HERR DER KÄFER

Mit Essento will Mitgründer und CEO Christian Bärtsch Insekten auf den Speiseplan in jedem Haushalt bringen.

Wer an die Schweiz denkt, dem kommt relativ schnell auch das Trio aus Käse, Schokolade und Kräuterbonbons in den Sinn. Doch wenn es nach Gründer Christian Bärtsch geht, sollen bald auch in Paprika ­geröstete Heuschrecken, Proteinriegel mit Grillenmehl und Burger aus Mehlwürmern zu kulinarischen Aushängeschildern des Landes werden. Seit sechs Jahren beschäftigt sich Bärtsch in seinem Unternehmen Essento mit den kleinen Dingen des Lebens.

Für die Insekten-­Kreationen hat Essento bereits den Anuga Top Innovation Award (die Anuga zählt zu den grössten Fachmessen für Nahrungsmittel) gewonnen und ist als „Rising Food Star“ Teil der EIT Food, Europas Initiative für ­Lebensmittelinnovationen. Essentos Pionierarbeit ist dabei aber nicht nur durch seine ungewöhnlichen Produkte begründet: Vor drei Jahren waren nämlich noch keine verarbeiteten Insekten im Schweizer Lebensmittelmarkt zugelassen. Statt aufzugeben, arbeitete Bärtsch mit seinem mittlerweile achtköpfigen Team an der Gesetzesgrundlage, die im Dezember 2016 vom Schweizer Bundesrat verabschiedet wurde. „Die Einführung neuartiger Lebensmittel hat viel mit Sicherheit zu tun. Dafür hat der Schweizer Bundesrat die Unbedenklichkeit der Insektenarten und deren Marktfähigkeit untersucht“, so Bärtsch.

Essento2
Die sogenannte Locusta (Heuschrecke) gibt es bei Essento als Snack.

Gesetzesgrundlage für Insekten als Nahrungsmittel in Deutschland und Österreich noch unklar

Mittlerweile sind ­Essentos Produkte in der Schweiz in über 70 Shops und über 50 Restaurants erhältlich, etwa bei der Supermarktkette Coop. Nun soll Deutschland folgen: Erst Mitte November dieses Jahres lancierte das Unternehmen seine Burger in der Burger­kette „Hans im Glück“, Gespräche mit Grosshändlern wie der Rewe-Gruppe gibt es laut Bärtsch ebenfalls. Anders als in der Schweiz ist die Gesetzesgrundlage in Deutschland, was den Vertrieb der Insekten anbelangt, noch eine Grauzone. Auch in Österreich gibt es dazu noch keine Zulassung. Somit bleibt ­Essento auch hier keine andere Wahl, als an der entsprechenden Gesetzesgrundlage zu arbeiten. „Wir sind derzeit immer wieder in Brüssel. Ich denke, dass die EU-weite Verordnung nächstes Jahr verabschiedet wird“, sagt Bärtsch. Seit dem 1. Januar 2018 gelten Insekten in der EU als „­Novel Food“, Anträge für die Zulassung von Mehlwürmern, Grillen und Heuschrecken liegen der EU-Kommission bereits vor. Bis diese aber vollends bearbeitet sind, gilt eine Übergangsregelung: Produkte, die vor der Novel-Food-Regelung nicht als neuartig angesehen werden, dürfen weiter vertrieben werden, wenn der erforderliche Zulassungsantrag bis Anfang 2019 erfolgte.

Während sich die Europäische Kommission also erst mit der Zulassung beschäftigt, tun Bärtsch und sein Team bereits, als wären Insekten Massennahrung. „Für uns sind Insekten kein Thema von übermorgen, sondern von heute. Wir denken und designen unsere Produkte, als wären sie bereits massentauglich“, sagt Bärtsch. Um dieses Denken den Kunden näherzubringen, konzipierte Bärtsch noch vor der Zulassung der Insekten durch den Schweizer Bundesrat das Insekten-Kochbuch „Grillen, Heuschrecken & Co.“ und veranstaltete diverse Events wie den Insektenapéro im Bundeshaus Bern. Bärtsch muss wissen, wie es funktioniert: Er schrieb bereits zwei wissenschaftliche Papers zum Thema Konsumentenakzeptanz bezüglich neuartiger Produkte. „Im Prinzip ist es nur eine mentale Hürde, die es zu überwinden gilt. Es ist dabei immer wichtig, sich an Bestehendem zu orientieren und keine neue Produktart mit einer neuen Zutat zu kombinieren“, so Bärtsch.

