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Bernhard Ehrlich zeigt mit „10.000 Chancen“ nicht nur, was in ihm selbst, sondern vor allem, was in der Zivilgesellschaft steckt…

Bernhard Ehrlich zeigt mit „10.000 Chancen“ nicht nur, was in ihm selbst, sondern vor allem, was in der Zivilgesellschaft steckt. Über seine Initiative vermittelt er Jobs an Flüchtlinge mit rechtskräftigem Asylstatus. Jüngstes Beispiel: ein etwas anderer Bewerbungsevent bei Hilton Hotels in Wien.

Nur ein Blick auf die bei­ den Männer – der eine im eleganten dunklen Anzug, der andere läs­sig in Jeans und Hemd – genügt, um zu verstehen: Da hat etwas geklappt. Und zwar richtig gut. Norbert Lessing, Generaldirektor der Hilton Hotels in Österreich, und Bern­hard Ehrlich, Initiator und Vorstand der privaten Initiative „10.000 Chancen“, ist eine Kooperation gelungen, die Nachahmer sucht. 10.000 Chancen unterstützt Geflüchtete mit rechtskräftigem Asylstatus bei einer raschen und unbürokratischen Arbeitsmarktintegration. Einige Grosse haben schon mitgemacht – darunter Lidl oder Spar. Zuletzt ist bei Hilton Austria etwas ge­lungen.

Herr Ehrlich, Sie haben Ihren Geschäftsführerposten bei einem Verlag gekündigt, um die private Initiative 10.000 Chancen ins Leben zu rufen. Wie kam es zu dieser Entscheidung?

Bernhard Ehrlich (BE): Vor rund zwei Jahren wurde die Idee geboren, als so viele Menschen nach Österreich gekommen sind und ich mich gefragt habe, was mit ihnen sein wird, wenn sie bleiben dürfen. Dann nämlich brau­chen sie einen Job. Darüber habe ich mit Freunden, Bekannten und Unternehmern gesprochen und wir sind auf zwei Phänomene gekommen: Auf der einen Seite haben wir eine ansteigende Arbeitslosigkeit und auf der anderen Seite immer mehr Unternehmen, die immer mehr Arbeitsplätze nicht mehr besetzen können. Konkret sind das die Bereiche Hotel und Gastronomie, die Reinigungsbranche und der Handel. Irgendwann dann – so wie man das so tut, wenn man ein Projekt aufsetzt – beginnt man mit dem Regelsystem, dem AMS oder sonstigen Institutio­nen, zu sprechen, um funktionelle Ko­operationen einfädeln zu können. Und man kommt drauf, dass das alles nicht ganz so einfach ist, wie man es sich gewünscht und vorgestellt hat. Ende 2015 war ich an diesem Scheidepunkt, an dem ich entschei­den musste, das Projekt zu verwerfen oder es als eigenständiges Projekt aufzuziehen. Und eigenständig aufsetzen bedeutete, das Projekt als eine Art Derivat zum AMS – also zur regulären Struktur – zu starten.

Andere würden sagen: Sie trauen sich was …!

BE: Das war eine der schwers­ten Entscheidungen für mich überhaupt – weil ich anfangs nicht wusste, wie ich das machen soll. Ich hatte ja auf meiner Seite null Budget und null Struktur. Und auf der anderen Seite stand etwa das AMS mit weit über 6.400 Mitarbeitern und 1,2 Milliarden € Budget. Das sind schon gewal­tige Zahlen. Und trotz alledem war ich einfach von dieser Idee angetan und habe begonnen, mit NGOs zu spre­chen. Dort habe ich auch sofort Gehör und Unterstützung gefunden – auch im Sinne von Personalressourcen. Auch von medialer Seite habe ich bis jetzt grosse Unterstützung erfahren. Und ich habe nach Leuten in der Wirtschaft ge­sucht, die diese Idee unterstützen.
Jetzt schliesst sich der Kreis sehr eng: Norbert Lessing war einer der Ersten, die mir innerhalb kürzester Zeit einen Termin gegeben haben – und spontan dabei waren. Auch andere Hotels haben mich sofort unterstützt, darunter auch das Hotel Stefanie.

