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Die globale Wirtschaft steuert auf ein grosses Problem zu, denn an allen Ecken und Enden fehlen qualifizierte Arbeitskräfte. Das beschäftigt auch den Tech-Riesen Salesforce: Laut Prognosen entstehen bis 2026 in der Schweiz alleine im Salesforce-Ökosystem rund 80.000 Stellen. Um diese Herausforderung zu lösen, braucht es neue Zugänge. „Hire for attitude“, sagt etwa Vanessa Gentile, Marketingchefin von Salesforce Schweiz: Man könne den Menschen so ziemlich alles beibringen, solange sie Werte mitbringen, die zum Unternehmen passen.
Die Zahlen sind atemberaubend: Obwohl mit der Weiterentwicklung von künstlicher Intelligenz (KI) mehr und mehr Jobs automatisiert werden können, steuert die globale Wirtschaft auf einen gewaltigen Mangel an Arbeits- und Fachkräften zu. 85 Mio. Jobs werden der weltweiten Wirtschaft bis 2030 fehlen, so eine Studie des Beratungsunternehmens Korn Ferry. Das bedeutet einen Entgang an möglichen Umsätzen in Höhe von 8,5 Bio. US-$. Das Problem zeigt sich schon heute: Unternehmen suchen händeringend nach dem richtigen Personal.
Das weiss auch Vanessa Gentile. „Wenn wir uns die Wirtschaft in der Schweiz ansehen“, sagt die Marketingchefin von Salesforce Schweiz, „sehen wir, dass wir in zehn Jahren short sind, was Arbeitskräfte angeht. Und was machen wir dann? Seit fünf Jahren ist die Schweizerin beim Tech-Riesen Salesforce tätig, seit März 2022 leitet sie das Marketing für den Schweizer Markt. Dabei ist ihr Fokus, die Marke noch bekannter zu machen und zudem die besten Talente zu überzeugen, sich für das Unternehmen zu entscheiden. Beides wird nötig sein, denn die Wachstumsmöglichkeiten für Salesforce und in der Tech-Branche werden nicht kleiner: Berechnungen von IDC ergeben, dass bis 2026 im Ökosystem rund um Salesforce weltweit 9,3 Mio. Jobs geschaffen werden, davon alleine 80.000 in der Schweiz. Auch Gentile erwähnt, dass die Mitarbeitenden das Herzstück von Salesforce sind: „Ich habe sehr gute Mitarbeitende, und denen vertraue ich. Wir führen nach Zielvereinbarung und nicht nach Arbeitsstunden.“
Die Zusammenarbeit in einem globalen Team habe grosse Vorteile, so Gentile: „Wir sind eines der grössten Unternehmen der Welt und gleichzeitig als Matrix-Organisation organisiert – das heisst, dass ich mir Spezialisten und Experten zu gewissen Themen quasi weltweit aussuchen kann.“
Diese Flexibilität und das internationale Umfeld hilft, die besten Köpfe anzuziehen. Dabei gilt es aber auch, auf eine bunte Mischung zu achten, denn Chancengleichheit spielt eine sehr grosse Rolle bei Salesforce. So ist „Equality“ einer der fünf Werte, die im Unternehmen täglich gelebt werden. Um sich selbst diesbezüglich „accountable“ zu halten, veröffentlicht Salesforce die Fortschritte auf der eigenen Website in Form eines Dashboards. Dort kann man sehen, dass Salesforce nicht nur auf blumige Formulierungen, sondern vor allem auf Daten setzt, um den eigenen Erfolg messbar zu machen. Quasi in Echtzeit lässt sich hier sehen, wie das Unternehmen vorankommt: 36,4 % der Mitarbeitenden weltweit sind Frauen (in den USA liegt der Anteil bei 39,3 %); in den USA gehören 14,5 % der Mitarbeitenden unterrepräsentierten Minderheiten an. Bis 2026 sollen 40 % aller Mitarbeitenden weiblich sein und 50 % in den USA Minderheiten angehören.
Ich vertraue meinen Mitarbeitenden. Wir führen nach Zielvereinbarung und nicht nach Arbeitsstunden.
