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Shell ist in der öffentlichen Wahrnehmung
ein Industriegigant – nun will der seit Frühjahr 2020 amtierende Vorsitzende der Geschäftsführung der Deutsche Shell Holding GmbH, Fabian Ziegler, das Unternehmen grüner machen. Gelingt dem Schweizer der für den Konzern so überlebenswichtige Coup?
Wenn man sich die Geschichte von Shell näher ansieht, stolpert man über Jahreszahlen, die über Wohl und Wehe des Unternehmens entschieden. Beispiel 1995: Damals kommt es im Frühsommer zu einer massiven Imagekrise, als der Konzern die Idee entwickelt, seine alte Öllagerplattform Brent Spar tief im Atlantik zu versenken. Womit der Konzern nicht rechnet, ist der gewaltige öffentliche Aufschrei und Boykott: Zehntausende Bundesbürger verweigern dem Unternehmen plötzlich die Gefolgschaft an den Tankstellen. Schliesslich lenkt der Ölriese ein und lässt die Konstruktion an Land auseinanderbauen.
Die zweite grosse PR-Krise trifft den Konzern dann im November 1995, als in Nigeria der oppositionelle Politiker Ken Saro-Wiwa hingerichtet wird – der Aktivist hatte sich über Dekaden intensiv gegen die Ausbeutung der Ölvorkommen des afrikanischen Staats ausgesprochen.
Eine weitere Episode gibt es im Dezember 2021: Shell startet Erkundungen an der Wild Coast in Südafrika, um dort neue Öl- und Gasvorkommen zu identifizieren – nur kosten die dazu verwendeten Luftkanonen Wale wohl die Orientierung. Laut Presseberichten untersagt ein südafrikanisches Gericht kurz nach Weihnachten weitere seismische Untersuchungen. Selbst wenn die Deutsche Shell Holding GmbH damit nichts zu tun hat: Wie stark ist der Veränderungswille des Giganten, dem wir zu einem grossen Teil unseren sorglosen fossilen Lebensstil verdanken?
Spricht man mit dem Shell-Kritiker John Donovan, sagt der: „Shell ist gezwungen, drastische Änderungen vorzunehmen, um dem Druck von Klimaschutzorganisationen und Finanzaktivisten wie Daniel S. Loeb, der den Konzern auflösen will, zu begegnen.“ Auch sei die „Änderung der Rechtsprechung in Ländern wie dem Vereinigten Königreich und den Niederlanden hilfreich, die nun eine Klage wegen angeblicher Missetaten in Ländern wie Nigeria zulässt.“ Was Donovan, der die Firma seit Jahren scharf kritisiert, nun Hoffnung bereitet? „Shell scheint erkannt zu haben, dass es umweltfreundlich handeln muss, um den Klimawandel zu bekämpfen und weiterhin im Geschäft zu bleiben – und nicht, wie die Tabakkonzerne, eine Ächtung zu erfahren.“
Ist Shell auf dem Weg in eine CO2-neutrale Zukunft? Wird diese eine neu gedachte Welt, in der grüner Wasserstoff, E-Mobilität und die Dekarbonisierung Realität geworden sind, sein? Oder betreibt man lieber Greenwashing, um das schmutzige alte Geschäftsmodell fortbestehen zu lassen, an dem die Weltwirtschaft hängt? Gelingt es, jene sechs Millionen deutschen Privatkunden auf diese Reise mitzunehmen, die heute regelmässig bei Shell tanken? Noch im Dezember 2020 titelte die Financial Times: „Shell-Führungskräfte kündigen wegen Unstimmigkeiten über den grünen Vorstoss.“
Im Exklusivinterview mit Forbes DACH sagt CEO Fabian Ziegler zum Thema Umbau: „Wir sind, wenn wir die Kundennutzung unserer Produkte miteinbeziehen, in Deutschland für zehn Prozent aller CO2-Emissionen verantwortlich und stellen auch deshalb nun unsere Produktionsprozesse um. Dies verlangt, Silodenken aufzugeben und zuzuhören. Dafür geben wir gewaltige Summen aus.“ Der 54-Jährige fungiert seit Januar 2020 als Vorsitzender der Geschäftsführung der Deutsche Shell Holding GmbH und der Geschäftsführung der Shell Deutschland GmbH.
