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Blaubeeren aus Chile oder Grünkohl aus China findet man auf dem Onlinemarktplatz Farmy nicht. Das Schweizer Start-up kauft seine Produkte lokal – ein Erfolgskonzept, das aufgeht: Das junge Unternehmen ist während der Pandemie um 170 % gewachsen und holt zu den grössten Supermärkten der Schweiz auf
Es hat fünf Grad, Dutzende in warme Mäntel gehüllte Arbeiter flitzen durch das Lager. Hunderte von braunen Papiersäcken sind aufgereiht und warten darauf, für die nachmittägliche Auslieferungsrunde auf die Lastwägen verladen zu werden. Sie sind bis zum Rand gefüllt mit Selleriestangen, Eiern, Karotten und Lauch; frische Petersilie hängt aus den Tüten.
Es ist ein typischer Tag im Farmy-Hauptquartier und -Vertriebszentrum, das versteckt im Zürcher Stadtteil Altstetten liegt. An diesem Tag ist es selbst für uns schwierig, die beiden Gründer Tobias Schubert und Roman Hartmann für einen ruhigen Moment zu erwischen, denn der 2014 gegründete Onlinesupermarkt wächst rasant. Mittlerweile ist er hinter den grossen Supermarktkonzernen Migros und Coop der drittgrösste Player auf dem Schweizer Online-Lebensmittelmarkt. Das Alleinstellungsmerkmal von Farmy: Das Unternehmen bezieht die meisten Produkte von lokalen Produzenten und Bauern aus der Schweiz.
Anstatt sich auf Massenverteiler zu verlassen, gehen alle Produkte am selben Tag in den Lagern von Farmy in Zürich und Lausanne ein und aus. „Das heisst, dass die Produkte ultrafrisch und keine Händler zwischengeschaltet sind. Das bedeutet bessere Margen für beide Seiten“, sagt Mitgründer Tobias Schubert – „und genau das unterscheidet uns von einem typischen Lebensmittelhändler.“
Oberflächlich betrachtet ist es ein einfaches Angebot, in der Praxis sieht es jedoch anders aus. „Im Durchschnitt haben wir 25 bis 30 Artikel in einer Bestellung und 70 % davon sind verderbliche und natürlich angebaute Artikel“, sagt Schubert. „Statistisch gesehen ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Produkt fehlt oder nicht die gewünschte Qualität hat, extrem hoch. Lebensmittel sind wahrscheinlich das komplexeste Geschäft im E-Commerce, wenn es darum geht, perfekte Abläufe zu erreichen.“
Vor der Gründung von Farmy lebten beide Founder in Moskau, wo sie einander kennenlernten und gemeinsam beim deutschen E-Commerce-Riesen Otto Group arbeiteten. Dort war Roman Hartmann mit dem Aufbau eines neuen Onlineshopping-Klubs für den lokalen Markt betraut worden (der Klub erreichte 1,7 Millionen Mitglieder); in der Zwischenzeit arbeitete Schubert in der Geschäftsentwicklung für die Otto Group und Rocket Internet in Russland, bevor er schliesslich als COO für den russischen und ukrainischen Markt des Discount-Marktplatzes Groupon tätig wurde. Der Höhepunkt ihrer E-Commerce-Erfahrung erwies sich als fruchtbare Grundlage für ihr erstes gemeinsames Unternehmen: Farmy.
„Wir verglichen Metropolregionen in Europa anhand verschiedener KPIs (Key Performance Indicators, Anm.). Einer davon war die Bereitschaft, Geld für Lebensmittel auszugeben, sowie das verfügbare Nettoeinkommen“, erklärt Hartmann. „Ein weiterer wichtiger Punkt war die durchschnittliche Ausgabenhöhe für Bioprodukte – und dieser war in der Schweiz mit Abstand am höchsten.“ Laut Statista gab eine Person in der Schweiz im Jahr 2019 durchschnittlich 338 € für Biolebensmittel aus, dahinter folgt Dänemark mit 312 €. Im Vergleich dazu: Österreich und Deutschland gaben 216 € bzw. 132 € pro Kopf aus. Laut Handelsverband.swiss werden in der Schweiz nur 2% der Lebensmittel online verkauft.
