NEXT STOP: 2051

Dieser Text ist eine fiktive Sichtweise, wie das Leben in Städten im Jahr 2051 aussehen könnte. Alle An­nahmen basieren auf wissenschaftlichen Studien und Expertenmeinungen aus dem Jahr 2021.

Ich wache auf und blicke auf den Kalender: Montag, 3. Juli. Eine Etage höher ernten die Nachbarn in ihrem Dachgarten wieder einmal eine neue Ladung Gemüse. Auf den Strassen herrscht Hochbetrieb. Zu hören ist nichts – vergangen sind die Zeiten, als volle Strassen grossen Lärm verursachten. Heute schlucken die Wände der umliegenden Häuser die städtische Geräuschkulisse. 7,5 Milliarden Menschen leben mittlerweile in Städten, das sind 75 % der Weltbevölkerung, die in den letzten 30 Jahren von sieben auf rund zehn Milliarden Menschen angewachsen ist. Dieses Wachstum überraschte sogar die Experten, die vor 30 Jahren noch schätzten, dass nur zwei Drittel der Menschen in Städten leben würden. Dadurch steigt natürlich der Druck auf urbane Gebiete: Effizienz, Sauberkeit und leistbarer Wohnraum sind unter dem massiven Zuzug nur schwer bereitzustellen.

Auch in Wien sehe ich die Ver­änderungen: Wo es früher noch singuläre Gebäude, Maschinen und Menschen gab, ist heute alles vernetzt. 90 % der Kommunikation passieren digital; physisch greifbare Netzwerke, etwa Stromleitungen, sind kaum noch zu finden. Ich gehe in die Küche, mein Kaffee steht schon bereit – ich habe mir diesen Genuss gestern Abend über mein Armband für 7.00 Uhr programmiert. Ich rufe meine Mutter an; sie ist erst vor fünf Jahren von ihrem geliebten Smartphone auf das von mir verwendete Bracelet umgestiegen, über das wir jetzt immer kommunizieren.

Als Technologieskeptikerin kann sie froh sein, dass sie in Österreich lebt. Anderswo, etwa in China, ist der Einsatz von Mikrochips, die sich mit dem Gehirn verbinden, längst die Norm – quasi ein kognitiver Verlängerungsarm, der davor nur durch externe Geräte möglich war. Blosse Gedanken werden als Daten auf einer Festplatte im Chip gespeichert, Informationen vor dem inneren Auge wiedergegeben. Ich selbst habe das bei einer Reise einmal ausprobiert, aber das war mir dann doch zu viel des Guten. Wie viele Europäer bin ich für die oft diskutierte „Cyborgisierung“ noch nicht bereit. Es bilden sich bereits Gegenbewegungen dazu, die darin den Anfang vom Ende der Menschheit und unserer Menschlichkeit sehen. NA nennt sich die bekannteste und grösste darunter – „Neue Aufklärung“. Ich bin wegen deren radikaler Positionen noch unentschlossen.

Die Unmengen an Daten, die heute weltweit produziert werden, verändern unsere Welt. Mithilfe von Big Data werden neue Medikamente entwickelt, Gebiete, in denen Hungers­nöte herrschen, identifiziert, Menschen überwacht und Maschinen noch klüger gemacht. Um 8.00 Uhr, nach einer Portion Porridge aus der Tube (Geschmackssorte „Almond & Honey“), setze ich mich an meinen Schreibtisch. Ich werfe meine Cloud an, wo mein gesamtes Leben stattfindet – in einem Ordner sind Fotos vom Geburtstag meiner Nichte, in einem anderen die Unterlagen für meine nächste Geschichte-Vorlesung an der Singu­larity University Vienna. Titel: „Die Stadt im 21. Jahrhundert“.

Im Ordner finde ich einen Ausschnitt aus einem Magazin, das ich mir für die nächste Einheit mit den Studierenden vorbereitet habe; es stammt aus dem Jahr 2020: „Eine Smart City will technologische Lösungen finden, die zu intelligenten Systemen werden. Ganzheitliche Lösungen für verschiedenste Herausforderungen von urbanen Räumen sollen diese moderner, lebenswerter, umweltfreundlicher und effizienter machen. Das Streben nach Lösungen für aktuelle und zukünftige Probleme, um das Ziel einer höheren Lebens­qualität der Stadtbevölkerung zu erreichen, steht dabei im Mittelpunkt.“

Wo es früher noch singuläre Gebäude, Maschinen und Menschen gab, ist heute alles vernetzt.

