GRENZENLOSES WACHSTUM

Das Londoner Start-up Transferwise wächst mit seinen günstigen und unkomplizierten Überweisungen ins Ausland rasant und zählt heute mehr als vier Millionen Nutzer. Doch der Markt ist hart umkämpft.

Im Norden von Londons Stadtzentrum, mitten im hippen Künstler­viertel Shoreditch mit seinen schicken Clubs, Designerläden und Bars, erhebt sich ein sieben­stöckiges Gebäude namens „Tea Building“. Von hier aus revolutioniert das Start-up Transferwise den Geldtransfer – weltweit. 2010 von den beiden Esten Taavet Hinrikus und Kristo ­Käärmann gegründet, bietet ­Transferwise seinen Kunden günstige internationale Geldüberweisungen an. Auf über 1.300 Überweisungsrouten (etwa von ­Österreich in die USA und vice versa) verschicken vier Millionen Kunden Geld in 49 Währungen. Der Fokus liegt dabei auf Peer-to-Peer-Überweisungen, also direkten Geldtransfers zwischen Privatpersonen.

Niedrige Gebühren als Pluspunkt

Zum Zeitpunkt der Gründung, 2010, war das Konzept noch ­völlig revolutionär, denn traditionelle Banken und spezialisierte Anbieter verlangten jahrzehntelang hohe, oftmals ­versteckte Gebühren, sobald Kunden grenzüberschreitende Überweisungen ­tätigten. Heute, wo mehr und mehr Finanzdienstleistungen digital ablaufen, wird es auch für Transfer­wise ­enger, denn digitale Banken wie ­Revolut machen dem Fintech den Markt streitig. Also: Wodurch hebt sich ­Transferwise tatsächlich von der Konkurrenz ab?

Laut Taavet Hinrikus sind es vor allem zwei Dinge: weiterhin niedrige Gebühren und eine hohe Effizienz. „Wenn man 1.000 Pfund von London nach Wien schicken will, öffnet man bei ­Transferwise die App, drückt auf ‚Senden‘ – und 15 Sekunden später ist das Geld in Wien“, erklärt Taavet Hinrikus, als wir ihn in der Unternehmens­­zentrale zum Interview treffen.

„Die Banken machen wirklich einen schlechten Job"

Hier ist das Start-up-Flair noch immer spürbar. Da passt es auch, dass Firmenchef Hinrikus ein T-Shirt mit dem Unternehmenslogo trägt. „Wir hoffen, eines Tages Geld in weniger als einer Sekunde versenden zu können“, sagt Hinrikus. „Das ist der Grund, warum Transferwise funktioniert. Es ist einfach zu bedienen, spart Nutzern Geld und funktioniert blitzschnell.“ Vor den bereits erwähnten grossen Banken ­fürchtet sich Hinrikus nicht. „Die Banken machen wirklich einen schlechten Job“, so der ­Transferwise-Mitgründer. Die grosse Vision: die Kosten für das eigene Service so weit wie möglich zu senken. Geld zu überweisen soll, geht es nach Hinrikus, ­künftig so viel kosten wie eine E-Mail zu senden. Aktuell werden auf den Hauptrouten zwischen 0,3 bis 1,5 Prozent des Überweisungsbetrags als ­Gebühr erhoben (abhängig von Währungsroute und Einzahlungsmethode, Anm.). Damit befindet sich das Unternehmen im Vergleich zu traditionellen Banken im untersten Gebührensegment und ist laut eigenen Angaben achtmal günstiger als Banken, die Gebühren von bis zu fünf Prozent berechnen. Das ­günstige Service wird auch durch den offiziellen Devisenkurs ermöglicht, den ­Transferwise verwendet. Banken verwenden hingegen meist eigene Wechselkurse, die für sie profitabler sind. Zudem haben Fintechs wie ­Transferwise geringere Kosten, etwa durch den Wegfall des teuren Filialnetzes von Grossbanken.

