K(l)eine Grossbank

In nur drei Jahren hat sich N26 als Alternative zu Europas Bankenriesen etabliert. Nun expandiert das Unternehmen in die USA und nach Grossbritannien. Die Geschichte einer Bank – die eigentlich keine sein will.

„Eat the Rich“ prangt in roten Lettern auf dem imposanten Graffiti, das die Wand des Meetingraums ziert. Maximilian Tayenthal grinst: „Künstlerische Freiheit.“ Seit drei Jahren mischt er gemeinsam mit seinem Mitgründer und CEO Valentin Stalf den europäischen Bankenmarkt auf. Das Graffiti ist nur eines von zahlreichen bezeichnenden Details, die das Image von einer Bank, die eigentlich keine Bank sein will, unterstreichen.

Doch mit ein wenig Fantasie passt der Slogan auch ganz ohne künstlerische Freiheit. Dann nämlich, wenn „the Rich“ die Grossen der Bankenlandschaft repräsentieren sollen, jene Klischeebanker in Nadelstreifenanzug und Eckbüro, die sich mehr um ihren jährlichen Bonus als ihre Kunden scheren. Genau von dieser Branche will sich N26 nicht nur differenzieren, sondern ihr insbesondere auch die Kunden wegnehmen. Valentin Stalf, auch heute (wie meist) in Sneakern unterwegs, beschreibt das – in der ihm eigenen eloquenten, stets leicht marketinglastigen Art – so: „Wir sind eine voll regulierte Bank mit Lizenz. Auf der anderen Seite – und das ist es, was uns so stark macht – sind wir ein Technologieunternehmen. Unsere Leute entwickeln Produkte anders, als andere Player. Wir verbinden innovative Produkte mit einer voll regulierten Bank.“ Eben das betonen Stalf und Tayenthal seit Anbeginn fast gebetsmühlenartig. Denn bereits 2015, als die beiden das Cover unserer November-Ausgabe mit dem Titel „Banküberfall“ zierten, war es ihnen wichtig, den Unterschied zu den „Grossen“ klarzumachen. Denn N26 ist laut seinen Gründern anders als diese Riesen, die starr und innovationsresistent sind und ihre Kunden – insbesondere junge, digital denkende Generationen – nicht verstehen.

Damals war auch das Unternehmen selbst noch jünger, hiess noch Number26 und war eigentlich ein klassisches Fintech-Start-up – ohne viel Struktur, ohne Banklizenz, ohne funktionierendes Geschäftsmodell.
70 Mitarbeiter und rund 100.000 Kunden hatten Stalf und Tayenthal damals. Auch die Ziele waren kleiner: Damals wollten Stalf und Tayenthal noch die erste echte paneuropäische Bank werden – und eine Million Kunden erreichen.

Heute, ziemlich genau zwei Jahre später, klingt das anders. Der Europa-Fokus wurde nicht abgelegt, aber erweitert. Doch die Frage, ob N26 mit der Expansion in die USA denn nun die Weltherrschaft erringen wolle, ­relativiert Stalf: „Ich würde nicht von Weltherrschaft sprechen. Wir haben gesehen, dass unser Produkt in Deutschland gut funktioniert und begonnen, international stärker zu expandieren. Nach Frankreich, Italien und Spanien, etc. gehen wir nun nach Grossbritannien. Und auch in den USA sind die Bankprodukte unterdurchschnittlich und teuer. Das ist für uns eine grosse Chance.“ Tayenthal meint zudem, dass sich die Kunden in verschiedenen Ländern gar nicht so sehr unterscheiden würden: „Die Bedürfnisse der Kunden sind überall sehr ähnlich. Was will der Kunde? Er will bezahlen, sparen, investieren, benötigt vielleicht einen Kredit und all das einfach und schnell.“ Zudem hat das Unternehmen mittlerweile über zweieinhalb Jahre lang Daten gesammelt und so das Nutzerverhalten intensiv studieren können.