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Foto: David Visnjic

BERNHARD EHRLICH: Der Initiator und Vorstand der Initiative 10.000 Chancen absolvierte zunächst eine Ausbildung zum Kaufmann samt begleitender Zusatzausbildungen in Marketing, Sales, Psychologie und Kommunikation. 1988 stieg er bei der USamerikanischen IDG Communications Publishing Group ins Jobleben ein, 1994 wechselte er zum Cash Flow Verlag und gründete 1995 eine eigenständige Medien und Vermarktungsgruppe. Von 2011 bis 2015 war Ehrlich Geschäftsführer im medianet Verlag.

Herr Lessing, was hat Sie da konkret angesprochen, dass alles so schnell ge­gangen ist?

Norbert Lessing (NL): Dazu zwei Dinge vorab: Wir wissen, das Thema Flüchtlinge, das gibt es nicht seit einem oder zwei Jahren, sondern schon länger. Auf diesem Gebiet haben wir uns schon vor rund drei Jahren begonnen zu engagieren. Und seit vielen Jahren schon machen wir, übers Jahr verteilt – ich möchte nicht sagen „klassisch Corporate Social Responsibility“ –, mehrere Veranstaltungen, wo wir unseren Teil zur Gesellschaft beitragen; einen Lauf, an dem letztes Jahr 300 Menschen teilgenommen haben, zum Beispiel. Das Geld, das wir im Zuge dieser Veranstaltungen eingesammelt haben und einsammeln, investieren wir in soziale Projekte.

Was an dieser Geschichte – den 10.000 Chancen – interessant und toll war, ist, dass die Idee klar und nirgendwo eine zweite Agenda versteckt ist. Da gab es eigentlich nur eines, nämlich mitzumachen. Dazu muss man sagen: Diversity ist für uns selbstverständlich. Wir sind hier 34 Nationen, 39 Sprachen, unzählige kul­ turelle Unterschiede, alle Hautfar­ ben … Deswegen ist das Verständnis für das Flüchtlingsthema ein anderes als vielleicht in anderen Branchen. Ich glaube, wir sind da relativ weit, unsere Mitarbeiter sind sehr offen dafür und es ist auch eine Verantwortung, die wir haben und gerne wahrnehmen. Und so kam eines zum anderen.

1000chancen_forbes_iv_bw_hq-8922NORBERT LESSING: Der Generaldirektor der Hilton Hotels in Österreich begann seine Karriere bei Hilton International im Jahr 1981. Für die Luxushotelkette arbeitete er in so vielen unterschiedlichen Funktionen wie Ländern. Bevor er 1997 zum General Manager für das Hilton in Budapest ernannt wurde, war er für drei Neueröffnungen der HotelGruppe verantwortlich. In den Folgejahren war er für die HiltonNiederlassungen in Weimar und Dresden verantwortlich. 2005 zog er mit seiner Familie nach Wien, wo er drei HiltonHotels vorsteht. Norbert Lessing ist neben seiner Tätigkeit bei Hilton Hotels auch im Vorstand von Börseviertel und als Vorstandsvorsitzender der American Chamber of Commerce in Österreich aktiv.

 

Und konkret kam es dann zu einem gemeinsamen Projekt …

NL: Wir haben gemeinsam einen Tag hier im Hilton gestaltet, wo wir 50 Flüchtlinge eingeladen haben, um ihnen zu zeigen, was wir hier so tun, wie ein Arbeitstag als Koch oder Stubenmann aussieht. Wir haben gemeinsam gekocht und die Menschen konnten mit unseren Mitarbeitern, den Abteilungsleitern und auch mit bereits gut integrierten Flüchtlingen über ihre Erfahrungen sprechen. Es ging einfach darum, Informationen aus erster Hand zu bekommen. Und mein aktueller Informationsstand ist: Aus dieser Gruppe von 50 Leuten wurden 19 zu einem zweiten Gespräch eingeladen.

BE: Es war ein wunderschöner Tag. Man hat gesehen, wie die Leute aufgeblüht sind. Es wurde so viel gelacht. Wir haben wochenlang auf diesen Tag hingearbeitet – fünf NGOs waren darin involviert, dass wir nach unseren drei Kriterien diese 50 Menschen identifizieren konnten. Und, dass daraus 19 in die engere Wahl gekommen sind, ist schon eine beachtliche Quote. Wie viele darunter tatsächlich sofort einen Job bekommen können und wie viele in Evidenz gehalten werden, ist noch nicht sicher. Die Vakanz der Jobs kann sich innerhalb von nur zwei Wochen schlagartig ändern. Und dann kann man auf jenes qualifizierte Personal zurückgreifen, das in der engeren Auswahl steht. Das ist, denke ich, auch das Spannende für Personaler, qualitative Leute mit echtem Arbeitswillen zu be­ kommen – auch wenn oft nicht unmittelbar Positionen frei sind.

