Eine Ode an die Leere

Elisa Vendramin steckt hinter den künstlerischen Motiven des diesjährigen Women’s Summit. Die Künstlerin aus Triest erzählt, wie sie das Motiv entwickelt, wie das Muttersein ihr einen neuen Zugang zu Feminismus verschafft hat und welche Rolle Bauchgefühl bei ihr spielt – in der Kunst und in der Entscheidungsfindung.

Vor einer blauen Bergkette zeichnet sich die Silhouette einer Frau ab, mit angezogenen Beinen. Doch gerade als das Gehirn den ersten Eindruck verarbeitet hat, nehmen die Augen Details wahr. Die Bergkette ist eine Collage aus verschiedenen Strukturen, aus Schnipseln verschiedener Muster und Farben. Oben auf der Bergspitze thront ein Haus. Die Frauenfigur ist zusammengesetzt aus Blumen, abstrakten Formen und Pfauenfedern. Damit ist das Werk der „Sweet Spot“ zwischen Vendramins Technik, Details zu einem grossen Ganzen zu verbinden, und der Idee, die beim ­Briefing-Gespräch aufkam, „I contain multitudes“ („Song of Myself“) von Walt Whitman. „In diesem Kunstwerk steckt viel von mir selbst, auch wenn es abstrakt ist und nicht von mir selbst handelt, aber es hat wirklich resoniert mit dem, was ich fühle.“

Elisa Vendramin hat von Forbes DA den Auftrag, den jährlichen Women’s Summit künstlerisch zu gestalten, gleich spannend gefunden. Er sei sehr offen gewesen. Sie fange gerne mit einem spärlichen Briefing an, das gebe ihr viel Freiraum zu spielen. „Ich treffe die meisten Entscheidungen aus dem Bauch heraus, sowohl, welches Projekt ich angehe, als auch, wie ich ein neues Kunstwerk erarbeite, wo welches Element hinkommt.“ Sie ist vor Kurzem Mutter geworden, und das habe ihr einen neuen Blick auf Feminismus ermöglicht. Sie selbst habe entdeckt, wie viele Facetten sie in sich trage. Beim Interview ist sie müde, denn das Baby schläft gerade nicht so gut. Sie ist sehr offen und berichtet von den Facetten, den Multitudes, die das Muttersein ihrer Persönlichkeit hinzugefügt hat.

Ich treffe die meisten Entscheidungen aus dem Bauch heraus, sowohl, welches Projekt ich angehe, als auch, wie ich ein neues Kunstwerk erarbeite, wo welches Element hinkommt.

Elisa Vendramin

„Im Grunde genommen war die Idee für das Werk ebenso wie mein Gefühl, ich bin ein schönes Durcheinander. Wenn man sich das Kunstwerk genau anschaut, ist es einfach ein Durcheinander. Nichts macht wirklich Sinn. Einiges ist fokussiert und scharf dargestellt, anderes ist sehr unscharf. Aber dann, wenn man es mit ein bisschen mehr Perspektive betrachtet, dann erkennt man die Frau vor den Bergen, dann ergibt es Sinn.“

Vendramin ist viel gereist, am liebsten auf einsame Inseln, an Orte mit wenig Menschen und viel Platz. „Ich bin besessen von leeren Räumen.“ Die Leere gibt ihr Platz, um zu kreieren. In ihren Werken findet sich immer leerer Raum. „Ich komme aus Italien, ich weiss also, wie man an einem Ort mit vielen Menschen lebt, aber ich fühle mich wirklich zu den Orten hingezogen, an denen man nicht einmal einen menschlichen Fussabdruck sieht. Es gibt diese Idee der Leere, der Isolation. Das heisst nicht, dass ich keine Menschen mag. Aber es ist auf jeden Fall eine wiederkehrende Komponente in meinem Leben.“ Sie wäre eine brillante Astronautin gewesen, sagt sie scherzhaft. Ausserdem mag sie Satellitenaufnahmen. Auch hier teilt sich das Grosse, Weite in kleinste Details. „Wenn etwas visuell leer ist, trägt es eigentlich so viel.“ Sie fühle sich in einer leeren Landschaft sehr viel konzentrierter, „kein Café, keine Tankstelle, keine Strassen – und irgendwie wird alles viel lauter in meinem Kopf. Meine Gedanken, Musik wird lauter, Farben lebendiger. Da ist etwas. Es ist leer, aber es ist auch sehr reich an etwas anderem. Es ist tatsächlich sehr erfüllend.“

Die Künstlerin hat die meiste Zeit ihres Lebens in Sacile in Italien verbracht. Danach lebte sie in Mailand, Berlin, London und Reykjavík. Besonders gut habe ihr Island gefallen. Sie wollte damals gar nicht wieder zurück nach London, denn sie hatte das Gefühl, dass sie etwas mit diesem Ort verband. „Ich wusste nicht wirklich, was es war, eine Art Liebe, die ich für diesen Ort empfand. Und so bin ich schliesslich dorthin gezogen.“ Derzeit lebt sie mit ihrer Familie in Triest. Entscheidungen wie diese trifft sie nach Bauchgefühl – wie auch in ihrer Kunst.

Die verschiedenen Orte haben auch ihre Kunst beeinflusst, sagt sie. „Der Umzug an einen Ort hat meinen, nennen wir es mal, Stil beeinflusst. Und es ist nicht wirklich ein Stil, sondern meine Art zu arbeiten. Ich habe auch bemerkt, als ich zurück nach Italien gezogen bin, dass meine Arbeit ein bisschen barocker wurde, intensivere Farben, mehr Dekorationen. Ich glaube also wirklich, dass es eine Verbindung gibt zwischen dem Ort, an dem ich arbeite, dem Ort, an dem ich lebe, dem, was ich täglich sehe, und dem, was ich in meine Kunstwerke einfliessen lasse. Und wenn ich mir meine Arbeit über Island ansehe, habe ich immer noch das Gefühl, dass es dort etwas sehr Schönes gibt, das ich jetzt gerne nachbilden würde. Aber ich glaube nicht, dass ich dazu in der Lage bin. Es war also so, als würde ich ein Foto von diesem Moment machen. Selbst wenn ich das Gleiche noch einmal machen wollte, glaube ich nicht, dass es so aus­sehen würde.“

Ich komme aus Italien, ich weiss also, wie man an einem Ort mit vielen Menschen lebt, aber ich fühle mich wirklich zu den Orten hingezogen, an denen man nicht einmal einen menschlichen Fussabdruck sieht.

Derzeit lebt Elisa Vendramin mit ihrer Familie in Triest.

Elisa Vendramin steckt hinter den künstlerischen Motiven des diesjährigen Women’s Summit. Die Künstlerin aus Triest erzählt, wie sie das Motiv entwickelt, wie das Muttersein ihr einen neuen Zugang zu Feminismus verschafft hat und welche Rolle Bauchgefühl bei ihr spielt – in der Kunst und in der Entscheidungsfindung.

Fotos: Katharina Gossow

Sophie Schimansky,
Deputy Editor in Chief

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