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Helmut Marko geht in seine letzte Runde bei Red Bull Racing: Mit der Verlängerung seines Beratervertrags um weitere drei Jahre will das Mastermind hinter dem Formel-1-Team sicherstellen, dass Red Bull auch in Zukunft auf Erfolgskurs bleibt. Dazu muss das Team den Umstieg auf eine eigene Motorenentwicklung meistern – und Marko dafür sorgen, dass die „Mateschitz’sche Philosophie“ auch nach dem Tod des Red-Bull-Gründers bewahrt wird.
Um Punkt elf Uhr betritt Helmut Marko das Hotelzimmer. Das Interview mit Forbes findet in einer Suite seines Hauses, im Schlossberghotel in Graz, statt. Sein Büro liegt direkt gegenüber, eine weite Anreise hatte er also nicht. Und obwohl Marko betont, dass er nur punktuell in das operative Geschäft seiner mittlerweile vier Hotels eingebunden ist – neben dem Schlossberghotel gehören Marko auch das Lendhotel, das Kai 36 sowie das Augarten Art Hotel, allesamt in Graz –, ist die Handschrift des Eigentümers sofort erkennbar.
An den Wänden des Hauses hängen grossflächige Kunstwerke. Wie im Rennsport ist Marko auch beim Kunstsammeln kein Fan davon, am Höhepunkt einzusteigen – er sucht sich lieber junge Künstler aus und kauft deren Werke früh. Dass auch die vielleicht klingendsten Namen der Gegenwartskunst, darunter Hermann Nitsch oder Maria Lassnig, an den Wänden hängen, liegt an einem anderen unumstösslichen Prinzip, das Marko aus dem Rennsport mitgenommen hat: an der Balance.
Schnell wird klar, dass Marko zwar schon sehr lange Hotelier und Unternehmer ist, seine Leidenschaft für den Rennsport aber in alle Lebensbereiche ausstrahlt. „Beim Rennsport herrscht eine unglaubliche Präzision. Mir fällt sofort auf, wenn etwas nicht ganz optimal ist“, so Marko. Unter den vier Direktorinnen, die seine Hotels leiten, hat sich der frühere Rennfahrer damit bereits ein gewisses Image erarbeitet. „Immer, wenn ich komme, funktioniert irgendeine Glühbirne nicht“, sagt Marko lächelnd.
Überhaupt wirkt der 80-Jährige entspannt. Das liegt nicht nur an seinem kürzlich abgeschlossenen Urlaub, sondern auch an einer äusserst erfolgreichen Saison, die hinter ihm liegt: 2023 war das erfolgreichste Jahr in der Geschichte des österreichischen Formel-1-Teams Red Bull Racing. Mit Ausnahme des Grossen Preises von Singapur gewann Red Bull jedes Rennen; Weltmeister Max Verstappen stellte neue Rekorde für die meisten Siege in einer Saison (19 von 22 Rennen) sowie die meisten Grand-Prix-Siege hintereinander auf (zehn Siege).
Dennoch war Markos Zukunft beim Rennstall lange unklar. Er ist offiziell nur als Berater tätig, gilt aber als Mastermind hinter dem Erfolg von Red Bull im Rennsport. Sein enges Verhältnis zu Unternehmensgründer Dietrich Mateschitz verschaffte ihm stets eine Sonderstellung, die intern nicht immer nur positiv war – so gab es etwa Medienberichte über Unstimmigkeiten zwischen Marko und Red-Bull-Teamchef Christian Horner. Auch mit dem nach Mateschitz’ Tod installierten Geschäftsführer Oliver Mintzlaff, der die Sport- und Medienaktivitäten des Konzerns verantwortet, lieferte sich der Steirer ein Wortgefecht. Heute sagt Marko, mit Horner gebe es immer wieder „kleinere Meinungsverschiedenheiten“, im Prinzip sei man sich aber meist einig; auf Mintzlaff angesprochen sagt er, es gebe „mittlerweile eine gute Kooperation“.
