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Wann der nächste Zug kommt, ist in der Schweiz klar – wann Einsatzkräfte eintreffen, leider nicht immer. Georg Hauzenberger will das ändern: Der CEO von sureVIVE baut mit dem IT-Ökosystem «Momentum» an einer unsichtbaren, aber entscheidenden Infrastruktur. First Responder in 22 von 26 Kantonen und diverse Rettungsorganisationen sind bereits angeschlossen – und doch bleibt viel zu tun.
Es ist ein heisser Tag in Zürich, die Sonne brennt über der Allmend. Statt in einem sterilen Konferenzraum sitzen wir im Gras, zwischen Joggern, Hundebesitzern und Familien. «Rettung passiert meist draussen», sagt Georg Hauzenberger, während er für die Kamera posiert – ein Satz, der in seiner Schlichtheit alles über sein Unternehmen erklärt.
Hauzenberger führt als CEO sureVIVE. Das Unternehmen mit Sitz im Tessin entwickelt und betreibt mit dem «Momentum»-Ökosystem eine der wichtigsten Alarmierungssoftwares der Schweiz. Rund 40.000 Einsatzkräfte im ganzen Land nutzen die App, jedes Jahr laufen bis zu 30.000 Einsätze über das System. «Jemand drückt auf einen Knopf, und in Sekunden werden die richtigen Leute alarmiert. Das muss zuverlässig und schnell gehen», so Hauzenberger.
Momentum hat sich in gut einem Jahrzehnt zu einem Quasi-Standard im Bereich der First Responder entwickelt. Doch obwohl alle das gleiche Ziel verfolgen – Leben retten –, ist der Aufbau einer übergreifenden Plattform alles andere als einfach, wie Hauzenberger erzählt: «Wir wollen Grenzen zwischen Rettungsorganisationen einreissen, damit alle dasselbe Lagebild haben – vom Disponenten über den Einsatzleiter bis hin zum First Responder.» Dabei beschreibt er bis zu einem gewissen Grad die Mission von sureVIVE: «‹Die Demokratisierung des Rettungswesens› klingt vielleicht hochgestochen, aber im Kern geht es genau darum.»
Die Anfänge von Momentum reichen bis ins Jahr 2014 zurück. Ursprünglich war die Software nämlich Teil der DOS Group des Unternehmers Stefano Doninelli, der die Gruppe 2001 im Tessin gegründet hatte. Mit einer Verbreitung in 16 Kantonen war bereits gute Aufbauarbeit geleistet worden, als die Schweizerische Rettungsflugwacht Rega 2022 die Anwendung in das hierfür neu gegründete Unternehmen sureVIVE überführte. Mit 3,64 Millionen Gönnern, rund 40 Prozent der Bevölkerung, gilt die Rega längst als Institution. 484 Angestellte, 19.667 Einsätze im Jahr 2024 – sie ist das Rückgrat der Luftrettung im Land.
Hauzenberger war damals bei der Rega als Projektleiter tätig – und kam als sureVIVE-CEO an Bord. Für den studierten Elektrotechniker, der zuvor unter anderem bei der Swisscom tätig war, war der Job ein Augenöffner: «Ich bin Ingenieur, habe mich mit Satelliten, Telekommunikation und Softwarearchitekturen auseinandergesetzt. Aber wenn man das erste Mal mit Rettungskräften arbeitet, merkt man: Hier geht es um weit mehr als nur Technik.» Doch Hauzenberger betont, dass die Mission alleine es nicht war, die ihn die letzten drei Jahre auf Trab gehalten hat: «Oft vermutet man einen gewissen Altruismus. Bei mir ist es, ehrlich gesagt, einfacher: Ich finde es spannend und mache es gern.»

Für Hauzenberger ist die Mission bei sureVIVE eine grosse, lässt sich aber in zwei Punkten schnell zusammenfassen: Erstens müssen die Anwendungen einfach und intuitiv zu bedienen sein. Dabei müssen viele Aspekte berücksichtigt werden. «Ein Beispiel: Einsatzkräfte sind bei der Bedienung der Anwendung oft hohem Stress ausgesetzt – je nachdem können Farbenblindheit und Altersweitsichtigkeit eine Rolle spielen; und dann stehen sie vielleicht im Schnee, mit Handschuhen. All das müssen wir im Kopf haben, wenn wir unsere Software bauen.»
Zweiter Aspekt: Die gesamte User Experience muss an das Level bereits bekannter Transaktionen herankommen. Hauzenberger: «Ich sehe heute genau, wann meine Pizza kommt; ich weiss auf die Minute, wann mein Uber da ist – aber oft ist es immer noch schwierig, herauszufinden, wo sich im Einsatz aktive Kräfte befinden.»
Dabei ist in diesem Bereich jede Sekunde entscheidend. Momentum ist für Notfälle aller Art gebaut, hat aber einen starken Fokus auf plötzlichen Herz-Kreislauf-Stillstand (SCA). Jährlich erleiden einen solchen in der Schweiz rund 8.000 Menschen – und wenn das passiert, muss es schnell gehen: Ohne sofortige Reanimation sinkt die Überlebenschance jede Minute um ca. 10 %. «Das therapiefreie Intervall nach einem Herzstillstand entscheidet über Leben und Tod», sagt Hauzenberger.
Während die meisten First Responder in der Schweiz Momentum verwenden, sind bekannte Rettungsorganisationen auf der Plattform Momentum PRO vertreten, die eine Weiterentwicklung von Momentum ist. Hauzenberger hat bereits eine weitere Zielgruppe im Auge: (Gross-)Unternehmen.
