NATÜRLICH ERFOLGREICH

Andreas Wilfinger und Ulla Wannemacher begannen in den 1990ern, als „Schweinsbraten und Wiener Schnitzel noch als gesund galten“, wie Wilfinger sagt, vegane und mikroplastikfreie Biokosmetika zu produzieren. Heute schreibt das Unternehmen aus dem steirischen Hartberg knapp 200 Mio. € Umsatz im Jahr – und springt nun auch über den Grossen Teich nach Mexiko.

Ihr Sohn kam mit einer geschenkten Zahnpasta von der Schule nach Hause – die Zahnfee hatte die Schulkinder besucht und ihnen beigebracht, wie man sich richtig die Zähne putzt. Als Geschenk gab es eine kleine Test-Tube. Doch die Eltern Andreas Wilfinger und Ulla Wannemacher störten die Inhaltsstoffe der Zahnpasta, in der sich umweltschädigende und möglicherweise ungesunde Stoffe befanden. Kurzerhand beschlossen sie, selbst Kosmetikartikel zu produzieren, in die nur die notwendigsten Inhaltsstoffe hineinkommen sollten. Das Ergebnis: Produkte, die bio, vegan und frei von Mikroplastik sind.

So klingt der Gründungsmythos von Ringana, dem Unternehmen aus der Steiermark, das seit über 25 Jahren Naturkosmetik in Österreich produziert. In über 30 Länder exportieren Wilfinger und Wannemacher ihre Produkte mittlerweile. Das Team ist von zwei Personen auf mehr als 500 Mitarbeiter gewachsen.

Und um das Konzept, vegane und mikroplastikfreie Kosmetikprodukte herzustellen, ist in den letzten 25 Jahren ein Markt gewachsen. Naturkosmetik – Kosmetika, deren Inhaltsstoffe grösstenteils natürlichen Ursprungs sind – macht in Deutschland (Ringanas umsatzstärksten Markt) rund 10 % des Marktes für Körperpflegeprodukte aus. 2022 wurden dort mit Naturkosmetik Umsätze in Höhe von rund 1,43 Mrd. € erzielt, meldete der Branchenmonitor Naturkosmetik. Das war zwar um 3,5 % weniger als im Vorjahr, die langfristige Entwicklung ist jedoch stark positiv: Seit 2013 hat sich der Anteil an Naturkosmetik am Markt für Körperpflegeprodukte etwa verdoppelt.

Wilfinger und Wannemacher hatten also gutes Timing. „Unsere Wachstumsraten waren immer hoch zweistellig. Wir haben uns innerhalb von fünf Jahren ungefähr verdreieinhalbfacht“, so Wilfinger über die Anfangsjahre. 2021 konnte das Unternehmen laut Jahresbericht einen Umsatz in Höhe von 197 Mio. € (20,8 % mehr als 2020) generieren, und das Betriebsergebnis betrug 7,5 Mio. €. Doch Wilfinger räumt auch ein, dass Ringana im Geschäftsjahr 2022 kaum wachsen konnte. „Ich gestehe ein, dass das letzte Jahr schwierig war. Aber heuer werden wir langsam wieder den ursprünglichen Wachstumspfad beschreiten“, so Wilfinger. Heisst: Der Umsatz soll laut dem Gründer um rund 10 % wachsen. Helfen soll dabei eine Expansion nach Mexiko, wo Ringana-Produkte seit Oktober erhältlich sind.

Kann das gelingen? Markt experten sehen einen Trend hin zu den Naturkosmetik-Eigenmarken von dm, Bipa und anderen Grosshändlern, deren Produkte meist billiger sind als die von Kosmetikunternehmen (z. B. kostet ein Ringana-Shampoo rund 20 € – für 200 Milliliter). Und welche Rolle spielt das Ringana-Vertriebsmodell, das aus einer Mischung von Multi-Level-Marketing und Direktvertrieb besteht und in der Vergangenheit oft wegen einer Kultur, die von manchen Medien mit der eines Kultes verglichen wurde, in der Kritik stand?

Ringana versucht, alle Geschäftsprozesse – von der Entwicklung über die Produktion bis hin zur Verpackung – umweltfreundlich zu gestalten.

Die ersten Ringana-Produkte wurden auf dem Dachboden eines Hotels gemischt, das Wilfingers Vater gehörte. „Mein Vater war stark im Gesundheitstourismus etabliert. Als Schweinsbraten und Wiener Schnitzel noch als gesund galten, servierte er seinen Gästen ausschliesslich vegetarische Speisen“, erzählt Wilfinger, der seit einigen Jahren selbst Vegetarier ist. „Gleichzeitig gab es damals (in den 1980ern, Anm.) für die Kurgäste Kosmetik, die zum Teil Thymus, Plazenta oder Kollagen von Tieren enthielt.“ Die Gäste begannen, so erzählt es Wilfinger, auf seinen Vater Druck auszuüben und vegetarische Kosmetika zu verlangen.

