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Wie unternehmerisch ist Europa? Und was kann Europa von Unternehmern lernen? Das waren nur zwei der Fragen, die wir unter dem Überthema „Zukunft Europas“ mit EY, der IV-Wien und der LGT Bank diskutierten.
Mitten im Herzen Europas liegend war Liechtenstein ein hervorragender Namensgeber für den Ort, an dem eine Diskussion zur Zukunft des Kontinents stattfinden sollte. Denn im Stadtpalais Liechtenstein in Wien trafen sich an diesem Freitagmorgen vier Personen, die allesamt zahlreiche Ideen haben, wie Europa sein unternehmerisches Feuer stärker zum Brennen bringen kann.
Allesamt fördern sie im Rahmen des „EY Entrepreneur Of The Year“ Unternehmertum, allesamt sehen sie sich als Europäer. Doch wie Europa und die Europäische Union in Zukunft agieren müssen, um wirtschaftlich erfolgreich zu sein, darüber hatten sie unterschiedliche Vorstellungen. Und obwohl die moderierte Diskussion auf Unternehmertum und Wirtschaft fokussiert war, lässt sich das Politische bei solchen Gesprächen über Europa selten ignorieren.
Und so debattierte Erich Lehner (EL; EY-Partner und Program Partner für den EOY) mit Johannes Höhrhan (JH; Geschäftsführer der Industriellenvereinigung Wien) sowie den Gastgebern, den Co-CEOs der LGT Bank Österreich, Dietmar Baumgartner (DB) und Meinhard Platzer (MP) über verkaufsfreudige Amerikaner, hungrige Europäer und vorbildliche Schweizer.
Was bedeutet Europa für Sie?
EL: Europa ist viel mehr als nur ein wirtschaftliches Gefüge, es ist eine Idee. Dabei muss das Gemeinsame, etwa die gemeinsame Kultur, im Vordergrund stehen. Wenn man diesen Gedanken aber nicht strategisch von der Spitze weg plant und lebt, gerät Europa in Schieflage. Ich denke, dass die Politik stärker gefordert ist, die Idee Europas in den Vordergrund zu stellen.
JH: Für unsere Organisation ist Europa extrem wichtig. Die Industriellenvereinigung, vor allem die Junge Industrie, war die erste offizielle Organisation in Österreich, die seinerzeit den EU-Beitritt forderte. In mir reift aber zunehmend die Überzeugung, dass das Konstrukt unvollkommen ist. Wir hatten in den letzten Jahrzehnten vor allem eine wirtschaftliche Integration. Dabei fehlt aber eine Stärkung der Bürgerrechte. Die Idee, die Bürger stärker mit ins Boot zu holen, erscheint mir jedoch sehr sinnvoll. Als kleines Land wie Österreich haben wir international jedenfalls nur gemeinsam eine Chance.
DB: Ich habe fast zehn Jahre in Australien gelebt. Der Blick aus der Ferne nach Europa lässt die Heterogenität verschwimmen. Für mich war Europa daher immer vor allem eine Kulturgemeinschaft. Europa wirkt aus der Distanz eigentlich sehr homogen mit seiner gemeinsamen Kultur.
MP: Wenn wir von Europa sprechen, sollten wir definieren, wovon wir sprechen, von der EU oder Europa als Region. Die Region umfasst den geografischen Teil, inklusive Russland. Wir haben Europa noch erlebt, wo wir eine starke Trennung durch Grenzen hatten. Die EU wird vorrangig als wirtschaftliche Union wahrgenommen. Wir haben viele Kulturen, diese Diversität, ist am Ende eine grosse Stärke. Ich fühle mich jedenfalls zuerst als Europäer.
Was kann Europa denn von Unternehmern lernen?
JH: Sehr viel. Fokussieren, entscheiden und dann umsetzen – das ist etwas, das Unternehmer unbedingt beherrschen müssen, und das fehlt mir manchmal auf der politischen Ebene. Was auch fehlt, ist ein Plan, in welche Richtung es gehen soll. Ich kennen keinen politisch-strategischen Plan, wie sich die EU weiterentwickeln soll.
EL: Unternehmer haben im besten Sinn einen grenzenlosen Horizont und machen nicht vor geografischen oder politischen Grenzen halt.
DB: Vielleicht geht es aber eher darum, was Europa von erfolgreichen, grossen Unternehmen lernen kann. Denn kleine Unternehmen haben ganz andere Möglichkeiten, agil zu sein. Wenn die Grösse dazukommt, ist es auch für Unternehmen schwer – aber es gibt einige, die es trotzdem schaffen. Dort sieht man, dass sie eine gemeinsame Vision und Strategie haben, im Rahmen derer einzelne Länder und Units mitziehen – und sie haben Spielregeln, an die sich alle halten. Und: Am Ende des Tages muss einer entscheiden.
