Ein Blick durch die virtuelle Brille

Brille aufsetzen – Realität verlassen. Virtual Reality-Brillen sind schon lange nicht mehr nur noch in der Gamingwelt zuhause. Die vielfältig einsetzbare Technologie hat sich mittlerweile zu einem Milliardengeschäft entwickelt und breitet sich in immer mehr Branchen aus.

Durch ein Loch im Boden fällt Alice ins Wunderland und lernt dort kuriose Gestalten kennen. Mary Poppins springt mit Kindern in Gemälde und findet sich in einer Fantasiewelt wieder und durch den Wandschrank finden die Geschwister Pevensie ihren Weg in das Multiversum Narnia. Bereits in der Kinder- und Jugendliteratur wird der Wunsch der Menschheit widergespiegelt, das eigene Universum zu verlassen, um ein anderes zu betreten. Das Tor zur neuen Welt variiert dabei von Geschichte zu Geschichte. Ein Paralleluniversum zu betreten, ist uns zwar noch nicht gelungen, doch das Gefühl herzustellen, seine Realität zu verlassen, um in eine neue einzutauchen, ist bereits seit 1987 möglich. In diesem Jahr entwickelte die US-amerikanischen Raumfahrtbehörde NASA gemeinsam mit VPL-Research die erste kommerzielle Virtual Reality-Brille. Das Unternehmen brachte  die ersten kommerziellen Virtual Reality Hard- und Software-Komponenten heraus, ging 1993 allerdings in Konkurs. In den letzten 35 Jahren hat sich die Branche der einst utopischen Erfindung in ein Milliardengeschäft verwandelt, das längst im Mainstream angekommen ist.


Die Prognose für den weltweiten Umsatz mit Virtual Reality-Produkten bis 2025 liegt bei 22,37 Mrd. US-$. Bis 2024 sollen jährlich bis zu 74 Millionen VR-Brillen abgesetzt werden. Virtual Reality-Produkte sind also schon lange kein Nischengeschäft mehr. Während sich 2018 noch 17% der Deutschen vorstellen konnten, in Zukunft VR-Brillen zu nutzen, so sind es 2021 schon 41%. Doch wie genau funktioniert die beliebte Brille? VR-Brillen sind eine Art des Head-Mounted Displays, kurz HDM. Ein HDM beschreibt ein auf dem Kopf getragenes Ausgabegerät, welches Bilder entweder auf einem dem Auge nahem Bildschirm anzeigt oder diese direkt auf die Netzhaut projiziert. Eine VR-Brille soll den Nutzern das Gefühl geben, in eine virtuelle Realität einzutauchen. „Der Kern moderner Virtual Reality-Hardware ist die VR-Brille mit zwei hochauflösenden Displays zur Darstellung künstlich erzeugter Bilder und einer damit gekoppelten Sensorik zur Erfassung von Lage und Position des Kopfes. Wenn zwischen Sensorik und Darstellung eines Bildes weniger als 11 Millisekunden vergehen – die sogenannte Sensor-to-Photon-Latency –, entsteht der Eindruck, in der virtuellen Realität ‘präsent’ zu sein”, so definiert das deutsche Zukunftsinstitut die Brille. Die Realität, in die der Nutzer eintaucht, wird durch spezielle Hard- und Software erzeugt und kann so gut wie jede Umgebung wie zum Beispiel das Cockpit eines Flugzeugs, eine fiktive Stadt oder die Unterwasserwelt simulieren. Obwohl VR-Brillen hauptsächlich bei Computer- und Simulationsspielen zum Einsatz kommen, beschränkt sich ihre Verwendung schon längst nicht mehr auf die Unterhaltungsbranche.


