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Fallen weibliche Führungsqualitäten, die gefragten 21st Century Leadership Skills wie Empathie, die Fähigkeit zu Kollaboration und kooperative Problemlösung, in den nach wie vor hierarchischen Strukturen auf fruchtbaren Boden? Wohl kaum. Die gute Nachricht ist: Daran lässt sich arbeiten – auf individueller und struktureller Ebene. Stephanie Schoss von der Universität St. Gallen sagt, wie.
Der kürzlich veröffentlichte Gender Intelligence Report 2023 zitiert das Gottlieb-Duttweiler-Institut (GDI), dessen Berechnungen zufolge bis ins Jahr 2030 bis zu 400.000 Stellen in der Schweiz nicht besetzt sein könnten – eine reichlich alarmierende Feststellung und ernst zu nehmende Aufforderung an alle, denen an einer nachhaltigen Entwicklung der Schweizer Volkswirtschaft und an der Erhaltung des nationalen Wohlstands gelegen ist.
Unternehmen, so heisst es weiter, müssten also radikal überdenken, wie sie Talente rekrutieren, fördern und binden wollen und darüber hinaus Bedingungen schaffen können, die höchstmögliche Produktivität ermöglichen; dies vor allem mit dem Fokus auf Gleichstellung und insbesondere der Förderung und Ausschöpfung der weiblichen Talente. Ohne dies geht nämlich gar nichts – denn was nützen modernste Technologien und ausgefeilte Managementmethoden, wenn das Mindset noch immer den soziokulturellen Normen der 1950er-Jahre folgt, das – überspitzt gesagt – dem Mann die Ernährerrolle und der mittlerweile erstklassig ausgebildeten Frau die meist schlechter bezahlte Teilzeit- und die unbezahlte Familienarbeit zuschreibt. Ganz klar ist das eine Arbeitsaufteilung, die sich heute selbst ein so reiches Land wie die Schweiz nicht mehr leisten kann.
Die gute Nachricht: Es ist alles da. Denn bekannt ist, dass die Karrieren von Männern und Frauen bis wenige Jahre nach Studium und Berufseintritt in etwa gleich verlaufen – und sich mit der Familienplanung ein erster Karrierebruch bei den Frauen vollzieht, der sich in der Folge nicht selten zu einer Kluft ausweitet. Die Ursachen dafür liegen zumeist in einer Mischung aus fehlender bzw. nicht leistbarer Kinderbetreuung und Teilzeitbeschäftigung.
„Wir haben in der Schweiz einen der grössten Anteile an Teilzeit-Arbeitenden im OECD-Vergleich“, betont Gudrun Sander, Professorin für Diversity Management und Co-Direktorin des Competence Centre for Diversity & Inclusion der HSG (https://ccdi-unisg.ch). Problematisch sei das insofern, als nahezu alle Beförderungen an Vollzeitbeschäftigte gehen – ein zweischneidiges Schwert: Einerseits ist es gut, dass es die Möglichkeit von Teilzeitarbeit gibt, andererseits geht genau dort die Schere auf. Es stellt sich also weniger die Frage, ob Frauen auf den Arbeitsmarkt (zurück-)kommen, sondern wann und wie. Alles, was diesen Prozess beschleunigt und Frauen hilft, in grösseren Pensen zu arbeiten, hilft auch dem Arbeitsmarkt.
Seit 2008 bietet die Universität St. Gallen das Programm „Women Back to Business“ (WBB) an. Bis heute haben es ca. 500 Frauen absolviert, berichtet Judith Mey, Senior Marketing Manager und selbst WBB-Absolventin. Im Schnitt finden 83 % der Absolventinnen wieder gut in den Arbeitsmarkt, so Mey; in ihrem eigenen Jahrgang waren es sogar 90 %. Das 2008 lancierte und seit 2022 ausschliesslich in Englisch angebotene Programm richtet sich an Akademikerinnen und Technikerinnen mit Berufserfahrung. Zahlreiche Teilnehmerinnen kommen aus verschiedenen Ecken der Welt, sind häufig mit Schweizern liiert, waren im diplomatischen Dienst, haben internationale medizinische oder juristische Grundausbildungen, die in der Schweiz nicht anerkannt sind; diese Frauen wollen sich aber in den Schweizer Arbeitsmarkt (re-)integrieren.