Farmy bei Investoren durchzubringen war anfangs schwierig, das erste Jahr finanzierten Schubert und Hartmann sich komplett selbst. 2014 starteten sie ihren Onlineshop mit weniger als 100 Produzenten und rund 500 Produkten. Hartmann erinnert sich, dass das Start-up fast in Konkurs gegangen wäre – in letzter Minute wurde es durch eine Finanzierungsrunde von 660.000 CHF von Business Angels gerettet. Heute arbeitet Farmy mit über 1.200 Produzenten zusammen; der niederländische Triodos Organic Growth Fund hat ebenfalls zehn Mio. CHF in das Start-up gesteckt. Das Unternehmen wird auch von privaten Investoren wie dem dänischen Unternehmer Thomas Harttung unterstützt, der einen Onlineanbieter von Bio-Mahlzeitenboxen mitgegründet hat. Der Markt scheint auf Farmys Seite zu sein: Laut dem Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) wuchs der europäische Lebensmittelmarkt bis 2019 auf 45 Mrd. €. Die Schweiz und Dänemark weisen weiterhin den höchsten Pro-Kopf-Verbrauch an Biolebensmitteln auf.
Eine Gruppe von Neuankömmlingen wartet im Eingangsbereich. Plötzlich stürmt Schubert heraus, um die neuen Mitarbeiter zu begrüssen, kurz bevor unser Gespräch beginnen soll. Der Wachstumsschub, den die Coronapandemie ausgelöst hat, ist immer noch sichtbar: Der Umsatz ist inden letzten zwei Jahren um 170 % gestiegen – normalerweise liegt das Wachstum bei 40 bis 60 % im Jahresvergleich.
Roman Hartmann
...ist Diplom-Kaufmann mit Abschluss an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg. Tobias Schubert hat ein Diplom in Internationalem Management der EBS Universität für Wirtschaft und Recht. Sie gründeten Farmy im Jahr 2014 und sind gemeinsam CEOs des drittgrössten Online-Lebensmittelunternehmens der Schweiz.
„Viele Kunden sind uns treu geblieben, nachdem sie während Corona auf den Geschmack gekommen sind“, sagt Schubert. Farmy hat im Jahr 2021, als weniger Menschen in Restaurants essen gingen, 32 Mio. CHF Umsatz gemacht. Heute liegt der typische Farmy-Einkaufskorb im Durchschnitt bei 127 CHF. „Wir generieren 25 % unserer Bestellungen von unserem Hub in Lausanne aus der Westschweiz“, sagt Hartmann, „rund 40 % des Volumens kommen aus dem Ballungsraum Zürich.“
Dennoch bleibt Farmy im Vergleich zu Konkurrenten wie Migros ein kleiner Fisch: Die grösste Supermarktkette und Arbeitgeberin der Schweiz hat allein mit ihrem Onlinesupermarkt im vergangenen Jahr 330 Mio. CHF eingenommen – zehnmal so viel wie Farmy.
Doch Farmy will ein grösseres Stück vom Kuchen abhaben. Diesen Sommer zieht das Unternehmen in seine neuen, fast 7.000 Quadratmeter grossen Büros im Ecopark Tivoli. Der Konkurrent Coop hat hier bereits seinen Vertriebsstandort. „Im Moment liegt unser Fokus darauf, die Schweiz zu stärken, um umsatzmässig viel stärker zu werden“, erklärt Schubert. Ausserdem tritt das Unternehmen mit Farmy Solutions bereits als IT-Lösungsanbieter auf – und hilft dem Lebensmittelhandel beim Aufbau seiner Onlinepräsenz, zum Beispiel dem Tante-Emma-Laden um die Ecke, der nicht die Ressourcen oder die Zeit hat.
Mittel- bis langfristig steht für Farmy eine Expansion ausserhalb der Schweiz an, doch das Sortiment soll übersichtlich bleiben, damit sich die Kunden leicht zurechtfinden – denn wer will schon aus 200 verschiedenen Karottensorten auswählen? „Die Leute werden es immer vorziehen, bei einer Person zu kaufen. Das ist ein Erlebnis“, sagt Schubert. „Aber wenn sie erst einmal online einkaufen, weil es viel schneller geht, werden sie es immer öfter tun.“
Text: Olivia Chang
Fotos: Mara Truog
Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 1–22 zum Thema „Ressourcen“.