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Sebastian Beetschen träumt gross: Mit seinem Start-up Almer Technologies will der „Under 30“-Listmaker einen relevanten europäischen Player in der Technologiebranche aufbauen. Das Unternehmen setzt auf Artificial-Reality-Brillen, mit deren Hilfe Industrieunternehmen remote Schulungen und Problembehebungen vornehmen können. Alleine im nächsten Jahr will Beetschen den Umsatz verzehnfachen.
Wenige Unternehmen beherrschen den Launch neuer Produkte so gut wie Apple. Das wurde erneut klar, als das Unternehmen aus Cupertino diesen Sommer „Apple Vision Pro“ präsentierte – ein Video zeigte im Raum schwebende App-Menüs, Websites, die die Nutzerin mit einfachen Handgesten in ihrem Wohnzimmer herumschiebt, Spiele, die ein neues Level von Immersion versprechen, und Filme, die fast das gesamte Blickfeld umspannen. „Mit Apple Vision Pro können Sie den perfekten Arbeitsbereich schaffen – egal, wo Sie sich befinden“, versprach eine Stimme in der Präsentation.
Obwohl die Vorführung viel Beifall erhielt, sind die gezeigten Ideen nicht unbedingt neu. Bereits 2012 wurde Google Glass vorgestellt, eine Augmented-Reality-Brille von Google (Apple Vision Pro verfügt neben AR- auch über Virtual-Reality-Kapazitäten). Das Versprechen: Neben Point-of-View-Videoaufnahmen sollte Google Glass Fussgängern interessante Informationen zu Sehenswürdigkeiten, die sie passieren, oder Nachrichten direkt ins Blickfeld einblenden. Elf Jahre später ist es um Google Glass jedoch ziemlich ruhig geworden.
Die Technologie per se ist aber keinesfalls verschwunden. „Wir sind der Meinung, dass AR eine sehr wichtige Technologie ist, um Intelligenz zugänglich zu machen. Das Smartphone und der Computer sind in Kombination mit dem Internet zu sehr potenten Medien für Daten- und Wissenstransfers geworden. AR ist die nächste Stufe“, so Sebastian Beetschen. Er ist CEO von Almer Technologies, einem Berner Start-up, das die AR-Brille „Almer Arc“ herstellt. Beetschen: „Wir sind der Meinung, dass die Realität immer noch das Wichtigste ist – und AR hat das Potenzial, den Alltag zu erleichtern, ohne uns im Weg zu stehen. Im besten Fall ist ein AR-Produkt wie ein Personal Assistant, der die ganze Zeit bei einem ist und jederzeit die gesamte Intelligenz der Menschheit zur Verfügung stellen kann.“
So zumindest die Vision. Doch das 2021 gegründete Start-up ist davon noch weit entfernt. Zurzeit ist die „Arc“ ausschliesslich bei Schweizer Industrieunternehmen wie Swisscom, OC Oerlikon oder der SFS-Gruppe im Einsatz. Dieses Jahr wird das 30-köpfige Team rund um Beetschen laut eigenen Angaben einen niedrigen sechsstelligen Umsatz erzielen. Auf die Frage, ob das Start-up denn profitabel sei, lacht Beetschen auf: „Wir sind noch weit weg von profitabel. Aber nächstes Jahr wollen wir unseren Umsatz ungefähr verzehnfachen – und das ist auch realistisch.“ Gelingen soll das mit der zweiten Generation der Arc-Brille, die bereits Anfang 2024 an die ersten Kunden verschickt werden soll.
Doch im AR-Markt mischen die grössten Technologiekonzerne der Welt mit – neben Apple haben auch Meta und Microsoft entsprechende Produkte. Können sich Beetschen und sein Unternehmen in diesem Feld beweisen?
