Holodeck VR

Pac-Man reloaded: Wie Virtual Reality Vergnügungsparks revolutioniert.


Auf der Suche nach einem Kurzzeitjob wird Cooper zu einem Videospielhersteller namens „SaitoGemu“ eingeladen. Er willigt ein, Spiele für das Unternehmen zu testen. Kurze Zeit später beginnt für ihn jedoch ein Horrortrip: Er weiss nicht mehr, was real ist und was nicht und endet in einem Geisterhaus, das seine schlimmsten Ängste wahr werden lässt. „Playtest“ heisst die Episode der vielgerühmten Science-Fiction-Serienreihe „Black Mirror“, die sich des Themas Virtual Reality annimmt und exemplarisch aufzeigt, wie die neue VR-Spielebranche noch nie dagewesene Bewusstseinswelten durchdringt. Dabei wirft die Folge auch philosophische Fragen auf: Wie verändern die Erlebnisse in VR-Games unsere Erinnerungen? Stumpfen unsere Sinne weiter ab oder tauchen wir in neue Bewusstseinszustände ein? Und was ist noch echt, in einer Welt, die von VR dominiert wird?

Jeff Burton, ein stattlicher, grauhaariger Mann mit breitem Lächeln und rundem Gesicht, sieht aus, als wäre er der Serie „Black Mirror“ direkt entsprungen. Der US-amerikanische CEO des Münchner Unternehmens HolodeckVR, den wir auf der Techkonferenz Pioneers '18 in Wien treffen, arbeitet mit seinem Team gerade an einer auf VR basierenden „Horrorwelt“, in der Spieler durch ein virtuelles Geisterhaus spazieren und sich gegenseitig als Avatare wahrnehmen. Bis zu 100 Menschen können sich gleichzeitig dieser Gruselerfahrung hingeben, erklärt er. Wenn Burton über die Möglichkeiten von Virtual-Reality-Spielen spricht, verwendet er gerne Superlative. Seit vergangenem Jahr ist er Teil von HolodeckVR. Dabei habe alles mit „HoloPac“ begonnen, einem harmlosen Spiel, ähnlich aufgebaut wie Pac-Man: „Als ich zum ersten Mal als ‚Pac-Man‘ in einem VR-Umfeld durch das Labyrinth laufen, Gold sammeln und mich vor Monstern verstecken konnte, habe ich realisiert, wie viel Potenzial in der Sache steckt. Es war einfach fantastisch“, sagt Burton. Doch HolodeckVR hat längst mehr zu bieten als „nur“ HoloPac.

Denn die Münchner kooperieren mit dem Europa-Park in Rust und seiner Tochterfirma VR Coaster, die von Michael Mack geführt wird. Mack ist Teil der Familiendynastie hinter dem Europa-Park Rust und gilt als strategischer Partner von HolodeckVR. In Rust können Besucher für wenig Geld mithilfe einer VR-Brille virtuelle Achterbahnfahrten machen. Dabei bewegen sie sich keinen Zentimeter, sondern nehmen lediglich auf den für die VR-Installation präparierten Sitzreihen Platz und setzen sich die Brille auf.

HolodeckVR möchte auch mit Einkaufszentren kooperieren, um in leerstehenden Räumen VR-Welten zu installieren. „Einkaufszentren haben wegen dem Boom des Online-Shoppings immer grössere Schwierigkeiten, Kunden anzulocken“, sagt Burton. „Nutzen sie jedoch die Freiflächen und installieren dort unser Produkt, werden die Zentren attraktiver und die Menschen kommen wieder persönlich vorbei.“ Kooperationen mit solchen Shoppingzentren habe HolodeckVR bereits, zum Beispiel in Mexiko, erklärt Burton. Das B2B-Unternehmen möchte aber vor allem auch grosse Kunden in Europa und den USA dazugewinnen. „Natürlich dreht sich für unsere Abnehmer alles um die Frage: „Wie viel Umsatz kann ich pro Minute und pro Quadratmeter durch so eine VR-Attraktion erlösen?“, sagt der Managing Director von HolodeckVR, Jonathan Nowak Delgado. Es müsse sich eben rentieren. Mit Holodeck ist es laut Burton bereits möglich, 100 Personen gleichzeitig durch ein „Theme“ (etwa Pac-Man, Anm.) laufen zu lassen, erklärt Burton – mit steigender Tendenz.