Foto: Transferwise-Co-Founder Taavet Hinrikus im Gespräch mit Forbes-Redakteur Niklas Hintermayer

Drei Kostenfaktoren bei Transaktionen

Dennoch wird es kein ­Leichtes sein, Geldüberweisungen ­künftig gänzlich kostenlos anzubieten. Denn Transferwise ist nach wie vor auf die Gebühren ­angewiesen, die sich in drei Kostenfaktoren gliedern: Erstens fallen direkte ­Kosten für die Transaktion an. Hier hat ­Transferwise aber den Vorteil von Skalen­effekten: nämlich dass eine steigende Anzahl von Nutzern die Transaktionskosten senkt (da Fixkosten auf mehrere ­Transaktionen aufgeteilt werden können). ­Hinzu kommen Kosten für das Service und die Verwaltung – und ­drittens werden die Einnahmen aus den ­Gebühren auch verwendet, um reinvestiert zu werden, um das Service zu verbessern.

Partnerschaften mit Banken

Als erste Nichtbank ist Transferwise auch Teil des Faster Payments Scheme Limited (FPSL) und hat Zugang zum SEPA-­Instant-Payments-System. Das sei natürlich auch mit Kosten verbunden. Dennoch habe das Faster Payments Scheme den Vorteil, dass keine Bank zwischengeschaltet ist, wodurch mehr Kostenkontrolle möglich ist. Kooperationen mit Banken gibt es natürlich trotzdem.

So hat beispielsweise die ­mobile Bank N26 das Angebot von Transferwise bereits inte­griert. Auch die zweitgrösste Bank Frankreichs, BPCE, und das britische Banken-­Start-up Monzo zählen zu den Partnern. Und: „Wir sind für Partnerschaften mit ­traditionellen und neuen Banken offen“, sagt Hinrikus. Doch der Markt ist heiss umkämpft. Als einer der grössten Konkurrenten gilt das ebenfalls in London ansässige Start-up Revolut rund um Gründer ­Nikolay Storon­sky. Denn Revolut führte 2018 Überweisungen in 130 Länder ein – und zwar kostenlos.

Rivalität mit Revolut

Darauf angesprochen, sagt Hinrikus: „Bevor wir unsere ­Karte (im Rahmen des „Borderless Account“, Anm.) einführten, sahen wir Revolut in keinster Weise als Konkurrenten. Natürlich können ­einige Nutzer zwischen unserer ­Karte und der von Revolut wählen.“ Und: „Aber im Grossen und Ganzen ­bauen wir zwei verschiedene Dinge auf, um die Probleme der Menschen zu lösen. Wir konzentrieren uns auf den internationalen Geldverkehr, und Revolut baut – so wirkt es auf mich – eine klassische Bank“, so Hinrikus. Ebenso bezweifelt der Mitgründer, dass die Auslandsüberweisungen tatsächlich kostenfrei sind, wie Revolut behauptet. Denn sehe man sich diese genauer an, sei zwar der einzelne Geldtransfer an sich vielleicht kostenfrei. „Aber wenn dafür etwa zehn Pfund im Monat bezahlt werden ­müssen und der Vertrag nicht vor Ablauf ­eines Jahres gekündigt werden kann, kann eine ­Transaktion 100 Pfund kosten. Das ist nicht meine Definition von ,kostenfrei‘“, sagt ­Hinrikus.

Foto: Transferwise-Co-Founder Taavet Hinrikus

Gestartet hat Hinrikus (vormals CEO, heute Chairman) im Jahr 2010 gemeinsam mit seinem Kollegen und heutigen CEO ­Kristo ­Käär­mann. Es sei eine Learning-by-­Doing-Mentalität gewesen, die die beiden an den Tag gelegt ­haben. Nachdem der einfachste Prototyp gebaut und die Investorengelder ­gesichert waren, wurde das Service 2011 gelauncht.