MP: Der Vergleich hinkt aber. Denn ein Unternehmen ist keine demokratische Institution, die EU schon. Das heisst: Eine Mehrheit gewinnt. Um so erfolgreich zu sein wie grosse Unternehmen, müssten die Rahmenbedingungen entsprechend gesetzt sein.
Zumindest in einem Punkt war sich die Diskussionrunde (v.l.n.r.: Dietmar Baumgartner; LGT, Meinhard Platzer, LGT; Johannes Hörhahn,
IV Wien; Erich Lehner, EY) einig: Europa steht nicht schlecht da – wenn einige Hausaufgaben gemacht werden.
Wäre das „Unternehmen Europa“ denn in seiner heutigen Ausprägung ein erfolgreiches?
MP: Europa steht insgesamt gesehen gar nicht schlecht da. In Sachen Technologieführerschaft, insbesondere im AI und KI-Bereich, liegen wir hinter den USA und China. Hinsichtlich Wettbewerbsfähigkeit insgesamt, rangieren aber sechs der Top-Ten-Länder weltweit aus Europa. In den USA kommt viel Innovationskraft aus dem Militär.
DB: Innovationskraft gibt es durchaus in Europa. Aber im Gegensatz zu den USA sind bei uns die grössten Unternehmen 60 oder 70 Jahre alt, in den USA gab es die Marktführer vor 20 Jahren noch gar nicht. Dafür sind unter anderem ein schwacher Kapitalmarkt und ein anderes Mindset verantwortlich. Die US-Amerikaner verkaufen teilweise auch mittelmässige Ideen einfach deutlich besser als wir.
JH: Die europäischen Industrieunternehmen sind stark hardwaregetrieben. Die Amerikaner vermarkten besser. Rein in der industriellen Substanz betrachtet, ist Europa bei Weitem führend. Auch China ist anders: Der Wille der Chinesen, Erfolg zu haben, ist beachtlich. Aber die Wirtschaft des Landes ist und bleibt ein staatlich gelenktes System.
DB: Es ist auch eine Frage, welche Rolle Unternehmer in Europa spielen. Da gibt es einen grossen Unterschied: In Europa haben Unternehmer nicht die Wertigkeit, sind nicht so respektiert wie in den USA. Wohlstand und Erfolg sind hier etwas, das man besser verstecken sollte.
MP: Der Neid ist ein ewiger Treiber. Mit Neid und Angst kann die Politik gut arbeiten. Das ist kennzeichnend für eine Gesellschaft, die weniger offen ist. Eine offene, liberale Gesellschaft geht mit solchen Dingen wesentlich besser um. Ich glaube aber, das entwickelt sich. Für mich ist Europa eine Erfolgsgeschichte. Die EU ist der grösste Wirtschaftsraum weltweit. Von der ganzen Governance her ist Europa das Vorbild.
JH: Andere Länder wollen auch sehr häufig europäische Produkte – im Design sind wir führend: deutsche Autos, Schweizer Uhren et cetera …
Investitionen österreichischer Unternehmen in Europa (Anzahl der Projekte, Quelle: EY)
Was können Europas Unternehmer denn von den USA lernen?
EL: Das Mindset. In Amerika gilt das Motto „Think Big“. In Europa limitieren wir uns noch zu oft, anstatt wirklich gross und global zu denken. Im Silicon Valley kochen auch alle nur mit Wasser. Aber da können wir uns durchaus etwas abschauen: mit Freude, Inspiration und ein wenig mehr Ehrgeiz an die Sache herangehen. Diese „Soft Facts“ fehlen uns in Europa ein wenig und bremsen Fortschritt.
Oft wird behauptet, Europa falle bei Schlüsseltechnologien hinter die USA und China zurück. Wie sehen Sie das?
JH: In allem, wo etwas „Angreifbares“ entsteht, also Hardware, ist Europa Weltspitze – und in vielen dieser Bereiche sind wir auch in der Digitalisierung führend. Trotzdem gibt es einige Zukunftsthemen im Zusammenhang mit der Digitalisierung wo wir uns noch schwer tun, etwa bei der künstlichen Intelligenz. Da müssen wir nachziehen. Dazu braucht es aber einen Plan.
EL: Der Unterschied ist aber auch: China fängt teilweise bei null an. Ein Beispiel sind die Dieselmotoren: Europa muss sich hier transformieren und umdenken, China hat keinen solchen Klotz am Bein und setzt auf Elektromobilität. Die Frage ist: Wie gehen wir mit anderen disruptiven Entwicklungen um? Da tut sich China leichter.
