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Das 2017 als Spin-off der RWTH Aachen gegründete Clean-Tech Softwareunternehmen envelio möchte mit seiner Intelligent Grid Platform die Energiewende weltweit vorantreiben, indem es intelligente Verteilnetze für Netzbetreiber und Netzkunden ermöglicht. Mitgründer und CEO Dr. Simon Koopmann im Interview. Herr Dr. Koopmann, Sie und Ihre Mitgründer haben zur Planung und Betriebsführung von Verteilnetzen promoviert. Welches Problem haben Sie damals erkannt und wie kam es zur Gründung von envelio?
Die Energiewende geht mit einer massiven Veränderung der Stromnetze einher, weshalb die Forschung ihren Fokus auf sogenannte Smart Grids legt. Während unseren industrienahen Forschungsprojekten konnten wir insbesondere bei Verteilnetzen eine Diskrepanz zwischen der Wirklichkeit und den Erkenntnissen unserer Forschung beobachten. Da wir mit den Einblicken unserer Forschung einen echten Impact für eine erfolgreiche Energiewende leisten und verhindern wollten, dass unsere Forschungsergebnisse in der Schublade verschwinden, haben wir uns dafür entschieden, envelio zu gründen. Aus dem Antrieb heraus Forschung in Anwendung zu bringen und echte Mehrwerte zu schaffen, ist letztendlich unsere Software Intelligent Grid Platform entstanden.
Sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, die Energiebranche zu revolutionieren, indem Sie die Stromnetze digitalisieren. Was bedeutet das und weshalb ist das so wichtig für die Energiewende?
Für das Gelingen der Energiewende müssen in den kommenden Jahren Millionen von erneuerbaren Erzeugungsanlagen wie PV-Anlagen oder Windkraftanlagen in die Netze integriert werden. Hinzukommen vermehrt Wärmepumpen und Ladepunkte für die zunehmende Flotte an Elektroautos. Das bedeutet, dass rund fünf bis zehn Mal so viele Netzanschlüsse im Vergleich zu vorher pro Jahr bewertet und realisiert werden müssen. Für eine erfolgreiche Energiewende ist es daher unabdingbar, unsere Netze auszubauen und sie effizienter zu gestalten. Diese dringend notwendige Effizienzsteigerung ist in dem Ausmass nur umsetzbar, indem wir die Netze intelligenter konzipieren und so die Prozesse rund um den Ausbau automatisieren. Aus unserer Sicht ist dieses Vorhaben lediglich mithilfe eines digitalen Zwillings des Netzes realisierbar. Dieser ermöglicht es Netzbetreibern
Planungs- und Betriebsführungsprozesse zu automatisieren und die immense Nachfrage nach Netzanschlüssen, die beispielsweise durch PV-Anlagen und Ladepunkte entstehen, zu bewältigen.
Energiepolitisch ist durch die neue Bundesregierung in Deutschland einiges in Bewegung gekommen. Ende 2022 hat die Bundesnetzagentur daraufhin z.B. ein Eckpunktepapier zur flexiblen Steuerung von Verbrauchseinrichtung im Verteilnetz vorgelegt (§14a EnWG). Was erwarten Sie sich von den finalen Regularien und wo braucht es ihrer Meinung nach bessere Regeln?
Das Vorhaben der Bundesnetzagentur zeigt, dass das übergeordnete Problem erkannt wurde. Insofern begrüssen wir diese Entwicklung und hoffen, dass bis Ende des Jahres ein regulatorischer Rahmen vorliegt, der es allen Akteuren erlaubt, eine flexible Steuerung der Netze zu ermöglichen. Vor allem Netzbetreiber sind hier gefragt und werden ihren Beitrag dazu leisten müssen. Bisher hat ihnen dazu leider die nötige regulatorische Sicherheit gefehlt. Daher bin ich froh, dass es mit dem Eckpunktepapier nun endlich in die richtige Richtung geht, auch wenn an einzelnen Punkten meiner Meinung nach noch geschärft werden muss und der Zeitplan bisher noch grosszügige Übergangsregelungen vorsieht. Hier würde ich mir ein ambitionierteres Vorgehen wünschen, insbesondere dem Hintergrund, dass entsprechende und vor allem marktfähige Lösungsansätze bereits existieren.
Ihre Technologie ist eine der vielversprechendsten Lösungen für eine digitale und moderne Energieinfrastruktur. Wodurch hebt sich ihre Intelligent Grid Platform (IGP) von anderen Lösungsansätzen ab?
Mit der IGP bieten wir eine Lösung an, die das Management von Stromnetzen für Netzbetreiber massiv vereinfacht. Kern unserer Plattform ist ein vollständig digitaler Zwilling des gesamten Verteilnetzes, der die Automatisierung erst ermöglicht. Wichtig ist, dass unsere Algorithmen unseren Netzbetreiberkunden bereits beim Aufbau des digitalen Zwillings unterstützen und so die Grundlage für die konsequente Automatisierung der Prozesse schaffen. Die IGP erreicht dabei einzigartige Automatisierungsgrade und schafft damit die Voraussetzung für eine unproblematische Skalierung des Ausbaus regenerativer Energien.
Was erwarten Sie sich von der Entwicklung im Markt und der europäischen Energiewende im Allgemeinen?
Die Energiewende führt zu massiven Veränderungen in der Netzinfrastruktur, denn immer mehr dezentrale Energiequellen bedeuten auch zunehmend neue Netzanschlüsse. Um diesem Druck auf die Netzinfrastruktur dauerhaft standhalten zu können, müssen wir in Deutschland aber auch auf europäischer Ebene so schnell wie möglich die richtigen Weichen stellen, indem wir die Digitalisierung und Automatisierung der Verteilnetze konsequent vorantreiben. Diese Notwendigkeit ist bisher noch ein unzureichender Bestandteil der öffentlichen Diskussion und sollte vor allem auf politischer Ebene mehr Aufmerksamkeit erfahren, wenn nicht sogar stärker gefördert werden.
Fotos: envelio