(K)Ein Süsses Geschäft

Schokolade ist süss, der Beigeschmack jedoch oft bitter – denn auch heute noch sind die Arbeitsbedingungen in der Wertschöpfungskette oft katastrophal. Die niederländische Marke Tony’s Chocolonely will die Branche nachhaltig verändern und sie frei von Kinder- und Sklavenarbeit machen. Um das zu schaffen, will der neue CEO Douglas Lamont aus Tony’s nicht nur ein Milliardenunternehmen machen – er will auch mit seiner Konkurrenz zusammenarbeiten.

Es gibt nicht viele Unternehmen, deren Geschichte damit beginnt, dass einer der Gründer sich zwei Jahre lang rechtlich selbst verfolgt. Genau das passierte aber 2002: Der niederländische Journalist Teun van de Keuken hatte herausgefunden, dass nahezu jede Tafel Schokolade unter Mithilfe von Sklavenarbeit produziert wurde. Bis heute sind 1,5 Millionen Kinder illegal auf Kakaofarmen in Westafrika beschäftigt – 30.000 davon leben Schätzungen zufolge als moderne Sklaven.

Van de Keuken, der sich in den Niederlanden als Investigativ­journalist einen Namen gemacht hatte, filmte sich daraufhin selbst, wie er eine Tafel Schokolade nicht nur kaufte, sondern sie auch verzehrte. Er nannte sich dabei selbst einen „Chocolate Criminal“, da er nach eigenen Angaben ein illegal her­gestelltes Produkt gekauft und konsumiert hatte. Er verlangte von der niederländischen Staatsanwaltschaft, dass er dafür strafrechtlich verfolgt werden muss. Van de Keuken ging sogar so weit, nach Westafrika zu reisen – 60 % der globalen Kakaobohnen kommen aus Ghana und der Elfenbeinküste – und Arbeiter zu überzeugen, gegen ihn auszusagen. Der Prozess ging insgesamt zwei Jahre lang.

Letztendlich entschied der Richter, dass die Bedingungen zwar katastrophal seien, eine direkte Verbindung zwischen dem illegal hergestellten Kakao und der Tafel von van de Keuken jedoch nicht hergestellt werden kann. Zudem war der Richter besorgt über den Präzedenzfall, den er mit einer solchen Verurteilung schaffen würde, denn dann müsste man quasi alle Konsumenten, die Schokolade kaufen, gerichtlich belangen. Teun van de Keuken, dessen Vorname zu Tony übersetzt wird, entschied sich 2005 für einen anderen Weg: Er gründete ein Unternehmen namens Tony’s Chocolonely und wollte Schokolade herstellen, die völlig frei von Kinder- und Sklavenarbeit war.

17 Jahre später ist Tony’s nicht nur die führende Schokoladenmarke in den Niederlanden, sondern auch die schnellstwachsende Marke weltweit. Neben dem Heimmarkt ist das Unternehmen unter anderem auch in der deutschsprachigen Region, in Grossbritannien und in den USA aktiv. Der Umsatz betrug im Geschäftsjahr 2021/22 rund 133 Mio. €, 2022/23 dürften es rund 30 % mehr und damit zwischen 150 und 160 Mio. € werden (die finalen Zahlen werden im Oktober 2023 veröffentlicht).

Unter der Führung des neuen CEOs Douglas Lamont, der im Oktober 2022 an Bord kam und zuvor zehn Jahre lang die Saftmarke Innocent leitete, soll Tony’s nun das nächste Kapitel der Entwicklungs­geschichte aufschlagen. „Wir haben eine gute Chance“, so Lamont im Interview, „aus Tony’s eine Billion-Dollar-Brand zu machen.“ Doch Lamont hat noch grössere Ziele als nur finanzielles Wachstum: „Unser Ziel ist es, die gesamte Branche zu verändern.“

„Wir sind ein Impact-Unternehmen, das Schokolade produziert“, sagt Douglas Lamont, CEO von Tony’s Chocolonely.

Das Hauptquartier von Tony’s im Norden Amsterdams ist auf drei von vier Seiten von Wasser umgeben. Es ist quasi brandneu; selbst Lamont war vor uns nur ein einziges Mal physisch im Büro. Neben offenen Arbeitsplätzen gibt es vor allem unterschiedlichste Meetingräume, die alle für ein Thema stehen: Der „Unequally Divided Room“ spielt auf Tony’s ungewöhnliche Teilung seiner Schokoladentafeln an (keine gleicht der anderen und die Stücke sind stets ungleich gross); der ganz in Weiss gehaltene „Escape the Red Room“ soll helfen, der roten Farbe zu ent­kommen, die nicht nur die ursprünglichen Verpackungen der Schokolade, sondern auch das Büro dominiert. In der Küche gibt es Kaffeetassen, auf denen jeweils ein Mitarbeiter im Porträt abgebildet ist.

