Geld mit Sünde

Sündhafte Investments, die mit hohen Renditen locken.

Lasterhafte Investments, etwa Alkohol- oder Tabakaktien, boomen besonders in Grossbritannien und in den USA - und das nicht erst seit gestern. Das liegt weniger an der Skrupellosigkeit der Anleger als vielmehr an der hohen Rendite, die solch sündhafte Investments versprechen.
Erstmals wurden sie im 4. Jahrhundert nach Christus formuliert und seitdem von der christlichen Kirche stets angeprangert. Dennoch existieren sie bis heute – und das nicht nur im alltäglichen Leben. Denn auch auf den Kapitalmärkten wird aus ihnen Profit geschlagen: die sieben Todsünden. „Ich habe mir überlegt, was die sieben Todsünden sind – und wie man diese in eine Investmentstrategie umsetzen kann. Jede davon ist in bestimmten Branchen zu finden, also habe ich entsprechende Aktien in einem Fonds als ‚sündhaft‘ deklariert“, sagt Conrad Mattern, Vermögensverwalter und promovierter Volkswirt. Er machte sich auf die Suche nach einem Unternehmen, das seinen Fonds aufsetzen sollte – das war 2009. Das Portfolio war breit gefächert, umfasste 1.300 Titel, darunter laut Mattern typisch „Sündhaftes“. „Wobei diese Frage auch kulturell bedingt ist: Bei den Amerikanern sind eher Alkohol und Tabak ein No-Go, Investitionen in die Rüstungsindustrie aber vollkommen legitim. In Deutschland ist Bier so etwas wie ein Grundnahrungsmittel, aber das Anlegen in der Verteidigungsbranche wiederum nicht gerne gesehen“, so Mattern.

Bei Mattern umfassten die Titel, aus denen die Aktien des Portfolios selektiert worden wären, Tabak- und Alkoholproduzenten sowie McDonalds (Sünde: Masslosigkeit), Unternehmen aus der Rüstungsindustrie (Zorn) oder Luxusaktien wie Cartier (Stolz). In einem Fall gab es sogar ein konkretes Konstrukt mit Namen: den „Prosperia Mephisto 1“, einen geschlossenen Private-Equity-Fonds. Das Anlagekonzept stammte aus Matterns Feder. Der Fonds wurde zwar von einer Würzburger Kommanditgesellschaft (Prosperia Mephisto 1 GmbH & Co. KG) 2010 in einer Produktbroschüre beschrieben. Zur Auflage kam es aber nicht.Auch Matterns eigener Sünden-­Fonds hatte bisher keinen Erfolg: Keine einzige Investmentgesellschaft, mit der Mattern sprach, war bereit, ihn aufzulegen. Zwar zeigten mehrere Interesse, wenn es aber um die Finalisierung ging, sprangen sie jeweils ab. Sie schoben, so Mattern, jeweils Reputationsgründe vor. 2010 gab es etwa bereits einen unterschriebenen Vertrag mit einer Investmentgesellschaft sowie ein paar Millionen Euro als Startkapital. „Wir hatten einen fertigen Vertrag – der wurde gebrochen. Das ist auch nicht ethisch.“ Nicht nur dieser Vorfall machte den ehemaligen Chefvolkswirt der Activest (bis 2006 die Investmentgesellschaft der HypoVereinsbank, dann von Pioneer Investments übernommen, Anm.) stutzig – auch jener, als die Geschäftsleitung einer Gesellschaft ausrichten liess, dass sie den Fonds nicht auflegen wolle, aber um Informationen darüber auf ihren privaten E-Mail-Account bat. „Ich habe nicht damit gerechnet, dass dieser Sünden-Ansatz derart polarisiert.“

Eines zeigt sich recht deutlich: Die Investmenthäuser trauten sich schlicht nicht, in Unternehmen zu investieren, die unmoralische oder fragwürdige Geschäfte machen – zumindest, was Deutschland betrifft, denn Matterns Fonds wäre hier der erste dieser Art gewesen. In den USA und Grossbritannien hingegen läuft das Geschäft mit den sogenannten „sin stocks“ (Sünden-Aktien) als auch ähnlichen Fonds prächtig – besonders bei Tabak- und Alkoholaktien.

Zu diesem Ergebnis kommt auch eine Studie der Credit Suisse aus dem Jahr 2015: Ein eigens entwickelter, auf Tabakaktien basierender Index zeigt dabei die Entwicklung von Tabakaktien in den USA und Grossbritannien seit 1990. Diese lieferten in beiden Märkten eine (deutlich) bessere Performance ab als der breite Aktienmarkt (gerechnet bis 2014). In den USA belief sich die jährliche Rendite der Tabaktitel auf 14,6 Prozent, fünf Prozent mehr als der breite Markt. In Grossbritannien fiel sie mit 14,8 Prozent noch etwas höher aus (Marktrendite: 5,4 Prozentpunkte). Soll heissen: Mit Sünden-Aktien lässt sich gutes Geld verdienen. Es zieht also jenes Argument, mit dem auch Prosperia Mephisto 1 warb: hohe Rendite für Anleger.

