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Alles begann 1998 mit einem Sneakers- und Streetwear-Store auf der Limbecker Strasse in Essen – heute hat der deutsche Einzelhandelsriese Snipes mehr als 450 Stores weltweit und arbeitet mit grossen Namen wie Sony, DJ Khaled oder Stefflon Don zusammen. Sina Bredthauer, die neue Head of Marketing Strategy, weiss, dass Snipes in der Welt der Streetwear und Sneakers seinen grossen Trumpf gefunden hat: die Community.
Der Instagram-Account von Snipes ist ein sorgfältig kuratierter Mix aus Hip-Hop, Streetwear und Sneaker Culture. Hier sehen die 1,7 Millionen Follower Schnappschüsse des Rappers Drake mit seinem kleinen Sohn, Rückblicke auf grosse Momente zwischen den Basketballstars Kobe Bryant und Pau Gasol oder Rihanna, die ihren Grossvater Bravo an seinem 86. Geburtstag umarmt. Die Strategie ist durchdacht: „Wir wollen, dass unsere Community uns als Marke folgt, nicht als Retailer“, sagt Sina Bredthauer, Head of Marketing Strategy bei Snipes. „Die Community steht zu 1.000 % im Mittelpunkt all dessen, was wir tun.“
„Raised from Concrete“
Dieses Mantra gilt für das beliebte deutsche Streetwear- und Sneaker-Unternehmen, seit es 1998 in den Strassen von Essen aus der Taufe gehoben wurde. Gründer Sven Voth wollte, dass Snipes der „Ort für echte Hip-Hop-Kleidung“ wird, und stattete ihn mit US-Marken aus. „Sven war dabei, Europa zu globalisieren“, sagt Bredthauer. „Der amerikanische Lifestyle war hier nicht so leicht zugänglich wie heute – man musste dorthin fliegen oder etwa einen Onkel haben, der dort lebt und einem die Sachen schickt.“ Selbst als die Kette wuchs, vermittelten ihre Läden mit ihrem besonderen Design und der Hip-Hop-Hintergrundmusik weiterhin diesen Lebensstil. In den Stores finden sich einige der grössten Sportbekleidungsmarken der Welt, etwa Nike, Adidas, Karl Kani, Puma, Sean John oder New Balance. Heute machen Sneakers zwei Drittel des Umsatzes von Snipes aus, der Rest entfällt auf Bekleidung und Accessoires.
Die Marke Snipes fand schnell Anklang bei der jungen, urbanen Community. Im Jahr 2006 legten Tausende Basketballfans einen Grossteil der Hamburger Innenstadt vor einem Snipes-Store lahm, um einen Blick auf die Sportlegende Michael Jordan zu erhaschen. Seitdem gaben sich viele weitere grosse Namen wie Wiz Khalifa, der Wu-Tang Clan und Snoop Dogg die Ehre und waren Teil der Kampagnen des Unternehmens, das sich zu einem der grössten Streetwear- und Sneaker-Retailer Europas entwickelt hat. Heute hat Snipes weltweit 450 Geschäfte mit einem Jahresumsatz von rund einer Milliarde €. Das Geschäftsmodell ist beliebt, jedoch nicht einzigartig: Snipes konkurriert nach wie vor mit anderen Einzelhändlern wie dem US-amerikanischen Sportbekleidungs- und Schuhgiganten Foot Locker, der weltweit fast 3.000 Läden betreibt; seit einiger Zeit führt auch Zalando, Deutschlands grösster Onlinehändler, viele der Marken, die auch Snipes anbietet. Wie also hebt sich Snipes von der Masse ab?
