ELITE DURCH LEISTUNG

Sie formuliert prägnant, spricht klar und deutlich. In Gesprächen mit Helga Rabl-Stadler, Präsidentin der Salzburger Festspiele, fällt kein Wort zu viel. Durch ihren Vorstoss, die Festspiele – wenn auch abgeschlankt – abzuhalten, hat sie vielen in Kunst und Kultur in Zeiten von Covid-19 eine Perspektive eröffnet.

Das 100-Jahr-Jubiläum der von Max Reinhardt 1920 ins Leben gerufenen Salzburger Festspiele hätte Helga Rabl-Stadlers letzter Auftritt als deren Präsidentin sein sollen. Es kam alles anders – und das Jahr wird mit allem, was 2020 geplant und wegen Corona nicht aufgeführt werden konnte, bis Dezember 2021 verlängert, sagt Rabl-Stadler verschmitzt. Dann aber will sie jedenfalls aufhören: „Ich finde, man muss gehen, solange die Menschen bedauern, dass man geht. Viele machen sich unabkömmlich, verhindern Nachfolger und alles Neue, sodass, wenn sie gehen, tatsächlich eine ­Lücke bleibt, die nicht mehr oder nur sehr ­schwierig ­gefüllt werden kann.“ So eine Person will Rabl-Stadler nicht sein – auch wenn allein beim Wort Ruhestand in ihr eher ­Unruhe aufkomme: „Ich suche ­keine Ruhe. Ich brauche wenig Urlaub, habe immer sträflich wenig davon gemacht“, sagt die 72-Jährige.

Rabl-Stadler blickt auf eine bunte und äusserst bewegte Karriere zurück. Zu 26 Saisonen hat sie den Festspielen verholfen – und in den Jahren davor gab es die eine oder andere ­grosse Herausforderung, die es ebenfalls zu meistern galt. 1983 war zum Beispiel so ein Jahr: Damals, erzählt die Festspielpräsidentin, ist sie mit zwei kleinen Kindern umgezogen, hat zum 60-Jahr-­Jubiläum des Modehauses Resmann eine Modeschau mit 30 internationalen Mannequins im Salzburger Landestheater organisiert und gleichzeitig einen Wahlkampf als Kandidatin der ÖVP für den Nationalrat bestritten. „Ich weiss bis heute nicht, wie ich das geschafft habe“, lacht sie.

Bewältigte Herausforderungen lassen einen der aktuellen Pandemie wohl gelassener entgegenblicken. Was die Situation mit Covid-19 leichter gemacht habe, war laut Rabl-Stadler, dass es genügend Zeit gab, sich „auf diesen Wahnsinn einzustellen“. Der Lockdown wurde von Beginn an als grosse Bedrohung für alle Kultur-Festspiele wahrgenommen. „Wir sind stufenweise vorgegangen – von den Oster- zu den Pfingst- hin zu den Sommerfestspielen. Sicher war nur, dass wir am 22. August den ‚Jedermann‘ spielen werden, wenn es auch nur diese Aufführung sein sollte.“ Am 22. August 1920 wurden die Festspiele – eben mit dem „Jedermann“ – zum ersten Mal eröffnet.

Helga Rabl-Stadler (72)
...ist seit 26 Jahren Präsidentin der Salzburger Festspiele. Die promovierte Juristin war zunächst als Journalistin bei „Presse“, „Wochenpresse“ und „Kurier“ tätig; sie war Abgeordnete für die Österreichische Volkspartei im Nationalrat und die erste Frau an der Spitze der Wirtschaftskammer, ist Unternehmerin und Mutter zweier Kinder. Ihr Vater ist der langjährige ORF-Intendant Gerd Bacher.

