Imagekampagne

Die Ökonomin Mariana Mazzucato fordert in Sachen Innovationen ein neues Image für den Staat.

Hätte der ökonomisch geprägte „Staat“ eine Marketingabteilung – sie wäre keine besonders gute. In der öffentlichen Wahrnehmung gilt der Staat in wirtschaftlichen Fragen nämlich als träge und ineffizient, ohne Fähigkeit, „Gewinner“ zu identifizieren, und in Innovationsfragen eher unglücklich agierend. In westlichen Wirtschaftskreisen werden auch deshalb die Forderungen nach einem schlanken Staat, der den starken Markt gefälligst in Ruhe lassen solle, lauter.

Gegner dieser Position haben mit der Finanzkrise zwar eigentlich einen idealen Beweis, was Deregulierung und die Reduzierung von staatlichen Aktivitäten unter bestimmten Bedingungen am Markt anrichten können. Dennoch: Politiker aller Couleurs mühen sich seit Langem, eine gewinnende Message für den Staat als schlagkräftigen Marktakteur zu positionieren.

Es dürfte für Politiker daher ein Geschenk des Himmels gewesen sein, als Mariana Mazzucato 2013 prominent auf der Bildfläche erschien und ihre Ideen präsentierte. Darin beschrieb sie den Staat als Innovator, als Treiber von Ideen, als eine Art erfolgreicher Risiko-kapitalinvestor. In dem Buch „The Entrepreneurial State“, auf Deutsch etwas verwirrend „Das Kapital des Staates“ betitelt, zeigte Mazzucato auf, wie Innovationen vom Staat -vo-rangetrieben werden – und wie unfair die Erträge von Innovationen anschliessend verteilt werden.

Das Paradebeispiel, das Mazzucato dabei ins Rennen führt, ist ein Tool, das wir alle kennen: das iPhone. Sie lobt Steve Jobs zwar ausdrücklich für die Vision, die einzelnen Elemente in ein grosses Ganzes zusammengefügt zu haben. Doch die Komponenten seien aus staatlichen Initiativen entstanden: Das Internet entstand in der US-Behörde Advanced Research Project Agency (ARPA), auch die GPS-Technologie entstammt Forschungen des US-Militärs. Auch Touchscreen (vom CIA gefördert) und Sprachassistentin Siri entstammen staatlichen Initiativen.

Wenn der Staat also Innovationen vorantreibt: Warum wird er als „Versager“ gesehen, wenn es um den Markt und seine Innovationen geht? Und was wäre laut Mazzucato ein sinnvolleres Modell als das jetzige?

Die Rolle des Staates in der Kreation von Innovationen ist für Ökonomen schon lange sichtbar. Denn es gibt klassische Fälle von Marktversagen, etwa bei Informationsasymmetrien (Beispiele: unterschiedlicher Informationsstand von Käufer und Verkäufer eines Gebrauchtwagens) oder öffentlichen Gütern (Beispiel: Trittbrettfahrer, die gratis öffentlichen Rundfunk nutzen), bei denen der Staat eingreifen muss. Doch Mazzucato will mehr. Mazzucato will mehr als einen Staat, der die Mängel der Privatwirtschaft flickt. Sie sieht – und fordert Anerkennung für – einen Staat, der als eine Art Risikokapitalinvestor ein Portfolio aufbaut und so Märkte kreiert und formt. Ganz im Sinne des österreichischen Ökonomen Joseph Schumpeter soll die vom Staat angestossene kreative Zerstörung dann zu gemeinschaftlichen Erfolgen führen – etwa dem iPhone.

Um das zu erreichen, benötige es jedoch ein Umdenken, sagt Mazzucato. Und nimmt Privatunternehmen ins Visier, die von staatlichen Leistungen – nicht nur Bildung und Infrastruktur, sondern vor allem auch Grundlagenforschung – profitieren, ihre Gewinne dann aber nicht mit der Gesellschaft teilen. Daher dürften Unternehmen nur von staatlichen Leistungen profitieren, wenn sie sich verpflichten, die Gewinne teilweise zu reinvestieren: „Im angelsächsischen Raum sind Aktienrückkäufe ein grosses Problem. Ein extrem hoher Anteil an Gewinnen wird nicht in die Wirtschaft reinvestiert. Warum? Es sollte Bedingungen geben. Wenn man vom Staat gefördert wird, sollten die Gewinne auch wieder zurückfliessen. Früher gab es das, AT&T entwickelte eines der wichtigsten Innovationszentren der USA, nämlich Bell Labs, weil die Regierung sie dazu brachten, Gewinne zu reinvestieren.“

Heutzutage liessen sich die Regierungen jedoch ausnutzen („governments get taken for a ride“, um das Originalzitat wiederzugeben). Es brauche zweierlei, um das zu ändern: Einerseits frühphasige, hochriskante und langfristig orientierte Investitionen vom Staat, und zweitens strengere Gesetze, um Unternehmen zum Reinvestieren ihrer Gewinne zu zwingen. Bei den Investitionen müsse der Staat somit Themen setzen, die für die Gesamtwirtschaft relevant und wichtig seien – und nicht, wie heute, bestimmte Branchen bevorzugen. Der Staat müsse eine Richtung vorgeben und bereitwillige Unternehmen belohnen, die coinvestieren wollen.