Als Wilfingers und Wannemachers Sohn dann mit der Zahnpasta nach Hause kam, war das für die beiden Gründer wie ein Startschuss. „Unsere Idee war, alles wegzulassen, was man nicht für das Produkt braucht“, so Wilfinger. Das  einzige Problem war, dass die resultierenden Kosmetika nicht stabil waren, „sie sind uns immer gebrochen“, sagt Wannemacher „Unsere rettende Idee war dann zu sagen: Wenn das Produkt nicht stabil ist, aber wir in der Formulierung keine Abstriche machen wollen, dann machen wir es frisch“, so Wilfinger. Das war 1996 und, so der Gründer weiter, „ist bis heute unser Alleinstellungsmerkmal“.

Doch der Grosshandel wollte keine Produkte mit kurzer Haltbarkeit ins Sortiment aufnehmen, weshalb das Gründerduo von Beginn an auf ein besonderes Vertriebsmodell setzte. „Ringana Partner (hauptsächlich Frauen, Anm.) sind selbstständige (Marken-)Botschafter für Ringana. Sie empfehlen Ringana-Produkte weiter und gewinnen dadurch Kunden und neue Partner. Für die Weiterempfehlung der Produkte, den Aufbau und die Betreuung eines eigenen Kundenstammes sowie eines eigenen Teams an Ringana Partnern erhalten Sie eine Provision“, heisst es in einem Blogbeitrag des Unternehmens. Diese Provision variiert je nach Verkaufsvolumen und liegt laut den Gründern durchschnittlich bei 30 bis 40 %. Die Kunden schliessen den Kaufvertrag jedoch immer mit Ringana ab, nicht mit den Partnern, die dadurch keine Produkte auf Lager kaufen müssen.

Das Partnersystem wird durch glamouröse Events (etwa in Berlin in der Mercedes-Benz Arena) unterstützt. Wannemacher, Wilfinger und mittlerweile auch ihr älterer Sohn Michael Wannemacher treten mit Lichteffekten auf einer Bühne auf, lassen sich von Fans bejubeln und präsentieren neue Produkte (das Sortiment beinhaltet nicht nur Cremes, Zahnpulver, Shampoos oder Deos, sondern auch Nahrungsergänzungsmittel und seit diesem Jahr Hygieneprodukte für Babys). Es sind vor allem diese Events, die dem Unternehmen in der Vergangenheit Medienkritik einbrachten. „Die Glorifizierung von Deos und Nahrungsergänzungsmitteln wirkt auf Aussenstehende mitunter befremdlich, genauso wie der Kult um das Gründerpaar“, schrieb etwa Die Zeit vor einigen Jahren.

Wilfinger spielt die Events jedoch herunter: „Wenn man sagt, das wäre etwas Besonderes, dann war man noch nie auf einer Apple-Präsentation.“ Dass der Vergleich eines österreichischen Naturkosmetikunternehmens mit dem wertvollsten Technologie-Konzern weltweit etwas hinkt, sei dahingestellt.

Vier Millionen Schilling (heute über 500.000 €) betrug der Bankkredit, mit dem Wilfinger und Wannemacher das Unternehmen starteten; besonders in den Anfangsjahren waren sie „sehr stark fremdfinanziert“, so Wilfinger. Zwischendurch war auch Vorwerk (die Firma hinter Thermomix) im Unternehmen investiert, doch das Gründerduo kaufte einige Jahre später die Anteile zurück. Heute gehört Wilfinger der Löwenanteil des Unternehmens, dessen Wert er vorsichtig mit einem dreistelligen Millionenbetrag beziffert. Ulla Wannemachers und Michael Wannemachers Beteiligung ist jeweils zweistellig.

Wilfingers und Wannemachers Sohn – der vor fast 30 Jahren den Anstoss für die Unternehmensgründung mit nach Hause brachte – könnte das Unternehmen eines Tages führen. Zum Zeitpunkt unseres Gesprächs ist er in Mexiko, um den Ringana-Launch dort vorzubereiten. Beide Elternteile betonen, dass sie keinen Druck auf ihre Kinder (neben Michael Wannemacher haben sie auch einen zweiten Sohn) ausüben möchten. Doch Wilfinger sagt auch: „Bei Nachfolgefragen gibt es immer zwei Kriterien: das Wollen und das Können. Und wir haben bei beiden unserer Kinder das grosse Glück, dass sie beide Kriterien erfüllen.“

Text: Erik Fleischmann
Fotos: Katharina Gossow

Erik Fleischmann

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