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Seit 2013 wurde der Frauenanteil in der ÖBB-Holding verdoppelt, heute liegt er bei 14 %. In der historisch bedingt männlich dominierten Branche bringt die viel zitierte digitale Transformation vor allem mehr Diversität – für die Zukunft des grössten Mobilitätsanbieters des Landes ist diese auch erfolgsentscheidend.
Im Wandel vom reinen Verkehrsträger zum modernen Mobilitäts- und Logistikanbieter liegt bereits ein grosses Wegstück hinter dem ÖBB-Konzern, aber auch ein gutes Wegstück noch vor dem Unternehmen. Freilich nicht nur vor der ÖBB-Holding selbst, sondern vor allen Mobilitätsunternehmen, die sich mit vielen neuen Themen – von innovativen Verkehrskonzepten über Auf- und Vorgaben der Klimapolitik bis hin zu den Ideen des sogenannten Sharing – auseinandersetzen müssen. Nicht zuletzt liegen besonders viele Augen auf dem im Eigentum der Republik Österreich stehenden Unternehmen: Hier müssen mehr Aufgaben erfüllt werden als nur die offensichtlichen. An Gestaltungswillen mangelt es jedoch nicht, und an den Schaltstellen der Gestaltungsmacht zieht langsam, aber unaufhaltsam Diversität ein.
„Diversity, etwa im Bereich Gender Diversity, ist merklich in den Geschäftsprozessen angekommen. In den letzten Jahren kamen deutlich mehr Top-Expertinnen und weibliche Führungskräfte in den Konzern“, sagt Traude Kogoj, Leiterin des Diversity-Managements der ÖBB-Holding und Konzernbeauftragte für Gleichbehandlungsfragen. „Diese High Potentials zeigen auch“, so Kogoj weiter, „dass sämtliche Recruitingprozesse ‚inklusiv funktionieren‘.“ Das heisst, dass an den – nicht nur sinnbildlich gesprochen – entscheidenden Positionen Menschen sitzen, die Mitarbeiter:innen nicht nach dem eigenen Abbild rekrutieren. Kogoj: „Es ist auch nicht selbstverständlich, dass wir heute in Ausschreibungen expressis verbis reinschreiben, dass wir uns über Bewerbungen von Frauen besonders freuen.“ Kurzum: Da tut sich was.
Wie in nahezu allen Unternehmen ist die viel diskutierte Digitalisierung auch in der ÖBB-Holding und all ihren Töchtern treibend für Veränderung sowie Massgabe für die strategische Ausrichtung für die Zukunft des Unternehmens mit seinen mehr als 41.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. „Mit dem ‚alten, unbeweglichen Tanker‘, mit dem der Staatskonzern oft verglichen wurde, hat das Unternehmen heute jedenfalls nicht mehr viel zu tun“, sagt Eva Buzzi, Geschäftsführerin der Rail Tours Touristik GmbH, einer Tochter der ÖBB-Personenverkehr AG und seit Kurzem Präsidentin des Österreichischen Reiseverbands. „Wenn ich an die 1980er-Jahre zurückdenke, waren die ÖBB ein reiner Verkehrsträger – also nur dafür zuständig, Fahrgäste mit dem Zug und später auch mit dem Bus von A nach B zu befördern. Die Passagiere, unsere Kunden, wurden damals auf Formularen – man stelle sich das vor! – tatsächlich als ‚Beförderungsmittel‘ bezeichnet. Das sagt schon sehr viel über das damalige Selbstverständnis aus“, so Buzzi weiter. Um das Jahr 2000 habe man den Fokus von der technischen Beförderung eines Bevölkerungsanteils erweitert und Zusatzangebote zum reinen Bahnfahren gemacht, die bis zum heutigen Tag stetig erweitert werden und immer neue Kund:innengruppen in die Welt des klimafreundlichen und praktischen zeitgemässen Reisens bzw. in den Transport von Gütern einbinden sollen.
