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Umsatz im neunstelligen Bereich und eine Bewertung in Milliardenhöhe: Onlinemodeversand About You ist Hamburgs erstes Einhorn. Für dessen Wachstum setzt Mitgründer und CMO Tarek Müller auf Massnahmen „out of the box“.
Während Fussballfans des Hamburger SV bei Heimspielen künftig auf Lotto King Karls Hymne „Hamburg, meine Perle“ verzichten müssen, büsst die Zeile für den einen oder anderen dennoch nicht an Aktualität ein. Traditionell sind deutsche Start-ups mit einer Bewertung jenseits der Milliarde US-$ – sogenannte Einhörner also – wie N26, HelloFresh oder Flixbus vor allem in Berlin oder München zu Hause. Die Ausnahme bildet der seit 2018 mit einer Milliardenbewertung versehene Onlinemodeversandhandel About You, das einzige Einhorn Hamburgs.
Rasantes Wachstum mit Risiken
Was 2014 von Tarek Müller (Forbes-„Under 30“-Listmaker 2018), Hannes Wiese und Sebastian Betz gegründet wurde und als eine Gesellschaft der Collins GmbH, einem Tochterunternehmen der Otto Group, begonnen hatte, wies im Geschäftsjahr 2018/19 ein Wachstum von 63 % auf und steigerte den Umsatz auf rund 461 Millionen €. Laut Tarek Müller wird About You im aktuellen Geschäftsjahr um rund 60 % wachsen und einen Umsatz von 700 bis 750 Millionen erwirtschaften, nächstes Jahr soll es über eine Milliarde sein. Derzeit sind bei About You über 600 Mitarbeiter beschäftigt, seit Oktober 2019 ist das Unternehmen in zehn europäischen Märkten vertreten, in vier davon als Marktführer.
Doch das rasante Wachstum birgt natürlich auch Gefahren. „Meine Mitgründer und ich hinterfragen uns oft, ob wir zu viel anschieben und ab welchem Punkt wir uns möglicherweise defokussieren – bisher haben wir aber alles vernünftig umgesetzt. Die Geschwindigkeit, in der alles passiert, hat jedoch enorm zugenommen. Ich treffe teilweise Entscheidungen innerhalb einer halben Stunde, die Auswirkungen in Millionenhöhe nach oben oder unten haben können. Früher hatte ich für Entscheidungen derselben Komplexität eine Woche Zeit“, so Müller.
Seinen Lebensabend will er jedoch nicht bei About You verbringen: „Ich glaube, dass ein Zeitpunkt kommt, an dem eine andere Person die Arbeit besser machen kann als ich. Meine Stärke liegt eher im Aufbau eines Unternehmens. Zudem möchte ich nicht immer wirtschaftlich tätig sein und werde auch kein weiteres Unternehmen gründen, sondern in den sozialpolitischen Bereich wechseln.“
Tarek Müller
... war bereits mit 13 Jahren unternehmerisch aktiv und gründete mit 15 Jahren die Netimpact KG, unter deren Dach er mehrere Onlineshops lancierte. Er ist Mitgründer, Gesellschafter und CMO von About You und wurde 2018 auf die „Forbes Under 30“-Liste gewählt.
Bereits mit 13 Jahren unternehmerisch aktiv
Rückblickend sind die fünf Jahre, die Müller bei About You mittlerweile verbracht hat, für den 30-Jährigen eine halbe Ewigkeit. Trotz seines jungen Alters war der Hamburger bereits an 15 Unternehmensgründungen beteiligt. Eine der wohl bekanntesten davon war sein Wasserpfeifen-Versandhandel Shisha Basar, mit dem er Marktführer in Europa war. Mit 17 Jahren hatte er eine Fabrik in Ägypten, die die Pfeifen produzierte, eine weitere Produktionsstätte in China sollte folgen – laut Müller hätten die vermeintlichen Geschäftspartner nach Vertragsschluss jedoch nie eine Fabrik gebaut und seien untergetaucht. So musste er viele seiner Onlineshops verkaufen, um einer Privatinsolvenz zu entgehen. Jetzt, über zehn Jahre später, hat seine Karriere aber wieder voll Fahrt aufgenommen.