Markos Verlängerung hatte mehrere Gründe. „Es gab die Überlegung, ob ich am Höhepunkt abtreten soll – aber ich fühle mich (Dietrich; Anm.) Mateschitz verpflichtet, der das Ganze überhaupt erst ermöglicht hat“, so Marko. Er bezeichnet sich im Lauf des Gesprächs als „Bewahrer der Mateschitz’schen Philosophie“. Doch die Verlängerung hat noch einen anderen Grund: Marko will dafür sorgen, dass Red Bull weiterhin so erfolgreich ist. Und er will weiterhin mit seiner Entdeckung arbeiten: „Ich habe eine sehr enge Beziehung zu Max Verstappen.“
Viele Jahre galt die Formel 1 als Spielplatz für Menschen mit (zu) viel Geld. Die Teams wurden entweder als Marketingtool von Automobilherstellern genutzt oder von Milliardären, die sich ein teures Hobby leisteten. Nach der Übernahme der Formel 1 durch den US-Medienkonzern Liberty Media und der damit zusammenhängenden Ära von Bernie Ecclestone änderte sich das aber. Durch die sehr erfolgreiche Netflix-Doku „Drive to Survive“ sowie die damit zusammenhängende verstärkte Social-Media-Präsenz der Fahrer wurde die Formel 1 auch über ihre Kernfans hinaus populär. Insbesondere die Öffnung des US-Markts sowie die Erschliessung neuer Zielgruppen – darunter auch Frauen – vervielfachten das Vermarktungspotenzial für den Sport und die Teams.
Zeitgleich führte die Formel 1 – nach sieben Jahren Mercedes-Dominanz – eine Kostengrenze ein, die mehr Wettbewerbsfähigkeit gewährleisten sollte. Und: Überholmanöver wurden erleichtert, was für mehr Attraktivität auf der Rennstrecke sorgte. Helmut Marko, der sich selbst in einem Interview als Eigenbrötler bezeichnete, verfolgt diese Trends mit der nötigen Distanz: „Ich mache keine Netflix-Interviews“, so der Grazer.
Doch Marko ist Unternehmer genug, um zu verstehen, welche neuen Möglichkeiten diese Entwicklungen auch für Red Bull bringen. Das zeigen auch die Zahlen: 2022 erzielte die Red Bull Technology Ltd. (RBT), der Mutterkonzern von Red Bull Racing, einen Jahresumsatz von rund 450 Mio. € (385,6 Mio. £); das ist ein Plus von 13 % zum Vorjahr. Davon entfielen rund 325 Mio. € (278 Mio. £) auf Red Bull Racing selbst. Der Gewinn von RBT betrug 15,6 Mio. € (13,4 Mio. £), ein Plus von 55 % zum Vorjahr. Das gute Ergebnis lag an einer sehr erfolgreichen Saison, aber auch an neuen Sponsoren; so stieg etwa der Technologiekonzern Oracle 2022 als Titelsponsor ein.
„Als Mateschitz in die Formel 1 einstieg“, sagt Marko, „kostete ein Team rund 600 Mio. €. Heute liegt der Wert des Red-Bull-Teams vermutlich bei über zwei Milliarden Euro.“ Laut Marko ist das Team bereits heute „breakeven“; wenn man jedoch die Werbeflächen, die Red Bull am Auto belegt, nochmals extern vergeben würde, wäre das Team hochprofitabel.
Und dennoch betont Marko, dass all der Erfolg und all das Geld nicht dazu führen dürfen, dass man vergisst, wo man herkommt. „Das Team soll nie aus den Augen verlieren, woher die Finanzen kommen und warum Red Bull das überhaupt macht. Die Selbstdarstellung darf hier nicht überhandnehmen. Das ist noch immer ein Rennteam für Marketingzwecke“, so Marko. Und: Laut dem Grazer ist die Formel 1 für Red Bull das „absolut beste Marketingtool, weit vor Fussball und anderem“.
Überhaupt will Marko in all dem Instagram- und Netflix-Hype dafür sorgen, dass die Ideen und die Philosophie seines Wegbegleiters Dietrich Mateschitz nicht verloren gehen. Denn über allem versteht Marko seine Rolle noch immer als Bindeglied und Sprachrohr des Red-Bull-Konzerns im Team. Nicht umsonst wird Markos Honorar aus dem Konzern bezahlt. „Für mich geht es darum, das grosse Ganze zu sehen, und wenn es Probleme gibt, diese im Sinne des Konzerns zu lösen“, so der Steirer.