Inhaltlich baut das Programm auf drei Säulen auf: erstens dem Auffrischen des akademischen Know-hows im Bereich Management und Führung (intern wird von einem Mini-MBA gesprochen), zweitens auf Skills-Workshops, im Rahmen derer praktische Übungen in z. B. Auftrittskompetenz oder zum Verfassen von CVs absolviert und Bewerbungsverfahren in der Schweiz trainiert werden; drittens Networking-Anlässe bei den unterschiedlichen Partnerfirmen des Programms. „Es gibt keine Garantie, dass sich aus diesen Netzwerktreffen auch konkret etwas ergibt“, so Mey, „aber die Teilnehmerinnen haben dort nicht nur die Möglichkeit, die Unternehmen besser kennenzulernen, sie können auch ihre Elevator Pitches – etwa ‚Was möchte ich in 30 Sekunden über mich sagen?‘ – üben“ und so ihr Selbstbewusstsein stärken.
Bei Beförderungen ist der grösste Feind der Frau oft die Frau.
Stephanie Schoss
Karrierewege werden länger
Denn je mehr sich Menschen gehört fühlen, je besser sie ihre persönlichen und professionellen Kompetenzen weiterentwickeln können, desto eher werden sie sich an gewisse Arbeitsbedingungen oder an einen Arbeitgeber binden – das Interesse sollte beiderseits sein, betont Stephanie Schoss, Direktorin an der Executive School of Management, Technology & Law. „Wir tun immer so, als ob wir zwischen 40 und 45 Jahren einen Karriere-Peak haben müssten. Dabei werden viele bis 70, manche sogar darüber hinaus arbeiten. Unsere Karrierewege werden länger“, so Schoss. Eine in gewissem Masse strukturierte Karriereplanung kann helfen. Schoss hebt das Thema auf eine, wie sie sagt, „philosophische Ebene“: Wenn Unternehmen sagen, sie brauchen 21st Century Leadership Skills wie Empathie, Gemeinschaftsgefühl, die Fähigkeit für Kollaboration – alles Qualitäten, die häufig stärker bei Frauen ausgeprägt sind –, ist es dann das Richtige, Frauen auf die immer noch aktuelle männliche Organisationsstruktur und Linearität von Karrierewegen vorzubereiten? Würde es da nicht auch den Unternehmen helfen, entsprechende Arbeitsumfelder anzubieten, in der diese Qualitäten gedeihen können? Fragen, die die promovierte Betriebswirtin so beantwortet: „In Zukunft brauchen wir mehr Umsetzung der Erkenntnisse des viel zitierten Aristoteles-Projekts von Google, das ein Umfeld der Psychological Safety als zentral zur Stärkung der Gemeinschaft, der Teams, der Organisation und letztlich der Gesellschaft und des Staats postuliert; ein Umfeld, in dem wir die geniale Weiblichkeit auch leben können.“ In sehr linearen, sehr hierarchischen Strukturen sei das schwierig, sagt Schoss.
„Uns allen sind die Gesichter der erfolgreichsten Unternehmer bekannt; Steve Jobs, Larry Ellison, Elon Musk“, so Schoss. „Aber wenige verstehen, dass neben diesen Alphamännern auch eher weibliche Fähigkeiten wie Empathie und Kollaborationsorientierung gebraucht werden, damit man nachhaltig performante Teams bekommt.“ Diese aus ihrer Analyse von über 300 Unternehmerteams gewonnene Erkenntnis sei leider anscheinend vielen Entscheidern noch gar nicht bewusst, so Schoss, die auch Direktorin des Competence Centres for Top Teams am Research Institute for International Management (https://fim.unisg.ch) ist. Die wichtigste Frage ist also: „Wie kriegen wir diesen Bewusstseinswandel hin, den wir so sehr brauchen; dass die besten Teamleistungen entstehen, wenn männliche und weibliche Fähigkeiten synergetisch kombiniert werden?“
Was für Uneingeweihte unerwartet und erschwerend hinzukommt, ist, dass bei Beförderungen „der grösste Feind der Frau die Frau ist“ – eine Haltung der Sabotage gegen das eigene Geschlecht, die sich nur langsam aufweiche. Nicht zuletzt deshalb sei das „Inner Empowerment“ zentral, so Schoss weiter, egal, welche Zäsuren die Arbeitsauszeit bedingt haben.
Schoss, die auch Jetpilotin ist, legt interessante Praxisbeispiele aus dem Cockpit vor. „Im Management spricht man kaum über die Wirkung grosser Lebenskrisen wie einer Scheidung oder der Pflege Angehöriger – in der Aviatik haben wir derlei Situationen viel besser verstanden.“ Wenn man durch eine schwierige Situation im Leben gehe, müsse man sich wie ein Pilot vor dem Arbeitsantritt die Frage nach der eigenen Zurechnungsfähigkeit stellen („Fit to fly?“), erklärt Schoss: „Kann ich schlafen? Kann ich meine Leistung bringen? Jeder und jede, der oder die durch persönliche Krisen gegangen ist, weiss, dass man da unglaublich eingeschränkt ist. Man ist nicht mehr man selbst.“ In diesen Situationen ist es zentral, den Betroffenen durch viel Zutrauen, ein gutes Netzwerk und Skills-Training Kraft zurückzugeben.