Vanessa Gentile, Marketingchefin Salesforce Schweiz
„Das ist unser Daily Business“, sagt Gentile auf die Quantifizierung angesprochen, „wir lieben Daten. Sind alle relevanten Daten jederzeit verfügbar und auswertbar, ermöglichen sie qualifizierte, faktenbasierte Entscheidungen.“
Doch auch Gentile will Worten Taten folgen lassen. Um mitzuhelfen, dass die besten Köpfe zu Salesforce kommen, und gleichzeitig auch einen Impact in der Gesellschaft zu haben, startete sie 2021 ein Programm namens „Bring Women Back to Work“. Und nachdem sie bei Salesforce, einem der grössten Technologieunternehmen der Welt, tätig ist, fokussierte sich Gentile auf die eigene Branche: Das zwölfmonatige Programm Bring Women Back to Work, mit dessen Hilfe Frauen, die eine längere Pause gemacht haben und eben nicht aus der Tech-Branche kommen, auf einen Job in dieser vorbereitet werden.
Unter den Teilnehmerinnen finden sich Ärztinnen, Lehrerinnen, Make-up Artists und so weiter. Und Gentile ist gleichermassen begeistert wie entsetzt über die Qualität, die ihre Teilnehmerinnen mitbringen: „68 % der Frauen im Programm haben einen Uniabschluss, 3,6 % einen Doktortitel. Es ist unglaublich, dass uns solche Talente komplett wegfallen. Das darf einfach nicht passieren.“
Im Gespräch wird deutlich, dass Gentile von einem Ansatz überzeugt ist: „Hire for attitude, train for skills.“ Man könne Menschen so ziemlich alles beibringen, sagt sie, solange die Werte, die sie mitbringen, zum Unternehmen passen. Und der Erfolg von Bring Women Back to Work bestätigt sie: 70 % der Teilnehmerinnen finden Jobs im Salesforce-Ökosystem (also bei Salesforce selbst oder bei Partnerunternehmen), davon sind 86 % in Teilzeit, da dieser Fokus im Programm ausgeprägt ist. Und: Knapp 60 % bekommen eine Salesforce-Zertifizierung. „Das ist Wahnsinn! Diese Frauen kommen ja nicht aus der Tech-Branche. Und trotzdem:
Die schaffen das“, so Gentile.
Das Programm hob ab: Neben der Schweiz ist die Initiative in sechs weiteren Ländern aktiv (Bulgarien, Deutschland, Polen, Rumänien, Tschechien und Ungarn). Nun hat Gentile Blut geleckt: „Ich bin natürlich ganz bold. Es ist grossartig, in wie vielen Ländern wir schon vertreten sind. Aber wenn wir in Indien oder Afrika Fuss fassen, könnten wir dort extrem viel für die Teilnehmerinnen erreichen.“ Bring Women Back to Work, das als NGO organisiert ist, ist zwar Gentiles „Baby“, doch sie betont auch mehrmals, wie essenziell die Unterstützung ihres Arbeitgebers und der Salesforce-Kollegen war und ist, um die Initiative wachsen zu lassen. Partnerunternehmen von Salesforce, darunter Capgemini, Deloitte, Accenture oder die kostenlose Lernplattform Trailhead, sind das Fundament der Idee, ohne das die Umsetzung niemals möglich gewesen wäre. Gentile: „Es arbeiten sehr viele Menschen von Salesforce in diesem Programm, als Mentoren, Coaches etc. Es steckt viel Herzblut drinnen.“ (Mitarbeitende von Salesforce dürfen sieben Tage pro Jahr für Freiwilligenarbeit aufwenden, während der Arbeitszeit.)
Dabei betont Gentile auch, dass sie durch die Arbeit in einem Tech-Konzern auch sieht, was heute schon alles an Tools verfügbar ist. „Wir sind an einem Punkt angekommen, wo wir mithilfe von Technologie ganz viel für Equality machen können.“ Gentile gibt ein Beispiel: Mithilfe von Programmen wie ChatGPT könne man Jobanzeigen prüfen und diese inklusiver gestalten lassen. „Die muss man nicht mal mehr selbst schreiben. Am Ende muss nur noch ein Mensch die Endkontrolle und wenn nötig letzte Anpassungen vornehmen“, sagt die Managerin. Und weiter: „Wir haben die Daten, wir haben die Tools – wir brauchen nur die Menschen, die es umsetzen.“
Dazu müssten aber die Unternehmen mitziehen und umdenken, denn nur mit Offenheit neuen Entwicklungen und Technologien gegenüber könne man die Herausforderungen lösen. Auch beim Hiring müssten Unternehmen neue Wege gehen: „Alle suchen immer nach der 25-jährigen eierlegenden Wollmilchsau“, so die Marketingexpertin, „doch wenn wir diese Person bei uns im Unternehmen haben wollen, müssen wir sie ausbilden. Die Kandidaten bringen sicher etwas mit, aber den Rest müssen wir schon selbst machen.“
Hätte Gentile Bring Women Back to Work nicht gegründet – sie wäre selbst eine passende Kandidatin für das Programm. Sie wuchs als Tochter zweier Migranten im Dorf Frauenfeld in der Ostschweiz auf, im Elternhaus wurde Italienisch und Portugiesisch gesprochen. Sie besuchte die Schule in der Schweiz, bevor sie mit ihrer Familie nach Spanien zog. Gentiles Vater war als Sattler für die Swiss tätig und baute in Valencia die Sattler-Abteilung auf. Die Tochter lernte Spanisch, bevor sie nach zwei Jahren wieder in die Schweiz zurückkehrte. Hier kamen noch Deutsch, Französisch und Englisch hinzu.
