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Es fühlt sich auch jetzt, knapp 18 Monate nach dem ersten durch das Coronavirus bedingten Lockdown, noch völlig surreal an, wie unvorbereitet wir alle von dieser Bedrohung getroffen wurden. Selbst, als die Geschehnisse in China und sogar in Italien uns buchstäblich in den Abendnachrichten vorgespielt wurden, verhielten wir uns wie Zuseher und nicht wie Protagonisten in diesem „Stück“.
Eine Erklärung könnte sein, dass ein Virus wie Corona in seiner Geschwindigkeit und Heftigkeit für uns alle so ungewöhnlich und unwahrscheinlich war, dass wir die Gefahr schlicht unterschätzt haben. Ich denke aber, dass das zu kurz greift. Vielmehr deutet die Handlungsunfähigkeit, die Regierungen, Unternehmen, aber auch die Gesellschaft und ihre Individuen auf eine tiefergehende Ursache hin: Wir haben verlernt hinzusehen, zuzuhören und zu fantasieren.
Seit der Industrialisierung nehmen wir Arbeit und Freizeit als zwei voneinander getrennte, einander vielleicht gar nicht mehr berührende Einheiten unseres Lebens wahr. Für manche ist das durchaus noch zutreffend. Doch für all jene, die Verantwortung tragen, Führungspositionen bekleiden, Organisationen führen, ist das ein gefährlicher Zugang. Denn ob wir wollen oder nicht, alles in unserem Leben ist verbunden, Arbeit und Freizeit wirken aufeinander. Wenn wir glauben, dass ein Kinobesuch oder die Lektüre eines Romans Freizeit sind und mit unserer Arbeit nichts zu tun haben, ist das ein Irrtum.
2011 erschien der Spielfilm „Contagion“, der in erstaunlicher Ähnlichkeit zu den aktuellen Geschehnissen den Ausbruch eines tödlichen Virus beschrieb. Der britische Gesundheitsminister Matt Hancock sagte später, der Film habe die britische Impfstrategie inspiriert. Man kann von der Impfstrategie der Briten nun halten, was man will, aber diese Aussage ist bemerkenswert. Denn Fiktion und Geschichten sollten uns unbedingt als Inspiration dienen. Wer sich mit Filmreihen wie „Alien“ beschäftigt hat, hat heute ein besseres Verständnis für die Chancen und Risiken von künstlicher Intelligenz. Wer einst das Werk „Biedermann und die Brandstifter“ von Max Frisch im Theater besuchte, hat eine erste Idee erhalten, welch katastrophale Auswirkungen Trägheit, Eitelkeit und falsche Höflichkeit im Angesicht von Gefahr haben können. Die Europäische Union ist nur ein Beispiel dafür – nicht in allen, aber doch in einigen Aspekten.
Genau diese Strategie haben wir in diesem Magazin verfolgt. Wir haben uns ehemalige Utopien, sei es „Blade Runner“ oder „1984“, angesehen und sie auf ihre Realitätsnähe in der Wirtschaft überprüft. Diese Übung ist kein Selbstzweck. Wenn wir unsere Demokratien, unsere Gesundheitssysteme und unsere Wirtschaft nicht mehr verteidigen (können), gefährden wir unseren Wohlstand. All das soll kein Plädoyer sein, über Filme und Romane zu versuchen, die Zukunft zu entschlüsseln. Das ist nicht möglich. Doch Szenarien zu denken, Muster zu erkennen und einen breiteren Horizont zu bekommen – das geht. Und ist aus meiner Sicht für all jene, die Verantwortung tragen, keine Kür, sondern die Pflicht. Denn um in Zukunft besser reagieren zu können, müssen wir mit offenen, neugierigen und interessierten Augen durch die Welt gehen, statt uns nur auf die Zahlen in Excel-Sheets zu verlassen.
Text: Klaus Fiala
Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 6–21 zum Thema „NEXT“.