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Plötzlich arbeiten ganze Unternehmen aus dem Home Office – was einige vor Herausforderungen stellt. Carlo Badini, Forbes Under 30-Listmaker und Gründer der Designagentur Cleverclip, baute von Beginn an auf remote.
Für jemanden, der seit sieben Jahren ein remote agierendes Unternehmen leitet – und der zusätzlich weitreichenden Ausgangsbeschränkungen aufgrund der Coronavirus-Pandemie unterliegt – befindet sich Carlo Badini für unser Video-Interview an einem ungewöhnlichen Ort: in seinem Büro.
Der Schweizer, der 2018 auf der Forbes Under 30-Liste für die DACH-Region vertreten war, ist Gründer und CEO der Designagentur Cleverclip in Bern. Seit sieben Jahren ist die Organisation bereits remote konzipiert. Die 40 Mitarbeiter arbeiten in 14 Ländern, unter anderem in Malaysia, Costa Rica, Russland, Deutschland oder auch Spanien – und auch die in der Schweiz lebenden Mitarbeiter dürfen arbeiten wann und wo sie wollen.
Das komplette Interview wurde auch auf Video aufgezeichnet.
Das ist keinesfalls üblich: 44 % aller Unternehmen weltweit erlauben ihren Mitarbeitern nicht, von zuhause zu arbeiten. Bei anderen ist ein Tag pro Woche Home Office erlaubt, wiederum andere gehen flexibler mit diesen Regelungen um. Die Sicherheitsmassnahmen im Zuge des Corona-Virus brachten jedoch zahlreiche Unternehmen dazu, ihre Mitarbeiter gänzlich ins Home Office zu schicken. Alleine bei Microsoft – eines der ersten Unternehmen, das auf „Work From Home“ umstellte – fiel die Zahl der physisch Anwesenden am Campus in Redmond unweit von Seattle von 40.000 innerhalb weniger Tage auf nur 5.000. Auch zahlreiche (Gross-)Unternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz haben ihre Mitarbeiter nach Hause geschickt, um Infektionen zu vermeiden.
Was in den ersten Tagen für die Beteiligten noch lustig, skurril oder aufregend sein mag, bedeutet für Organisationen und ihre Führungskräfte jedoch einen fundamentalen Wandel. Und zwar in der Art und Weise wie Kommunikation, Führung oder Unternehmenskultur gedacht und umgesetzt werden. Dass remote agierende Unternehmen grundsätzlich anders funktionieren glaubt Badini nicht – ein Umdenken muss dennoch stattfinden. „Wenn man mit herkömmlichen Denkmustern kommt, wird es ziemlich schwierig. Vor allem die Kommunikation und die Kultur funktionieren grundverschieden, wenn man sich nicht täglich im Büro sieht.“
Schon immer „Work From Home“
Badini gründete Cleverclip 2013 direkt nach seinem Schulabschluss. Das Unternehmen hilft Kunden – darunter Konzerne wie die SBB, Samsung oder Xing – komplizierte Sachverhalte einfach zu erklären. Das Herzstück sind dabei Erklärvideos, doch das Unternehmen bietet auch die Konzeption von interaktiven Inhalten, Infografiken, Präsentationsdesigns oder Graphic Recordings an. Dass Mitarbeiter nicht zwingend im Büro arbeiten müssen, war für Badini von Beginn an selbstverständlich. Erst als „Ein-Mann-Betrieb“ tätig, stellte er schon bald die ersten zwei Mitarbeiter an. „Wir hatten damals ein ziemlich hässliches Büro (in Bern, Anm.) im Keller. Es war schnell klar, dass man den Mitarbeitern nicht zumuten kann, acht Stunden pro Tag in diesem Büro zu sitzen.“
Carlo Badini
... ist Forbes Under 30-Listmaker von 2018 und Gründer der Designagentur Cleverclip. Lagen die Anfänge noch in Erklärvideos, werden heute auch E-Learnings, Grafic Recordings etc. angeboten.
Badini ermöglichte also sofort, dass auch von zuhause gearbeitet werden kann. Als er dann einen Motion-Designer suchte und in der Schweiz nicht fündig wurde – und zwar nicht, weil das Geld nicht vorhanden gewesen wäre –, wurde die Flexibilität bezüglich des Arbeitsortes schlagartig zum grossen Vorteil. Denn wenn Mitarbeiter arbeiten können wann und wo sie wollen, ist es auch gleichgültig, wo sie leben. Der dritte Mitarbeiter wurde also in Malaysia gefunden und arbeitete somit zu 100 % remote. Die Zusammenarbeit funktionierte, Cleverclip wuchs stetig weiter.
