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Sie ist Österreichs Nummer eins und seit fünf Jahren ein Star im Frauenteam des FC Arsenal London – nun blickt Manuela Zinsberger über den Tellerrand und will im Bereich Wirtschaft und Unternehmertum dazulernen. Hier erklärt Österreichs bekannteste Torhüterin, was der Frauenfussball im deutschsprachigen Raum von England lernen kann.
Manuela Zinsberger ist früh dran. Es ist kurz nach drei Uhr im Lokal The Hub in St. Albans nördlich von London. Das Interview war 20 Minuten später angesetzt, doch die Torhüterin des FC Arsenal war früher mit dem Training fertig. Und sogar für einen kurzen Anruf zu Hause bei Frau Madeleine und dem sechs Monate jungen Sohn Marvis hat es vor dem Treffen noch gereicht. Offenbar hat sie ihren Alltag bestens organisiert.
Zinsberger bestellt einen Latte mit Hafermilch und nimmt auf einem Sofa Platz. Der Gastropub ist der wohl einzige Ort in der englischen Vorstadt, der einem klassischen Kaffeehaus nahekommt.
Die Nationalkeeperin Österreichs trägt Jeans und einen weissen Mantel. Sie strahlt eine Präsenz aus, die die 1,77 Meter grosse Frau noch einmal grösser und dominanter erscheinen lässt. Wenn sie spricht, schwingen in jedem Satz eine zupackende Energie und ein solides Selbstbewusstsein mit. Es ist offensichtlich: Hier spricht eine echte Leaderin.
Zinsberger ist seit fünf Jahren beim FC Arsenal unter Vertrag. Sie ist Führungsspielerin und wurde kürzlich auch in den Mannschaftsrat gewählt, was eines ihrer persönlichen Ziele gewesen sei, wie sie sagt. Gleichzeitig muss die 30-Jährige aktuell um ihren Stammplatz kämpfen – Arsenal hat mit der jungen Niederländerin Daphne van Domselaar eine starke Konkurrentin verpflichtet, die in der Liga spielt. In der Champions League hütet Zinsberger das Tor – und sie nimmt die Herausforderung an: „Der Konkurrenzkampf sorgt dafür, dass ich mich noch mehr pushen muss. Ich will in jedem Training beweisen, dass ich in die Startelf gehöre.“
Arsenal ist die erfolgreichste Frauenfussballmannschaft in England, mit 14 Meisterschaften und 14 FA-Pokalen. Als einziges englisches Team gewann Arsenal 2007 die Champions League der Frauen. Aktuell läuft es für das Team, bei dem auch die ÖFB-Legionärin Laura Wienroither spielt, allerdings nicht rund: Beim FC Bayern kassierte Arsenal in der Champions League zuletzt eine heftige 1:5-Klatsche – für Zinsberger ein Abend zum Vergessen. Auch in der Liga schwankt die Form. Wegen des schwachen Saisonstarts trat Trainer Jonas Eidevall, der zuvor zweimal mit Zinsberger im Tor den Ligapokal gewonnen hatte, Mitte Oktober zurück. Seine Assistentin Renée Slegers übernahm interimsweise. Dass die Arsenal-Fans mit „Jonas raus“-Graffiti gegen den ehemaligen Erfolgscoach Stimmung machten, zeigt aber auch: Frauenfussball in England ist keinesfalls eine reine Wohlfühlveranstaltung und Diversity-Übung.
Der Sport boomt, es fliessen viele Millionen an Sponsorengeldern – und wer sportlich nicht liefert, spürt die Wut von Fans und Vorstand und wird eiskalt abserviert. Im vergangenen Jahr nahmen die Klubs zusammen mehr als 48 Mio. Pfund ein, und damit mehr als 50 % mehr im Vergleich zur Vorsaison. Arsenal machte am Transfermarkt auf sich aufmerksam: Der Klub bot erstmals eine Ablöse von mehr als einer Million Pfund (für Barcelonas Keira Walsh; der Transfer kam nicht zustande).
Zinsberger hat wie kaum eine andere Spielerin den rasanten Aufstieg ihres Sports miterlebt. Das Arsenal-Women-Team gilt als Pionier bei der Professionalisierung und der Kommerzialisierung; Anfang Oktober wurde ein Meilenstein erreicht: Mit einem Zuschauerschnitt von rund 52.000 im Emirates Stadium spielen die Arsenal-Ladies vor einem grösseren Publikum als die Männerteams von Premier-League-Giganten wie Chelsea, Aston Villa oder Everton. Allerdings haben deren Stadien auch geringere Kapazitäten.
Dennoch zeigen die Zuschauerzahlen die wachsende Popularität des Arsenal Women FC: Schon in der vergangenen Saison kamen durchschnittlich rund 32.000 Zuschauer und damit 20.000 mehr als zu anderen englischen Teams. Zum Vergleich: Als Mitte Oktober Manchester City in der Champions League in einem dramatischen Match 3:2 gegen SKN St. Pölten gewann, waren 3.000 Fans in der Generali Arena.
