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Xephor Solutions hat das menschliche Gehirn digitalisiert. Obwohl man vieles darüber noch gar nicht weiss, haben die Unternehmer einfach mal losgelegt – und fordern damit das Human Brain Project der Europäischen Kommission heraus.
„Jeder, der ,Terminator‘ gesehen hat, macht sich Gedanken darüber, ob künstliche Intelligenz auch eine Bedrohung sein kann“, sagt Isabell Kunst, CEO von Xephor Solutions, einem Start-up am Rande Wiens, genauer gesagt in Purkersdorf. Isabell Kunsts Heim wurde zu einem Büro umgestaltet, in dem eine echte künstliche Intelligenz (KI) zu Hause ist. „Diese Fragen, wer die Kontrolle behält und was diese KI eigentlich alles machen könnte, habe ich mir auch schon gestellt“, pflichtet ihr Co-Gründer Fritz Urbanek bei. „Das war auch unser Ziel, dass eben nicht alles nachvollziehbar ist in jeder Zeile Code, was diese künstliche Intelligenz macht“, sagt der vormalige Erste-Bank-Risk-Manager. „Aber ja, man kann das Hirn auch einfach abschalten. Wir haben hier keinen Roboter, der herumläuft“, sagt Kunst. Ausserdem sei die KI ohnehin von Strom – und somit vom Menschen – abhängig.
2012 hatten Friedrich Urbanek und der Business Angel und Softwareentwickler Günther Riemer die Xephor Solutions GmbH gegründet, 2013 kam CEO Isabell Kunst hinzu. Sie hat vor allem das Thema der künstlichen Intelligenz forciert. Die Basis für diese Unternehmensentwicklung lieferte ein sogenannter „virtueller User“, der im Bankenbereich zum Einsatz kam. Er berechnete automatisch Risiken für Banken – etwa Liquiditätsrisiken. „Dieser virtuelle User war ohne KI und hat bei Arbeiten unterstützt, die man untertags nicht ausführen wollte“, erzählt Kunst. Eine Art „regelbasierte Software“ hat so automatisch Berechnungen erstellt, allerdings dazu einfach das ausgeführt, was man ihr beigebracht hat – in diesem Fall Risikoberechnungen für eine Bank.
Das allein macht aber noch lange keine künstliche Intelligenz. „Ich dachte, es wäre interessant für Banken, diese User mit einer KI auszustatten. Die Software könnte viel mehr machen, sie könnte auch die ganze Zeit aktiv sein. Ein User, der sozusagen den Risk Manager beobachtet und von ihm lernt. Er könnte auch Input – etwa Nachrichten aus dem Internet – liefern. Das war die Idee.“
Nachdem es uns um Kreativität und eigenständiges Denken ging, haben wir das Gehirn anatomisch und mit all seinen Funktionalitäten nachgebaut.
So begann das Unternehmen, sich mit künstlicher Intelligenz auseinanderzusetzen – und wie man diese nachbilden kann. „Nach einigen anfänglichen Versuchen haben wir uns am menschlichen Gehirn orientiert. Wir haben entschieden, es in seiner Funktionalität nachzubauen. Unser Gedanke war, dass wir so dem System ermöglichen, dass es auch eigenständig denken und kreativ sein kann. Wir haben dazu etwa Neuronen nachgebildet. Nachdem es uns um Kreativität und eigenständiges Denken ging, haben wir das Gehirn anatomisch und mit all seinen Funktionalitäten nachgebaut.“
Das heisst also: digitale neuronale Netze – mit Synapsen und allem, was dazugehört, – sowie die unterschiedlichen Regionen des Gehirns. „Wir haben das in C++ (Programmiersprache, Anm.) und mit UML-Diagrammen nachgebaut. Das ist eine Technologie, die meistens Unternehmen in den USA verwenden. Man gibt ein, wie die Architektur aussehen und die einzelnen Elemente verbunden sein sollen – vieles der Software wird dann automatisch programmiert.“
Wir haben in unserem Unternehmen viele sensible Daten, die gut geschützt sind. Ein virtueller Firewall-Manager, der selbst intelligent ist, schützt das Unternehmen automatisch.
