Eine neue Ära für Europa?

Bisher liess sich das 21. Jahrhundert an den Aktien­märkten recht einfach zusammenfassen: USA, USA, USA. Getrieben von der Performance der «Magnificent Seven» – also Apple, Microsoft, Amazon, Alphabet, Meta, Nvidia und Tesla – kannte der US-Markt eigentlich nur eine Richtung: steil nach oben.

Der Rest der Welt, inklusive Europa, spielte in einer anderen Liga – irgendwo zwischen enttäuschend und irrelevant.

Ende 2024 sah es so aus, als würde diese ­Geschichte einfach weitergeschrieben ­werden: Die Euphorie über Donald Trumps zweite Amtszeit beflügelte die Märkte, Investoren setzten auf ein Comeback der Deregulierung. Doch dann kam alles anders: Drei erratische Monate im Amt und ein zunehmend erratischer Kurs – insbesondere gegenüber der Ukraine – sorgten für Ernüchte­rung. Die US-Börsen verloren seit Jahresbeginn rund 5 %. Im selben Zeitraum stiegen die Märkte ausserhalb der USA um 9 %. Und Europa? Das legte sogar fast 11 % zu (EU50).

Natürlich, das ist nur ein Zwischenstand. Aber es fühlt sich nicht wie ein Ausrutscher an – sondern wie ein Signal. Es scheint, als hätte Euro­pa endlich verstanden, dass das Warten auf eine Rettung aus West oder Ost sinnlos ist. Eine Region mit der wirtschaftlichen, technologischen und ­politischen Macht Europas muss selbst Themen setzen – nicht jenen der USA oder Chinas folgen.

Deutschland hat dieses Umdenken begonnen. Friedrich Merz, dafür viel kritisiert, bricht vermeintliche Wahlversprechen – und investiert massiv in Infrastruktur, Verteidigung und Stand­ortförderung. Frankreich denkt ähnlich, sogar Grossbritannien überrascht mit konstruktivem Pragmatismus. Und viele Zutaten sind ohnehin längst da: exzellente Universitäten, verlässliche Institutionen, hoher Lebensstandard – und eine Lebensqualität, von der andere Weltregionen nur träumen können.

Was Europa jetzt braucht, ist weniger Verzagtheit und mehr Ambition; weniger Micromanagement – mehr Moonshots. Die Vorstellung, dass man sich global durch Bürokratie, Compliance und Risikovermeidung durchlavieren kann, hat ausgedient. Wer führen will, muss vorangehen. Und Europa soll und muss führen.

Auch auf der privaten Ecke tut sich etwas: Der Brite Harry Stebbings hat Project Europe ins Leben gerufen. Der Fonds wird von über
120 Tech-Gründern unterstützt und soll insgesamt 10 Mio. € in Jungunternehmer unter 25 Jahren investieren. Stebbings will damit den «doom loop» bekämpfen. Die Kritik, die manche Investoren und Gründer äusserten, ist durchaus berechtigt: In ­Europa fehle es nicht an Seed-Finanzierung, ­sondern an Wachstumskapital. Dennoch scheint es, als herrsche erstmals seit Langem Aufbruchs­stimmung am «alten Kontinent».

Und die Schweiz? Einige Unternehmer fordern derzeit, Brüssel endlich die kalte Schulter zu zeigen. Das mag sich gut anfühlen – könnte aber strategisch falsch sein. Wer glaubt, sich als kleine Insel zwischen EU und USA behaupten zu können, verkennt die Realität. Die Schweiz braucht Zugang zum europäischen Markt – aber Europa braucht auch eine Schweiz, die mitgestaltet. Kurz gesagt: Auf Konfrontation mit der EU zu gehen mag populär sein – zielführend ist es nicht. Denn wenn Europa seine neue Ära tatsächlich einläutet, dann sollten alle dabei sein, die etwas beitragen können. Vor allem jene, die schon bewiesen haben, es besser zu können.

Klaus Fiala,
Chefredakteur

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