Beetschen studierte Maschinenbau in Lausanne, wo er auch seinen Mitgründer Timon Binder (heute CTO bei Almer Technologies) kennenlernte. „Wir haben gemeinsam an spannenden Projekten gearbeitet und den einen oder anderen All-Nighter durchgezogen. Dadurch haben wir auch heute noch ein sehr gutes Verhältnis, wir sind fast wie Brüder“, so Beetschen. Im zweiten Studienjahr begann er, zusätzlich Computerwissenschaften zu studieren. Durch sein Auslandssemester in den Niederlanden bekam der Schweizer Lust auf weitere internationale Erfahrungen. „Ich habe mich in China an der Tsinghua University (eine der renommiertesten technischen Universitäten in China, Anm.) beworben – und wurde genommen. Dort beschäftigte ich mich zum ersten Mal intensiv mit 3D-Computer-Vision“, so der Schweizer. Diese Technologie ist laut dem Unternehmer nicht nur die Grundlage für autonomes Fahren, sondern auch für Augmented Reality.
Das Labor, in dem Beetschen forschte, war an vorderster Front in Sachen AR-Algorithmen, wodurch auch Apple darauf aufmerksam wurde. „Der Algorithmus, den das Labor entwickelt hatte, war besser als alles, was es davor gab“, so der Schweizer. Besonders die hohe Effizienz zeichnete den Code aus. „Und dann kam Apple mit einer Armee an Softwareentwicklern, um diesen Algorithmus in Apple-Produkte zu integrieren.“ Das Forschungsteam, in dem auch Beetschen angestellt war, erklärte Apples Entwicklern, wie der Code funktionierte. Die US-Amerikaner adaptierten den Algorithmus und machten aus der Forschung ein Produkt. „Heute kommt er in jedem iPhone zum Einsatz“, so der Almer-Gründer.
Im Februar 2020 war Beetschen auf Urlaub zu Hause in der Schweiz – doch wegen der Coronapandemie „wurden die Ferien immer länger“, wie er sagt. Nach einiger Zeit wurde er von der ETH Zürich eingeladen, gemeinsam mit Microsoft an Algorithmen für die Hololens zu arbeiten. „Das war schon cool, weil wir wirklich viel Geld zur Verfügung hatten und ich mit sehr schlauen Leuten arbeiten durfte“, so Beetschen. „Aber es war auch frustrierend, denn die Hololens ist ein beeindruckendes Gerät, aber sie ist kein gutes Produkt. Sie versucht, alles zu machen – und kann somit nichts wirklich gut.“
Gemeinsam mit einigen Freunden begann der Tech-Unternehmer, an einem kompakteren, leichteren Gerät zu forschen, das gleichzeitig für Kunden günstiger sein sollte. Als die Gruppe mit ihrer Idee zur ETH ging, wurde sie jedoch abgelehnt: „Die haben uns rausgekickt und gesagt: Darüber kann man keine Papers schreiben, das ist zu angewandt.“ Deshalb gründete Beetschen mit seinem Freund Timon Binder und zwei Business Angels Almer Technologies. Bald bekam das Team eine erste Finanzierung von Innosuisse, der schweizerischen Agentur für Innovationsförderung. Ein Jahr nach der Gründung begann Almer dann, die erste Generation der Arc-Brillen zu produzieren und an Kunden zu liefern. „Wir haben von Tag eins mit Industrieunternehmen zusammengearbeitet und sofort gemerkt: Die wollen das wirklich. Manche wollten uns die Prototypen abkaufen, obwohl die zum Teil noch auseinanderfielen“, so Beetschen schmunzelnd. Almer Technologies verkaufte die Prototypen nicht, doch die Nachfrage war offensichtlich da.
Der schnelle Launch des Produkts, dessen Einzelteile zum Grossteil im chinesischen Shenzhen produziert und in der Schweiz zusammengesetzt werden, war laut dem Gründer sehr hilfreich, denn so konnte das Start-up wertvolles Feedback für die zweite Generation einsammeln. Ausserdem wurden dadurch grosse Firmen auf Almer aufmerksam, was auch bei der Investorensuche half. Im Juni schloss Almer eine Finanzierungsrunde in Höhe von 4,5 Mio. CHF ab. Das neue Geld wird laut Beetschen für die Forschung und Produktion der „Arc 2“ sowie den Ausbau des Teams eingesetzt werden. Laut eigenen Angaben hat das Start-up seit seiner Gründung insgesamt rund zehn Mio. CHF eingenommen, etwa ein Fünftel davon in Form von Forschungsförderungen.