„Unser Alleinstellungsmerkmal ist, dass wir so nah an unserer Community sind. So schaffen wir es, authentisch und ‚raised from concrete‘ zu sein“, erklärt Bredthauer. Die Marke Snipes zeigte von Anfang an Präsenz bei grossen Musik- und Tanzfestivals, ob bei den BMX-Weltmeisterschaften, dem Red Bull Music Festival oder dem Open Air Frauenfeld. Der zweite Vorteil, so Bredthauer, seien die Mitarbeiter in den Stores. „Wir stellen authentische Leute ein, die eine Leidenschaft für Hip-Hop, Dance, Streetwear oder Sneakers haben. Das macht einen riesengrossen Unterschied“, sagt sie. „Da unsere Mitarbeiter*innen meist selbst tief in der Sneaker Culture verwurzelt sind und eine grosse Leidenschaft dafür hegen, schauen sie oft zuerst auf die Schuhe, wenn man in den Laden kommt.“ Obwohl der Online-Bekleidungsmarkt laut Statista demnächst voraussichtlich die Marke von einer Billion US-$ überschreiten wird, ist das stationäre Geschäft für Snipes nach wie vor der wichtigste Umsatztreiber.
Die Präsenz von Snipes wächst weiter – und zwar schnell. Unter dem Mutterkonzern Deichmann, Europas grösstem Schuheinzelhändler, haben sich die Snipes-Stores über die DACH-Region hinaus auf Italien, Belgien, die Niederlande, Frankreich, Portugal und Spanien ausgedehnt. In den Vereinigten Staaten betreibt Snipes nach der Übernahme von Kicks USA und Mr. Alan’s im Jahr 2019 über 100 Läden. Bereits im kommenden Jahr plant Snipes den Eintritt in den osteuropäischen Markt, mit der Übernahme des polnischen Einzelhändlers Distance, der über 30 Läden verfügt.
„Serving the Streets“
Das Unternehmen dürfte nun an einem wichtigen Punkt seiner Expansion angekommen sein. Hier kommt Bredthauer als Head of Marketing Strategy ins Spiel; eine Rolle, die sie erst im September in der Snipes-Zentrale in Köln angetreten hat. Zuvor war Bredthauer seit Anfang 2020 als Head of Product Marketing bei Snipes. „Wir sind eine riesige Marketingmaschine“, sagt sie. Allein das hauseigene Marketingteam besteht aus über 70 Mitarbeitern, darunter Fotografen, Videofilmer und Content Creators. Laut Bredthauer sind die Marketinginvestitionen des Unternehmens im Vergleich zu denen der Konkurrenz „überdurchschnittlich“, genaue Zahlen will sie aber nicht nennen. Ihre Aufgabe, so erklärt sie weiter, bestehe darin, relevante Themen der Community zu identifizieren und sich damit auseinanderzusetzen sowie neue Partnerschaften zu entwickeln. „Bei jeder Kampagne und jedem Partner müssen wir zum Beispiel entscheiden: Wollen wir ein Markenstatement abgeben? Oder wollen wir sehr kommerziell sein und einfach überall Aufmerksamkeit generieren?“
Seit ihrem Eintritt in die Snipes-Family im Jahr 2020 hat Bredthauer bereits einige grosse Kampagnen lanciert. Dazu gehört u. a. die Zusammenarbeit mit Warner Bros. zum animierten Spielfilm „Space Jam: A New Legacy“. Zudem gibt es regelmässige Kollektionen der beliebten Streetwearmarke Karl Kani, für die Snipes die globale Vertriebslizenz besitzt. Snipes’ bisher erfolgreichste Zusammenarbeit war jedoch jene mit Sony im Jahr 2020: Damals brachte man eine Unisex-Kollektion heraus, um die Markteinführung der Playstation 5 zu feiern.
An grossen Brand-Partnern scheint es jedenfalls nicht zu mangeln, wenn es um die Marke Snipes geht. Das war aber nicht immer so, erklärt Bredthauer: Als Beispiel verweist sie auf die Capsule Collection, die 2019 für die beliebte Science-Fiction-Serie „Stranger Things“ herausgebracht wurde. Allein die Vorschau auf Youtube wurde seither mehr als sechs Millionen Mal angeschaut. „Das war das erste Mal, dass wir mit einer Riesenmarke wie Netflix zusammengearbeitet haben“, sagt sie. „Wir mussten uns und unser Konzept wirklich verkaufen.“ Heute ist es genau umgekehrt: Man richtet sein Marketing an eine junge Community und positioniert sich als grosser Bruder, der dabei hilft, die neuesten Trends zu erkennen. „Andere Brands kommen auf uns zu, weil sie uns als Katapult für den Einstieg in die Gen Z sehen“, sagt Bredthauer.