Die Kernmärkte, das betonen die beiden aber, bleiben trotz Expansion weiterhin in Europa. Der grösste Fokus liege demnach neben Deutschland und Österreich auch auf Frankreich, Italien, Spanien und Grossbritannien. „Wir sehen uns weiterhin als paneuropäische Bank.“ Neben der geografischen Expansion legt sich N26 aber auch in Sachen Kundenwachstum die Latte deutlich höher als früher. „Unser Ziel ist, in den nächsten zehn Jahren auf fünf bis zehn Millionen Kunden zu wachsen – obwohl Vorhersagen immer schwierig sind.“ Insbesondere im Segment der 18- bis 35-Jährigen will die Jungbank Marktanteile gewinnen. Fünf bis zehn Prozent Marktanteil will N26 in den nächsten drei Jahren in diesem Segment und in Europa erreichen. Rund ein Viertel aller Europäer – die Bevölkerung in den 28 Mitgliedsstaaten der EU beträgt rund 510 Millionen Menschen – gelten als ebensolche Millennials, das wären gesamt also rund 122 Millionen potenzielle Kunden. Fünf bis zehn Prozent würden sechs bis zwölf Millionen Kunden ausmachen. Dabei gibt es alleine in Deutschland rund 14 Millionen Millennials (Personen mit Geburtsjahr von 1980 bis 2000), in Grossbritannien sind es rund 16 Millionen. Zudem wechseln Millennials laut Studien (auf die USA fokussiert) mit einer zwei- bis dreimal so hohen Wahrscheinlichkeit die Bank als ihre Vorgängergenerationen.

Das Potenzial ist also durchaus vorhanden. Dass sich N26 mit den ambitionierten Zielen verzetteln könnte – wie manche Medienportale schrieben –, ist natürlich eine Gefahr, lässt sich so einfach aber doch nicht schlussfolgern. Klar ist jedenfalls, dass die Risiken durch neue Projekte steigen. Das wissen aber auch die beiden Gründer: „Das macht gutes Management aus: Projekte, für die man sich Ziele setzt, auch zu erreichen. Die US-Expansion ist eines unserer Projekte. Ich sehe aber keine Gefahr, nur, weil wir eine Chance nutzen wollen“, so Stalf. Zudem sei der Eintritt in die USA nicht so teuer wie oft angenommen: „Wir können vermutlich mit etwas über einer Million € in den USA unser Produkt auf den Markt bringen. Verglichen mit den Chancen, die wir dort haben, ist das auf jeden Fall etwas, was wir uns ansehen sollten.“

Die Herausforderungen liegen ­vermutlich aber sowieso anderswo. ­Einerseits beim rapiden Kundenwachstum, das neben Geld auch das eigene Image kosten könnte. Zweitens beim Geschäftsmodell. Und drittens: bei der Konkurrenz. Um mit dem letzten Punkt zu beginnen: In Grossbritannien warten mit Revolut und Monzo zwei Start-ups, die N26 im Denken und Handeln nicht nur ähnlich sind, sondern ihnen auch die digitale Generation als Bankkunden streitig machen wollen. Zudem finden mittlerweile auch andere, bankfremde Unternehmen Gefallen an Finanzdienstleistungen. In Frankreich launchte etwa der Telekomkonzern Orange eine eigene Banktochter. Letztgenannte greift alleine in Frankreich auf 21 Millionen Mobilkunden zu, Ziel seien laut Orange-Bank-CEO André Coisne zwei Millionen Kunden in zehn Jahren. Wenn das gelingt, würden vermutlich auch N26 Kunden weggenommen, zumindest in Frankreich. Und neue Regulierungsvorschriften in der Europäischen Union könnten solche Fälle auch in anderen Märkten unterstützen. Denn die 2018 in Kraft tretende Revised Payment Service Directive (PSD2) schafft einen von Experten als „Open Banking“ bezeichneten Zustand, wonach auch Nichtbanken Payment-Services anbieten dürfen.