„Die traditionellen Sünden-Invest­ments inkludieren Tabak, Alkohol, Glücksspiel, Waffen und Pornografie. Erst kürzlich kamen fossile Brennstoffe hinzu, sowie Unternehmen, die in Tierversuche involviert sind, mit Menschenrechtsverletzungen oder schlechten Arbeitsverhältnissen konfrontiert werden.“ Zu diesem Schluss kommen die Ökonomen Paul Marsh, Elroy Dimson und Mike Staunton von der London Business School. Sie sind auch für die soeben erwähnte Statistik verantwortlich, die sie ebenfalls im „Global Investment Returns Yearbook 2015“ der Credit Suisse veröffentlichten. Darin befassten sie sich mit der Frage, ob sich sündhaftes Investieren auszahlt („Responsible Investing: Does it pay to be bad?“). Die Antwort fällt eindeutig aus: Ja.

Die Ökonomen zogen folgendes Beispiel heran: Sie verglichen die Performance von zwei Anfang der 2000er-Jahre lancierten Fonds. Auf der einen Seite: der erste US-amerikanischen Sündenfonds „Vice Funds“ (mittlerweile: US Barrier Fund); auf der anderen: der Vanguard FTSE Social Index Fund. Letzterer setzt auf soziale, Menschenrechts- und Umweltaspekte. Das Ergebnis: Jährlich brachte der Vice Fund eine Rendite von zehn Prozent, der Vanguard Fund hingegen nur 7,5 Prozent. In Zahlen ausgedrückt: Der Vice Funds schnellte von zehn US-$ bei Auflegung auf 33,7 US-$ Anfang 2015 hinauf; das Vanguard-Produkt von zehn US-$ auf 26,8 US-$.

Der Vice Funds („Lasterfonds“) wurde 2002 von der US-Fondsgesellschaft Mutuals.com aufgelegt und gilt als der bekannteste seiner Art. In den Medien kursiert er seither nicht nur aufgrund seines unkonventionellen Ansatzes, sondern auch wegen des ehemaligen Anlageberaters Dan Ahrens, der ihn von 2002 bis 2006 verwaltete. Sein Credo: „Menschen trinken immer Alkohol, sie rauchen immer, und irgendwo auf der Welt gibt es immer Krieg.“ Insgesamt verwaltet der heute als US Barrier Fund bekannte Fonds 290 Millionen US-$. Zwar Peanuts im Gegensatz zu den 1,5 Milliarden US-$ des Social Index Fund; zu den grössten Positionen des Barrier Fund zählen aber Schwergewichte wie die Tabakkonzerne Philip Morris International oder Altria, Alkoholhersteller wie Heineken und Diageo, Glücksspielanbieter wie Wynn Resorts oder der Rüstungshersteller Lockheed Martin. Und die performen auch als Einzeltitel stark: Der Kurs von Altria, dem Hersteller von unter anderem Marlboro- und Chesterfield-Zigaretten, stieg von 2011 bis 2016 um satte 136 Prozent – der amerikanische Aktienindex S&P 500 erreichte im selben Zeitraum „nur“ ein Plus von 91 Prozent. Jeremy Siegel, Professor für Finanzwesen an der Wharton School, bezeichnete Altria in seinem Buch „Future of Investors“ gar als das „profitabelste Aktieninvestment der US-Geschichte“.

Doch woher stammt der Erfolg solcher Aktien? „Erstens wird es die sogenannten Todsünden immer geben. Und zweitens geht die klassische Kapitalmarkttheorie von der Markteffizienz aus. Das Problem ist jedoch, dass es auch Ineffizienzen gibt. Viele der ‚sündhaften‘ Unternehmen, die derartige Aktien anbieten, werden von Analysten nicht wirklich begutachtet (Neglected-Firm-Effect, Anm.). Es gibt also wenige Informationen zu ihnen – die geringe Nachfrage führt zu einem attraktiveren Bewertungsniveau. Drittens haben diese Unternehmen teilweise einen schlechten Ruf, weshalb sie in Form einer erhöhten Rendite für Attraktivität sorgen müssen“, sagt Fondsmanager Conrad Mattern. Ein weiterer Grund, der oftmals von Investmentexperten genannt wird, ist die Konjunkturunabhängigkeit derartiger Unternehmen – sünd­hafte Unternehmen erfreuen sich also einer stetigen Nachfrage.

