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Julian Schrittwieser, der „30 under 30" Entwickler, baut bei DeepMind Künstliche Intelligenz-Programme wie AlphaGo.
Von St. Pölten-Land nach London: Julian Schrittwieser ist seit über vier Jahren bei Google Deep Mind tätig. Als Senior Software Developer hat er dabei wesentlich im Team von AlphaGo mitgewirkt. Es entwickelte jene KI, die einen der weltbesten Go-Spieler, den Südkoreaner Lee Sedol, in einem Heimspiel spektakulär geschlagen hat.
„Wir hatten noch nie gegen jemand so Guten wie Lee Sedol gespielt und wussten nicht, ob wir gewinnen würden. Die Aufmerksamkeit für das Match war immens gross. Es war zusätzlich herausfordernd, weil keiner aus unserem Team gut Go spielen konnte. Keiner von uns ist so gut wie Lee Sedol oder AlphaGo“, erinnert sich Julian Schrittwieser an den Tag, an dem er mit zwei seiner Kollegen bei Google Deep Mind Geschichte geschrieben hat. Spektakulär hat AlphaGo im März 2016 den südkoreanischen Go-Profispieler Lee Sedol in Seoul mit 4:1 geschlagen. Etliche Medienvertreter reisten nach Südkorea, um dieses Aufeinandertreffen zu begleiten.
Im Vorfeld hatte Lee Sedol erklärt, er werde haushoch gewinnen. Als er die dritte von fünf Partien verlor, waren die Verhältnisse zwar schon klar die Teams haben dennoch die geplanten fünf Partien durchgezogen. Nicht unumstritten war die von Google produzierte Dokumentation dazu: Man habe die Vorarbeit anderer Entwickler in Form von Go-Computerprogrammen wie etwa Gnu Go, die bis heute genutzt werden können, zu wenig gewürdigt. Unumstritten aber ist, dass AlphaGo von Deep Mind die aktuell beste jener KIs ist.
Das Spiel Go ist hoch kompliziert und nur für absolute Experten nachvollziehbar. Auch Schrittwieser und Co. stiessen an ihre Grenzen. „Das Einzige, woran wir uns orientieren konnten, waren Lee Sedols Gesichtsausdruck und die Informationen, die uns AlphaGo gab. Denen konnten wir aber nicht voll vertrauen, denn hätte sich abgezeichnet, dass die KI verliert, hätte sie trotzdem an ihrer vermeintlichen Siegesstrategie festhalten können und wir hätten tatsächlich verloren. Das erste Match war eine Achterbahnfahrt. Ich denke, man sieht uns an, wie erleichtert und glücklich wir waren. Wir fühlten uns aber auch schlecht wegen Lee Sedol. Es ist echt schwer, gegen ein Programm zu spielen, und zu sehen, wie er die ersten drei Spiele verlor, war echt hart. Als er das vierte gewonnen hat, waren wir froh, dass er auch einen Sieg für sich verbuchen konnte.“ Schrittwieser war einer von drei Entwicklern, die die KI programmiert haben. „Ich habe sichergestellt, dass alles funktioniert auch die Kommunikation mit unseren Datenzentren.“
Aufgrund dieses Erfolgs sollte London schliesslich seine Wahlheimat werden. Mit Deep Mind hat sich der Niederösterreicher damit einen der Hotspots in Sachen künstliche Intelligenz (KI) ausgesucht. Begonnen hat alles damit, dass Julian Schrittwieser nach seinem Studium der Computerwissenschaften an der TU Wien als waschechter „30 under 30“ kürzer als in Mindestzeit ein Praktikum bei Google gemacht hat. „Nach meinem ersten Studienjahr im Sommer war das“, sagt er. „Google wollte mich dann gleich Vollzeit anstellen. Ich ging für ein Jahr zurück nach Wien, um meinen Bachelor fertig zu machen, danach begann ich, Vollzeit zu arbeiten.“ Nach einem Jahr bei Google sah er Demis Hassabis bei einem Vortrag. Hassabis hatte gemeinsam mit Shane Legg und Mustafa Suleyman im Jahr 2010 Deep Mind gegründet. Google kaufte sein Unternehmen 2014 und lieferte damit die bis heute grösste Übernahme durch einen US-Konzern im Bereich Tech in Europa. Ob der Kaufpreis bei 400, 500 oder gar 600 Millionen US-$ lag, ist nach wie vor unklar. Jedenfalls hat Google damit ein Zeichen gesetzt: zum einen, dass das strategische Gewicht stark auf das Thema KI gelegt wird, zum anderen, dass es im Wettbewerb um die KI-Herrschaft mit anderen Grossen wie IBM, Facebook, Apple oder Amazon noch ernst zu nehmen ist. Angeblich hatte auch Facebook an Demis Hassabis’ Unternehmen Interesse. Der Neurowissenschafter soll den Deal mit Larry Page er hat die Übernahme angeblich selbst geleitet ausgehandelt haben. „Demis Hassabis war sehr inspirierend. Er hat Demos vom ersten Whitepaper von Deep Mind gezeigt, wie es eigenständig Atari spielt. Der Agent (die KI, die entscheidet, Anm.) hat vieles von sich aus gemacht. Sogar die Developer, die den Agenten entwickelt hatten, waren überrascht. Am selben Tag noch habe ich mich informiert, wie ich von Google zu Deep Mind wechseln kann. Das war vor viereinhalb Jahren.“
