MEHR ALS TANKEN 2.0

Das klassische Tankstellenmodell wird es nicht ins Zeitalter der E-Mobilität schaffen – davon ist Jörg Heuer überzeugt. Deshalb gründete er zusammen mit Johannes Hund und Manuel Heckmann EcoG.

Jörg Heuer war bereits 15 ­Jahre bei Siemens tätig und ­koordinierte dort acht Jahre lang den Bereich Connected E-Mobility, als ihm klar wurde: Seine nächste Idee kann er nur ausserhalb des Unternehmens umsetzen. „Konzerne können bei technischen Innovationen sehr gut sein. Doch wenn diese mit einer Umstellung des Geschäftsmodells kombiniert werden, ist das häufig noch sehr schwierig“, sagt der promovierte Elektrotechniker, als er uns zum Interview im Münchner Büro seines Start-ups EcoG empfängt.

Dessen Ziel: das Geschäfts­­­modell hinter dem Laden von E-­Autos grundlegend zu transformieren. Denn der Aufstieg der E-­Mobilität bedeutet für das Geschäftsmodell von Tankstellen mehr, als nur von Diesel und Benzin auf Strom umzusteigen. Die Auswirkungen, so ist man bei EcoG überzeugt, werden deutlich weitreichender sein. „­Laden ist nicht einfach Tanken 2.0“, sagt Heuer. Die Ansätze dessen, was er damit meint, kann man bereits heute sehen: „Das ­dichteste öffentlich zugängliche Ladenetz in Süddeutschland betreiben ­keine Shell, keine Aral und auch keine E.On, sondern Aldi Süd und Ikea“, führt der Gründer aus. Beim Diskont-Einzelhändler kann man in mehr als 80 Filialen E-Autos laden, das Möbelhaus bietet diese Möglichkeit mittlerweile an all seinen 53 Standorten in Deutschland.

Beiden geht es dabei aber nicht um Umsätze aus dem Stromverkauf. Die Kunden laden dort sogar ­gratis. Es ist die Zeit der Kunden, ­hinter der die Unternehmen her sind. Denn die können sie während des Ladevorgangs mit Einkaufen verbringen. „Wenn ein Kunde zehn bis 20 Minuten im Store ist und dabei im Schnitt 90 bis 110 Euro ausgibt, ist das wesentlich mehr wert, als über Stromverkauf Umsätze zu generieren“, sagt Heuer. Umgekehrt dürfte es für einen E-Auto-Besitzer, der beispielsweise ohnehin Lebensmittel einkaufen muss, bequemer sein, das Auto während eines Einkaufs bei Aldi zu laden, als zusätzlich eine Ladestation anzusteuern. „Im städtischen Bereich das Auto zu laden läuft oft schon ab wie bei einem Notebook, das Sie einstecken, wenn eben eine ­Steckdose in der Nähe ist – anders als bei ­einem ­Benziner, der erst vollgetankt wird, wenn er fast leer ist“, sagt Heuer.

Die Folge: Supermärkte, Möbelhäuser oder auch Fitnessstudios können selbst zu Ladestationen werden. „In der Vergangenheit kam der Supermarkt zur Tankstelle, weil die Tankinfrastruktur das Aufwendige war und man den Rest herumgebaut hat. Beim Laden ist es umgekehrt“, sagt Heuer. An diesem Punkt kommt EcoG ins Spiel: Das Unternehmen bezeichnet sein seit vergangenem April verfügbares IoT-Betriebssystem gerne als „Android für Ladestationen“. Die Plattform soll es Unternehmen erleichtern, Ladesäulen zu betreiben – und damit Umsätze zu schaffen.

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Jörg Heuer
... promovierte an der Universität Erlangen-Nürnberg in Elektrotechnik. Bei Siemens war er 15 Jahre lang tätig, acht davon als Head of Embedded Networks im Bereich Connected E-Mobility. 2017 gründete Heuer die IoT-Plattform EcoG, mit der das Laden von E-Autos revolutioniert werden soll.

Gegründet hatte Heuer EcoG zusammen mit zwei Siemens-Kollegen, dem leitenden IoT-Architekten Johannes Hund und dem im Venture-Capital-Arm Next47 als Investmentstratege für E-Mobilität tätig gewesenen Manuel Heckmann. Zusammen nahmen sie vor zweieinhalb Jahren am renommierten Techstars-Accelerator in De­troit teil – und starteten danach EcoG. Auch heute ist EcoG noch eng mit Detroit verbunden und arbeitet dort projektbezogen – ebenso in Oslo, wo EcoG Teil des norwegischen Accelerators Katapult ist. „Das ist für uns wichtig, weil Norwegen bei der E-Mobilität ein Leitmarkt mit ­einer bereits heute sehr hohen Fahrzeugdichte ist, in dem man Themen frühzeitig ausprobieren kann“, sagt Heuer.

