Künstliche Intelligenz vs. natürliche Dummheit

Es war eine kleine Revolution, als der Computer Deep Blue den amtierenden Weltmeister Garri Kasparow 1996 erstmals in einem Schachspiel schlagen konnte. Jegliche Hoffnung auf ein „One-Hit-Wonder“ war dahin, als die Maschine das Kunststück ein Jahr später in einem „echten“ Wettkampf (sechs Spiele unter Turnierbedingungen) wiederholte.

Deep Blue ist mit seinem Sieg über die Menschen nicht alleine: 2011 besiegte IBM Watson den Seriensieger Ken Jennings in der beliebten Quizshow „Jeopardy!“; 2015 war Alpha Go in dem hochkomplexen Brettspiel Go gegenüber dem mehrfachen Europameister Fan Hui siegreich.

Das, was wir unter dem Begriff „künstliche Intelligenz“ verstehen, hat über die Jahrzehnte eine enorme Entwicklung genommen. 1950 ent­wickelte Alan Turing einen Test für maschinelle Intelligenz, heute lenken Computer Autos. Was feststeht, ist jedoch auch, dass der Fortschritt sehr eindeutige Grenzen hat. Was wir heute als KI bezeichnen, ist entweder maschi­nelles Lernen – also das effiziente Auswerten enormer Daten­mengen – oder perfektionierte Ingenieurskunst. Von echter Intelligenz fehlt noch jede Spur.

Denn die oben angeführten Spiele – Schach, „Jeopardy!“, Go – sind limitiert und folgen strengen Regeln. Selbst der Strassenverkehr hat trotz einiger Unberechenbarkeiten eine feste Ordnung mit Regeln und Pflichten, an die sich Computer halten können. Das hat mit echter Intelligenz, also „Common Sense“ oder Fähig­keiten wie Kreativität, wenig zu tun. Zahlreiche Forscher werden nicht müde, das zu betonen. Allein: Das kommt in der öffentlichen Debatte kaum an.

Denn die Stimmen, die vor einer ausser Kontrolle geratenen Superintelligenz warnen – ­darunter durchaus namhafte wie der verstorbene Astrophysiker Stephen Hawking und Tesla-Gründer Elon Musk –, dominieren die öffentliche De­batte. Nun sind ethische Fragen durchaus berechtigt. Doch die Szenarien sind so weit weg und abstrakt, dass sie im Alltag wenig Relevanz haben. Das führt auch dazu, dass Menschen sich abwenden, weil sie glauben, dass KI für ihr Leben keine Rolle spielt.

50 % aller europäischen Unternehmen stufen KI-Technologie als nicht relevant für das eigene Geschäftsmodell ein – heute und in der Zukunft. Das ist ein katastrophaler Wert, denn die Veränderungen, die sich durch verbesserte Prognosen von Maschinenwartungen oder die Automatisierung von Standardprozessen etwa in der industriellen Produktion ergeben, sind riesig. Laut dem Beratungsunternehmen PwC könnte die Weltwirtschaft durch KI-Technologie bis 2030 zusätzlich um 14 % wachsen. Das sind 15,7 Billionen US-$,
auf die Europa nicht verzichten sollte.

Hinzu kommt, dass sich die wissenschaft­lichen Stimmen mehren, wonach unsere aktuellen Ansätze (Maschinen massive Datenmengen zu füt­tern und daraus Erkenntnisse zu gewinnen) ihre Grenzen haben. „Das nächste Level“ in Richtung einer menschenähnlichen Intelligenz werden wir damit nicht erreichen. Es wird also Zeit, ernsthaft und realitätsnah über das zu sprechen, was wir heute als KI bezeichnen – und in der Debatte nicht nur die dystopische Langfristperspektive zu beleuchten, sondern auch kurz- und mittel­fristige Auswirkungen auf unser aller Leben zu diskutieren. Wenn wir das nicht schaffen, fehlt nicht nur den Maschinen die nötige Intelligenz – auch wir Menschen lassen sie dann vermissen.

Text: Klaus Fiala

Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 3–21 zum Thema „Künstliche Intelligenz“.

Klaus Fiala,
Chefredakteur

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