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Fred Mandelbaum wollte eigentlich einen Computerkonzern aufziehen – heute hat er eine der grössten Chronografensammlungen der Welt und gilt als Experte für diese Uhren. Sogar der CEO von Breitling holt sich bei Mandelbaum Tipps, wie er seine Modelle besser designen kann.
Fred Mandelbaum hatte Grosses im Sinn. Er wollte in den 80er-Jahren ein europäisches Pendant zu den grossen Computerkonzernen IBM und Dell errichten, und beinahe wäre es ihm gelungen; zumindest war er auf einem guten Weg dorthin. Ganz nebenbei ist ihm dabei eine Leidenschaft für alte Chronografen erwachsen – Armbanduhren mit Zusatzfunktionen wie einer Stoppuhr oder auch Datums- und Mondphasenanzeigen.
Mit dem grossen Traum eines europäischen Konzerns sei es nichts geworden, erzählt Mandelbaum in seinem Büro im malerischen Hof eines Gründerzeithauses, nur einen Steinwurf von der Mariahilfer Kirche in Wien entfernt. Verbittert wirkt er aber keinesfalls, vielmehr leuchten seine Augen, wenn er die Chronografen betrachtet, die vor ihm auf dem Tisch liegen. Er hat sich mit seinem Unternehmen auf eine Nische zurückgezogen, die für grosse Konzerne zu aufwendig wäre – mit seinem Unternehmen „:3C! Vidision“ stellt er vor allem Computer für Prüfstände für die Automobilindustrie her. Begonnen hat er mit einem Freund in den 70er-Jahren, als die Computertechnologie noch in den Kinderschuhen steckte. Die beiden hatten ein Übersetzungsunternehmen aufgebaut, das Texte nicht auf Papier, sondern editierbar auf Datenträgern bereitstellte. In dieser Zeit war das ein Novum.
Als damals IBM und Dell Personal Computer auf den Markt brachten, wollte auch Mandelbaum ganz vorne mitmischen. „Es gab Ansätze, es zu internationaler Relevanz zu bringen“, erzählt der Computerfachmann. Von Anfang der 80er- bis Mitte der 90er-Jahre lief es gut, er verkaufte seine Computer unter der Marke 3C in Österreich, Deutschland, Italien und der Schweiz. Der Umsatz lag nach heutigem Geldwert bei rund 40 Mio. €. Dann brach Mandelbaum mit der damaligen Metro-Kaufhof-Gruppe ein wichtiger Vertriebspartner weg. Gleichzeitig wurde ihm bewusst, dass er einen Riesenkonzern aufbauen müsste, um mit den Grossen mithalten zu können. Also entschied er sich für einen Schrumpfkurs und machte mit einem kleineren Unternehmen weiter. Und spätestens ab da hatte er Zeit für eine andere grosse Leidenschaft: Chronografen.
„Chronografen waren für mich ein tägliches Arbeitswerkzeug“, sagt Mandelbaum. Er mass damit die Dauer von Produktionsprozessen auf Assembling-Bändern, um diese zu optimieren – ein üblicher Vorgang in der industriellen Fertigung, nur wird dieser heute mit Computern auf Sekundenbruchteile genau berechnet. Die Genauigkeit des Messergebnisses reicht Mandelbaum aber völlig. Viele seiner mechanischen Uhren, die unter anderem aus den 1930er- und 1940er-Jahren stammen, könnten heute gar nicht mehr so präzise hergestellt werden.
Der Durchbruch der Armbanduhr fand in den frühen 1920er-Jahren statt. „Damals gab es die Diskussion, ob sie sich durchsetzen werden oder nicht“, erzählt Mandelbaum. Die New York Times schrieb sinngemäss: bei Damen ja, bei Herren nein, weil sie weiterhin ihre Taschenuhr in die Westentasche stecken könnten. Falsche Prognosen sind kein Phänomen der Gegenwart. Viele Innovationen der 1940er-Jahre, wie Datum, Kalender, Mondphasen, wurden von Schweizer Unternehmen entwickelt und werden bis heute noch in Uhren eingebaut. Die Stoppuhrfunktion wurde von der breiten Masse für Auto- und Pferderennen verwendet.