So wären neben den oben Genannten plötzlich auch Amazon und Co. in der Lage, einzelne Bankprodukte, etwa Zahlungslösungen, anzubieten. Der Unterschied zu N26 als vollregulierte Bank bestünde zwar weiterhin, der Wettbewerb um die Kunden wäre dennoch noch ein Stück härter. Gleichzeitig könnte die Direktive der Jungbank aber auch helfen. Denn trotz neuer Konkurrenten kommen die Kunden letztendlich von den etablierten Grossbanken. Und da wird es durch die Offenlegung von Kunden­daten einfacher, potenzielle Kunden zu identifizieren und ihnen bessere Deals anzubieten, wie auch die Nachrichtenagentur Reuters schreibt.

Dabei ist das Kundenwachstum auch heute schon rapide. Waren es im Juni 2015, sechs Monate nach dem Start, erst 23.500 Kunden, waren es im November bereits 50.000 Kunden. Im Jänner zählte N26 schon 100.000 Nutzer, im Sommer 2016, bei Erlangung der Banklizenz, 300.000; zuletzt waren es im August 2017 500.000. Mit Jahresende müsste N26 somit, wenn man den offiziellen Angaben von rund 2.000 Neukunden pro Tag Glauben schenkt, bei rund 750.000 Kunden (unbestätigte Schätzung) stehen. Doch die Kunden fliegen der Bank nicht zu. Das Wachstum kostet. Rund fünf bis zehn Millionen Euro werden jährlich ins Marketing gesteckt; nicht nur rein digital, 2017 wurden erstmals auch Werbespots im TV gesendet. Und das erschwert nicht nur die oft diskutierte Profitabilität des Unternehmens – 2015 sagten die beiden, man wolle in drei Jahren profitabel sein –, sondern lässt auch die Finanzierung schmelzen.

Insgesamt hat das Start-up rund 53 Millionen € eingesammelt, da­runter Kapital von Fonds von namhaften Investoren wie Peter Thiel und dem chinesischen Milliardär Li ­Ka-shing. Doch die letzte Finanzierungsrunde, die 40 Millionen US-$ wert war, liegt 18 Monate zurück, Expansionen in die USA und Grossbritannien, wenn auch nicht sündhaft teuer, kosten Geld. Zudem müssen die Gehälter von über 300 Mitarbeitern bezahlt werden. Also: Wann steht die nächste Runde an? Dazu wollen Stalf und Tayen­thal keine Aussage machen. Auch die in Medien gerüchteweise diskutierte Grössenordnung von 50 bis 75 Millionen US-$ wollten die beiden nicht bestätigen. Nur so viel: „Es wird weitere Finanzierungsrunden geben. Wir wollen weiter wachsen und vielen neuen Kunden besseres Banking bringen. Wir investieren in den Aufbau des Teams – und darüber hinaus.“

