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Giulia Gwinn ist das Gesicht des deutschen Frauenfussballs. Die Forbes-„U30“-Listmakerin inspiriert weltweit Millionen Fans mit ihrer unbeschwerten Art. Nach einem zweiten Kreuzbandriss schuftet die derzeit beim FC Bayern unter Vertrag stehende Gwinn nun umso härter für ihr grosses Ziel: den Weltmeistertitel mit Deutschland.
Ein eisiger Dezembertag im Norden von München. Auf dem Spielfeld des FC Bayern Campus funkelt Frost in der Wintersonne. Giulia Gwinn steht im Mittelkreis der verlassenen Arena und zeigt für den Forbes-Fotografen ihr unbeschwertes Lächeln – das ist ihr Markenzeichen, man kennt es gut von Instagram, wo ihr eine halbe Million Fans folgen. Doch es überrascht, dass die 23-Jährige auch in der ungeschönten analogen Welt in diesen Tagen recht heiter wirkt. Schliesslich muss sie einen Rückschlag verkraften. Wieder einmal.
Ende Oktober riss sich Gwinn das Kreuzband während eines Trainings mit dem Nationalteam – zum zweiten Mal innerhalb von zwei Jahren. Sie steht am Anfang einer langen Reha und wird erst in einigen Monaten wieder für den FC Bayern die rechte Aussenbahn beackern können. An diesem Morgen hat die dribbelstarke Verteidigerin im Kraftraum des Bayern-Nachwuchszentrums trainiert. Schmerzen habe sie keine, sagt sie – doch wann sie ihr Comeback geben kann, weiss niemand.
Gwinn erlebte ein sensationelles Jahr 2022, das durch die Verletzung getrübt wurde. Doch die Profispielerin kann auch das offenbar nicht zurückwerfen: Im Gespräch wirkt sie positiv, nahbar und ausgeglichen. Ist das die Gwinn-Mentalität? Ihr persönliches Sieger-Gen?
Seit der Europameisterschaft im vergangenen Sommer gilt Giulia Gwinn als das Gesicht des aufstrebenden deutschen Frauenfussballs. Die Forbes-„Under 30“- Listmakerin verkörpert den Boom, den die Sportart derzeit erlebt. Zwar verlor das DFB-Team das spektakuläre EM-Finale in Wembley gegen England knapp mit 1:2, doch beim Empfang auf dem Rathausbalkon in Frankfurt bejubelten Tausende die DFB-Frauen und feierten sie als „Europameisterinnen der Herzen“. Das Spiel wurde verloren, doch der Sport hatte gewonnen.
„Es war schon überwältigend, was in diesem Jahr passiert ist“, bilanziert Gwinn. Sie sitzt nun in einer Lounge mit Blick auf das Stadion mit 2.500 Plätzen, wo die FC-Bayern-Frauen ihre Heimspiele austragen. Die EM hatte mehr Zuschauer bei den Spielen und vor den Bildschirmen als jedes andere Turnier der Frauen – dank starker Leistungen und ihrer Reichweite
in den sozialen Netzwerken wurde Gwinn endgültig zum Superstar, zur Werbeikone und zur Mega-Influencerin. Wenn es darum geht, den Hype um ihre Sportart zu bewahren, kommt es nun auch auf sie an.
Die Zahl ihrer Instagram-Follower hat sich seit dem Turnier verdoppelt. Vor allem in Mexiko und den USA, wo Frauenfussball am populärsten ist, gewann sie viele neue Fans dazu. „Meine Social-Media-Kanäle sind regelrecht explodiert“, sagt Gwinn. In ihrer rasanten Karriere spiegelt sich somit auch der Boom des Frauenfussballs, der (wie der Fussball insgesamt) ein globaler Wachstumsmarkt ist, wider.
Laut einer Studie der UEFA wird sich der kommerzielle Wert des Frauenfussballs in den kommenden zehn Jahren versechsfachen – auf rund 700 Mio. US-$. „Ich sehe bei der Begeisterung für den Fussball keine Limits“, sagt Gwinn – „nicht nur kommerziell, auch kulturell. Fussball verbindet alle, jeder kann bei diesem Sport mitmachen und eine Beziehung dazu aufbauen, egal aus welcher Kultur man kommt, egal welche Religion man hat. Das ist ja das Schöne an dem Spiel.“
Der Sport schafft durch seine Dramatik mächtige Erzählungen von Siegen und Niederlagen, von Helden und Antihelden – und damit einen wertvollen Rohstoff für Werbung und Marketing. Durch die gestiegene mediale Aufmerksamkeit für den Fussball der Frauen werden auch immer mehr Spielerinnen in Europa zu Werbeikonen. Gwinn ist bereits eine davon.
„Sie verkörpert vieles, das für junge Fussballer und Fussballerinnen erstrebenswert ist: Ehrgeiz, Authentizität, Bodenständigkeit, Leistung und Teamplay“, sagt Marketingexpertin Yoo-Jin Shin von der Agentur Octagon, die mit globalen Sportstars arbeitet und auch mit dem DFB im Austausch ist. Shin nennt auch die Nationalspielerinnen Alexandra Popp und Almuth Schult „ausgezeichnete Vorbilder und Sprecherinnen des Sports“.
Deutschland und der Frauenfussball – das war lange eine schwierige Beziehung. Das DFB-Team ist nach den USA sportlich am erfolgreichsten, mit zwei Weltmeistertiteln und acht Europameistertiteln; bei der Vermarktung sind Länder wie Frankreich, Spanien und England aber viel weiter. Führend bei der Kommerzialisierung ist die englische Women’s Super League. Allein die Bank Barclays investiert mehr als 35 Mio. €. Demnächst sollen sogar Anteile an der Liga für mehr als 100 Mio. € an externe Investoren verkauft werden, um die Entwicklung weiter zu fördern.