Dabei setzt Schoss persönlich stark auf Experience-based Learning. Führen in Extremsituationen – während Wirtschaftsflauten, Pandemien, Kriegen – müsse geübt sein, ist sie überzeugt. Und wieder die Aviatik: „Sie müssen sich vorstellen, dass Sie als Pilot, wenn Sie ins Cockpit steigen, ein KMU führen, dessen Mitarbeitende vielleicht noch nie miteinander gearbeitet haben und dennoch in der Lage sein müssen, einen Triebwerksausfall als Team perfekt zu managen. Hier muss jeder wissen, was er oder sie zu tun hat. Das geht nur mit laufenden Trainings.“
Schule – Arbeit – Rente‘ hat sich überlebt. The concept of retirement has to retire
Stephanie Schoss
Hoch hinaus
Das „Aiming Higher Women’s Leadership Programme“ ist für jene Frauen konzipiert worden, die sich nach oben strecken und in ihrer Karriere weiterkommen möchten. Das Programm wird auch für Assistenzärztinnen angeboten; entsprechend viele Krankenhäuser schicken ihre Kandidatinnen nach St. Gallen. Zukünftig will Schoss das Programm für grosse Firmen anbieten. In Unternehmen der Industrie und Technologie, wo das Denken häufig noch linear geprägt und der Druck, die noch unflexiblen Arbeitsmodelle zu verändern, gross ist, könnte „Aiming Higher“ dazu beitragen, mehr nachhaltigen Erfolg zu erreichen, und zwar durch die wohlüberlegte Kombination von männlichen Stärken und genialer Weiblichkeit. Strukturen zu verändern hilft, Organisationen und letztendlich die Wirtschaft zu verändern, ist Schoss überzeugt. Auf Organisationsebene braucht es diese Kulturveränderung dringend, sagt sie – „da spielt die Zeit uns Frauen in die Hände“.
Ein nächster Karriereschritt könnte der Weg in ein Aufsichtsorgan sein – „Your Path to a Board Seat“ könnte Interessierte dabei unterstützen, zu überlegen, welche Schritte notwendig, welche Kompetenzen erforderlich sind und wie genau die Board-Rolle definiert ist; eine Art „Schnupper-Seminar“, das wiederum zum Programm „St. Gallen Board Certificate“ führen könnte: 17 Tage Ausbildung, die einerseits den intensiven und tiefen Austausch mit Kolleginnen und Kollegen ermöglicht und andererseits ein Netzwerk zu internationalen Board-Members öffnet, die nicht zuletzt als Mentoren und potenzielle Rückendecker fungieren können. Die Verantwortung – besonders in der Schweiz, wo man als Verwaltungsrat persönlich haftbar gemacht werden kann – wiegt schwer. Es gilt also, nicht nur im technologischen Know-how, sondern auch juristisch auf dem letzten Stand zu sein.
„Was aber könnte danach kommen?“, fragen sich viele angesichts eines stetig extensiver werdenden Arbeitslebens. „NEXT“ ist ein Programm, das es in den USA seit Längerem gibt. In Europa ist die Uni St. Gallen die erste Anbieterin, 2024 zieht Oxford nach. Inhaltlich steht das Programm unter dem Motto „Bring more of yourself into your Future“. Die Kernzielgruppe, sagt Schoss, seien „Accomplished Professionals“ 50+, wobei manche Frauen, die das Programm besuchen, auch jünger sind. Schoss: „Das könnte daran liegen, dass sie früher mit Transition konfrontiert sind, etwa durch Familienplanung oder Umzug des Partners.“
Im Programm wird ein ganzheitlicher Ansatz verfolgt, die Teilnehmenden reflektieren ihre vorangegangenen Arbeits- und Lebenswege und überlegen gemeinsam – und mittels Tools wie Prototyping –, was vom Getanen oder Erträumten in die Zukunft mitgenommen werden soll. Dabei reicht das Spektrum vom eigenen Beratungsunternehmen über das Investieren in Start-ups bis zu philanthropischen Aktivitäten. „Denn das Konzept ‚Schule – Arbeit – Rente‘ hat sich letztendlich überlebt“, so Schoss, die mit dem Claim des „NEXT Summits“ nachdoppelt: „The concept of retirement has to retire.“ Recht hat sie!
Stephanie Schoss ist promovierte Betriebswirtin und Direktorin an der HSG Executive School of Management, Technology & Law, verantwortlich für alle Open Programmes, einschliesslich der C-Level- und Board-Programme. Darüber hinaus ist Schoss unter anderem Jetpilotin.
Fotos: Kilian Kessler