Die Idee, Insekten zu verarbeiten und als alternative Nahrungsmittel zu vertreiben, entstand bei Bärtsch und seinem Mitgründer Matthias Grawehr nach mehreren Reisen nach Asien, Südamerika und Afrika, wo die beiden auf essbare Insekten gestossen sind, und aufgrund der Veröffentlichung des von der FAO (Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO) 2013 gefertigten Berichts zum ökologischen und gesundheitlichen Potenzial von Insekten.

Zu der Zeit hatte Bärtsch bereits erste Erfahrungen mit dem Aufbau von Start-ups gesammelt: Mit dem 2011 als Spin-off der ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften von Roman Gaus gegründeten Start-up Urban Farmers baute er Pflanzen auf Hausdächern in Städten an – mit UF002 De Schilde schuf Urban Farmers 2016 in Den Haag sogar Europas grösste Dachfarm. Doch damit war es für Bärtsch nicht genug: Neben Urban Farmers arbeitete er am Projekt „Behavioural Change“, welches sich mit Verhaltensänderungen im Alltag hin zu mehr Nachhaltigkeit beschäftigte und mittlerweile zum Schweizer Start-up We act wurde.

Christian Bärtsch
... studierte an der Universität St. Gallen Wirtschaft und baute bereits das Start-up Urban Farmers sowie We Act mit auf. 2013 gründete er das Unternehmen Essento, welches diverse Insektenprodukte als Nahrungsmittel vertreibt.

„Mich faszinieren drei Elemente: Essen, Unternehmertum und Nachhaltigkeit – alle drei spielen in meinen Projekten immer eine Rolle“, erklärt Bärtsch. „In Essento steckt mein ganzes Herzblut.“ Den Aspekt der Nachhaltigkeit bedienen Essentos Insekten gleich in mehreren Bereichen: Studien zufolge verursachen Insekten etwa um 100 Kilo weniger CO2 pro essbarem Kilo Protein als Kühe, verbrauchen um ein Vielfaches weniger Wasser und rund zehnmal weniger Futtermittel – wobei 80 % eines Insekts essbar sind, beim Rind beschränkt sich der Anteil auf 40 %.

Insekten aus „Freilandhaltung“ haben ihren Preis

Dass Essento damit die richtige Strategie fährt, scheint ­deutlich: Die Nachfrage nach tierischem Protein wird Schätzungen zufolge bis 2050 deutlich zunehmen, wobei die meisten Studien von einem ­Drittel ausgehen, einige wenige von über 50 %. Derzeit essen zwei ­Milliarden Menschen weltweit regelmässig ­Insekten, und auch in der Schweiz scheinen sich Essentos Produkte grosser Beliebtheit zu erfreuen – Bärtsch zufolge liegt der Umsatz im sechsstelligen Bereich. „Das Bewusstsein zu nachhaltigem, gesundem Essen steigt deutlich. Insekten passen da sehr gut dazu.“

Die Insekten für die ­Produkte werden in Betrieben innerhalb Europas gezüchtet, etwa in der Aar­gauer Bio-Insektenzucht ­Ensectable. Verarbeitet werden sie dann von ­Essento. Bei der Aufzucht legt Essento das Augenmerk vor allem auf eine ethisch korrekte Haltung sowie Nahrung aus sogenannten Seitenströmen, wie Bärtsch sagt: „Die Insekten werden mit dem gefüttert, was wir nicht essen.“ Doch Nachhaltigkeit hat ihren Preis: Essentos Produkte starten bei 7,80 CHF für 20 Gramm Kurkuma-Mehlwürmer. Für Bärtsch ein Vorteil – auch im Hinblick auf etwaige Konkurrenz: „Wir wollen nicht die Preisführerschaft, es geht uns um die beste Qualität.“ Die Strategie scheint aufzugehen. Die „Swiss Made“-Produkte locken sogar Kunden in Asien, wie er sagt. Doch diese scheinen vorerst warten zu müssen – denn nun schwärmen Essentos Insekten erst mal in die EU aus.

Text: Andrea Gläsemann
Fotos: Mara Truog

Der Artikel ist in unserer November-Ausgabe 2019 „Next“ erschienen.

Forbes Editors

Up to Date

Mit dem FORBES-NEWSLETTER bekommen sie regelmässig die spannendsten Artikel sowie Eventankündigungen direkt in Ihr E-mail-Postfach geliefert.