Internet in Lichtgeschwindigkeit kommt mir besonders bei eher lästigen Pflichten wie der jährlichen Steuer­erklärung gelegen. Kaum zu glauben, dass diese einst auf Papier erledigt wurde! Heute laufen quasi alle Bürger­services und Regierungsdienste digital ab. Vertrags­abschlüsse, ­Behördengänge – all das kann ich nun von zu Hause erledigen. Wobei der Service nicht neu ist: Bereits vor 20 Jahren wurden öffent­liche Servicestellen radikal geschlossen und auf die digitale Ebene verschoben. Auf dem Rathausplatz ragt ein Ticker in Form eines Displays empor: „Die durch E-Government ermöglichte Arbeitszeiteinsparung beläuft sich seit 2030 auf mehr als 3.000 Jahre.“

Das Betriebssystem meiner Wohnung, „Cono“, zeigt mir an, dass eines meiner Solarpaneele defekt ist. Die automatische Reparatur aus der Distanz hat nicht funktioniert, nach Scannen meiner Iris hat Cono das Problem aber bereits behoben. Die Paneele helfen, denn sie fangen Sonnenenergie auf; bei Bedarf wird der Strom ins Haus geleitet, Überschüsse werden in Zwischenspeicher geschleust. Von dort werden sie wiederum in ein riesiges gemeinschaftliches digitales Stromnetz weitergeleitet, wobei durch digitale Werkzeuge gemessen wird, welche Haushalte gerade Strom­bedarf haben.

Die vor zehn Jahren begonnene Vergemeinschaftung von Strom war eine echte Revolution. Dadurch werden etwa auch autonome Fahrzeuge fast flächendeckend zu 100 % mit erneuerbarer Energie betrieben. Der vor allem in Zentraleuropa oftmals kritisierte umweltschädliche Strommix mit der Nutzung von Kohlestrom – beim Laden der E-Autos und bei der Herstellung der Batterien – wurde nach viel politischem Hickhack 2034 schliesslich endgültig abgestellt. Dementsprechend bin ich auch gespannt, ob Wien sein grosses Ziel schaffen wird, zu 100 % auf erneuerbare Energien zu setzen, und zwar über alle Bereiche hinweg, sei es Elektrizität, Heizung oder Transport. Weitgehend funktioniert das – dennoch gibt es auch heute noch Grossbetriebe, denen der Umstieg nur schwer gelingt.

Selten gönne ich mir eine Reise mit einem Flugtaxi. Noch vor ein paar Jahren hatte ich nicht gedacht, dass ich jemals ein solches Flugobjekt besteigen würde, doch mittlerweile setzen immer mehr Leute darauf, auf der Startbahn eines Hotels oder Shoppingcenters in einer Flugdrohne Platz zu nehmen und sich dann zum gewünschten Ziel fliegen zu lassen. Innerhalb von nur zehn Minuten bin ich quer über die ganze Stadt geflogen. Günstig ist das Vergnügen aber nicht, weshalb ich auch nicht oft so reise: Pro Minute zahlt man rund 20 Euro. Wert ist es der Trip allemal, denn Flugtaxis zeigen mir von Neuem, dass Wien – wie viele andere Städte quer über die ganze Welt – in den letzten 30 Jahren grüner, nachhaltiger und digitaler geworden ist. Das bedeutet nicht, dass alle Probleme gelöst sind, aber Städte haben sich noch weiter zu Hochburgen der Innovation und des Wohlstands ent­wickelt. Hier wird an der Zukunft gebaut.

Text: Niklas Hintermayer, Chloé Lau
Illustration: Valentin Berger

Dieser Artikel erschien in unserer Forbes Daily "Wiener Wirtschaft".

Niklas Hintermayer,
Redakteur

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