Natürlich hinkt dieser Vergleich, denn London ist eine Millionenmetropole und der englische Frauenfussball ein Millionenbusiness. Zudem profitieren die Frauenteams von der Strahlkraft von Weltmarken wie Arsenal, Manchester United oder Manchester City. Doch Zinsberger sagt: „Es gibt viele Lektionen, die andere Teams von Arsenal lernen können – denn der Erfolg hat weniger mit Geld zu tun, als viele glauben.“
„Es gibt einen Plan.“ Es gibt kleine Ziele und Drei-, Fünf- und Zehnjahrespläne, in denen Meilensteine festgelegt sind, die es zu erreichen gilt; etwa um welchen Wert der Zuschauerschnitt oder die Sponsoreneinnahmen gesteigert werden sollen. Dennoch ist der Frauenfussball bei Arsenal kein reines Businessprojekt – Basis ist die enge Verbindung zu den Fans.
Englands Europameistertitel 2022, errungen im Finale gegen Deutschland im Wembley-Stadion, befeuerte das Interesse. Doch es war Arsenal, das gezielt die Match-Day-Erfahrung auf die Bedürfnisse der Anhängerschaft der Arsenal-Frauen zuschnitt. Weil mehr Familien zu den Spielen ins Emirates kommen, gibt es etwa ein anderes Catering: mehr Hotdogs, weniger Bier.
Die Analyse der Zuschauerzahlen ergab: 61 % der Fans, die die Frauenspiele in der vergangenen Saison besuchten, waren nie zuvor im Emirates Stadium. Mehr als die Hälfte der Fans sind Frauen, und nur 25 % der Zuschauer von Frauenspielen gehen auch zu den Männern ins Emirates. Fazit: Der Klub spricht eine ganz neue Anhängerschaft an – und muss ihnen daher ein passendes Produkt liefern. Und günstigere Tickets als niedrigere Einstiegsschwelle in die Welt des Fussballs: Zu einem Spiel der Arsenal-Ladies kommt man für umgerechnet 20 €, bei den Männern kann ein Ticket mehr als 150 € kosten.
„Niemals hätte ich gedacht, dass ich mal in der besten Liga der Welt bei einem der grössten Vereine spiele – das fühlt sich manchmal immer noch wie ein Traum an.“
Manuela Zinsberger
Manches hat Arsenal aber auch von den Männern übernommen. Der Besuch im Stadion ist nur unvergesslich, wenn die Zuschauer auch eine unvergessliche Atmosphäre erleben – die gerade erst entstandenen Fanklubs der Frauenteams bekommen daher eigene Fanblocks zugewiesen, wie Ultras.
Mehr traditionelle Fankultur statt reine Familienveranstaltung – auch darum geht es. „Der Frauenfussball wurde als ziemlich kinderfreundlich vermarktet, und das ist natürlich grossartig – aber man muss auch die jungen Erwachsenen abholen, die die ursprüngliche Fussballkultur einfach lieben“, sagt Lewis Simpson-Jones von der Fan-Organisation Arsenal Women Supporters Club. Dazu gehören etwa das „Vorglühen“ und die Fangesänge in den Pubs in Islington vor dem Anpfiff.
Mit diesem Konzept kurbelt Arsenal auch die örtliche Wirtschaft an. Mastercard, Sponsor von Arsenals Frauenteam, hat errechnet: Durch die Heimspiele der Frauen im Emirates-Stadion steigert die Gastronomie im direkten Umfeld der Arena an Spieltagen ihre Umsätze um 16 %, Tendenz steigend. Natalia Lechmanowa, Chefökonomin Europa bei Mastercard, spricht von „beeindruckenden Zahlen“. Zudem bedienen die Arsenal-Frauen die stark wachsende „Experience Economy“, die vor allem von Sportveranstaltungen beherrscht wird.
Zinsberger sagt, dass die Fankultur bei Arsenal und in England viel intensiver gelebt werde als in Österreich, Deutschland oder der Schweiz: „Hier bekommen schon Kinder das Trikot eines Klubs übergezogen, dadurch beginnt die Identifikation sehr früh“; nicht nur bei den Fans, auch im Klub und im Umfeld. „Jeden Tag werden wir daran erinnert, was es heisst, den Gunners-Spirit zu leben“, sagt die Torhüterin. Im Alltag bedeutet das: Respekt und Zusammenhalt gegenüber jedem – von der Putzkraft über den Koch bis hin zum Marketingmitarbeiter.