Dass diese Entscheidungsfindung heute anders funktioniert als noch zu Lebzeiten von Mateschitz, ist aber auch klar. Marko betonte in Interviews immer wieder, dass eines der grossen Erfolgsrezepte die kurzen Wege waren. Ein Telefonat mit Mateschitz – und grosse Entscheidungen waren oft schon in Sekunden getroffen. Mark Mateschitz, dem Sohn des Firmengründers und Erben der Red-Bull-Anteile, die Mateschitz ein Vermögen von 39,6 Mrd. € verschafften, bescheinigt Marko die gleiche „Sturheit und Intelligenz, wie sein Vater sie hatte“. Doch man müsse ihm Zeit geben, so Marko. Ist der Wegfall dieses heissen Drahts eine Gefahr für den Erfolg? Marko: „Dieses Risiko war anfangs schon gegeben.“
Risiko nimmt Red Bull aber auch an anderer Stelle: Im Zuge der Reglementänderung, die 2026 schlagend wird, stellt Red Bull auf eine eigene Motorenentwicklung um. Nach ursprünglichem Zögern des aktuellen Lieferanten Honda sah man sich nach Alternativen um. Motoren von direkten Konkurrenten zu beziehen war schnell kein Thema mehr, erste Gespräche mit Porsche scheiterten laut Marko „an Details“. Also entschied sich Red Bull, dem Beispiel von Mercedes und Ferrari zu folgen und eigene Motoren zu bauen. Rund 500 Mio. € investiert der Konzern im britischen Milton Keynes, das in den letzten Jahren zum Hotspot für Formel-1-Motorenentwicklung wurde. 400 bis 500 Mitarbeiter werden im Endausbau für Red Bull Powertrains tätig sein. Marko bezeichnet die Entscheidung als „sehr mutig und sehr riskant. Das war etwas, was (Dietrich; Anm.) Mateschitz zwar bewilligt hat, aber ganz geheuer war es ihm nicht.“
Doch Marko sagt, die letzten Monate hätten ihm gezeigt, dass auch die neue Eigentümer- und Managementstruktur schnell entscheiden kann, wenn es nötig ist. Dass man aktuell im Zeitplan sei – sowohl bezüglich der Gebäude als auch bezüglich der Motorenentwicklung –, liege genau daran. Denn um einen notwendigen Windkanal vor Ort zu ermöglichen, musste Red Bull schnell sein: „Wenn ein passendes Gebäude auf den Markt kommt, kann man nicht lange warten. Wir haben dann in der nötigen Zeit aber alle Okays bekommen, die notwendig waren“, so Marko.
Markos Eltern waren nicht besonders erfreut über die grosse Passion ihres Sohns. Sein Vater, der einen Elektro-Grosshandel betrieb, zwang seinen Sohn, sein Studium abzuschliessen, bevor er sich ganz dem Rennsport widmet. Marko promovierte 1967 in Rechtswissenschaften, startete danach aber dennoch seine Rennkarriere. So war Marko in jungen Jahren auch eng mit Rennfahrlegende Jochen Rindt befreundet, der 1970 in Monza tödlich verunglückte. Auch Marko hatte viel Talent, stellte 1971 im Alter von 28 Jahren beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans in einem Porsche 917 einen Streckenrekord auf und hatte bereits einen ausgehandelten Vertrag mit Enzo Ferrari vorliegen. 1972 aber durchschlug bei einem Rennen ein Stein Markos Visier und traf sein Auge – es konnte nicht gerettet werden und Markos Rennfahrkarriere war schlagartig vorbei.
Er orientierte sich um und eröffnete 1982 das Schlossberghotel. Die Immobilie gehörte seinem Vater, doch auch Marko selbst investiert in Immobilien. Alle vier seiner Hotels sind in Gebäuden untergebracht, die ihm auch selbst gehören. Dabei setzt er, wie beim Kunstsammeln und im Rennsport, auf die Entwicklung von ungeschliffenen Diamanten: „Ich gehe nicht auf Quantität, sondern auf Qualität. Die persönliche Beziehung zu den jeweiligen Objekten ist mir wichtig.“ Viele seiner Häuser sind denkmalgeschützt; das Gebäude, in dem das Schlossberghotel untergebracht ist, stammt aus dem 15. Jahrhundert.