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Foto: David Visnjic

Wie lief dieses Assessment von Ihrer Seite bei Hilton ab?

NL: Zunächst stand das Kennen­ lernen, das gemeinsame Kochen im Vordergrund. Das, denke ich, war entscheidend. Diese leichte Art und Weise, um von vornherein Barrie­ ren jeglicher Art auszuschliessen. Es ging ja nicht darum, dass einer meiner Hoteldirektoren vorne steht und grosse Reden hält – das war nicht der Punkt. Wir haben kleine Stände gemacht, die man sich an­ schauen konnte, wo alles erklärt wurde und man sich hinsetzen und reden konnte. Die Interviews aber liefen letztlich wie bei allen anderen Bewerbern ab. Da brauchte es keinen Unterschied. Warum auch? Der einzige Unterschied ist, dass dieje­ nigen vielleicht nicht die deutsche Sprache können, aber davon haben wir ja viele, die das erst lernen müs­ sen. Und das nicht nur auf der Ebene des Housekeeping­Bereichs, sondern auch im Verkauf. Deutsch lernen müssen die dann alle einmal. Da geht es in erster Linie um die Einstellung. In spezifischen Bereichen braucht man etwas mehr Wissen, aber prinzipiell kann man alles lernen.

BE: Ich finde, dieses Beispiel zeigt sehr gut, dass wir einen ganz anderen Zugang in ein Unternehmen bringen können – deshalb ist speziell dieses Beispiel mit Hilton so besonders für mich. In einer Regelstruktur haben sie das nicht, dass man die Berufe so hautnah miterleben kann. Das ist eine neue Form – und ich denke auch, das ist ein Grund dafür, dass 19 Kandidaten von 50 für ein zweites Gespräch eingeladen worden sind. Es war viel spielerischer – und es wird schwierig sein, diesen Tag zu kopieren.

Sie sind ja nicht nur Generaldirektor der Hilton­ Gruppe in Österreich, sondern auch Vorstand der American Chamber of Commerce in Österreich. Konnten Sie schon andere Unternehmen der AmCham durch Ihren Vorstoss mit 10.000 Chancen mitreissen?

NL: Ich habe das – ganz bewusst – noch nicht zum Thema gemacht, weil ich noch abwarten wollte, was jetzt passiert. Ich glaube daran, dass man zuerst ganz konkrete Dinge vorweisen muss. Wir hatten eine schöne Veranstaltung und haben gezeigt, dass da was geht. Aber ich möchte zuerst einmal nachvollziehbare, klare, sichtbare Ergebnisse haben. Und was spätere Projekte betrifft, dann würde ich die mit Bernhard Ehrlich gemeinsam machen. Wir haben das gemeinsam angefangen und wir machen das gemeinsam auch weiter.

Wie viele asylberechtigte Neuankömmlinge haben Sie denn in der Zwischen­ zeit schon untergebracht? Ihr Ziel sind ja die 10.000 …

BE: Stimmt. Wir zählen von den 10.000 runter – und stehen bei ungefähr 230 Menschen, die wir erfolgreich in den Arbeitsmarkt vermitteln konnten. Da wir als Organisation keine Umsätze produzieren, kann ich leider keine Kennziffern nennen – weil Social Impact schwer zu messen ist.

Wie interpretieren Sie Social Impact für sich?

BE: Für mich entsteht Social Impact dann, wenn Normen beginnen, sich zu verändern. Von Anfang an war für mich klar, dass ich diese Menschen nicht in Richtung Alimentierung sozialisieren will. Das ist für mich eines der wesentlichen Kriterien. Wenn wir erkennen, dass die Wirtschaft die Leute dringendst braucht, und jeder Mitarbeiter als wertvoll gesehen wird und sich auf der anderen Seite ein Mensch seine Existenzsicherung aufbauen kann, dann entsteht Social Impact. Dazu gehört auch, dass wir dem Staat dabei helfen – Stichwort Mindestsicherung –, aus Empfängern Beitragszahler zu machen.

Nimmt der Staat Ihren Vorstoss zur Kenntnis – schätzt er ihn wert?