Steigende Umsätze

Neben günstigen, sekundenschnellen Peer-to-Peer-Überweisungen bietet Transferwise auch ein Multiwährungskonto mit Debit­karte (Borderless Account) in fünf verschiedenen Ländern (bzw. den Euro­ländern) an. Vielreisende können so auch in ­diesen Ländern kostenlos Überweisungen aus aller Welt empfangen und Geld beheben. Ausserdem bietet Transferwise Services für Unternehmenskunden an, bei denen man als Serviceschnittstelle für andere Anbieter agiert.

Monatlich werden mit Transferwise mehr als 3,4 Milliarden € transferiert; insgesamt wurden bisher 397 Millionen US-$ an Investorengeldern lukriert. Der Jahresumsatz von Transferwise wuchs im abgelaufenen Geschäftsjahr um 75 Prozent auf 117 Millionen Pfund (132 Millionen €), der Nettogewinn nach Steuern belief sich auf 6,2 Millionen Pfung (8,03 Millionen US-$). Ausserdem hätten sich Kunden durch Überweisungen via ­Transferwise jährlich insgesamt mehr als eine Milliarde € im Vergleich zu ­einer Bank gespart.

Bekannte Investoren

Zu den Investoren zählten ­unter anderem die Mitgründer von PayPal Peter Thiel und Max Levchin sowie der Gründer des Virgin-Imperiums Richard Branson. Doch nicht nur die Unterstützer, auch die Biografien von Hinrikus und Käär­mann können sich sehen lassen: Bis 2008 war Hinrikus Director of Strategy bei Skype und einer der ersten Angestellten beim Kommunikations­riesen. Käärmann arbeitete hingegen beim Beratungshaus Deloitte. Die Idee zu Transferwise drängte sich beiden durch ihre eigenen Alltagserfahrungen auf. Beide wurden in Euro bezahlt, brauchten aber britische Pfund, um ihre Rechnungen in London zu begleichen.

Bei der Gründung konnte jedoch noch keiner ahnen, was politisch auf Grossbritannien zukommen würde. Dennoch machen sich die Transferwise-Gründer ­keine allzu grossen Sorgen. „Der Brexit wird nur geringe Auswirkungen auf ­unser Geschäft haben“, sagt Hinrikus. „Wir sind ein globales Unternehmen, Grossbritannien ist nur ein Markt von vielen.“

Blick in die Zukunft

Ohnehin werden die USA Grossbritannien bald als grössten Markt abgelöst haben, erklärt Hinrikus. In gewisser Hinsicht wird der Brexit aber doch eine Rolle spielen. So eröffnet Transferwise ein neues europäisches Hauptquartierbüro in Brüssel: „Mit der neuen belgischen Lizenz, für die wir uns beworben haben, kompensieren wir den Wegfall der „Passporting-Rechte“ unserer britischen Lizenz, um künftig einen reibungslosen Service für unsere Kunden in Europa zu gewährleisten“, sagt ­Hinrikus.

Und was steht für Transferwise für die kommenden Jahre noch an? „Unser Hauptziel ist es, so schnell wie möglich weiterzuwachsen – und auch unsere Mitarbeiterzahl wird wachsen, sicher um ­einige Hundert“, sagt Hinrikus. Bis dato beschäftigt Transferwise insgesamt 1.400 Mitarbeiter. Die Banken würden nach wie vor an ­vielen Stellen versagen. „Die Frage ist aber, wie schnell wir unser Transaktions­volumen steigern können“, sagt ­Hinrikus, „derzeit sind es drei Milliarden britische Pfund pro Monat. Wie lange dauert es, bis es zehn Milliarden monatlich werden?“ Hinrikus glaubt, dass sie dieses Ziel bis 2020 erreichen könnten. Und: „In diesem Jahr werden wir Western Union in Bezug auf das Transaktionsvolumen übertreffen“, sagt er. An eine ­Pause denkt Hinrikus jedenfalls nicht – und verabschiedet sich im Londoner „Tea Building“ schon zum nächsten Meeting.

Text: Niklas Hintermayer, Manuela Tomic
Fotos: Jason Alden

Dieser Artikel ist in unserer Jänner-Ausgabe 2019 „Growth-Innovation-Forschung“ erschienen.

Niklas Hintermayer,
Redakteur

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