Was den Markenkern von Arsenal ausmacht, wurde Zinsberger 2019 klar, als sie vom FC Bayern zum Hauptstadtklub wechselte: In der Verhandlung sagten ihr die Engländer, dass sie keine Garantie auf den Stammplatz habe – und dass auch eine Nationaltorhüterin um ihren Platz kämpfen müsse, getreu dem Arsenal-Motto „Always move forward“. Dass die Verantwortlichen ihren Ehrgeiz kitzelten, statt ihr Garantien zu geben, spornte Zinsberger zusätzlich an: „Das ist genau das, was ich will.“
Zinsberger wuchs im kleinen Ort Niederfellabrunn in Niederösterreich auf. „Ein Dorf mit so vielen Kühen wie Einwohnern“, scherzt die Spielerin. Ihr Vater Ernst, auch ein begeisterter Torwart, weckte ihre Leidenschaft für den Fussball. Zunächst spielte sie im Feld, doch mit neun Jahren wollte sie zwischen die Pfosten. Mit 15 Jahren debütierte Zinsberger beim Bundesligisten SV Neulengbach und wechselte später, 2014, von dort zum FC Bayern. 2017 wurde sie zur Österreicherin des Jahres gewählt; im selben Jahr zog sie mit Österreichs Nationalmannschaft ins Halbfinale der EM ein, in dem das Team gegen Dänemark im Elfmeterschiessen verlor. Gleich nach ihrer ersten Saison bei Arsenal wurde sie als beste Torhüterin der Saison ausgezeichnet. „Niemals hätte ich gedacht, dass ich mal in der besten Liga der Welt bei einem der grössten Vereine spiele – das fühlt sich manchmal immer noch wie ein Traum an“, sagt Zinsberger.
Im vergangenen Sommer heiratete sie ihre Freundin Madeleine, eine Modefotografin aus Düsseldorf. Vor sechs Monaten kam Sohn Marvis zur Welt, der mit Mutter Madeleine in Deutschland lebt. Darum pendelt Zinsberger zwischen Düsseldorf und London und telefoniert jede freie Minute per Facetime mit Frau und Kind.
Zinsberger blickt stets über den Tellerrand und interessiert sich für mehr als „nur“ Sport. Sie machte während der Zeit beim FC Bayern eine Lehre zur Bürokauffrau und liess sich in der Zeit bei Arsenal zur Ernährungsberaterin ausbilden – was sie aber weniger spannend findet als Business und Wirtschaft. Sie arbeitet mit der ehemaligen Österreich-Kapitänin und Arsenal-Spielerin Viktoria Schnaderbeck zusammen und lässt sich von deren Agentur Pro-Spective managen. Bei Arsenal schnuppert sie ins Management, schaut den Experten im Marketing und in der Finanzbuchhaltung über die Schulter. „Ich will mich immer weiterbilden und neue Einblicke gewinnen“, sagt sie. Bereitet sich Zinsberger bereits auf die Karriere nach dem Sport vor? „Ich könnte mir gut vorstellen, in die Unternehmensberatung zu gehen, als Keynote Speaker zu arbeiten – oder vielleicht wird es doch etwas ganz anderes, mal schauen. Offen bleiben!“, sagt sie. Doch vorerst bleibe sowieso der Fussball die oberste Priorität, zumal sie mit 30 Jahren das beste Alter für Torhüterinnen gerade erst erreicht hat.
Als Jugendspielerin waren Oliver Kahn und Gianluigi Buffon ihre Vorbilder. Auch von Manuel Neuer schwärmt sie. Dass der Weltmeister von 2014 konstant auf höchstem Niveau Leistung zeigt, beeindruckt sie. Und doch wirkt es seltsam, dass es Männer sind, an denen sich eine junge Torhüterin orientiert. Kann sie das ändern? Hat sie das schon? Ist nun sie das Vorbild, das inspiriert?
Zinsberger erinnert sich an eine Begegnung in Wien, kurz nach der EM 2017. Damals wurde sie beim Shoppen mit ihrer Schwester von einem Mädchen erkannt, das über das zufällige Aufeinandertreffen mit der bekannten Fussballerin so aufgeregt war, dass ihr beim Selfie die Tränen kamen. Mit zunehmender Popularität nimmt auch der Starkult bei den Frauen zu, doch im Vergleich zu den Männerteams, wo Stars in einem abgeschirmten und künstlichen Fussballkosmos leben, hat der Sport der Frauen Nähe zu den Fans bewahrt.
Zinsberger fällt ein Junge ein, der bei jedem Heimspiel hinter ihrem Tor steht und immer eine Kleinigkeit dabeihat. Als sie die Geburt ihres Sohns öffentlich machte, schrieb er ihr einen Brief und schenkte ihr noch zwei Bodys mit Aufschrift. „Da wird einem klar, was für eine wichtige Vorbildfunktion und welche Verantwortung man hat“, sagt Zinsberger. Denn noch wichtiger als der Erfolg auf dem Platz sei ihr, „Menschen zu inspirieren“. Genau das zeichnet eine Leaderin aus. Und die werden überall dringend gebraucht – nicht nur zwischen den Pfosten im Emirates Stadium.
Manuela Zinsberger, geboren 1995, ist eine österreichische Fussballtorhüterin und spielt seit 2019 beim Arsenal Women FC in der FA Women’s Super League. Sie ist zudem eine feste Grösse in der österreichischen Nationalmannschaft, mit der sie über 100 Länderspiele absolviert hat.
Fotos: Rama Knight