Wenn es aber um die Mission geht, wird das Team sehr ernst. „Wir sind ein Impact-Unternehmen, das Schokolade produziert“, sagt La­mont, „nicht andersrum!“ Der CEO betont, dass das Unternehmen über­zeugt ist, mit dem aktuellen Weg die Branche verändern zu können. „Sollten wir merken, dass es eine andere Möglichkeit gibt, mit der wir effektiver sind, dann werden wir das tun.“ Bereits heute sind 100 % der Bohnen nachverfolgbar; zudem bezahlt Tony’s rund 80 % Aufschlag auf den Fairtrade-Preis, rund 8 % des Umsatzes investiert Tony’s in erhöhte Löhne. Die Bruttomarge lag zuletzt bei fast 50 %, 2022/23 litt aber auch das Tony’s-Ergebnis unter den gestiegenen Preisen. Abzüglich der Waren- sowie Overheadkosten ist Tony’s laut Lamont operativ break-even, weil alles wieder in die Operation investiert wird.

Lamont: „Wenn wir es nicht schaffen, nachhaltig Gewinne zu schreiben, werden wir die Branche nicht verändern können – denn dann haben die Grossen immer noch die Ausrede, dass ihre Aktionäre höhere Margen wollen.“ Zu den Grossen gehören etwa Mars Wrigley (dessen Umsatz mit Schokolade und Süssigkeiten zuletzt rund 20 Mrd. US-$ betrug), Mondelez (12 Mrd. US-$ Umsatz), Ferrero (15 Mrd. US-$) sowie der Schweizer Konzern Nestlé (rund 8 Mrd. CHF).

Tony’s selbst kooperiert mit einem anderen Riesen, Barry Callebaut, der mit sieben Mrd. CHF Umsatz ebenfalls einer der grössten Schokoladehersteller ist. Doch wer seine Mission so oft und so laut betont, muss auch damit rechnen, dass höhere Standards angewandt werden: Tony’s erlebte einige Kritik, als die Marke von der Slave Free Chocolate List der gleich­namigen NGO entfernt wurde. Denn obwohl in der Wertschöpfungskette von Tony’s keine Fälle von Sklavenarbeit gefunden werden konnten, gab es solche Fälle bei Barry Callebaut sehr wohl. „Jede Organisation muss selbst entscheiden, worauf sie ihren Fokus legt“, sagt Lamont. „Uns ist unsere Mission wichtig. Das bedeutet, dass wir auch mit den Grossen zusammenarbeiten wollen, um Veränderung zu bewirken.“

Mit dem Projekt „Tony’s Open Chain“ stellt das Unternehmen die eigene Wertschöpfungskette auch Konkurrenten zur Verfügung. Da­runter befindet sich etwa die Marke Jokolade, die vom deutschen Entertainer Joko Winterscheidt mitgegründet wurde. Auch die Eismarke Ben & Jerry’s nutzt für die Beschaffung ihrer Kakaobohnen die Tony’s Open Chain. „Wir wollen mit unseren Konkurrenten in der Wertschöpfungskette zusammen­arbeiten und im Supermarkt kon­kurrieren“, so Lamont.

Es ist also nicht nur die Ent­stehungsgeschichte von Tony’s ungewöhnlich, auch die Geschäftspraktiken sind es. Doch Lamont und sein Team sind überzeugt, dass genau dieser Ansatz dazu führen wird, dass Schokolade in Zukunft „besser“ hergestellt wird. Dass er auf dem Weg dorthin ein Milliardenunternehmen bauen kann, sieht Lamont als durchaus wahrschein­liche Option: „Ich denke, dass wir in den nächsten zehn Jahren die Milliarde knacken könnten.“

Douglas Lamont war 15 Jahre lang bei Innocent Drinks tätig, zehn Jahre davon als CEO. Seit Oktober 2022 ist er CEO von Tony’s Chocolonely.

Foto: Katharina Gossow, Anne Berlinckhoff

Klaus Fiala,
Chefredakteur

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