus. „Wir haben letztes Jahr in Europa drei Mio. € Umsatz gemacht und das Ziel ist, mit den USA mittelfristig auch dorthin zu kommen und gleichzeitig im europäischen Markt weiter zu wachsen“, sagt Besnier über die Expansionspläne.
Finanziert wird die Expansion durch frisches Kapital. Die Huata GmbH investierte einen sechsstelligen Betrag in das Start-up. Der Investor bringe nicht nur Geld, sondern auch Expertise im NFC-Bereich und ein globales Netzwerk mit, so Besnier. DORDA Rechtsanwälte, vertreten von Lukas Hermann, der die „Start-Up Group“ der Rechtsanwaltskanzlei leitet, begleitete Interactive Paper ausserdem auf der rechtlichen Seite. Bereits investiert sind Business Angels wie Werner Wutscher, Andreas Weingartner und Johann Ettel.
Für die Zukunft haben sich die Gründer viel vorgenommen. Die Produktionskapazität soll sich mit dem neuen US-Standort auf 1,8 Millionen Stück pro Monat fast verdoppeln. Neue Features wie KI-gestützte Analytics und dynamische Inhalte sind in Entwicklung. Das Ziel: eine Plattform, die nicht nur für Print funktioniert, sondern für alle physischen Touchpoints – von Plakaten über Werbebanner bis zu Verpackungen.
Die Vision der Gründer geht über Interactive Paper hinaus. „Wir versuchen, Werbung intelligent und wirksam zu machen – und so nutzerfreundlich wie möglich“, sagt Besnier. Spotify, Uber oder Amazon haben ihre Branchen auf den Kopf gestellt, indem sie Produkte angeboten haben, die es davor schon gab – aber viel einfacher zugänglich gemacht haben, so der CEO. Das Gleiche wollen Besnier und Macke mit dem Werbemarkt machen.

Raphaël Besnier und Tobias Macke gründeten Interactive Paper 2017 noch während ihrer Schulzeit. Das Wiener Start-up verwandelt mit patentierter Technologie klassische Printprodukte in messbare, digitale Touchpoints. Mit über 600 B2B-Kunden und drei Mio. € Jahresumsatz expandiert das Unternehmen nun in die USA.
Fotos: beigestellt