Die jüngsten Finanzierungsrunden der Konkurrenz könnten zumindest eine grobe Orientierung geben. Monzo stellte Anfang November 2017 71 Millionen £ (rund 80 Millionen €) auf, bei Revolut waren es im Juni 50 Millionen £ (56 Millionen €). Stalf: „Wir sind mit über USD 55 Mio. sehr gut kapitalisiert. Die letzte Summe, die wir eingesammelt haben, waren 40 Millionen US-$. Allerdings veröffentlichen wir nicht alle unsere Finanzierungsrunden immer sofort.“ Und das, so Stalf, müsse man erst mal ausgeben. Zudem – und das ist den beiden wichtig zu betonen – verdiene das Unternehmen an den Kunden Geld. Denn das Geschäftsmodell war lange Zeit ein Kritikpunkt, auch heute opfert das Unternehmen seine Profitabilität dem Wachstum. Doch offenbar fängt das Modell an, zu greifen. Einige der Nutzer sind natürlich weiterhin Verlustgeschäfte, da Services wie das Girokonto kostenlos sind. Doch durch Transaktionsgebühren, externe Services (internationale Überweisungen oder Investmentprodukte) sowie über Extrafeatures (N26 Black, N26 Metal etc.) verdient die Bank offenbar ausreichend Geld, dass auch die Verlustkunden kompensiert werden. Ohne Umsatz- und Gewinnangaben ist die Überprüfung dessen aber natürlich unmöglich. Die Payback-Periode ist jedenfalls ein grosses Thema. Stalf: „In den nächsten zwei Jahren werden wir wahrscheinlich eine Million Kunden hinzugewinnen. Am Ende geben wir dafür vielleicht zehn Millionen € für Marketing aus, vielleicht weniger. Gleichzeitig haben wir aber einen profitablen Kunden, der unser Produkt mehr als zehn Jahre nutzt – die Frage ist also nicht, wann wir als Company profitabel sind, sondern, wie schnell wir die Aquisitionskosten eines Kunden zurückverdienen und wie schnell wir Gewinne weiter in Wachstum und die Verbesserung unseres Produkts stecken können.“

Klar ist jedenfalls, dass das rapide Wachstum auch Geld kostet. Und das Wachstum gefährdet auch den Mythos, den man wie einen Schatz wahrt: Das Image als junger Wilder, der die Bankenlandschaft aufmischt. Denn je mehr Kunden, je schneller das Wachstum ist, desto eher wird N26 selbst zu einem „Grossen“. Stalf: „Wir müssen unsere Agilität beibehalten. Der Erfolgsfaktor für grössere Unternehmen ist immer, die eigene Innovationskraft hoch zu halten. Selbst, wenn 300, 600 oder mehr Mitarbeiter da sind. Das ist eine der grössten Herausforderungen.“ Tayen­thal dazu: „Wir sagen nach wie vor, wir arbeiten in einem Start-up. Wir wollen die Kultur eines Start-ups bewahren. Auch, wenn die Organisation wächst.“

Die Gründer selbst sind, so die ­Eigenangabe, mit dem Unternehmen mitgewachsen. Stalf: „Wir mussten uns persönlich sehr stark weiterentwickeln.“ Tayenthal: „Wir können zu zweit nicht die führende Bank in Europa aufbauen. Unser Team baut diese Bank. Es geht vor allem darum, die richtigen Leute ins Team zu holen, die richtigen Anreize zu setzen.“ Mit der Eroberung der USA sowie Grossbritanniens, dem signifikanten Gewinnen von Neukunden in den nächsten zehn Jahren sowie dem Anspruch, die beste Bank Europas zu werden, sind die Herausforderungen für die beiden mannigfaltig.

Daneben haben Stalf und Tayen­thal aber noch ein anderes Ziel: „Wir arbeiten daran, N26 in fünf bis zehn Jahren an die Börse zu bringen. Das ist aber noch weit entfernt, wir müssen uns immer wieder überlegen, ob das der richtige Weg ist. Doch der Traum eines jeden Gründers ist es, sein Unternehmen an die Börse zu bringen.“

Es wird sich zeigen, ob N26 sich bis dahin – und darüber hinaus – seinen Ruf als Underdog beibehalten kann: Als digitale Bank, die den jungen Kunden genau das gibt, was sie wollen und suchen. Oder, und das wäre ebenfalls eine denkbare Option: Ob das (ehemalige?) Berliner Start-up selbst zu einem jener Grossen wird, die man so regelmässig kritisiert. Doch man könnte sich denken, was Stalf und Tayenthal auf solche Fragen antworten würden. Denn sie wollen die Reichen ja lieber „essen“, als selbst welche zu werden.

Dieser Artikel ist in unserer Dezember-Ausgabe 2017 „Kapitalismus“ erschienen.

Klaus Fiala,
Chefredakteur

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