„Ich beherrsche sechs Sprachen in Wort und Schrift. Das sprach sich in unserem kleinen Dorf schnell herum“, so Gentile. In den Ferien arbeitete sie neben ihrer Lehre zur Kauffrau als Dolmetscherin für die Kriminalpolizei, und obwohl sie gutes Geld verdiente, waren ihr die behandelten Fälle doch zu hart. Sie wechselte zu Gericht und wollte anschliessend mit Sprachen arbeiten. Ihr wurde empfohlen, eine Ausbildung als Dolmetscherin zu machen. Gentile: „Das war nicht meine Welt. Ich konnte mich da nicht einbringen, das war mir zu trocken.“
Wer Gentile zuhört, merkt schnell, dass bei ihr immer etwas los sein muss. Sie ging also zur Winterthur-Versicherung (heute AXA) und war dort im Callcenter für die Reiseversicherung tätig. Der Job gefiel ihr: „Da konnte ich all meine Sprachen nutzen, ausserdem war das ein 24-Stunden-Job. Da riefen Menschen weltweit an, die in Schwierigkeiten geraten waren, man war in Kontakt mit Botschaftern, mit Ärzten – das war superspannend.“
Nach drei Jahren merkte sie aber, dass die Versicherungsbranche nicht ihre Wunschbranche war. Sie wollte zwar weiterhin ihre Sprachen einsetzen, aber in einem anderen Umfeld. Ihr Nachbar, der damals bei Microsoft tätig war, empfahl ihr, sich auch beim Technologieunternehmen zu bewerben; dort gebe es eine passende Stelle. Gentile tat das – und wurde zu ihrer Überraschung genommen: „Ich wusste, was Office ist, aber das war es auch schon. Da musste ich mich richtig einarbeiten.“
Sie war in verschiedenen Rollen insgesamt fast 13 Jahre tätig – zuletzt als Partner Sales Executive. „Ich war damals gefühlt mein ganzes Leben bei Microsoft.“ 2016 wechselte sie für zwei Jahre zu Oracle, bevor sie 2018 zu Salesforce Schweiz kam. Seit März 2022 leitet sie dort nun das Marketing für den Schweizer Markt – und arbeitet nebenbei weiterhin auch an Bring Women Back to Work.
Gentiles Antrieb ist es, Frauen, die ebenfalls nicht die klassische Corporate-Karriere gemacht haben, zu unterstützen: „Ich bekomme CVs und denke mir: ‚Diese Kandidatin ist besser als ich, die kann mehr als ich. Und die ist trotzdem nicht da, wo ich bin.‘ Also ist es meine Aufgabe, ihnen das zu ermöglichen.“ Neben der internationalen Expansion des Programms hat Gentile auch noch ein paar andere Ideen: „Ich würde gerne ein Buch über meine Erfahrungen schreiben, und gleichzeitig einen Ratgeber, wie Unternehmen in Sachen Equality, Reskilling etc. mehr schaffen können.“
Zudem will sie die Ausbildung zum zertifizierten Coach, die sie gerade absolviert, erfolgreich abschliessen. Und: „Ich kann mir vorstellen, irgendwann auch eine Organisation oder ein Unternehmen zu leiten. Ich habe Erfahrung in Sales, Marketing und Personalführung. Ich traue mir das zu!“
Vanessa Gentile wuchs in Frauenfeld in der Ostschweiz auf. Nach einer Lehre zur Kauffrau und drei Jahren in der Versicherungsbranche wechselte sie zu Microsoft, wo sie fast 13 Jahre tätig war, zuletzt als Partner Sales Executive. Ab 2016 war sie zwei Jahre bei Oracle. 2018 begann sie bei Salesforce Schweiz, seit März 2022 leitet sie dort das Marketing für den Schweizer Markt und arbeitet am Projekt „Bring Women Back to Work“.
Fotos: beigestellt