Diese (potenziellen) Endkund:innen in den Fokus zu stellen zählt Anna Mayerthaler, Verkehrsplanerin und Teamkoordinatorin von ÖBB 360 – Mobility & More, zu ihren Hauptaufgaben. Entlang der zentralen Bedürfnisse der Kund:innen und Partner:innen setzt Mayerthaler sämtliche Mobilitätsbausteine aneinander, um alle von A nach B zu bringen. „First and Last Mile“ nennt sich das komplexe Konzept, das den privaten und den öffentlichen Raum (und somit auch den entsprechenden Verkehr) miteinander verbindet, digital via App „wegfinder“ abbildet, buch- und zahlbar macht. Hier arbeiten die ÖBB einerseits wie vergleichbare Mobilitätsplattformen, allerdings andererseits mit dem nicht unerheblichen Zusatz einer – wenn man so möchte – historisch gewachsenen Infrastruktur. Diese integrierte Form der Mobilität gelte es als Dienstleister:in sowohl im Personen- als auch im Güterverkehr zur Verfügung zu stellen – dies auch inklusive massgeschneiderter Mobilitätskonzepte. Dieses Geschäftsfeld ist nicht vielen bekannt.
Es sind Mobilitätskonzepte, die etwa für touristische Regionen ebenso erarbeitet werden können wie etwa für spezielle Anforderungen einer Gegend mit besonders vielen Pendler:innen. Mayerthaler: „Wir wollen hier für die jeweiligen speziellen Ansprüche unserer Kunden die gesamte Mobilitätskette abbilden und das passende Transportmittel – auch über die Kooperation mit Partnern – zur Verfügung stellen.“ Diese gehen von der Schiene über den Bus bis hin zum Roller oder E-Auto. Eine „End 2 End“-Mobilität könne auch innerhalb des Unternehmens gut abgebildet werden, sagt Mayerthaler abschliessend: „Künftig könnte es ein Incentive sein, statt des Dienstwagens ein bestimmtes Mobilitätsbudget – auch für private Fahrten – zur Verfügung zu stellen.“
Insgesamt geht es jedenfalls um Serviceorientierung, die ein ganz anderes Denken erfordere und somit auch Teil eines grossen kulturellen Wandels sei, der im Zuge der digitalen Transformation mit einhergehe. Und dieses grosse Ganze steht unter dem Überthema Klimaschutz. „Dieser ist“, sagt Anna Paltauf, Geschäftsführerin des ÖBB-Ticketshops, „im Konzern kein Marketing-Feigenblatt. Das ist uns allen wichtig – und nicht zuletzt auch eine Grundhaltung, die junge Talente ins Unternehmen lockt.“ Den Kolleginnen und Kollegen sei es wichtig, in ihrer täglichen Arbeit zum Umweltschutz beizutragen. „In ihrem Kern“, so die Geschäftsführerin, „ist die ÖV Ticketshop GmbH eine Softwareentwicklungsfirma, die für Reisende den Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln praktisch, bequem und nutzerfreundlich gestaltet und ermöglicht.“
„Das Mehr an weiblichen Führungskräften zeigt, dass die Recruitingprozesse inklusiv funktionieren.“
Traude Kogoj
Zuletzt stand das Klimaticket im Zentrum des öffentlichen Interesses. „Ein Projekt“, sagt Paltauf stolz, „das massgeblich von Frauen mitgetragen worden ist – im Vertrieb, in der Projektabwicklung und in der fachlichen Konzeption.“ Ganze eineinhalb Jahre habe die Arbeit am Klimaticket in Anspruch genommen – „aber schön, dass wir es machen durften“, sagt Paltauf. Die Zusammenarbeit mit allen Partnern und politischen Stakeholdern sei ebenso fordernd und lehrreich wie erfreulich und absolut sinnvoll gewesen.
Gibt es denn spezielle Chancen der digitalen Transformation, die besonders Frauen betreffen? „Beides“, meint Eva Buzzi spontan. „Die Lockdowns und die Arbeitsregelungen im Homeoffice haben die Leistungen vieler Frauen einerseits sichtbar gemacht“, sagt sie. Andererseits laufe man jetzt aber als Frau Gefahr, im Homeoffice zu bleiben. Während andere zurück ins Büro gehen, könnten jene wieder in die Unsichtbarkeit verschwinden, die alles – Kinderbetreuung, Haushalt und Job – von zu Hause aus unter einen Hut bringen, warnt Buzzi.