Wann seine Leidenschaft fürs Programmieren begonnen hat, weiss Schrittwieser nicht mehr genau. „Ich glaube, es war so mit zehn. Meine älteren Cousins, die im Software-Engineering gearbeitet haben, haben mir zu Weihnachten und zum Geburtstag oft Programmierbücher geschenkt. Als Kinder fanden meine Freunde und ich das super. Wir wollten nämlich immer unsere eigenen Computerspiele entwickeln. Deswegen begann ich, zu programmieren. Lustigerweise habe ich aber nie ein Computerspiel gebaut.“
Zwar wurde die Ursprungsmission nie verwirklicht, mit AlphaGo kam er ihr aber doch nahe. Bemerkenswert ist die Leichtigkeit, mit der Schrittwieser seinen Werdegang vorangetrieben hat. „Es gibt mehrere Gründe, warum das alles so funktioniert hat“, sagt er. „Ich habe mich immer schon für Computerwissenschaften interessiert, schon vor meinem Studium. Und wegen meines Vertrags hatte ich nur ein Jahr Zeit, um fertig zu studieren. Ich habe alle Kurse in zwei Semester gepackt und das durchgezogen.“
Dass sein Interesse für alle möglichen Dinge so tief greift, begründet Schrittwieser so: „Es ist ein Mix daraus, verstehen zu wollen, wie das Universum funktioniert, und gleichzeitig das, was wir als menschliche Zivilisation tun können, zu verbessern.“ In dieser Weise fügt sich seine Tätigkeit bei Deep Mind nahtlos in diese Haltung. „Ich forsche und programmiere. Meiner Meinung nach macht es sehr viel Sinn, Computerwissenschaften ganzheitlich zu bearbeiten als Forscher wie auch als Entwickler. Man kommt so zu einem umfassenden Verständnis: von der Hardware zur Software bis hin zu den Algorithmen, die man programmiert.“ Einige AlphaGo-Papers hat er schon mitpubliziert.
Wer solche Papers liest und das mit dem, was für die Massen geschrieben wird, vergleicht, stellt eine erhebliche Lücke fest: Die einen reden von Algorithmen, die mathematische und analytische Leistungen vollbringen, die anderen von Killerrobotern, der Umwälzung der Gesellschaft und der Übernahme der Herrschaft durch KI. Schrittwieser steht am undramatischen Ende: „Die aktuellen Anwendungen sehe ich eher so, dass sie Menschen dabei helfen, besser zu werden und sich auf ihre Stärken zu fokussieren; wie wir das etwa in Anwendungen im Medizinbereich sehen, wo KIs Ärzten dabei helfen, schneller zu besseren Diagnosen zu kommen, damit diese sich wiederum auf andere Dinge konzentrieren können. Ich finde die Idee gut, dass Algorithmen dort zum Einsatz kommen, wo ihre Fähigkeiten besser als die der Menschen sind und umgekehrt. Ich glaube, so kriegt man die besten Ergebnisse.“
In dieser Hinsicht sei, sagt der Programmierer, sogenannte „Narrow AI“ also künstliche Intelligenz, die eine ganz spezifische Aufgabe in einem isolierten Umfeld lösen kann bereits sehr gut. Was aber ist mit der „General AI“, also einer dem Menschenverstand nahekommenden, programmierten Intelligenz? „Irgendwann wird das sicher passieren, dass wir so eine KI haben werden. Was aber mittelfristig deutlich interessanter ist, ist KI, die uns hilft, an den grossen Problemen zu arbeiten, die wir haben.“
Der Niederösterreicher liebt Herausforderungen. „Sie sind die einzige Art, als Mensch wachsen zu können. Ich glaube, man sollte es nicht zu gemütlich haben. Im Idealfall ist man in einem Zustand, der einen ständig ein bisschen herausfordert.“ Das klingt nach Ehrgeiz. „Vielleicht. Ich mag es, neue Dinge zu tun und zu lernen und mich jeden Tag zu verbessern.“ Jeden Tag ein paar Prozent besser werden zu wollen klingt anstrengend. Wer glaubt, dass das Erholung in der Freizeit bedeutet, irrt. So lernt Schrittwieser zum Beispiel derzeit Japanisch, „um Serien und Filme in Echtzeit und Originalsprache sehen und verstehen zu können“, wie er sagt. Auf diese Idee kam er, weil er eine Liste mit den am meisten gesprochenen Sprachen der Welt gemacht hat. Auf ihr standen Englisch das konnte er schon, Japanisch, Spanisch und Chinesisch. Bis auf Chinesisch ist alles schon im Können oder Werden. Auch Klavierspielen übt er das wolle er aber lieber selbst lernen, als es einer KI beizubringen, weil es befriedigender sei, sagt er. Was Lee Sedol wohl dazu sagen würde? Der gab sich übrigens nach seiner Niederlage geschlagen, aber kämpferisch: „Das ist zwar eine persönliche Niederlage, aber keine für die Menschheit.“
Schrittwieser glaubt trotzdem an eine Zukunft mit KI. Ob er jemals nach Österreich zurückkommen wird, kann er im Augenblick nicht beantworten. „Es gibt so viele Orte auf der Welt, an denen ich gerne leben würde. Eine Weile möchte ich noch in London leben und dann würde ich gerne nach Tokio ziehen.“
Dieser Artikel ist in unserer Februar-Ausgabe 2018 „Künstliche Intelligenz“ erschienen.