DB: Sobald es um digitale Geschäftsmodelle geht, sind wir schwach. Wir haben kein Google, kein Snapchat, kein Amazon, auch kein Baidu. Das liegt einerseits an der Bildung: In den USA ist das Erlernen einer Programmiersprache normal. Unser Lehrplan ist aber nicht angepasst an die Bedürfnisse der Zukunft. Zudem schiessen wir mit dem Bedürfnis auf einer 100%igen Privatsphäre auch manchmal übers Ziel hinaus. Wir diskutieren über die negativen Aspekte einer elektronischen Krankenakte, obwohl dadurch die Behandlungseffizienz und auch die Sicherheit für Patienten erhöht wird. Der Fokus auf die negativen Aspekte was die Verwendung von Daten betrifft, sehe ich als potentiellen Hemmschuh der wirtschaftlichen Entwicklung. Google und Amazon wäre in Europa nicht möglich gewesen, wenn so rigide reguliert wird.
MP: Ich bin froh, dass Europa diesen Schritt gemacht hat. Das wird neben dem Thema Nachhaltigkeit ein möglicher Wettbewerbsvorteil. Es ist jedenfalls ein Unterscheidungsmerkmal. In China herrscht der Wilde Westen, da ist es natürlich leichter, Plattformen aufzubauen. Doch in China wird nun auch ein Social Ranking eingeführt. Da tun wir schon gut daran, unsere Datenschutzrichtlinien aufzustellen, auch wenn sie noch nicht perfekt sind.
Als „Wünsche an Europa“ wurden etwa ein klarer Plan für die Zukunft, eine verbesserte Beschluss- und Handlungsfähigkeit und Deregulierung geäussert.
Sind die Europäer denn satt und dadurch weniger ambitioniert?
DB: Es ist eine gewisse Saturiertheit in Europa vorhanden. Wir wollen den eigenen Wohlstand halten, das geschieht auch zu Recht. Wenn es andere Regionen gibt, die hungriger sind, dann wird man hinten nachfahren.
EL: Aber ist das ein erstrebenswerter Zustand? In China gilt „9–12–6“: Von neun Uhr Früh bis Mitternacht sechs Tage die Woche arbeiten. Wir stehen zwar im Wettbewerb, aber das ist nicht erstrebenswert.
In welchem Ausmass denken Sie, dass sich Europas Attraktivität über die kommenden drei Jahre vergrössern wird? 506 Befragte (Quelle: EY)
Braucht es mehr internen Wettbewerb, um Europa „getriebener“ zu machen?
MP: Ein Blick in die Schweiz zeigt, dass es dort keinen ganz unterentwickelten Kanton gibt. Warum? Weil dort ein Wettbewerb zwischen den Kantonen stattfindet, etwa punkto Steuern. Wir dürfen also nicht versuchen, Europa gleichzumachen, sondern müssen Unterschiede zulassen und internen Wettbewerb fördern.
DB: Da können wir von den USA lernen. Die Bundesstaaten haben grosse Autonomie, aber mit einer Führung, die in letzter Konsequenz Entscheidungen trifft.
JH: Meine Meinung ist: Ich sehe nicht weniger Hunger als in anderen Regionen der Welt. Österreichische Unternehmer sind durchaus hungrig.
DB: Es geht um die Mitarbeiter.
MP: Für mich ist das Anreizsystem das Um und Auf. Warum haben wir Mitarbeiterbeteiligungen, die anders besteuert werden als Aktienbeteiligungen?
Wenn Sie einen Wunsch an Europa – oder die Europäer – formulieren könnten: Welcher wäre das?
JH: Europa braucht einen Plan, wie es weitergeht.
DB: Ich schliesse mich an und füge hinzu: Die Beschluss- und die Handlungsfähigkeit müssen erhöht werden indem das Einstimmigkeitsprinzip fällt.
MP: Ich möchte die Vereinigten Staaten von Europa. Wesentliche Themen, die global zu lösen sind – Verteidigungs-, Wettbewerbs-, Steuerpolitik –, müssen in Europa harmonisiert werden. Probleme, die lokal gelöst werden können, sollten auch so behandelt werden. Das Subsidiaritätsprinzip sollte greifen.
EL: Eine ganz deutliche Deregulierung. Regulierung gehört reduziert auf Kernbereiche, damit Bürgern und Unternehmern wieder mehr Freiheit gelassen wird.
Der „EY Entrepreneur Of The Year“ (EOY) wird von der Prüfungs- und Beratungsorganisation EY als grösster Unternehmerpreis der Welt in über 60 Ländern an herausragende Unternehmerpersönlichkeiten vergeben. In Österreich wird der Preis in den Kategorien „Social Entrepreneur“, „Handel & Dienstleistungen“, „Start-ups“ und „Industrie & Hightech“ verliehen. Die Sieger werden bei einer feierlichen Gala am 18. Oktober 2019 in der Wiener Hofburg gekürt. Weitere Informationen finden Sie unter www.eoy.at.