Zuerst stand bei Mandelbaum der Nutzen, dann kam die Passion für die „wunderbaren mechanischen Uhren, die ein kleines Stück Ewigkeit in sich haben“. Er sammelt zehn verschiedene Marken, doch sein Favorit ist Breitling. Jeder relevante Schritt im Design von Chronografen ist mit diesem Namen verbunden. Mandelbaum hat sich inzwischen einen Ruf als Breitling-Experte gemacht, der noch die frühere Historie des Unternehmens kennt.
Deshalb läutete eines Tages sein Telefon, und Georges Kern, seit 2017 CEO von Breitling, meldete sich bei ihm. Kern kannte Mandelbaum aus den sozialen Medien und fragte ihn, ob er helfen würde, die Marke vom Macho-Stil der 1990er- und 2000er-Jahre zu befreien. Das grosse Design-Erbe des Unternehmens war auch Kern unbekannt. Als neue Technologien, etwa Quarzuhren, auf den Markt kamen, dachte man, die Zeit der Chronografen sei vorbei – und verschrottete Produktionsmaschinen und entsorgte Unterlagen.
Heute arbeitet Mandelbaum mit einem Art Director von Breitling zusammen, um neue Uhren in alter Tradition – nicht aber Kopien – zu entwerfen. Er ist „Brand Historian“ und Konsulent des CEOs. Mandelbaum hält auch Vorträge und berät andere Sammler und Käufer über soziale Medien. Mehr als 50.000 Leute folgen ihm auf Instagram.
Vorsichtige Töne schlägt er an, wenn es um das Thema Uhren als Investment geht: „Man kann Uhren als Anlageklasse sehen. Wie viele andere auch haben sie ein relevantes Risiko. Als Investmentstrategie ist eine Uhr in etwa so gescheit wie eine Philharmoniker-Goldmünze, macht aber viel mehr Spass“, so der Experte. Derzeit findet eine massive Marktkorrektur statt: In den vergangenen zwei Jahren haben Chronografen 25 % an Wert verloren, nach einem Höhenflug davor.
Wer in Chronografen investieren will, der sollte das nur mit grösster Vorsicht und mit einem kleinen Teil seines Vermögens tun, und auf keinen Fall kreditfinanziert. „Sonst hat man schlaflose Nächte, wie derzeit manche grossen Trader“, meint Mandelbaum. Wer darauf gewettet hat, dass der Hype weitergeht, sieht jetzt seine Felle davonschwimmen. Der Peak ist vorbei,
er war im Februar 2022 und durch Corona getrieben. Die Leute hatten Geld, das sie nicht leicht ausgeben konnten. Doch jetzt geht es zurück zur Normalität. 2024 könnte noch schwierig bleiben, 2025 könnte es bergauf gehen, meint der Sammler.
Über den Wert seiner Sammlung und die Anzahl seiner Uhren hält sich Mandelbaum bedeckt. Für ihn muss Sammeln Freude machen, da steht das Geld nicht an erster Stelle. Es gebe tolle günstige und langweilige teure Sammlungen. Uhren werden trotz Handys nach wie vor gekauft, doch andere als früher: Utility-Uhren aus dem Massenbereich kommen zunehmend wegen Smartwatches unter Druck. Uhren, die einen unverwechselbaren Charakter und ein starkes Image haben, gehen immer noch gut. Bestes Beispiel ist Breitling selbst: Bei der Übernahme im Jahr 2017 wurde das Unternehmen mit 800 Mio. US-$ bewertet, heute sind es vier Milliarden. „Da ist also schon noch ein Geschäft drinnen“, sagt Mandelbaum.
Fred Mandelbaum ist geschäftsführender Gesellschafter des Computerunternehmens „:3C! Vidision“, das sich auf Prüftechnik für die Autoindustrie spezialisiert hat. Er ist weltweit einer der gefragtesten Breitling-Experten und fungiert für den Uhrenhersteller als Brand Historian.
Fotos: Julia Rotter