Von vergleichbaren Deals ist man im deutschsprachigen Europa noch weit entfernt; inzwischen arbeitet der Deutsche Fussballbund aber an besseren Strategien. Expertin Shin meint: „Der DFB leistet gute Arbeit, seine Spielerinnen in ein angemessenes Licht zu rücken.“ Der Erfolg auf dem Platz und die kluge Kommunikation machen den Sport auch in Deutschland für Sponsoren und Partner interessant – was wiederum den einzelnen Spielerinnen mehr Aufmerksamkeit bringt. So profitiert am Ende auch der Jugendbereich.
Beim FC Bayern verdient Gwinn geschätzte 150.000 € im Jahr, dazu erwirtschaftet sie einen sechsstelligen Betrag durch Werbedeals. Sie würde nie Unterwäsche oder Süssigkeiten anpreisen, sagt sie. Neulich hat sie auch ein Angebot von einem Baumarkt abgelehnt – dafür sei sie einfach handwerklich zu unbegabt, das wäre laut ihr nicht authentisch gewesen.
„Geld ist natürlich wichtig“, gibt Gwinn zu, aber man sehe ja gerade beim Frauenfussball, dass niemand wegen des Geldes diesen Sport betreibe: Viele Bundesligaspielerinnen müssen mit Nebenjobs ihre Leidenschaft finanzieren. In der Equal-Pay-Debatte um die Gleichbezahlung von Frauen und Männern ist Gwinn auf der Seite des Equal-Play-Lagers; das heisst: Erst sollen Frauen in allen Klubs dieselben professionellen Voraussetzungen wie die Männer haben, mit zunehmendem Erfolg und höherer Aufmerksamkeit für den Sport werde dann die Gehaltskluft zwangsläufig geringer.
Ich sehe bei der Begeisterung für den Fussball keine Limits.
Giulia Gwinn
Gwinn stammt aus dem Bodenseekreis. Ihr Talent war zu gross für ihren Heimatverein TSG Ailingen; bald wechselte sie zum grösseren FV Ravensburg, wo es allerdings kein Mädchenteam gab. Also spielte Gwinn mit den Jungs, was laut ihr „nicht immer ganz einfach“ war: Sie musste dumme Sprüche ertragen und umso härtere Fouls einstecken. „So musste ich lernen, auch mal die Ellenbogen auszufahren“, erzählt sie.
Mit 16 wechselte sie ins Frauenteam des SC Freiburg – und wurde auch dort nicht geschont. In einem Testspiel umdribbelte sie die Frankfurter Weltmeisterin Simone Laudehr. Die rächte sich an dem frechen Teenager umgehend mit einer harten Grätsche.
Gwinn zog schon mit 16 von Zuhause aus und ordnete alles dem Sport unter. Ihr Alltag war ein strenges Regime: 7:45 Uhr Training, dann Duschen, ab in die Schule, Mittagessen, Mittagsschule, noch mal Training, Kochen, Abendessen, Schlafen. In Freiburg lernte sie auch ihren Freund kennen, den Torwart Constantin Frommann.
Gwinn jobbte damals zwei Tage die Woche in der Verwaltung der Freiburger Stadtwerke, für 400 € im Monat. Zur Saison 2019/20 unterschrieb die aufstrebende Spielerin beim FC Bayern einen Profivertrag über drei Jahre. Im selben Jahr wurde sie bei der WM in Frankreich zur besten jungen Spielerin des Turniers gewählt.
„Fleiss und Ehrgeiz haben mich immer ausgezeichnet“, sagt Gwinn. Das gilt auch abseits des Platzes: Schon jetzt bereitet sie sich auf „die zweite Karriere“ vor, wie sie sagt – sie studiert im Fernstudium Sportmanagement, im fünften Semester. Sie will ihren Horizont erweitern und nutzt das Studium auch, um sich nicht ausschliesslich mit Fussball zu beschäftigen.
In München wird sie heute oft auf der Strasse erkannt. Neulich wurde sie am Glühweinstand nach einem Autogramm gefragt, von einem fussballverrückten Mädchen. „Genauso wichtig wie Titel und Erfolge zu erringen ist es, Menschen begeistern und inspirieren zu können“, sagt Gwinn. Für Begeisterung sorgt sie längst – bei der WM im Sommer 2023 in Australien und Neuseeland soll dann noch ein Titel dazukommen. Das ist ihr grosses Ziel nach der Reha.
Gibt es einen Rat, der ihr in ihrer Laufbahn besonders geholfen hat? Gwinn überlegt lange, dann zeigt sie wieder ihr Lächeln, ihr Markenzeichen. Ein Jugendtrainer habe mal zu ihr gesagt: „Egal, was du machst, deine Leichtigkeit musst du dir immer bewahren!“ Bislang ist ihr das ziemlich gut gelungen.
Giulia Ronja Gwinn, 23, geboren in Ailingen am Bodensee, ist eine der bekanntesten deutschen Fussballspielerinnen. Seit 2019 ist sie Profi beim FC Bayern München. Bei der Europameisterschaft 2022 schaffte sie es mit dem DFB-Team bis ins Finale und begeisterte mit starken Leistungen und sympathischen Auftritten Millionen von Fans.
Fotos: Dirk Bruniecki