EIN STÜCKCHEN KUNST

Das Start-up Arttrade hat sich auf die Tokenisierung von Kunst spezialisiert – dabei können Anleger in hochpreisige Kunstwerke investieren wie in Aktien. In der Finanzwelt sorgt die Neuheit für Begeisterung, aus der Kunstszene kommt teils scharfe Kritik.

Es ist der Traum vieler, ein Kunstwerk von namhaften Künstlern wie Heinz Mack, Gerhard Richter oder Tony Cragg zu besitzen – meist scheitert es am nötigen Kleingeld: Ein DIN-A4-grosses Aquarell von Richter kostet etwa schnell über 200.000 €. Genau dieses Problem will Arttrade abmildern: Über die Plattform können kleine Privat­anleger schon ab 1.000 € in Kunst­werke investieren – und sich dafür einen Bruchteil des Werks sichern. Gründer Julian Kutzim stellt im Interview mit Forbes klar: „Es sind Anlagen der Superreichen, die bis jetzt für Otto Normalverbraucher nicht zugänglich waren.“

Kutzim, der jahrelang im Wirtschaftsjournalismus und in der Unternehmenskommunikation ge­arbeitet hatte, gründete das Fintech gemeinsam mit David Riemer, dessen Familie bereits Kunst sammelte, im September 2021. Die pionierhafte Idee, ­phy­sische Gegenstände „zu zer­teilen“, bekamen Riemer und Kutzim auf dem Höhepunkt der NFT-Bubble; im Februar 2022 kam Svenja Heyer zum Gründerteam.

Das konkrete Modell: Kunden erhalten eine Wallet, auf die Token transferiert werden, die den je­weiligen Anteil am Kunstwerk ­repräsentieren­. Die Werke hängen weiterhin in Museen, der „Schmück-Effekt“ eines Bildes über dem Ka­min fällt also weg. Arttrade-Kunden fokussieren sich auf die Rendite. Die Finanzierungsvolumina reichen von etwa 15.000 € bis eine Mio. €.

Das Unternehmen verdient sein Geld über einen Ausgabeaufschlag von 2 % sowie eine jährlich anfal­lende Management­gebühr von 2 %, hinzu kommt, nicht unähnlich dem Modell von Finanzdienst­leistern, eine Gewinnbeteiligung von 10 %. „Wir sind nicht in der allereinfachsten Marktphase gestartet, die Menschen haben heute insgesamt weniger Geld im Portemonnaie und sind vorsichtiger“, sagt Kutzim. Daher entschloss sich das Team, ein zweites Standbein aufzubauen: Analog zur Finanzbranche, wo man neben Einzelaktien auch in ETFs (also passive Produkte, die breite Indizes nachbilden) investieren kann, bietet auch Arttrade Inves­titionen in solche Produkte. Gemeinsam mit dem deutschen Kunst­händler Weng Fine Art bietet man seit Juli 2023 einen „Kunst-ETF“ an, der die Performance eines „kuratierten Portfolios von Blue-Chip-Kunst­werken“ (Arbeiten namhafter Künstler) nachzeichnet. Das limitiert in der Regel das Risiko von Kursverlusten, das bei Einzelwerken besteht. Durch dieses Feld sind neben Privatanlegern zunehmend auch Family Offices, Vermögens­verwalter oder Privatbanken inte­ressiert, bei Arttrade zu investieren.

Dazu sammelte das Fintech im August Fremdkapital in der Höhe von zwei Mio. € ein – unter den Investoren fanden sich der Finanzdienstleister Rhein Asset Management sowie Ingo Hillen, der die Sino AG leitet, die auch in die Neobank Trade Republic investierte. Das Geld soll den weiteren Ausbau der Geschäftskundensparte finanzieren.

