Ein Drogentrip als Antidepressivum

Der Markt für psychedelische Drogen ist milliarden­schwer – und wächst weiter. Mitten in Manhattan können Patienten in durchgestylten Privatpraxen gegen Depressionen auch Ketamin erhalten. Eine von ihnen ist Nushama, wo Gründer Jay Godfrey auch auf die Zulassung von MDMA hofft.

Mitten in Manhattan, konkret auf der 53. Strasse, befindet sich Nushama. Die Privatklinik, die auf psy­che­delische Psychotherapien mit Ketamin spezialisiert ist, erreichen Besucher nach Durchquerung der opulenten Lobby mit dem Fahrstuhl in den 21. Stock. Hinter einer Glas­tür zeigt sich die farbenfrohe Auf­machung der Klinik: Von der Decke hängen Kunstblüten in Weiss, Pink und Lila. Aus den Laut­sprechern tönt atmosphärische Musik – Nushama ist ruhig, ent­spannend, hier klingt es gut, riecht es gut, sieht es schön aus.

Hinter Nushama steht Gründer Jay Godfrey, der stets von „Mit­gliedern“ und nicht von Patienten spricht. Beim Interview und Rundgang mit Forbes zeigt er, wie seine Klinik aufgebaut ist. An den Türen der Behandlungsräume stehen insgesamt 18 Zahlen, inklusive der Namen von wichtigen Persönlich­keiten in der Szene. Raum Nummer drei ist etwa nach dem Schweizer Chemiker Albert Hofmann benannt, der als Entdecker von LSD gilt; Raum Nummer fünf trägt den Namen von Alexander Shulgin, „dem Paten von MDMA – oder wie es heute auf der Strasse genannt wird: Ecstasy“, wie Godfrey erzählt.

Godfrey ist mit seinem Unternehmen Nushama in guter Gesellschaft: Die Behandlung mit psychedelischen Drogen gilt als grosse Wachstumshoffnung für Investoren und Unternehmer. Das Markt­forschungsunternehmen Brand­essence prognostiziert ein steiles Wachstum: Das Marktvolumen könnte demnach von 4,8 Mrd. US-$ (2022) bis 2029 auf 11,8 Mrd. US-$ steigen. Das wäre eine jährliche Wachstumsrate (CAGR) von 13,5 %.

Dabei hofft der Markt ins­besondere auf die Zulassungen weiterer Medikamente – denn das Patent für Ketamin ist bereits seit 2002 abgelaufen. Die Aussichten stehen aber nicht schlecht: In den USA könnte zum Beispiel die Freigabe von MDMA für die ­Behandlung von posttrauma­tischen Belastungsstörungen kurz ­bevorstehen.

Wer bei Nushama in Behandlung geht, erhält für 4.500 US-$ in insgesamt sechs Sitzungen eine von medizinischem Personal genau abgestimmte Dosis an Ketamin. Die Räume sind klein und meist fensterlos; in der Mitte steht ein gepolsterter Stuhl, der sich zu einer Liege umklappen lässt. Bei einer Behandlung werden zunächst die Vital­zeichen überprüft und ein Therapeut hilft dem Klienten, sich auf
die Behandlung vorzubereiten.

Die Infusion wird verabreicht, das Ketamin fliesst, und innerhalb von 90 Sekunden befindet sich das „Mitglied“ schon mittendrin in der „psychedelischen Erfahrung“. Etwa eine Stunde dauert dieser Zustand an. Bei Nushama heisst das Ganze dann Reise, also „Journey“.

Jay Godfrey verkörpert dieses Ambiente. Mit ruhiger Stimme erzählt er von seinen „Erfahrungen“, seiner „Reise“ und der „Überzeugung“, die ihn schliesslich dazu brachte, gemeinsam mit Rich Meloff Nushama zu gründen. Godfrey ist Kanadier und arbeitete in New York ursprünglich als Investmentbanker. Später startete er sein eigenes Mode­unternehmen, das er 15 Jahre lang führte. Dann kam die „Entzauberung“, wie er heute sagt – Godfrey begann eine Gesprächstherapie. „Am Ende hatte ich zwar einige gute Mechanismen und Strategien gelernt, mit meinen Ängsten umzugehen und sie zu lindern, aber das, was dem zugrunde lag, wurde nicht adressiert.“ Schliesslich stiess er auf Michael Pollans Buch „How To Change Your Mind“.