Organisationen sollten sich laut Badini Zeit geben, um sich auf die veränderten Bedingungen einzustellen. „Durch Remote Work gestalten die Mitarbeiter ihre Zeit viel flexibler. Man muss damit klarkommen, dass um 11 Uhr morgens ein Mitarbeiter vielleicht noch gar nicht oder gerade nicht arbeitet. Das ist zu Beginn vielleicht irritierend, da alles viel fliessender wird.“
Kein Platz für paranoide Führungskräfte
Für Führungskräfte heisst das vor allem, loslassen zu können und Zutrauen zu den Mitarbeitern zu haben. Das sei nicht immer einfach, so Badini, da zumindest die visuelle Kontrolle grossteils wegfällt. „Ich mache das seit sieben Jahren,“ sagt Badini, „und habe noch immer meine paranoide Phasen.“ Auch im gemeinsamen Büro könne man aber nicht immer sagen, wie produktiv ein Mitarbeiter sei. Messen sollte man dennoch – auch in remoten Settings. So müssen Cleverclip-Mitarbeiter ihre Zeit messen (das geschieht über die App Toogl), damit der Input von spezifischen Projekten berechnet werden kann. Letztendlich entscheidend sei jedoch der Output, so Badini.
Auch die Führung und Entwicklung von Mitarbeitern funktioniert bei Cleverclip nicht, wie bei herkömmlichen Organisationen. Micromanagement ist nicht Badinis Stil. „Wir führen eher Laissez-faire und appellieren stark an das Selbstmanagement von Mitarbeitern.“ Wichtig sei da vor allem, die richtigen Persönlichkeiten auszusuchen. Denn nicht jeder ist dafür geeignet, von zuhause zu arbeiten. Die Problemfälle lassen sich in zwei grobe Kategorien einteilen, so Badini: „Das eine Extrem ist, dass die Person denkt, dass Remote Work bedeutet, gar nicht wirklich arbeiten zu müssen. Das merkt man aber eigentlich relativ schnell, oft schon im Hiring-Prozess. Das andere Extrem ist, wenn eine Person gar nicht mehr abschalten kann – das merkt man leider vorab nur schwierig.“
Virtuelle After-Work-Drinks oder gemeinsam einen Netflix-Film zu streamen kann helfen, das Mitarbeiter-Engagement zu steigern.
Badini betont, dass sich Mitarbeiter konsequente Arbeitszeiten einrichten müssen. Das kann heissen, den Laptop abends zu verstauen und nicht mehr anzufassen. Aber auch, dass Mitarbeiter früh zu arbeiten beginnen und auch abends lange arbeiten – aber zwischendurch ohne schlechtes Gewissen zwei Stunden auf dem Tennisplatz verbringen (was aktuell durch die Ansteckungsgefahr nicht ratsam ist, Anm.).
Virtuelle After-Work-Drinks für mehr Zusammenhalt
Ganz ohne physische Interaktionen sei es aber trotz modernster Kommunikationstools schwierig, die Unternehmenskultur zu stärken. Bei Cleverclip geschieht das einmal pro Jahr in einem Team Retreat, wo alle Mitarbeiter zusammenkommen und gemeinsam arbeiten. „Diese eine Woche ist sehr wichtig für uns.“ Doch auch kreative Ideen können helfen, virtuell zusammen zu wachsen: „Virtuelle After-Work-Drinks oder gemeinsam einen Netflix-Film zu streamen kann helfen, das Mitarbeiter-Engagement zu steigern.“
Rechtlich gesehen ist die Organisationsform jedoch eine ziemliche Herausforderung. Während die Mitarbeiter in der Schweiz fix angestellt sind, ist das in Ländern wie Malaysia oder Costa Rica fast unmöglich. Daher sind diese Kollegen meist als Freelancer beschäftigt – was sie jedoch gegenüber fix angestellten Cleverclip-Mitarbeitern nicht benachteiligen soll. „Auch diese Mitarbeiter haben eine dreimonatige Kündigungsfrist, fünf Wochen bezahlten Urlaub, etc. Das ist uns ganz wichtig.“
Dass die eigene Organisation auch nach den Herausforderungen des Corona-Virus remote bleibt, sei für Badini klar. Er sieht in all den Schwierigkeiten für Unternehmen auch einen kleinen Vorteil: Es würde Organisationen helfen, so Badini, konsequenter zu digitalisieren und sie zwingen die eigenen Annahmen zu überdenken. „Man sollte sich all jene Prozesse ansehen, wo man das Gefühl hat, dass man physisch zusammen sitzen muss, damit sie funktionieren. Was kann man ändern, dass das auch remote klappt?“
Solche Lösungen bietet Cleverclip jetzt auch konkret an: Mit einem virtuellen Guide sollen Unternehmen im Übergang zum Home Office unterstützt werden. Mit Antworten zu den dringendsten Fragen hilft der Gratis-Guide von Cleverclip Unternehmen dabei, die Strukturen anzupassen und so neu zu organisieren, dass sie abseits des herkömmlichen Büro-Alltags funktionieren. Dass der Umstieg für gewisse Branchen, etwa bei Banken, die mit sensiblen Daten arbeiten, schwieriger sei als für Unternehmen in der Kommunikationsbranche, sei klar, so Badini. „Aber auch da gibt es immer Lösungen.“
Text: Klaus Fiala
Fotos: beigestellt / Cleverclip