„Give a girl the right shoes and she can conquer the world“
Street Culture war nicht immer ein Teil von Bredthauers Leben. Sie wuchs in einer Kleinstadt in der Nähe von Hannover auf – „kein so cooler Ort wie Berlin“ – und verbrachte ein Studienjahr in Spanien, bevor sie ihr Studium der Internationalen Kommunikation und Übersetzung an der Universität Hildesheim abschloss. Sie liebt Sprachen (vor allem Spanisch) und übersetzte sogar einen Independent-Film, bevor sie beschloss, dass ihr beruflicher Weg woanders hinführen sollte. Sie fand ihn 2012, als sie bei Nike als Retail Brand Specialist im Fussballsegment anfing. Drei Jahre später packte sie ihre Koffer und zog in die EMEA-Zentrale in Hilversum, Niederlande. Dort arbeitete sie an Women-fokussierten Kampagnen, zu denen auch die „Nike Cortez“-Kampagne mit dem amerikanischen Model Bella Hadid gehörte.
Die dort gemachten Erfahrungen scheinen den Grundstein für heutige Initiativen gelegt zu haben, in denen Frauen im Mittelpunkt stehen. In diesem Jahr arbeitete Snipes zum Beispiel mit der britischen Rapperin und Sängerin Stefflon Don zusammen. „Wir wollten eine Kampagne, die direkt ins Auge springt und sich gezielt um Female Empowerment dreht“, erklärt Bredthauer. Das Ergebnis ist die Kollektion „Snipes x Stefflon Don“ mit knallorangen Trainingsanzügen, Batikpullovern und kuscheligen Rollkragenpullis. „Wir betreiben kein Pinkwashing“, betont Bredthauer. Die mutige Kampagne setzte ein Zeichen: Auf Instagram wuchs die Anzahl der weiblichen Follower nach der Veröffentlichung erheblich.
Wenn Bredthauer davon spricht, der Community zuzuhören, meint sie damit nicht nur die Öffentlichkeit – es geht auch um Tausende von Mitarbeitern. Aus diesem Grund beschloss sie 2020, die „Girl Squad“ ins Leben zu rufen, eine handverlesene Gruppe von aktuell acht Frauen, die alle in verschiedenen Snipes-Stores in ganz Europa arbeiten und nun als Markenbotschafterinnen fungieren. Die Idee war, ihnen eine Plattform zu geben, um ihre Talente zu fördern (eine ist professionelle Sängerin, eine andere Tänzerin) und Inhalte für die Social-Media-Kanäle von Snipes zu produzieren. Bei der weiblichen Community kam das gut an: Allein Snipes’ Tiktok-Account ist innerhalb eines Jahres auf 350.000 Follower und über fünf Millionen Likes angewachsen. „Streetwear ist immer noch ziemlich männerdominiert. Es gab also schlichtweg eine Lücke, wenn es um Frauen ging“, sagt Bredthauer. „Female Empowerment und Frauen in unserer Community sichtbarer zu machen lag mir von Anfang an sehr am Herzen.“
Es ist klar, dass Bredthauer und ihr Team alle Hände voll zu tun haben, wenn es darum geht, an der Spitze zu bleiben. Dennoch brennt uns zum Ende des Gesprächs eine Frage auf den Lippen: Wer steht auf ihrer Wunschliste für eine Zusammenarbeit mit Snipes ganz oben? Bredthauer zögert keine Sekunde: „Wenn ich unendlich viel Budget zur Verfügung hätte, würde ich mich für Cardi B entscheiden.“
Text: Olivia Chang
Fotos: Snipes, Jan Moos Photography
Dieses Advoice erschien in unserer Ausgabe 8–21 zum Thema „Women“.