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Die KI als Freund, Ratgeber, Kollege, Chef und auch Gegner: Was sagt das Recht? So allgegenwärtig künstliche Intelligenz heute ist, so weitläufig ist auch ihr Einsatz, und dieser wächst von Tag zu Tag – eine Herausforderung auch für Jurist:innen. Wir sprachen darüber mit Günther Leissler und Daniela Birnbauer von Schönherr Rechtsanwälte.
Mit dem Blick auf die KI muss man stetig und auch perspektivisch lernen, sagt Günther Leissler, Datenschutz- und Datenregulierungsexperte sowie Partner bei Schönherr Rechtsanwälte – nicht nur im wirtschaftlichen Kontext, auch im juristischen. Täglich tauchen neue Anwendungsfälle auf, für die es noch zu wenig Rechtspraxis und auch keine Rechtsprechung gebe, sagt er.
Im Moment bietet die KI-Verordnung – eine europäische Verordnung, die im August 2026 Vollanwendung finden wird – rechtliche Orientierung. Das sei aber nur ein kleiner Teil, ergänzt die Rechtsanwältin Daniela Birnbauer; viel häufiger stellen sich Fragen zu Datenschutz, IP-Recht, Arbeitsrecht oder Haftungsfragen, die Anwaltskanzleien ihren Klient:innen transparent und nachvollziehbar erklären müssen. „Hier unterstützen wir auch rund um das Thema Governance und helfen, Policies zu entwerfen“, sagt Birnbauer. Auch Schulungen werden angeboten, um den Mandant:innen potenzielle KI-Einsatzgebiete und rechtliche Rahmenbedingungen näherzubringen.
Die neuen Anwendungsgebiete zeigen jedenfalls, dass KI eine Querschnittsmaterie ist. Von Datenschutz bis Arbeitsrecht – die neue Technologie zieht sich durch alle Rechtsbereiche. Konkret steht das Themenfeld bei Schönherr auf drei Säulen: erstens dem hausinternen KI-Engineering und Legal-Tech-Einsatz, zweitens der Rechtsberatung rund um die KI; die dritte Säule bietet einen holistischen Ansatz, der über das klassische Recht hinausgeht. Hier arbeitet die Kanzlei mit anderen KI-Playern zusammen, etwa einer Wirtschaftspsychologin, einem Trend-Institut sowie Tech-Consulting- Unternehmen.
Besonders Letztere seien wichtig, um als Rechtsexpert:innen frühzeitig in mögliche KI-Implementierungsprozesse miteinbezogen zu werden, sagt Birnbauer. Häufig sei das nämlich nicht der Fall – Unternehmen ziehen Anwalt oder Anwältin oft erst dann zurate, wenn konkrete datenschutzrechtliche oder arbeitsrechtliche Fragen im laufenden Betrieb aufkommen. Oder das andere Extrem: Man wendet sich an Anwält:innen, ohne sich überhaupt noch konkrete Gedanken zu möglichen Anwendungen im eigenen Unternehmen gemacht zu haben.
Auffallend ist, wie unterschiedlich ausgeprägt das Wissen rund
um KI und ihre Anwendungsmöglichkeiten ist. Das Thema ist für alle neu, aber es helfe, so die Expert:innen, sich der Materie spielerisch anzunähern – mit Vorsicht, so Birnbauer im Nachsatz. Denn auch, wenn die KI „nur“ intern getestet wird: Sobald persönliche Daten ins Spiel kommen, sei man schon tief in datenschutz- und arbeitsrechtlichen Belangen drinnen.
Bei Schönherr versucht man vor allem, die Effizienz, die diese Technologie mit sich bringt, im Alltag einzubauen – praktische Erfahrungen, die auch an die Mandant:innen weitergegeben werden können. Es wird laufend darüber diskutiert, welche „Legal Tools“ eingesetzt werden könnten, so die Rechtsexpert:innen. „Seit einem guten Jahr nutzen wir ‚Harvey AI‘, eine Art ChatGPT für Juristen und Juristinnen“, sagt Birnbauer. Die KI wird für Übersetzungen ebenso eingesetzt wie zur Durchsicht Tausender Dokumente. Um sich einen Überblick über einen bestimmten Datenraum zu verschaffen, sei ihr Einsatz zeitsparend und auch weniger fehleranfällig, ergänzt Leissler. Die Anwender:innen in der Kanzlei geben dabei direktes Feedback an die Harvey-Entwickler:innen zurück, um bei der Verbesserung der Technologie zu unterstützen. Damit habe man gute Erfahrungen gemacht.
Die KI selbst lerne dabei sehr schnell, sei aber noch weit davon entfernt, den Jurist:innen Konkurrenz zu machen, so Leissler weiter. „Vergleichbar ist sie mit einem Konzipienten im ersten Jahr mit hoher Auffassungsgabe: schnell im Erlernen neuer Prozesse im Bereich der Administration und überraschend gut bei der Recherche. Darüber hinaus ist die KI ein Sprachgenie, was für eine international tätige Wirtschaftskanzlei wie unsere nicht zu unterschätzen ist. Im Judikaturverständnis hat sie allerdings noch Schwächen; ebenso im Erkennen von Zusammenhängen bei schwierigen Rechtsfragen“, sagt er. Es gebe allerdings Bereiche, etwa die KI-gestützte Due Diligence oder bei einfachen Aufgaben wie der Durchsicht von Mietverträgen, in denen die KI immer häufiger eingesetzt und auch von Mandant:innen nachgefragt werde, ergänzt Birnbauer.
Neben diesen rein technischen Einsätzen zum Management des täglichen Workloads häufen sich naturgemäss die „klassischen Rechtsberatungen“ für Unternehmen, die KI-gestützte Services wie etwa Chatbots anbieten. Aktuell etwa berät Schönherr eine österreichische Bank, die einen Chatbot zur Kundenbetreuung implementieren möchte. Dabei müssen auch entsprechende rechtliche Rahmenbedingungen geklärt werden.
Das ist nur auf den ersten Blick trivial – denn sobald es um Kunden- oder Personaldaten geht, findet die DSGVO vollumfänglich Anwendung, so Rechtsanwältin Birnbauer. Insbesondere gehe es um Fragen zu Datenschutz und Haftung, mit denen viele Unternehmen noch nicht konfrontiert wurden. Die Mandant:innen müssen – „das hat Educating-Charakter“, erklärt Leissler – an die neuen Realitäten beim Einsatz KI-gestützter Anwendungen herangeführt werden. Eine KI in die Welt zu entlassen und sich zurückzulehnen gehe nicht, sagt er: „Bis ich sie abschalte, muss ich mich damit beschäftigen.“ Und auch, wenn der Einsatz von KI im „alten Recht“ nicht vorgesehen war und es noch wenige rechtliche Entscheidungen gibt, sei es nicht so, dass KI die Rechtsgrundsätze auf den Kopf stellen würde. „Es werden sich Rechtsnarrative rund um KI aufbauen und es werden Rechtsgefühl und Erfahrung zählen; es wird auch viel Rechtsfindung passieren“, so Leissler abschliessend. Denn eines ist klar: Die KI ist gekommen, um zu bleiben.
Mehr Informationen zur KI-Verordnung und zu aktuellen Entwicklungen finden Sie unter https://www.schoenherr.eu/capabilities/industries/technology-digitalisation/artificial-intelligence#legal-updates
Foto: Gianmaria Gava