Die Technologie hinter HolodeckVR, die das alles ermöglicht, kommt vom renommierten Forschungsinstitut Fraunhofer IIS (Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen) mit Sitz in Nürnberg. Mehrere Jahre entwickelten die Forscher in knapp einem Dutzend Projekten eine Technologie, für die später das ausgesonderte Unternehmen HolodeckVR gegründet wurde. „Als Forschungs- und Entwicklungsinstitut dürfen wir keine Angebote an Kunden stellen, wie es HolodeckVR heute macht“, sagt René Dünkler, tätig im Technologiemarketing des Bereichs Lokalisierung und Vernetzung bei Fraunhofer IIS. „Wir kommen ursprünglich von der Ortungs- und Lokalisierungstechnologie“, sagt Dünkler. „Zu unseren typischen Anwendungen gehören beispielsweise die Gabelstaplerlokalisierung oder die Navigation von Fahrzeugen im öffentlichen Raum.“

Von der Anwendung im industriellen Umfeld baute das Fraunhofer-IIS-Team seine Forschung aus und fokussierte sich zunehmend auf die Sport- und Spielebranche. Sie entwickelten eine Lokalisierungstechnologie, die es erlaubt, auf mehreren 1.000 Quadratmetern Menschen auf einer Fläche zu tracken. Heute agiert das Team von Fraunhofer IIS als Technologielieferant für HolodeckVR. „Wir entwickeln neue, verbesserte Technologien mit Headtracking, Machine-Learning-Algorithmen oder einer verbesserten Sensorfusion und integrieren diese dann in das Holodeck“, erklärt Dünkler und spricht als Herausforderung auch die Auflösung an, die noch etwas zu wünschen übrig lässt. Derzeit verwendet HolodeckVR die Samsung-Gear-VR-Brille. „Der Vorteil hier ist, dass das Produkt quasi Mainstream ist“, sagt der Fraunhofer-Experte. „Es kommen aber ständig neue Generationen heraus, die wir künftig für uns nutzen wollen.“ Entscheidend sei, dass die eingesetzte Technologie kostengünstig und in der Handhabung praktisch für den Nutzer ist. Fraunhofer-IIS hat für die Weiterentwicklung der VR-Tools sogar ein eigenes Testzentrum in Nürnberg, dessen Ressourcen es auch HolodeckVR zur Verfügung stellt.

Doch HolodeckVR ist bei Weitem nicht das einzige Unternehmen, das sich auf die VR-Spielebranche fokussiert hat. International gibt es beachtliche Marktteilnehmer. So arbeitet das US-amerikanische VR-Unternehmen The Void bereits mit dem Unterhaltungsriesen Disney an neuen, auf Virtual Reality basierenden Konzepten. Nutzer können bei Disneys Unterhaltungsparks bereits durch ein „Star Wars“-Theme namens „Secrets of the Empire“ laufen und so voll ins Abenteuer eintauchen. Dabei werden sie verfolgt, gejagt – wissen nie, was als Nächstes passiert. Im Gegensatz zu den Spielern können sich die grossen Konzerne ihre Zukunft jedoch gut ausmalen – und da wartet vor allem Geld. 2017 belief sich das Marktvolumen der VR-Spiele-Industrie auf etwa 5,8 Milliarden US-$. Laut dem VR-Gaming-Report der Consulting-Firma Grand View Research soll dieses bis 2025 auf satte 45 Milliarden US-$ ansteigen. Und doch spüren noch nicht alle Investoren und Unternehmer diese positiven Zukunftsaussichten.

VR-Brillen, wie sie etwa von der Facebook-Tochter „Oculus Rift“ (Facebook) oder HTC VIVE hergestellt werden, haben die Wohnzimmer US-amerikanischer oder europäischer Bürger noch nicht im grossen Stil erreicht. Auch HolodeckVR kämpft mit der Venture-Capital-Szene. „Viele Investoren haben voreilig vor drei Jahren in VR investiert“, sagt Burton, „damals konnte man von einem grossen Hype sprechen.“ Heute jedoch warten sie noch immer auf ihre Gewinne und seien daher mit neuen Investitionen eher zurückhaltend. VR befinde sich noch in der „Kino-Phase“, sagt Delgado, „bevor alle Haushalte ein TV-Gerät zu Hause stehen hatten, ist jeder ins Kino gegangen, um Filme zu konsumieren“.

Fraunhofer-Experte Dünkler sieht die Entwicklung positiv: „Ich glaube, dass es für Investoren ein wichtiges Zeichen war, dass nun immer mehr grosse Unternehmen auf das Thema VR setzen.“ Künftig möchte HolodeckVR seine Technologie aber auch Partnern abseits von Video­spielen und Unterhaltung anbieten. Mit VR, so glauben die Entwickler, lassen sich in Zukunft etwa Phobien therapeutisch besiegen, Ernstfälle in Krankenhäusern vorab simulieren oder Flugtrainings für Piloten mit geringerem Mittelaufwand durchführen. Es gebe auch Chancen in der Architektur, etwa um Risiken frühzeitig zu erkennen. Fakt ist: Die VR-Spieleindustrie wächst – wenn auch nicht so schnell, wie man es angesichts des Investitionsbooms vor einigen Jahren noch erwarten hätte können. Günstigere und bessere Technologien dürften den Markt zusätzlich aufmischen. Dann wäre es nur noch ein kleiner Schritt bis zur Perfektion. Spieler könnten dann wie Cooper in „Black Mirror“ vergessen, was real ist und was nicht – denn die Spielerevolution hat mit Unternehmen wie HolodeckVR längst begonnen.

Text: Manuela Tomic

Dieser Artikel ist in unserer Juli-Ausgabe 2018 „Wettbewerb“ erschienen.

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