Geld verdient Almer durch ein Abomodell. Kunden zahlen 149 € pro Monat und Brille, darin sind Services sowie eine Einschulung inkludiert. Almer tauscht defekte Brillen zudem kostenlos aus. Laut Beetschen sind zurzeit „ein paar Hundert“ Brillen im Umlauf. Doch es laufen Vorbereitungen, um die Produktion nächstes Jahr auf 1.000 Stück pro Quartal und später auf 1.000 Stück pro Monat zu erhöhen.
Die häufigsten Anwendungsfälle für die Arc sind laut Beetschen Remote-Schulungen sowie Remote-Fehlerbehebungen bei Industrieunternehmen. „Viele unserer Kunden, die meisten davon sind Maschinenhersteller, haben ihr Hauptquartier in der Schweiz, produzieren aber weltweit“, beschreibt der Gründer einen klassischen Use Case. „Gibt es zum Beispiel ein Problem in Amerika, können sich die Mitarbeiter dort einfach die Brille aufsetzen. Durch die Kamera auf der Brille sieht der Experte in Zürich genau das, was auch der Amerikaner sieht. Über ein Display kann er dann seinem Kollegen bestimmte Teile markieren und sagen: ‚Nimm mal diese Schraube weg und mach dieses Stück auf.‘“ Das spart Zeit und Kosten. Dabei ist das Potenzial nicht auf die Industrie beschränkt – so hat die Brille sogar schon bei Rückenmarkoperationen unterstützt. Doch das Start-up versucht bewusst, einen engen Fokus zu behalten.
Das ist gleichzeitig der USP des Start-ups. Zwar werden auch andere AR-Headsets wie Microsofts Hololens in der Industrie eingesetzt – doch Beetschen will fokussiert bleiben: „Wir versuchen nicht, alles zu machen, sondern nur eine Sache – und die dafür richtig gut. Unsere Brille hat nur das Nötigste: Das Display der Brille ist klein, aber hat eine hohe Auflösung. Wir haben nur eine Kamera, dafür aber an der richtigen Stelle. Das macht das ganze Gerät viel leichter und komfortabler.“ Zum Vergleich: Die Hololens 2 wiegt laut Angaben von Microsoft 566 Gramm, die Arc hingegen nur 138 Gramm.
Auch im Gaming-Bereich finden viele AR-Headsets Anwendung. Doch Beetschen betont erneut, dass sein Unternehmen nicht den Fokus verlieren möchte: „Gaming werden wir tatsächlich nie machen. Da würde ich einen Besen fressen.“ Stattdessen wirkt Beetschen daran interessiert, eines Tages Eyetracking und ein Brain-Computer-Interface, also eine Schnittstelle zwischen dem menschlichen Gehirn und einem Computer, für seine Brille zu implementieren. „Mit so einem Interface wäre die Bedienung viel schneller als durch Tippen oder Sprachsteuerung“, so der Gründer. Klingt sehr futuristisch? Ist es auch. Die zweite Generation der Arc wird noch mit Knöpfen, über Sprachsteuerung und „Head Micro Gestures“, also leichte Kopfbewegungen, gesteuert.
Um seine Vision von AR als einem persönlichen Assistenten zu verwirklichen, muss Beetschen den Fokus seines Unternehmens früher oder später ausweiten. Doch zurzeit liegt der Fokus darauf, die Produktion und den Launch der Arc 2 erfolgreich über die Bühne zu bringen. Dabei schaut das Start-up über die Schweizer Landesgrenzen hinaus. Laut dem Gründer ist Almer Technologies bereits im Gespräch mit einigen bekannten deutschen Unternehmen. Beetschen: „Wir haben schon jetzt allerhand zu tun.“ Sebastian Beetschen träumt gross: Mit seinem Start-up Almer Technologies will der „Under 30“-Listmaker einen relevanten europäischen Player in der Technologiebranche aufbauen. Das Unternehmen setzt auf Artificial-Reality-Brillen, mit deren Hilfe Industrieunternehmen remote Schulungen und Problembehebungen vornehmen können. Alleine im nächsten Jahr will Beetschen den Umsatz verzehnfachen.
Sebastian Beetschen studierte in Lausanne Maschinenbau und Computerwissenschaften, bevor er 2019 für seine Forschung nach China zog. 2021 gründete er in Bern das Start-up Almer Technologies.
Fotos: Miriam Kamba Danielsson