Von allgemeinen Unternehmertipps bezüglich Erfolg und Misserfolg hält er jedoch nichts. „Ich habe mir früher viel übers Gründen durchgelesen. Letzten Endes widersprechen sich viele Tipps. Es gibt wohl keinen Königsweg für Unternehmer. Ich habe meinen persönlichen Weg gefunden, und den ziehe ich auch weiter durch.“ Das scheint ganz gut zu funktionieren: So wurde der junge Gründer 2019 im Rahmen des von der Werbeagentur Serviceplan ausgerufenen Innovationstags in München zum „CMO of the Year“ gekürt. Denn bei About You entwickelt Müller stets neue Marketingkonzepte, etwa die About You Awards, die von ProSieben übertragen werden; dabei werden Influencern für ihre Leistungen Awards verliehen. „Wir glauben, dass das Statussymbol für viele junge Menschen Erlebnisse sind. Zusätzlich sehen sie weniger fern – und wenn, dann nur bestimmte Shows. Also haben wir mit den About You Awards ein Off- und Online-Erlebnis wie auch eine Show kreiert.“ Das Ziel: Brand Awareness schaffen, die sich auch im Unternehmensumsatz widerspiegelt.
Zusätzlich setzt About You auf Influencer-Kooperationen und Stars wie Lena Gercke, mit der erst kürzlich unter dem Namen „LeGer“ eine eigene Produktlinie (laut Müller Deutschlands grösste Personal-Fashion-Brand) lanciert wurde. „Als Unternehmen musst du Massnahmen umsetzen, die aussergewöhnlich sind, um im Gedächtnis zu bleiben. Niemand merkt sich gerne stinknormale, kommerzielle Marken. Menschen merken sich lieber Dinge, die Emotionen auslösen, weil sie besonders, berührend oder lustig sind, da sie sich mit ihnen identifizieren können oder sie einen Mehrwert liefern. Das muss eine Marke heute bringen und dabei moderne Kanäle der Kommunikation nutzen. Wer das schafft, wächst schnell. Was wir mit About You in Deutschland innerhalb von fünf Jahren aufgebaut haben, schaffen wir in anderen Ländern heute in einem halben Jahr“, so Müller. Laut dem Datenanbieter Statista gab About You allein 2018 insgesamt 102 Millionen € Werbebudget aus, knapp 36 Millionen € entfielen dabei auf digitale Werbung. Damit steht der Versandhändler in Sachen Werbeausgaben unter den Onlineversandhändlern an fünfter Stelle, noch vor Zalando, wo insgesamt 70 Millionen € in Werbung flossen.
Im Onlinehandel Inspiration kreieren
Aussergewöhnlich sind laut dem Hamburger bei About You aber nicht nur die Marketingkampagnen, sondern das Konzept per se: „Was wir zum Teil mitverändert haben, ist die Art, wie Menschen online einkaufen: 2013 hat man nur dann online eingekauft, wenn man etwas Bestimmtes gebraucht hat. Dann ist man zu Amazon oder Zalando gegangen. Aber Inspiration zu kreieren – was die klassische Aufgabe des Shoppingbummels ist –, haben wir online umgesetzt.“ Müller sieht darin das massgebliche Alleinstellungsmerkmal des eigenen Unternehmens. Amazon und Zalando fallen somit als direkte Konkurrenten weg, auch im britischen Onlineversandhandel Asos sieht er keinen wirklichen Wettbewerber, obwohl dieser laut der Modeplattform Fashionunited im Geschäftsjahr 2017/18 in der Europäischen Union seinen Umsatz um 28 % (währungsbereinigt) steigerte und Gesamterlöse von 2,7 Milliarden € erwirtschaftete.
„Asos ist in Kontinentaleuropa von den Zahlen her gesehen einfach irrelevant. Sie haben hier keinen hohen Umsatz, die Markenbekanntheit hält sich in Grenzen – vor allem im ländlichen Raum und bei Menschen über 30 Jahren“, so Müller. Auch den stationären Handel weist er als etwaigen Konkurrenten zurück. „Was für eine Beratung findet da denn statt? Wir leisten da viel bessere Arbeit.“ In puncto stationärer versus Onlinehandel vertritt Müller generell seinen Standpunkt: „Das Argument, durch Onlinehandel würden Innenstädte aussterben und keine Begegnungen mehr stattfinden, zählt für mich in Bezug auf Modeläden nicht. Wer hat denn in einem Klamottenladen wie Zara jemals eine wertvolle Begegnung? Es sollten besser Cafés, Kindergärten, Seniorenheime, Coworking-Spaces, Universitäten oder Schulen den Platz der Modeketten einnehmen – Dinge, die die Innenstadt wirklich beleben, der gesamten Gemeinde nützen und bei denen die gute öffentliche Anbindung sinnvoll zum Tragen kommt.“ Während stationäre Händler also um die Aufmerksamkeit der „Bummler“ buhlen, setzt About You auf Wachstum über die Stadt- und Landesgrenzen hinweg. 2020 sind weitere Markteintritte in Europa geplant. Wo genau, behält Tarek Müller derzeit aber noch für sich.
Text: Andrea Gläsemann
Fotos: Axel Martens