Das Hotelgeschäft, das Marko zu 100 % gehört, wirft im Jahr rund zehn Mio. € Umsatz ab. Zu den vier bestehenden Häusern sollen in naher Zukunft zwei weitere hinzukommen: ein Haus in der Steiermark – wo genau, will Marko nicht verraten – sowie ein Hotel in Triest. „Wir wollen ein gesundes Wachstum und ein positives Ergebnis abliefern, was in diesen Zeiten sowieso schon schwierig genug ist“, so Marko. Dem Rennsport blieb er aber stets erhalten. Ende der 90er-Jahre lernte Marko Dietrich Mateschitz kennen. Dieser war damals beim Schweizer Rennstall Sauber investiert – jedoch ohne Stimmrechte. Peter Sauber war gegen Mateschitz’ Wunsch, Helmut Marko als Teamchef zu installieren, wodurch die Zusammenarbeit endete. 2004 übernahm Mateschitz dann den Rennstall von Jaguar für rund 920.000 € (eine Mio. US-$) und machte daraus das Red-Bull-Team. Ein Jahr später folgte der Kauf von Minardi, woraus das Schwesternteam entstand, das ursprünglich als Toro Rosso und mittlerweile als AlphaTauri antritt. Diese Saison soll das Team wieder einen neuen Namen erhalten, welcher genau das sein wird, ist jedoch derzeit noch unklar. Seit 2005 fungiert Marko als Motorsportchef von Red Bull und ist für beide Teams mitverantwortlich.
Bereits zuvor, 2001, startete er als einer der Ersten Anfang der 2000er-Jahre eine Nachwuchsförderung, das „Red Bull Junior“-Programm. Durch diese Schule gingen Fahrer wie Carlos Sainz junior, Alex Albon oder Publikumsliebling Daniel Ricciardo. Dabei war Markos vorerst grösster Erfolg die Entdeckung und Förderung des späteren Weltmeisters Sebastian Vettel, der von 2010 bis 2013 vier Weltmeisterschaften holte. Dann kam die grosse Zeit von Niki Lauda und Mercedes: Der Rennstall wurde – unter Führung des Österreichers Toto Wolff – bis 2020 sieben Jahre in Folge Weltmeister. Die Mercedes-Dominanz beendete dann erneut eine Marko-Entdeckung: Max Verstappen, der 2021, 2022 und 2023 drei Weltmeistertitel holte und Red Bull wieder an die Spitze katapultierte.
Doch was muss passieren, damit Red Bull seine Erfolgsserie beibehalten kann? Bis 2025 macht sich Marko keine allzu grossen Sorgen: „Wir sind in der glücklichen Lage, dass das Reglement bis 2025 relativ stabil bleibt. Die grosse Challenge für Red Bull Racing kommt 2026.“ Bis dahin will Marko dafür sorgen, dass das Team bei der Stange bleibt, dass Selbstdarstellung nicht über die Konzernphilosophie erhoben wird – und dass Max Verstappen weiterhin Höchstleistungen bringt.
Für Marko selbst soll nach diesen drei Jahren die „intensive Phase“ im Rennsport jedenfalls enden. „Das ist schon die Idee. Ich bin aktuell ja fast bei jedem Rennen dabei“, sagt er. Dass so ein Pensum dann mit Mitte 80 auch körperlich nur noch schwer zu bewältigen ist, ist klar. Marko: „Irgendwann braucht es einen Nachfolger für mich.“ Wer das sein wird, ist aktuell noch völlig unklar – fest steht nur, dass die Fussstapfen nicht einfach zu füllen sein werden.
Helmut Marko wurde 1943 in Graz geboren. Er war als Rennfahrer tätig, bevor er seine Karriere nach einem Unfall beenden musste. Dem Rennsport blieb er jedoch erhalten, vor allem als Berater von Red Bull Racing, dem Formel-1-Team des Konzerns. Zudem besitzt Marko vier Hotels in Graz, zwei weitere Häuser sollen folgen.
Fotos: Philipp Horak
Infografik: Emin Hamdi