VR-Brillen können zu medizinischen Zwecken wie der Behandlung von Phantomschmerzen oder zu Trainingszwecken bei Astronauten oder Piloten eingesetzt werden. Auch Unternehmensgrössen wie Ikea oder Audi nutzen die Technologie, um ihren Kunden das beste Einkaufserlebnis zu ermöglichen. Die breite Einsetzbarkeit der Technologie und dessen vielversprechendes Potenzial erkannte kein anderer als Mark Zuckerberg schon vor Jahren. 2014 ersteigerte Facebook den VR-Brillen Pionier Oculus und hält so 2020 mit 38,7 % den mit Abstand grössten Marktanteil im Sektor der Virtual Reality-Brillen. An zweiter Stelle liegt Sony mit 21,9% und Pico mit 9,2%, liegt an dritter Stelle. Die Preise der zahlreichen Anbieter spannen sich über einen grossen Bereich. Die Produkte unterscheiden sich dabei in High-End-Headsets wie zum Beispiel die von der Facebook-Tochter Oculus, welche mit dem PC verbunden werden müssen (die Produktpreise variieren zwischen 300 bis 999 €) und in Mobile Headsets, die zum Beispiel von Google oder Samsung angeboten werden. Diese Modelle können durch Smartphones gesteuert werden und sind bereits ab 36 € erhältlich.

Obwohl die VR-Brillen, so wie es aussieht, noch nicht auf dem Höhepunkt ihres Hypes angekommen sind, spricht Zuckerberg bereits von einer neuen, weltverändernden Technologie, die das aktuelle Jahrzehnt revolutionieren soll: Augmented Reality-Brillen, kurz AR-Brillen. „While I expect phones to still be out primary devices through most of this decade, at some point in the 2020s, we will get breakthrough augmented reality glasses that will redefine our relationship with technology”, so Zuckerberg 2020 über seinen Facebook-Account. AR-Brillen, auch Datenbrillen genannt, projizieren virtuell Informationen vor das Auge des Benutzers, ohne diesen von der Aussenwelt abzuschirmen. Grafiken, Internetseiten oder auch Hologramme können dem Träger angezeigt werden. Grosse Konzerne wie Google und Microsoft sind bereits vor Jahren auf diesenZug aufgesprungen und haben bereits ihre eigenen Versionen entwickelt. Zuckerberg sieht in den AR-Brillen hohes Potenzial. laut ihm könnten diese in Zukunft die Medien aber auch einen grossen Teil der Kunstindustrie ersetzen. „Think about how many things that are in your life don’t actually need to be physical and could be easily replaced by a digital hologram in a world where you had glasses”, so der Facebook-CEO im Juni 2021 im Zuge der VivaTech Konferenz in Paris. Während die Technologie für viele IT-Experten eine enormen Fortschritt darstellt, warnen Datenschutz-Experten vor Risiken. Kritisiert wird beispielsweise an Googles Modell, der „Google Glass”, die Möglichkeit mit der Brille unbemerkt andere Menschen zu fotografieren und zu filmen. Es wird befürchtet dass alle mit der Brille aufgenommenen Dateien direkt an das Unternehmen weitergeleitet werden könnten, schreibt unter anderem die deutsche Wochenzeitung „die Zeit”.


Bevor die AR-Brillen aber zu einem Massenprodukt werden, wird uns die VR-Brille voraussichtlich zukünftig immer häufiger beschäftigen. Das Zukunftsinstitut geht davon aus, dass die Technologie in beinahe jedem Bereich, aber vor allem in der Medienbranche unseren Alltag verändern könnte. Laut einer Prognose des Investmentbanking-Unternehmens Goldman-Sachs könnten die Erlöse der VR-Brillen nämlich bereits 2025 die Erlöse der TV-Branche übersteigen. Noch nicht vor allzu langer Zeit schien die Vorstellung, seine Realität nach Belieben verlassen zu können, mehr als utopisch. Auch wenn wir in Zukunft nicht in Bilder springen werden oder uns durch den Wandschrank in eine andere Welt bewegen, nimmt der Wechsel in die virtuelle Welt immer mehr Raum in unserer Gesellschaft ein und ist in seinen Möglichkeiten noch lange nicht ausgeschöpft.

Text: Sophie Ströbitzer
Fotos: Minh Pham, Brett Jordan/Unsplash

Sophie Ströbitzer

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