In Sachen Rendite muss Arttrade jedenfalls liefern – denn wenn der Luxus, sich ein wertvolles Bild ins Wohnzimmer hängen zu können, wegfällt, sind Anleger nur noch auf die Gewinnspanne aus. Das gibt das Unternehmen auch unumwunden zu. Julian Kutzim ist der Meinung, dass man Kunst nüchtern als attraktive Anlageklasse ins Portfolio beimischen sollte: „Tatsächlich stellen wir fest, dass viele unserer Kunden aus rationalen Motiven investieren, sich dann aber intensiver mit der Kunst selbst auseinandersetzen, weil sie einen Bezugspunkt zu den Werken haben. Das Interesse an der Kunst wächst also durch die finanzielle Beteiligung“, so Kutzim. Arttrade versteckt die Kunstwerke nicht in Tresoren, sondern verleiht sie an Ausstellungen. Zusätzlich veranstaltet das Unternehmen regelmässig Aus­stellungen und Events; zuletzt im Luxus-Boutiquehotel The Wellem in Düsseldorf, wo die abgebildeten Fotos für Forbes entstanden.

Bezüglich punktgenauer Erlöse ist Arttrade jedoch zurückhaltend. Auf der Website des Start-ups steht: „Eine exakte Aussage über die zu erwartende Rendite kann man nicht treffen, da viele Faktoren eine Rolle spielen.“ Ganz konkret haben Blue-Chip-Werke von Künstlern seit 2000 eine durchschnittliche jähr­liche Rendite von 8,9 % (Artprice-100-Index) geliefert – das ist mehr als jene des deutschen Leitindex DAX (3,1 %) oder des US-amerika­nischen S&P 500 (4,2 %).

Pro Künstler wird jedoch stets die historische Rendite angegeben – und die kann durchaus schwanken. Während die historische Rendite der jungen US-Fotografin Nan Goldin mit 0,4 % angegeben wird, beträgt die historische Rendite von Gerhard Richter 10,6 %. Zudem arbeitet Arttrade mit einem Risikoindikator, der für die eigenen Produkte mit sechs von sieben Risiko-Punkten bewertet wird. Zum Vergleich: Aktien werden im Schnitt mit drei bis vier Risiko-Punkten bewertet. Julian Kutzim empfiehlt daher, dass Blue-Chip-Kunst in einem Ausmass von zehn bis 15 % in ein Portfolio beigemischt werden sollte.

Der Kunstmarkt sei aber krisenresistent und resilienter als andere Märkte, so Kutzim. Zudem ist keine Korrelation zum Aktienmarkt vorhanden. Als durchschnittliche Haltezeit wird aktuell eine Dauer von fünf Jahren angegeben. Vorzeitige Ausstiege sind vorläufig nicht möglich. Die Kunden wie auch Arttrade profitieren beim Verkauf – sofern dieser mit Gewinn versehen ist, natürlich.

Das Arttrade-Team betrachtet das Kunstwerk „Black“ von Nan Goldin, das derzeit im Angebot ist.

Kritik am Vorgehen sowie an den Zahlen kommt jedoch aus der etablierten Kunstszene: Forbes sprach – unter Bedingung von Anonymität – mit Experten, die kein gutes Haar an Arttrade liessen. Die Preise für die Werke seien im Vergleich deutlich zu hoch, die versprochenen Renditen wiederum nicht realistisch. Julian Kutzim sieht diese Kritik als nicht berechtigt: „Für die Preis­findung schauen wir uns unter anderem historische und aktuelle Auktionsergebnisse sowie Galeriepreise von vergleichbaren Arbeiten an.“ Angesprochen auf die Kritik verweist Kutzim auf Richter-Aquarelle (mit vergleich­baren Massen, wie sie bei jenen von Arttrade vorliegen), die in den traditionsreichen Auktionshäusern Sotheby’s Paris und Christie’s Lon­don zwischen 2019 und 2021 um jeweils mehr als 350.000 € verkauft wurden.

Die meisten Menschen hätten, so Kutzim, nicht das Kapital und das Netzwerk, um an die Kunst heranzukommen; auch würde das Know-how fehlen, um gut beurteilen zu können, welche Assets die richtigen sind und zu welchem Preis. Kutzim: „Das ist, was wir Demokratisierung des Kunstmarkts nennen. Durch uns können viele Menschen am Kunstmarkt partizipieren.“

Arttrade wurde im September 2021 von Julian Kutzim und David Riemer in Düsseldorf gegründet. Das Fintech hat sich auf die Tokenisierung von physischer Kunst spezialisiert. Im August 2023 sammelte Arttrade zwei Mio. € Risikokapital ein.

Fotos: Marvin Ruppert

Paul Resetarits,
Redakteur

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