Nach rund zwei Jahren Entwicklungsarbeit war das digitale Gehirn im Sommer 2016 fertig – und die ersten Kunden, die mit der Software arbeiten, hat das Unternehmen schon. Banken etwa verwenden die Technologie, denn eine Risikoberechnung dauert nur einen Bruchteil der Zeit, die ein Mensch benötigen würde. Erste Tests haben gezeigt, dass die KI mit ihren Prognosen recht behalten hat, so die Unternehmerin.
Die Software kommt auch in der Cybersecurity zum Einsatz, unlängst startete man ein Projekt mit der „Singularity Universität“ in Kalifornien im Bereich Marketing. Einer der Kunden im Cybersecurity-Bereich, die eConsultants GmbH, zeigt sich auf Nachfrage jedenfalls zufrieden mit Xephors Software. „Wir haben in unserem Unternehmen viele sensible Daten, die gut geschützt sind. Um noch einen Schritt weiter zu gehen, haben wir ein aktives Firewall-Management als Pilotbetrieb im Einsatz.“ Ein virtueller Firewall-Manager, der selbst intelligent ist, schützt das Unternehmen automatisch.
Selbstredend ist – egal bei welchem Kunden – eine mehrwöchige Trainingsphase notwendig, bis die KI das kann, wofür sie eingesetzt werden soll. „Zuerst brachten wir ihm unsere Firewallregeln bei und übten die Ausführungskommandos. Er hat zwei Wochen überwacht und unüberwacht gelernt. Heute kontrolliert der virtuelle Administrator unsere Firewall rund um die Uhr und blockt verdächtige IPs eigenständig.“ Die Kunden erwerben Software-Lizenzen. Es wird aber zurzeit überlegt, das Modell neu und leistungsorientiert zu gestalten. Dabei könnte das als monetäre Gegenleistung genommen werden, was die KI einem Anwender im ersten Jahr an Gegenwert liefert. Im Falle der Banken würde das bedeuten, dass der zusätzliche Umsatz durch die akkuratere Risikoberechnung im ersten Jahr an Xephor fliesst – und anschliessend in die Taschen der Bank.
Wir sind zum Beispiel in Kontakt mit Forschern aus Japan, die gerade am Quantencomputer arbeiten. Wir haben aber keine Kooperationsverträge unterschrieben, sondern tauschen uns nur über Erkenntnisse aus.
Auch aufseiten der Forschung streckt Xephor seine Fühler aus: „Wir sind in Kontakt mit Forschern aus Japan, die gerade am Quantencomputer arbeiten. Zudem war ein Wissenschaftler von der Cambridge University bei uns. Wir haben aber keine Kooperationsverträge unterschrieben, sondern tauschen uns nur über Erkenntnisse aus“, so Kunst abgeklärt. Sie würde es gerne auch mit Xephors Goliath aufnehmen: dem Human Brain Project. Mit einer Milliarde Euro ist es von der Europäischen Kommission gefördert und will laut Eigenangaben genau das tun, was Xephor bereits umsetzt: eine Computersimulation des menschlichen Gehirns und all der in ihm ablaufenden Vorgänge. Das EU-Projekt wird von Forschern und Journalisten immer wieder scharf kritisiert und wurde zwischenzeitlich von ihnen auch schon abgeschrieben.
In Purkersdorf geht anscheinend genau das als One-Man-Show (begleitet von drei weiteren Teammitgliedern) und mit begrenzten finanziellen Mitteln ganz leicht von der Hand. Das wundert natürlich – auf Nachfrage betont Kunst: „Wir würden uns gerne in einen Wettbewerb mit dem Human Brain Project stellen, wir machen genau das Gleiche. Wir schauen auch immer wieder in den ‚Source Code‘ – da tut sich nicht viel.“ Jedenfalls könnten sich die Europäische Kommission sowie die involvierten Einrichtungen – etwa die ETH Zürich – bei Interesse am Rande Wiens inspirieren lassen. Vermutlich, was ihre wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Leistungen betrifft, jedenfalls aber, was die Verve der Unternehmer betrifft.
Es war unser Ziel, dass nicht alles, was diese künstliche Intelligenz macht, nachvollziehbar ist.