Godfrey fing an, mit einem Schamanen zu arbeiten und mit pflanzenbasierten Substanzen zu ­experimentieren – „vollkommen legal dort, wo ich das gemacht habe“, stellt er klar. Als die Coronapandemie 2020 ihren Höhepunkt fand, geriet Godfreys Modeunternehmen in Schwierigkeiten. Er habe aber nur „Frieden und Wonne“ gefühlt, da er sich zu diesem Zeitpunkt erneut auf einer psychedelischen Reise befunden hatte. Dass gerade er diesen Weg gefunden hatte, ohne grosses Leiden durch die Pandemie zu navigieren, empfand er ­gleichzeitig jedoch als ungerecht. Mit der Eröffnung von Nushama im Oktober 2021 sollte sich das ändern. Godfrey ist jedoch nicht allein: Nushama ist eine von mehreren privaten Kliniken in New York. Zudem bieten viele psychia­trische Praxen grosser Universitätskliniken Therapien mit Ketamin an.

Nushama-Gründer Jay Godfrey arbeitete in New York ursprünglich als Investmentbanker.

Jeffrey Zabinski, Assistenz­professor für Psychiatrie an der Columbia University in New York, erklärt die Wirkweise von Ketamin so: „Wir sagen, dass Ketamin einen Zustand von erhöhter Neuroplasti­zität generiert – das Gehirn kann neuronale Verbindungen quasi einfacher herstellen.“ Hinzu kommt die psychedelische Erfahrung. Was Menschen sehen und erfahren, während sie unter dem Einfluss von Ketamin stehen, ist für jeden unterschiedlich, sagt Godfrey: „Das Ego löst sich auf. Die Wände reissen ein, alle Meinungen und Urteile – also das Glaubenssystem – stehen kurz­zeitig still.“

Die Wissenschaft formuliert diese Wirkung ähnlich. In einem Paper aus dem Jahr 2022, das den Forschungsstand zur Ketamin-­unterstützten Psychotherapie zusammenfasst, wird die Erfahrung so beschrieben: „Es kann neue Perspektiven eröffnen, kritisches Reframing stimulieren und per­sönliche Einsichten bringen.“ Ins­gesamt sei die Studienlage zur Wirkung von Ketamin zur Behandlung von Depressionen bisher aber eher dünn. Die Autoren verweisen auf die wenigen Studien der vergangenen 15 Jahre, die jedoch starke Beweise dafür zeigten, dass Ketamin-Therapien einen neuen, schnell einsetzenden, aber zeitlich begrenzten therapeutischen Effekt hätten.

Mit Spravato ist aktuell nur ein Ketamin-Medikament (in Form eines Nasensprays) für die Behandlung von Depressionen in den USA zugelassen. Ketamin, das intravenös verabreicht wird, ist zwar ­zugelassen, allerdings nur als Anästhetikum, und wird in der Psychotherapie im Rahmen der „Off-Label-Nutzung“ (nicht bestimmungsgemässer Ge­brauch) eingesetzt. So ist Ketamin aktuell das einzige legal einsetzbare Medikament dieser Art. Ebenso stellt sich die Rechtslage in der DACH-Region dar.

Jeffrey Zabinski teilt den Enthu­siasmus rund um die neue Behandlungsmethode, sieht darin aber auch Risiken – insbesondere, wenn kommerzielle Interessen im Spiel sind oder sofern Patienten zu viel versprochen wird. „Wenn Unternehmen sagen, dass dieses Medikament alles heilen kann und Patienten sich danach besser fühlen werden als je zuvor, dann ist das schlicht nicht die Wahrheit.“ Vielen gehe es nach einer Ketamin-Behandlung besser – aber nicht allen.

Behandlungen mit Ketamin richten sich in der Regel an Patienten mit der Diagnose „behandlungsresistente klinische Depression“. Das bedeutet, dass die Betroffenen in der Regel bereits einen oder mehrere erfolglose Behandlungswege hinter sich haben; so auch bei Nushama. Gleichzeitig gibt es auch einige Krankheitsbilder, die Patienten für eine Ketamin-Behandlung disquali­fizieren, etwa Schizophrenie.

Und dann ist da noch die Psychotherapie: Bei Nushama ein fester Bestandteil der Behandlung und in der Studie als „möglicher ­Faktor“ genannt, der den Effekt von Ketamin verlängern kann – denn der antidepressive Effekt der Medikation ist temporär. Was laut Godfrey jedoch dauerhaft ist, sind die Erkenntnisse, die die Menschen während einer Ketamin-Behandlung erfahren; diese könnten langfristig frische Perspektiven aufzeigen.

Nushama finanziert sich durch eine Mischung aus Venture Capital und eigenen Ressourcen der ­Gründer. Im Mai 2023 habe die Firma zum ersten Mal einen posi­tiven Cashflow erwirtschaftet und seitdem mehrere profitable Monate gehabt, so Nushama im August 2023.

Text: Sarah Sendner
Fotos: beigestellt

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