«Einige Unternehmen haben Interesse daran bekundet, ihre Betriebssanitäter oder Einsatzkräfte im Betrieb mit einer Momentum-PRO-Lösung zu alarmieren», sagt Hauzenberger. Für ihn liegt der Charme genau darin, das anhand der Bedürfnisse von Rettungsdiensten gewachsene Momentum PRO in den Sicherheitskonzepten von Industriekonzernen, KMUs oder Veranstaltern einzusetzen. Betriebssanitäter können über die App sogar direkt eine Einsatzmittelanforderung für zum Beispiel eine Ambulanz auslösen, die dann wie gewohnt über die Sanitätsnotrufzentrale disponiert werden kann. Der Firmenretter sieht in Echtzeit im Lagebild, welche Kräfte unterwegs sind. Hauzenberger: «Damit bringen wir professionellen Rettungsdienst und Firmenrettungsdienst in einem System zusammen.»
Der Bereich Unternehmensalarmierung ist für sureVIVE der nächste grosse Wachstumspfad. Während sureVIVE sich nun bei First-Responder-Organisationen auf stetige Optimierungen und Weiterentwicklungen des Bestehenden fokussiert, öffnen sich Unternehmen zunehmend erst für digitale Lösungen, die Sicherheit und Effizienz zugleich versprechen. Lizenzen für Momentum PRO werden direkt an Organisationen vergeben, die sie ihren Mitarbeitenden zur Verfügung stellen. Hauzenberger spricht von einem «neuen Markt», in dem es nicht mehr nur um das Retten von Leben geht, sondern auch um Risikomanagement, betriebliche Verantwortung und die Fähigkeit, im Ernstfall nahtlos mit professionellen Einsatzkräften zu kooperieren.
Fürs Erste wird sich sureVIVE jedenfalls auf die Schweiz fokussieren – denn eine Expansion ins Ausland klingt naheliegend, Hauzenberger sieht das aber differenziert. «Eine Bergrettung in Tirol funktioniert nicht wie eine in der Schweiz», sagt er. Ohne lokale Teams, Sprach- und Domänenkenntnisse sei es kaum möglich, ein System aufzubauen, das den realen Anforderungen gerecht wird. Für Hauzenberger gilt derzeit: lieber tiefe Durchdringung im Heimmarkt.
Obwohl sureVIVE ein For-Profit-Unternehmen ist, steht dies nicht immer im Vordergrund. Hauzenberger betont im Interview, dass man kommerzielle Ziele verfolge, gibt aber zu, dass die Mission ab und zu über dem eigenen Profit steht. «Wir müssen Geld verdienen, klar. Aber ab und an wählen wir bewusst einen anderen Weg, weil wir wissen, dass es dem System der Rettungskette dient», so der sureVIVE-CEO.
Am Ende des Tages geht es für Hauzenberger aber auch darum, die eigene Produktpalette – auch mittels gezielter Partnerschaften mit anderen Softwareherstellern – bestmöglich auszubauen, um wiederum die grösstmögliche Anzahl an Nutzern zu gewinnen. «Je mehr Organisationen auf unserer Plattform sind, desto mehr Mehrwert entsteht. Das ist ein klassischer Netzwerkeffekt», sagt der CEO. Neben Momentum und dem erweiterten Momentum PRO bietet sureVIVE etwa auch Momentum Eye an – die Anwendung liefert Livebilder direkt vom Einsatzort an die Einsatzkräfte, schnell, sicher und ohne zusätzliche App-Installation; und ermöglicht so fundierte Entscheidungen im Ernstfall.
Manchmal genügt ein Knopfdruck, um Leben zu retten.
Georg Hauzenberger
Statt geografischer Expansion steht technische Weiterentwicklung im Zentrum. Zehn Jahre Einsatzhistorie liegen in den Datenbanken – ein kleines Team von Data Scientists arbeitet mit Partnern an Algorithmen, die die Alarmierungen verbessern sollen. Die Idee: präzisere Selektion, weniger Fehlalarme, kürzere therapiefreie Intervalle bei Herzstillständen.
Hauzenbergers Nordstern ist klar: «Ich hätte gern, dass bei jedem Einsatz in der Schweiz, bei dem eine Person in Gefahr ist, ein Produkt aus unserem Ökosystem beteiligt ist» – nicht aus Grössenwahn, sondern weil damit das Ziel des einfachen Datenflusses und der Transparenz über die gesamte Rettungskette möglich wäre. Während jeder weiss, wann die nächste Tram kommt oder das Uber vorfährt, bleibt die Frage, wo sich Einsatzkräfte wann im Einsatz befinden, oft unbeantwortet. Hauzenberger: «Technisch ist das lösbar – und es sollte machbar sein.»
Die Zahlen sprechen für sich: Rund 50 Organisationen haben Lizenzen, 40.000 Endnutzer sind auf der Plattform. Hinter diesen Zahlen steckt ein Netz aus Freiwilligen und Profis, das im Ernstfall den Unterschied ausmacht. Und doch klingt Hauzenberger nicht wie ein Mann, der Quartalszahlen herunterbetet. «Rettung ist immer eine Kombination aus Technik und Menschen, und die Menschen dahinter sind keine anonyme Masse. Sie stecken Herzblut rein – und manchmal riskieren sie dabei selbst viel», sagt der CEO.
Letztlich kann man die Mission von sureVIVE am besten so zusammenfassen, wie es Hauzenberger gegen Ende des Gesprächs tut: «Manchmal genügt ein Knopfdruck, um Leben zu retten. Unsere Aufgabe ist, dass dieser Knopf immer funktioniert.» •