 

Mattern bezeichnet sich selbst weder als schlechten Menschen, noch lebe er sündhafter als der Durchschnittsmensch. Er raucht nicht, wie er sagt, verweigerte den Kriegsdienst, ist seit 30 Jahren mit der gleichen Frau verheiratet und verkauft beim Lions Club Weihnachtsbäume. Woher aber kommt dann der Antrieb, einen Sündenfonds in Deutschland aufzubauen? Dies rührt vielmehr von seinem Back­ground als Spezialist für Behavioural Finance (Mix aus Finanzmarkt­theorie und Psychologie, Anm.). Diesen Ansatz verfolgt er auch bei seiner Vermögensberatungsgesellschaft Conquest Investment Advisory. „Das Kernthema ist: Wenn alle in eine Richtung laufen, sind wir beim Herdentrieb. Dann ist es sinnvoll, genau das Gegenteil zu machen. Als wir 2008 die Idee dazu hatten, gab es gerade die Hochphase der ‚Gutmenschen-Fonds‘, die auf Nachhaltigkeit und Ethik setzten.“ Diese Unternehmen seien jedoch nach und nach pleitegegangen, sprich, die Menschen, die darin investiert hatten, hätten Geld verloren – „damit vernichtest du Geld“, so Mattern. Zudem sah sich der Fondsexperte diverse Portfolios genauer an und stiess dabei auf Aktien, die als „sündhaft“ kategorisiert werden könnten. So sei etwa der britische Ölriese BP oftmals in Nachhaltigkeitsfonds enthalten gewesen – dies endete erst, als das Unglück der „Deepwater Horizon“ im Golf von Mexiko geschah (eine Bohrplattform für die Erdölexploration im Golf von Mexiko, die 2010 unterging, was zu einer Umweltkatastrophe führte – BP war damals Leasingnehmer, Anm.). Bei mehreren Ethikfonds sei zudem das italienische Medienunternehmen Mediaset vertreten gewesen – mit Silvio Berlusconi als Gründungsvater. „Das ist einfach lächerlich“, resümiert Mattern. Im Endeffekt zähle am Kapitalmarkt die Rendite, welche mit lasterhaften Investments nun mal besser zu holen sei – mit dieser könne man dann wiederum Geld in Nachhaltigkeitsthemen stecken.

Doch mag das sündhafte Geld­anlegen noch so viel Geld bringen, so ist dennoch ein konträrer Trend erkennbar: Globale Anleger trennen sich von Portfolios, die in der Alkohol- oder Tabakindustrie investiert sind, um vermehrt verantwortungsvoll zu investieren. So teilte etwa der französische Versicherungskonzern Axa 2016 mit, Aktien und Anleihen langfristig aus dem Tabakmarkt abzuziehen. „Die Entscheidung hat einen Preis, aber unsere Überzeugung ist klar“, sagte Axa-Chef Thomas Buberl damals.

Laut den drei Ökonomen der Credit-Suisse-Studie – Marsh, Dimson und Staunton – sei ein solcher „Exit“ die gegenwärtig häufigste Strategie bei der Geldanlage. Er steht im Gegensatz zum Widerspruch („Voice“), welcher wiederum direkten Einfluss oder Interventionen auf die Unternehmensspitze erfordert, um diese dazu zu bewegen, ethischer zu handeln – ein weitaus schwierigerer Prozess. Die drei Ökonomen halten daher grosse Stücke auf die Exit-Strategie – die aber ein konsequentes Vorgehen einer Vielzahl von Investoren erfordert. „Durch den Verkauf bzw. die Vermeidung solcher Aktien drücken verantwortungsbewusste Investoren die Preise. Dadurch erhöhen sich wiederum die Kapitalkosten der Unternehmen. Zukünftige Investitionen in die sündhafte Industrie werden damit weniger attraktiv.“ Der Zirkelschluss für moralische Investoren: Die niedrigen Preise der Sündenaktien treiben wiederum die Rendite nach oben.

Generell gewinnt der ESG-Ansatz (Environmental, Social and Governance Investing, Anm.) aber an Momentum. „Die grossen Index­anbieter (FTSE, MSCI, S&P, Anm.), mehrere Investmenthäuser sowie eine Reihe von unabhängigen Unternehmen bewerten all ihre Titel auf der Grundlage von ESG-Kriterien“, so die Studienautoren. Und wie geht es bei Conrad Mattern weiter? Er steht in Verhandlungen mit einem Londoner Investmenthaus, sein Sündenportfolio doch noch aufzusetzen – und zwar als ETF (passiv verwaltetes Anlageprodukt, Anm.)

Investoren, für die Geld an erster Stelle steht, werden mit Sündenaktien also ihre liebe Freude haben. Alle anderen können nachts gut schlafen – müssen jedoch auf den einen oder anderen Cent verzichten.

Illustration: Valentin Berger

Dieser Artikel ist in unserer Dezember-Ausgabe 2017 „Kapitalismus“ erschienen.

Niklas Hintermayer,
Redakteur

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