BE: Das ist eine sehr spannende Frage. Ich beobachte da mehrere Phänomene: Auf der einen Seite habe ich einen extremen Zustrom von Politikern auf Facebook; noch nie habe ich so viele Anfragen von Politikern bekommen wie in letzter Zeit. Das heisst, der Staat freut sich, dass jemand da ist, der den Job für ihn macht. Auf der anderen Seite sind wir gezwungen, diesen Job pro bono zu machen, brauchen aber gleichzeitig dringend mehr Struktur, weil wir im Moment bei den österreichweiten Anfragen nicht mehr nachkommen und der Staat uns keine Anerkennung, etwa in Form von finanzieller Unterstützung, gibt. Umgelegt auf eine Kennzif­fer liegen wir unter 2,3 Millionen € für die letzten sechs Monate. Das ist jene Summe, die entsteht, wenn man die Leute nicht in den Job bringt. Und je­ der weiss, dass es umso schwieriger ist, wieder einzusteigen, je länger man vom Arbeitsplatz weg ist. Langzeitarbeitslosigkeit ist ein Stigma – und in unse­rem konkreten Fall haben wir noch das Ausländer­ und das Flüchtlingsstigma. Deshalb muss die Gelegenheit, wenn jemand neu ins Land kommt, so schnell wie möglich genutzt werden. Johannes Kopf (AMS, Anm.) hat mit seiner These schon recht, wenn er sagt: Wenn es nicht gelingt, diese Leute, so schnell es geht, unterzubringen, dann wird das in der Folge nicht nur eine Herkulesaufgabe, sondern fast unmöglich. Das sieht man auch international, dass das extrem schwer ist.

Schliesslich muss es ja auch um Perspektiven gehen …

NL: Ja, auch das ist wichtig. Wichtig ist aber in der jetzigen Situation auch, eine Message nach aussen zu senden, zu zeigen, dass es möglich und wichtig ist, sodass sich jeder da draussen aufgefordert fühlt, mitzumachen. Und ich glaube, das ist als Ziel absolut realistisch. Wenn wir die Multiplikatoren in allen möglichen Bereichen erreichen, dann wird es auch helfen. Es geht um das prinzipielle Verständnis in der Ge­sellschaft – nicht nur in Österreich, sondern in Europa und der ganzen Welt. Es ist wichtig, dass man ein Umdenken reinbringt und bewusst macht, dass die Möglichkeit so, wie wir hier leben, nicht gegeben ist, und, dass man auch etwas dafür tun muss. Jeder sagt immer: „Der Staat …!“ Aber der Staat, das sind wir. Und wir haben Verantwortung.

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Foto: David Visnjic

Hat es also etwas mit Ihnen gemacht, ein Teil von 10.000 Chancen zu sein?

NL: Das Thema ist präsent. Auch in meiner Familie. Es hat mich motiviert. Als ich gemerkt habe, dass viele Men­ schen mit dabei sind, die sich für das Thema interessieren und auch etwas dafür tun wollen – auch meine eige­ nen Mitarbeiter –, und das dann auch noch funktioniert und man merkt, man hat etwas beigetragen, dann ist das das Wichtigste. Und das macht einem Freude und den Mitarbeitern auch – dann haben wir alle etwas richtig ge­ macht. Und das ist schön.

Was macht der Job mit Ihnen, Herr Ehrlich? Fühlen Sie sich oft wie auf einer emotionalen Achterbahn?

BE: Emotionale Achterbahn trifft es eigentlich ganz gut – alles andere würde nicht den Tatsachen entsprechen. Früher war mein Beruf – ich war ja viele Jahre im Medienbereich tätig – mit kleinen Ausreissern immer eine Konstante. Das kann ich hier jetzt nicht sagen: Ich erlebe täglich viel Positives, auch oft viel Negatives und teilweise existenziell Gefährdendes. Die Politik – die Wirtschaft ist da schon weiter – hat noch nicht erkannt, welche Chancen es hier gibt und wie gross diese auch sind. Wir reden hier von Chancen, die auch einen Nutzen haben. Das Problem ist nur und ich denke, es wird grösser, dass ich das Ganze grösstenteils alleine geschultert habe. Was mir wichtig ist, ist, dass wir die gelungenen Beispiele vielen Menschen zeigen können und so die Scheu und die Berührungsängste aus der Welt bringen. Selbst in meiner „kleinen“ Community konnte ich in den vergangenen Monaten miterleben und mitverfolgen, wie diese Beispiele die Mindsets verändern.

Dieses Interview ist in unserer Dezember-Ausgabe erschienen.

Heidi Aichinger,
Herausgeberin

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