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In einer schwierigen Situation am Ende ihres Studiums – schwanger und auf der Suche nach einer Möglichkeit, für sich und ihr Kind zu sorgen – entschied sich Ina Kent, als Taschendesignerin ihren eigenen Weg zu gehen. Zwanzig Jahre später steht die Wienerin an der Spitze eines Labels mit zwei Geschäften und einem Team von 16 Mitarbeitern. „Es war die vernünftigste Option“, erzählt sie im Interview.
Die beiden Stores der Taschendesignerin Ina Kent liegen in einem Grätzl des siebten Wiener Bezirks Neubau, das gerne als Hipster-Viertel bezeichnet wird, weniger als 300 Meter voneinander entfernt: Das eine Geschäft befindet sich in der belebten Neubaugasse, eine der bekanntesten Einkaufsstrassen Wiens. Sie ist gespickt mit eleganten Boutiquen und Geschäften. Die Kunden sind überwiegend jung, legen Wert auf Nachhaltigkeit und gehören meist zur wohlhabenderen Schicht, oft als „Bobos“ bezeichnet. Entsprechend sind die Preise hier höher als in vielen anderen Teilen Wiens. Der andere Store befindet sich direkt um die Ecke in der ruhigeren Siebensterngasse. Hier empfängt uns Kent um 9 Uhr, eine Stunde vor Ladenöffnung. Überall hängen Taschen in verschiedenen Farben – Kent hat auf einem Sitzblock in der Mitte Platz genommen.
Ihr Handy klingelt ununterbrochen, bis sie ihren Gesprächspartnern mitteilt, dass sie sich nun dem Interview widmet. Kent ist den intensiven Arbeitsalltag gewohnt: In den vergangenen 20 Jahren hat sie ein Unternehmen aufgebaut und gleichzeitig ihre Tochter grossgezogen. „Meine Hobbys sind mir alle abhandengekommen“, erzählt Kent.
In den letzten Jahren sind diese Facetten des Privatlebens nach und nach zurückgekehrt: „Das hole ich mir jetzt langsam, schrittweise wieder zurück“, sagt sie. Das hat massgeblich mit zwei Entwicklungen in ihrem Umfeld zu tun: Ihre Tochter ist mittlerweile erwachsen und das Unternehmen wächst, was ihr mehr Freiraum gibt. „Es ist nicht mehr so, dass ich alles selbst machen muss“, so Kent weiter. Die Entlastung auf beruflicher Ebene hängt mit der Professionalisierung ihres Unternehmens zusammen.
Im Jahr 2019 entschied sich Kent, die Rechtsform von einem Einzelunternehmen in eine GmbH umzuwandeln und sich Führungspersonal zu holen. Viele Aufgaben, die bisher die Gründerin erledigte, übernahm die neue COO, Barbara Goldschmidt. „Es war nicht nur ein finanzieller Invest, sondern auch ein grosser Vertrauensvorschuss“, erklärt Kent, der es nicht leichtfiel, diese Verantwortung abzugeben. Sie war es gewohnt, bei personellen Entscheidungen vorsichtig zu agieren, aber mit der wachsenden Unternehmensgrösse war klar, dass sie im Management Unterstützung benötigte. Durch die Umstrukturierung konnte Kent sich voll und ganz auf das konzentrieren, was sie am besten kann: Taschen designen. „Design schafft kollektive und individuelle Assoziationen und ist irgendwie auch eine Art Storytelling“, sagt sie. „Die eigentlichen Geschichten erzählen dann die Trägerinnen unserer Taschen mit dem, was sie damit erleben und wie sie es erleben.“
Kent hat sich das Handwerk autodidaktisch beigebracht. Sie ist im siebten Bezirk aufgewachsen und zur Schule gegangen, nicht weit von ihrem jetzigen Arbeitsplatz. „Damals war der siebte Bezirk noch ganz anders, eher ‚trashy‘, vor allem Richtung Gürtel – man könnte es mit dem heutigen 15. Bezirk vergleichen“, sagt sie und lächelt.