An diesem Stufenplan wurde intensiv getüftelt. Intendant Markus Hinterhäuser arbeitete ­sofort an einem Ausweichprogramm, der kaufmännische Direktor Lukas Crepaz ­feilte ­wochenlang an einem Präventionskonzept, das die Gesundheit des Publikums, der Mitarbeiter und der ­Künstler sicherstellen sollte. „Wir wollten trotz ­Corona Festspiele organisieren, die künstlerisch sinnvoll und wirtschaftlich noch vertretbar waren“, so Rabl-Stadler. Man war sich der ­Rolle bewusst, Eisbrecher für die Kultur sein zu wollen und zu müssen: „Das hat anderen, die jetzt im Herbst mit ihren Programmen beginnen, sehr geholfen.“ Anfang Juli – lange vor Eröffnung der eigentlichen Festspiele – gab es den einzigen Coro­nafall in der Verwaltung. Die Disziplin aller sei bewundernswert gewesen, sagt sie stolz.

 

Erwartung vor und Erreichtes mit Corona
(Quelle: Eigenrecherche)

Die finanziellen Einbussen tun dennoch weh. Vor allem dann, wenn man auf das, was Rabl-Stadler „hohe Eigenwirtschaftlichkeit“ nennt, baut und stolz ist. „Die Salzburger Festspiele sind der Kulturbetrieb mit einer ziemlich vergleichslos hohen Eigenwirtschaftlichkeit. Das heisst, 75 % der Kosten werden selbst erwirtschaftet. Vergleicht man diese Zahlen etwa mit einem Opernhaus, dann erwirtschaftet ein solches in der Regel 20 bis 30 % der Kosten selbst; der Steuerzahler muss zwischen 70 und 80 % für dessen Betrieb zahlen. Bei uns sind es 25 %“, so Rabl-Stadler. Die Anmietung der Spielstätten funktioniere unterschiedlich: Die Festspielhäuser (Grosses Haus, Haus für Mozart und Felsenreitschule), die sich im Besitz der BIG bzw. der Stadt Salzburg befinden, werden um einen symbolischen Betrag gemietet. Historisch waren das 1.000 Schilling, heute sind es 72,76 € im Jahr. Die Einnahmen durch die Vermietung der Häuser über das Jahr an andere Veranstalter (etwa die Osterfestspiele, das Adventsingen oder die Kulturvereinigung) dürfen die Festspiele behalten, müssen dafür aber für die Erhaltung der Häuser selbst aufkommen. Zusätzlich zu oben genannten Häusern werden jedes Jahr für den ­Sommer ­externe Spielstätten wie das Mozarteum, das Landestheater, die Kollegien­kirche, die Aula oder die Perner-Insel angemietet.

Rabl-Stadler holt nun zum diesjährigen Soll und Haben aus: 2020 habe man mit 30 Millionen € Einnahmen für 230.000 Karten und 220 Aufführungen an 41 Tagen in 16 Spielstätten gerechnet. „Gemacht haben wir 110 Aufführungen an 30 Tagen in acht Spielstätten und Einnahmen in Höhe von 8,5 Millionen €.“ Dazu kommt die im Normalbetrieb der Salzburger ­Festspiele beigesteuerte Unterstützung von Bund, Land, Stadt und Tourismusförderungsfonds in der Höhe von 16,8 Millionen €. Letztere wurde 2020 wegen des Jubiläums um weitere zwei Millionen € aufgestockt. „Das hat geholfen, um über die Runden zu kommen“, so Rabl-Stadler. Sie vergisst nicht, den Sponsoren der Festspiele auch im Rahmen dieses Gesprächs zu danken. Alle blieben an Bord, weshalb es wichtig gewesen sei, zu spielen.

Wir konnten alle bezahlten Gelder – das waren immer­hin 22,5 Millionen € – zurück­erstatten oder auf das nächste Jahr buchen.

Wäre all das oben Genannte der ­Herausforderung nicht genug, galt es zudem, 180.000 Karten rückabzuwickeln und 80.000 neu zu verkaufen. Rabl-Stadler: „Dafür gibt es ­keine Software – das haben Herr Engel, Leiter des Kartenbüros, und seine 20 Mitarbeiter per ­Telefon und Mail persönlich abgewickelt.“ Da gab es schon mal Tage, an denen die Telefonanlage streikte, weil 3.000 Menschen angerufen und sich über 1.000 Mails angestaut haben.