Die Accelerator-Programme waren für die EcoG-Gründer auch deshalb wichtig, weil die Gründer keine frisch von der Uni kommenden 25-Jährigen mehr waren. „Wenn Sie in unserer Phase loslegen, müssen Sie möglichst schnell am Markt Fuss fassen“, sagt Heuer. Die Teilnahme bei Techstars in der Gründungsphase gab den dreien das ­nötige Rüstzeug für die Start-up-Welt mit – und den Zugang zu einem umfassenden Investorennetzwerk. Gleichzeitig profitierten sie von ihrer langjährigen Arbeitserfahrung bei Siemens: „Obwohl wir bei Techstars das jüngste Unternehmen waren, hatten wir bereits zehn Jahre Er­fahrung in dem, was wir tun.“

Derzeit ist das ­Unternehmen gerade dabei, bei Investoren Geld für die erste grosse Finanzierungsrunde einzusammeln. Neben den Gründern sind Siemens und die beiden Acceleratoren am ­Unternehmen beteiligt, wobei das Gründerteam noch rund 80 % der Anteile hält. An der Etablierung von EcoGs IoT-­Betriebssystem für Ladestationen arbeiten momentan 16 ­Mitarbeiter, von denen sich die meisten in München befinden.

Denn so, wie das Smartphone mit seinen Apps die Art verändert hat, wie mit Handys Geld verdient ­werden kann, wird es laut ­Heuer auch beim Laden sein. Das Gegenstück zu den Smartphone-Apps sind auf der EcoG-Plattform die sogenannten Mikroservices. Dies können beispielsweise Treueangebote für Kunden oder Reservierungssysteme sein. Das EcoG-Betriebssystem ist dabei offen – wie beim Smartphone-Betriebssystem An­droid können also Programmierer eigene ­Anwendungen entwickeln, die von den Kunden – in dem Fall den Betreibern der Ladestationen – verwendet werden. Das Geschäftsmodell von EcoG funktioniert dabei nach dem Soft­ware-as-a-Service-Prinzip – die Kunden zahlen eine Nutzungsgebühr für die Plattform.

Heuer sieht dabei ­gewaltiges Potenzial: EcoG nimmt an, dass ein Supermarkt, der eine Ladeinfrastruktur anbietet, für jeden Euro, den er mit dem blossen Stromverkauf umsetzen würde, 40 Euro an Umsätzen im Laden generieren kann. Was die schon jetzt bestehende Infrastruktur angeht, verweist der CEO auf einen Vergleich von Ikea mit den Münchner Stadtwerken: Das schwedische Möbelhaus würde im Schnitt 29 Ladevorgänge pro Tag verzeichnen, während es beim städtischen Energieversorger aus der bayerischen Hauptstadt laut einer Stichprobenerfassung von EcoG durchschnittlich 0,6 Ladevorgänge pro Tag seien.

Insgesamt steckt die Lade­infra­struktur in Deutschland allerdings noch in den Kinderschuhen: Nach Zahlen der deutschen Bundes­regierung gibt es aktuell 21.000 Ladepunkte in Deutschland; bis 2030 soll ihre Anzahl bis auf eine Million steigen. Das Verkehrsministerium hat dazu kürzlich den „Masterplan Ladeinfrastruktur“ präsentiert. Ein Punkt darin ist auch, dass Ladepunkte an Kundenparkplätzen – wie eben bei Supermärkten – verstärkt gefördert werden.

Bei EcoG soll der Schwerpunkt in den kommenden zwei Jahren nun vor allem in der Zusammen­arbeit mit Herstellern von Ladesäulen ­liegen – hier soll vor allem sicher­gestellt werden, dass mit innovativen Funktionen Anreize zur Verwendung des EcoG-Systems geschaffen werden und dass die Kosten für das Betreiben einer Ladesäule sinken. Danach sollen die Mikro­services und die Unterstützung von deren Entwicklern stärker in den Mittelpunkt rücken. Und wo steht EcoG in zehn Jahren? Direkte Konkurrenten gibt es derzeit keine – das dürfte sich bis dahin jedenfalls ändern, erwartet Heuer. Aus der Ruhe bringt ihn das jedoch nicht: „2030 werden wir eines von dann wahrscheinlich zwei oder drei dominierenden Betriebssystemen am Markt sein“, so ­Heuer. „Und momentan sind wir dahin gehend auf einem recht guten Weg.“

Der Artikel ist in unserer November-Ausgabe 2019 „Next“ erschienen.

Forbes Editors

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