Lara Spendier, Head of Transformation Office (ÖBB-Holding), die sich aktuell auf Fragen des sogenannten „New Way of Work“ spezialisiert hat, stimmt der Rail-Tours-Touristik-Chefin zu. Spendiers Arbeitsspektrum ist weiter gespannt als die Möglichkeiten des Homeoffice; die Informatikerin erörtert ebenso Chancen der Digitalisierung für die Kolleg:innen, die „in der Fläche arbeiten“, wie sie es nennt. Konkret geht es um die Einbringung technischer und technologischer Innovationen, um die Menschen auch körperlich zu entlasten. Nicht zuletzt könne auch dadurch die traditionell niedrige Frauenquote (die heutigen 14 % stellen bereits eine Verdoppelung der Frauenquote seit 2013 dar) erhöht werden, so Spendier.
Ein Ansinnen, hinter dem auch die Geschäftsführerin der Technischen Services der Bundesbahnen, ÖBB Train Tech, Sandra Gott-Karlbauer, steht, die sich und ihrer Gesellschaft das Ziel gesetzt hat, die Frauenquote in den kommenden Jahren signifikant zu erhöhen: „Digitalisierung und Automatisierung der Werkstätten unterstützen uns dabei, Arbeitsabläufe auch für Frauen effizienter und sicherer zu machen und so mehr Frauen für technische Berufe zu begeistern“, sagt sie.
Die ÖBB Train Tech ist das technische Kompetenzzentrum für die Instandhaltung und Weiterentwicklung von Schienenfahrzeugen im Konzern. 4.000 Mitarbeiter:innen an 24 Standorten zählen zum grössten Instandhaltungsunternehmen für Schienenfahrzeuge des Landes, das aktuell eine Aufgabe in den Fokus setzt: „Ein digitales Zukunftsthema, das die Branche komplett verändern wird, ist Condition Based Maintenance (CBM, Anm.), also zustandsorientierte Wartung.“
Wartungen erfolgen darin nach dem aktuell und zukünftig prognostizierten Zustand des Fahrzeugs. Das spare nicht nur Kosten, so Gott-Karlbauer, diese zunehmende Automatisierung in den Werkstätten rücke die Kompetenzen und Fähigkeiten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weiter in den Mittelpunkt. Innovation und das Erlernen neuer Skills in gemischten Teams seien zentral und zukunftsweisend – man wolle schliesslich die Nummer eins in der Schienenfahrzeug-Instandhaltung bleiben.
Diversität wird auch bei der Rail Cargo Group (RCG AG) als Grundvoraussetzung für kreative digitale Ansätze in der Logistik gesehen. „Die Vielfalt der Logistik erfordert in der Digitalisierung einen unkonventionellen Rahmen, diverse Teams in der Umsetzung, mutige Kolleginnen und Kollegen aus dem operativen Geschäft und Ausdauer für die Skalierung der Ideen“, sagt Vanessa Langhammer, CIO/CDO der RCG. Rund 9.300 Mitarbeiter:innen arbeiten am nachhaltigen Transport von Gütern auf der Schiene quer durch Europa und bis nach Asien. „Der spannendste Aspekt ist die Echtzeitkollaboration und die Abbildung von Erfahrungswissen in Datenmodellen ganz nach dem Motto ‚Erfahrung trifft neue Möglichkeiten‘. Erst mit der Kombination verschiedener Perspektiven kommen die wirklich bahnbrechenden Ideen in die praktische Umsetzung“, so Langhammer.
Ein Wunsch sei – trotz aller Freude über die zunehmende Durchmischung der Teams im ÖBB-Konzern – an dieser Stelle ausgesprochen: „Es wäre schön und wichtig, mehr männliche Role Models zu haben; Kollegen, die sich zum Beispiel in einem ähnlichen Mass wie ihre Partnerinnen um die Kinderbetreuung kümmern, Kollegen, die vom Sitzungstisch aufstehen, um ihre Kinder vom Kindergarten abzuholen. Von denen brauchen wir mehr“, so Anna Mayerthaler.
Text: Heidi Aichinger
Fotos: David Visnjic
Titelfoto (V.l.n.r.): Traude Kogoj, Anna Paltauf, Sandra Gott-Karlbauer
Dieses Advoice erschien in unserer Ausgabe 8–21 zum Thema „Women“.