„Es kam die durchaus berechtigte Angst hoch, dass die Kartenanfragen nicht rechtzeitig beantwortet werden können. Wir wären dann vor halb leeren Häusern gesessen.“ Die ­geballte Anstrengung aller Beteiligten war gefordert. „Wir konnten alle bezahlten Gelder, das waren immerhin 24,5 Millionen €, zurückerstatten oder auf das nächste Jahr buchen. Zum Teil ­wurde uns das Kartengeld gespendet. Das muss man sich einmal vorstellen, so treue Kunden gibt es ja auf der ­ganzen Welt nicht!“ Nachsatz: „Da könnten sich Unternehmen wie die Lufthansa ein Beispiel nehmen. Dort haben die Menschen monate­lang auf die Rückerstattung ihres Geldes für nicht durchgeführte Flüge warten müssen.“ Bei so viel Unternehmersinn liegt die Frage, die ­Salzburger Festspiele nicht auch einem viel breiteren ­Publikum erschliessen zu wollen als jener nationalen und internationalen wirtschaftlichen Elite, nicht mehr weit. Interessant, so Rabl-Stadlers Replik, dass sich derlei Falschinformation auch so ­hartnäckig halte. „Die Hälfte aller Festspielkarten kostet bis zu 105 €. Den Ruf, dass es bei den Festspielen nur extrem teure Karten gibt, werden wir dennoch nicht los“, sagt sie – und erklärt, ­warum: „Die günstigen Karten sind als Erstes – nämlich schon im Jänner – weg. Oder, wie es Herr Engel sagt: ‚Ein Theater füllt sich von hinten.‘“ Auch bekämen die Sponsoren allen ­Unkenrufen zum Trotz keine Karten geschenkt: 2,5 % der Karten seien Sponsorenkarten – und das seien bezahlte Tickets. Rabl-Stadler ist sogar sehr daran interessiert, die Festspiele einem breiten Publikum zugänglich zu machen: Es werden so weit wie möglich alle Generalproben um den halben Kartenpreis zugänglich gemacht und ­diese Erlöse für Benefizzwecke verwendet. „So ­gingen im Jahr 2020 100.000 € an die Caritas und 100.000 € an den neuen Altar in St. Peter.“

 

Förderungen 2019 und 2020
(Quelle: Eigenrecherche)

Nicht zuletzt sei sie auf die Siemens Festspielnächte stolz – diese hätten sich zum weltweit grössten Kultur-Public-Viewing entwickelt. Normalerweise in sechs, in diesem Jahr in vier Wochen werden Aufführungen von Beethovens Neunter bis zu „Electra“ am Kapitelplatz zum Nulltarif präsentiert. Mittlerweile hat auch die Streamingzahl die fünf Millionen Zuseher überschritten. „Das sind die für mich besten Mittel und Wege, die Vorstellungen auf ein grosses ­Publikum auszuweiten. Und von dem Wort ‚Elite‘ lasse ich mich nicht abschrecken“, so Rabl-Stadler bestimmt. Sie zitiere an dieser Stelle lieber Friedrich Sieburg, der einst sagte: „Prominenz entsteht durch Applaus, Elite entsteht durch Leistung.“ „Wissen Sie, Kunst kann niemals demokratisch entstehen. Man kann nur schauen, dass möglichst viele Menschen in den Genuss der von einer Elite gemachten Kunstwerke kommen.“

Wie blickt man nun auf so eine ­Karriere ­zurück? Dankbar – diese Antwort kommt rasch. „Dennoch: Vorbild will ich keines sein“, so Rabl-Stadler. „Das ist mir viel zu unsympathisch. Ich will eine Mutmacherin sein und allen ­Frauen ­sagen: ‚Traut euch was zu, dann traut man euch was zu!‘ Und noch etwas: Ich habe immer eine positive Einstellung zum Leben gehabt – und ­absolut kein Talent zur Frustration.“

Text: Heidi Aichinger
Fotos: Bernhard Müller

Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 9–20 zum Thema „Women“.

Heidi Aichinger,
Herausgeberin

Up to Date

Mit dem FORBES-NEWSLETTER bekommen sie regelmässig die spannendsten Artikel sowie Eventankündigungen direkt in Ihr E-mail-Postfach geliefert.