Doch hier werden Mazzucatos Forderungen etwas unkonkret. Denn was genau diese grossen Ziele sind – Mazzucato nennt einzig den Klimawandel als inklusive, cokreative Investitionsmöglichkeit –, wer sie setzen und definieren soll, bleibt in Buch und Gespräch unklar. Auch, wer an der Definition beteiligt sein soll, wird nicht hinreichend erklärt. Mazzucato fordert ein unternehmerisches System, jedoch ohne konkret zu werden: „Elon Musk erhielt rund fünf Milliarden US-$ von der US-Regierung – für Tesla, SolarCity und SpaceX. Es waren unterschiedliche Investitionen, Förderungen, Finanzierung, auch Grund und Boden. Es gibt keine Unternehmer, nur unternehmerische Systeme. Menschen wie Elon Musk, der sicher sehr intelligent ist und viel geleistet hat, benötigen ein bestimmtes Ökosystem, um das zu tun, was sie tun.“

Das am besten funktionierende „unternehmerische“ System – und auch die Basis für die meisten Beispiele von Mazzucato – sind wenig überraschend die USA: ein Staat, der sich an Innovationen beteiligt, der gleichzeitig aber auch knallharten Wettbewerb in allen Bereichen erlaubt und fördert, seien es Forschungsstipendien oder Start-up--Finanzierungen. In Europa hebt Mazzucato etwa Deutschland hervor, das laut Mazzucato viel für das Vorantreiben staatlicher Innovationen tut. Weniger erfolgreich, so die Ökonomin, seien indes südeuropäische Staaten wie ihr Heimatland Italien, wo in der Tat deutlich weniger Investitionen in Forschung und Bildung fliessen. „Oft wird Deutschlands Vorteil mit den Arbeitsmarktreformen erklärt, die Gerhard Schröder einführte, um Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Der grösste Unterschied zwischen Deutschland und Italien ist aber vielmehr institutioneller Art: Italien hat keine strategisch orientierte Förderbank wie die deutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), keine staatlichen Forschungsinstitute wie das Fraunhofer-Institut und deutlich niedrigere Investitionen in Forschung und Entwicklung – Initiativen wie die Energiewende fehlen völlig.“

Doch das beantwortet die Frage, warum manche Staaten ihr Kapital sinnvoller einsetzen als andere, nicht ausreichend. Japan ist ein Beispiel für einen Staat, der jahrelang als innovativ galt – und mittlerweile genau das Gegenteil ausstrahlt.

Dass der Staat eine wichtige Rolle im Innovationsprozess spielt, ist eine richtige Aussage. Dass Staaten wirklich wie VC-Investoren arbeiten sollten, ist fraglich. Jeder VC-Investor, der so viel Geld in Banken investiert hatte wie Staaten während der Finanzkrise, könnte sich sein Büro nicht mehr leisten. Doch vielleicht benötigt es genau das, was Mazzucato auch fordert: ein besseres Image für den Staat. Und zugegeben: Mazzucato ist kein blindes Fangirl. „Wir müssen anerkennen, dass der Staat viel mehr macht, als wir ihm zugestehen. Natürlich ist nicht alles, was Staaten tun, gut“, sagt sie.

Denn dann würden sich talentierte Menschen dazu entscheiden, für den Staat zu arbeiten, Unternehmen stärker kooperieren wollen; so würde sich eine funktionierende, innovative Gesellschaft entwickeln. Dass Mazzucatos Ideen seit dem Erscheinen ihres Buchs jedoch weitere Verbreitung und verstärkte Anwendung in der Welt gefunden haben, lässt sich nicht sagen – wie Mazzucato selbst sagt: „Donald Trump ist der erste Präsident der Geschichte, der die Ausgaben für öffentliche Innovation bedroht. Ronald Reagan verdoppelte diese Gelder beispielsweise.“

Wirklich viel Optimismus machte sich in den letzten Jahren jedoch nicht breit. Es scheint unwahrscheinlich, dass sich Mazzucatos Wahlheimat Grossbritannien im Brexit-Tumult plötzlich auf Innovationsförderung konzentriert, ihr Heimatland Italien auf einmal tief greifende strukturelle Reformen einleitet oder die USA unter Trump plötzlich wieder Gelder lockermachen.

Mazzucato: „Die politischen Vorgänge ändern meine These natürlich nicht. Sie unterstreichen aber, dass die Progressiven – egal ob links oder rechts –, die eine innovative Wirtschaft wollen, nicht gewonnen haben. Wir haben erlaubt, dass Angst und Populismus die Kontrolle übernehmen. Warum? Weil wir keine Freude darin finden, wie wir über unsere Gesellschaft sprechen. Das Einzige, was wir in Sachen öffentlicher Sektor hören, ist „Umverteilung!“ Die Populisten hatten klare Slogans – vor allem darüber, wer die Feinde sind. Die Progressiven -haben es nicht geschafft, einen ähnlich -knackigen Slogan, eine gute Story über ihre Ideen zu entwickeln.“

Umso wichtiger könnte es sein, Mazzucatos Ansätze nicht zu ignorieren. Ob es die richtigen sind, wird sich erst zeigen. Dass wir uns jedoch alle über die Rolle des Staates in der Schaffung einer innovativen, funktionierenden, Wohlstand schaffenden Wirtschaft Gedanken machen sollten, bleibt auch abseits von politischen Fragen wohl unbestritten.

Mariana Mazzucato

Die italienisch-amerikanische Ökonomin wurde in Rom geboren, bevor sie im Alter von vier Jahren mit ihren Eltern nach New Jersey auswanderte. Mazzucato studierte Geschichte, Internationale Beziehungen und Volkswirtschaft und lehrte in den USA, Grossbritannien und Italien. Heute ist die 49-Jährige am University College London (UCL) als Professorin für Volkswirtschaftslehre und Direktorin für das Institute for Innovation and Public Purpose tätig.

Klaus Fiala,
Chefredakteur

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