„Mich hat die Reaktion
der Gesellschaft bestürzt – und die Brent-Spar-Thematik ist weiter vorhanden.“
Fabian Ziegler
Man habe sich ein ehrgeiziges Klimaziel gesetzt: „Die Emissionen müssen runter, und bei uns steckt Überzeugung dahinter, diesen Weg zu gehen.“ Dennoch ist sich Ziegler sicher, dass es nicht die eine Lösung gibt. Man wolle weg von ölbasierten Produkten und über Gas als Brückentechnologie hin zu grünem Strom, Wasserstoff und biogenen Kraftstoffen und Gasen. Weshalb seine Aussagen so wichtig sind, zeigt eine aktuelle Firmenumfrage der Personalberatung Russell Reynolds. Diese fand heraus: 46 Prozent der befragten deutschen Vorstände geben an, dass Nachhaltigkeitsmassnahmen aus Marketingerwägungen getroffen werden, um als „gesellschaftlich verantwortlich zu gelten und sich über ein Nachhaltigkeitsimage vom Wettbewerb abzusetzen“. Und weiter: „Lediglich 15 Prozent der Vorstände setzen für zusätzliche Wertschöpfung auf Nachhaltigkeit.“
Dazu sagt Ziegler: „Wir machen das nicht aus PR-Gründen und wollen den Wechsel von fossiler Energie hin zu nachhaltiger Energie. Das ist eine unabdingbare Voraussetzung für das Wirtschaften der Zukunft.“ Und weiter: „Ich spreche hier auch für die etwa 4.800 Mitarbeitenden in Deutschland, die morgens aufstehen und sich dafür einsetzen, dass die Transformation in allen Geschäftsbereichen voranschreitet. Wir wollen der Dekarbonisierungspartner sein und brauchen dafür ein völlig neues Produktportfolio.“
Dann nennt Ziegler ein aktuelles Beispiel für den begonnenen Firmenumbau: „Mit einer Rohölverarbeitung von jährlich 17 Millionen Tonnen war die Shell-Rheinland-Raffinerie einst die grösste Raffinerie Deutschlands. 2020 haben wir angekündigt, diese in einen Energy and Chemical Park zu transformieren. Die Rohölverarbeitung soll im Werk Wesseling 2025 eingestellt werden. Dort werden neue Anlagen gebaut, alte stillgelegt oder umgerüstet. Die Energiewende mitzugestalten und zu vollziehen ist daher nichts anderes als unser Job, den wir gerne machen. Ich bin stolz auf meine Arbeit und die der Mitarbeitenden bei uns in Deutschland.“ Ziegler weiter: „Wir wollen uns an Ausschreibungen für Offshore-Windflächen beteiligen und sind heute bundesweit der zweitgrösste Anbieter von Ladesäulen für Elektroautos.“
Auch ein Verkauf in den Vereinigten Staaten zeigt die neue globale Marschrichtung: Im September 2021 entledigte Shell sich der Öl- und Gasproduktion im Permian Basin, dem grössten amerikanischen Ölfeld. Dafür bezahlte ConocoPhillips 9,5 Mrd. US-$. In der New York Times hiess es dazu: „Der Verkauf ist das jüngste Anzeichen dafür, dass Shell unter Druck steht, sich von der Öl- und Gasproduktion zu trennen und sich auf die Produktion sauberer Energie zu verlegen, um der wachsenden Besorgnis der Investoren und der Öffentlichkeit über den Klimawandel zu begegnen.“ Lob dafür gibt es von ungewohnter Seite: „Ich bin davon überzeugt, dass Herr Ziegler diesen Umbau vorantreiben möchte. Ob ihm dies gelingt und auf welche internen Schwierigkeiten er stösst, ist eine andere Frage“, sagt der Greenpeace-Biologe Christian Bussau, der 1995 selbst bei der Besetzung des Brent-Spar-Tanklagers aktiv war.
Auch die Aktionäre goutieren das Bestreben nach Veränderung. Im Februar gab Shell plc Einblick in den Geschäftserfolg des vierten Quartals 2021. Der bereinigte Gewinn stieg gegenüber dem Vorquartal um „55 Prozent auf 6,4 Mrd. US-$ und lag damit deutlich über der durchschnittlichen Analystenprognose zum Unternehmen, die von einem Gewinn von 5,2 Mrd. US-$ ausging“, wie die kanadische Tageszeitung The Globe and Mail dazu schrieb. Laut den Datenspezialisten von Statista betrug das gesamte Marktvolumen des erst seit kurzer Zeit unter Shell plc firmierenden Konzerns im vergangenen Jahr 152 Mrd. US-$.
Was hat man aus der Vergangenheit gelernt? „Dinge, die uns nach wie vor herausfordern, sind schwierige Themen wie Brent Spar und Nigeria. Damit gehen wir sehr offen und transparent um. Wir wollen den Dialog dazu, denn wir können keines dieser Themen abstreifen. Mich hat damals die Reaktion der Gesellschaft bestürzt, und die Brent-Spar-Thematik ist weiter vorhanden. Dabei war der damalige Vorschlag ein guter und ein sehr fundierter. Wir haben damit einen grossen Imageschaden erlitten, und das schmerzt mich“, sagt Ziegler dazu.
Dem entgegnet Bussau: „Was genau will Shell im Meer zurücklassen, wenn es um die geplante Entsorgung des Brent-Felds geht? Wie steht es um die Störfälle in der Shell-Rheinland-Raffinerie?“ Hintergrund laut seiner Aussage: „Shell schlägt vor, über 11.000 Tonnen Öl mit Wasser und Sedimenten in den Betonstrukturen der drei Brent-Plattformen zurückzulassen und nicht umweltgerecht an Land zu entsorgen.“
Dieser Vorschlag steht nach Ansicht von Greenpeace, der EU und den Regierungen von Deutschland, Schweden und den Niederlanden im Widerspruch zu einem Beschluss aus dem Jahr 1998, der den besseren Schutz der Meere fördern sollte. Nach dem Brent-Spar-Debakel gab sich Shell geläutert und schaltete Anzeigen mit der Titelzeile „Wir haben verstanden“ – die Zeit wird nun zeigen, inwieweit Shell unter CEO Fabian Ziegler tatsächlich gelernt hat.
Der gebürtige Schweizer Fabian Ziegler startete vor 26 Jahren bei der Shell Switzerland AG und verbrachte gut die Hälfte seines Lebens im Konzern. Nun setzt er zum grossen Wurf an und möchte den Konzern umweltfreundlicher machen.
Text: Matthias Lauerer
Foto: Deutsche Shell Holding GmbH
Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 1–22 zum Thema „Ressourcen“.