Die kreative Ader liegt in der Familie: Ihr Vater war Jurist, aber Kent beschreibt ihn als „einen sehr kreativen Menschen, auch wenn er es selbst nicht so sieht“. Ihr Grossvater hingegen hinterliess einen tieferen Einfluss auf ihre Liebe zum Handwerk. „Meine Grosseltern waren sehr bodenständig. Meine Grossmutter hat viel genäht, und mein Grossvater hat Schuhe repariert. Er war ein Tüftler, der immer etwas gebastelt hat. Diese erfinderische Ader hat mich sicherlich geprägt.“
Nach der Matura entschied sich Kent für ein Studium der Ernährungswissenschaften. „Schon vor meinem Studium habe ich viel mit Leder gearbeitet und Einzelanfertigungen verkauft, unter anderem auf Kunsthandwerksmärkten“, stellt sie klar. Unter anderem stellte sie für eine Schmuckdesignerin, die ihre Werke im Deutsch-Österreichischen Handwerksmuseum in New York vertrieb, kleine Ledertaschen her. Aus der Not heraus fand sie zu ihrer handwerklichen Arbeit zurück. „Ich war ganz knapp vor dem Ende des Studiums, als ich schwanger wurde“, so Kent. „Es war notwendig, ein Einkommen zu haben. Ich habe das Studium nicht mehr weitermachen können.“
„Die eigentlichen Geschichten erzählen die Trägerinnen unserer Taschen.“
Ina Kent
Sie fasste den Entschluss, sich auf ihre handwerklichen Fähigkeiten zurückzubesinnen und sich als Taschendesignerin selbstständig zu machen. „Ich habe es nicht gemacht, weil ich mutig war, sondern weil ich das Gefühl hatte, keine andere Wahl zu haben“, erklärt sie. „Ich habe mehr auf mich vertraut als darauf, dass mir ein Arbeitgeber Sicherheit geben könnte.“
Kent begann klein, ohne grosses Konzept oder weitreichende Vision. Sie nähte die ersten Taschen selbst und verkaufte sie in einem kleinen Laden in der Lindengasse, ebenfalls im siebten Bezirk. „Ich habe nie riskiert und bin Schritt für Schritt gegangen. Ich habe gesehen, was ankommt, und dann nachjustiert“, sagt sie. In der Anfangszeit nähte sie Einzelstücke, die sie in die Auslage hängte. Als junge Mutter und frischgebackene Unternehmerin war Kent stets von Unsicherheiten begleitet. „Ich war immer skeptisch, ob der Erfolg eintritt. Das Erstaunliche war, dass es funktioniert hat. Daraus habe ich gelernt, dass ich meine Ängste überwinden kann“, sagt sie.
Als die Nachfrage grösser wurde und die Einzelkämpferin nicht mehr alleine nähen konnte, stellte sie eine Studentin von der Modeschule Hetzendorf und später einen festangestellten Mitarbeiter ein. Der erste Store in der Lindengasse mass nur 20 Quadratmeter und war ursprünglich als Werkstatt konzipiert. Nach und nach verlagerte sich die Werkstatt in den hinteren Bereich des Ladens, um mehr Platz für den Verkauf zu schaffen. Als die Verkaufsfläche nicht mehr ausreichte, entschied sich Kent, einen zweiten Store in der Siebensterngasse zu eröffnen. Wenig später kam die Location in der Neubaugasse dazu. Anfangs führte sie die drei Läden parallel, entschied sich aber, nur die neuen Läden weiterzuführen.
Gleichzeitig entschied sich Kent, die Produktion nach Osteuropa zu verlagern, zunächst nach Polen und dann in die Slowakei. Als auch das Werk in der Slowakei geschlossen wurde, verlagerte Kent die Herstellung nach Indien. Schon zuvor hatte sie Kontakt zu einem Produzenten im Bundesstaat Uttar Pradesh geknüpft, was sich als Wendepunkt herausstellte. „Es ist ein Paar, das die Produktion leitet. Ich kenne beide gut, es ist ein freundschaftliches Verhältnis. Wir teilen gemeinsame Werte“, so Kent. „Man hat ja oft bestimmte Vorstellungen von asiatischen Produktionsstätten, aber die Arbeitsbedingungen in unserer indischen Produktion sind hervorragend und weit besser als die, die ich in manchen europäischen Produktionen erlebt habe.“ Die jährliche Produktionsmenge sowie die Anzahl der verkauften Taschen liegt im unteren fünfstelligen Bereich.
Die Preise der Taschen variieren und bieten für verschiedene Budgets eine breite Auswahl. Die Preisspanne reicht von etwa 35 € für kleinere Accessoires wie Schlüsselbänder bis hin zu etwa 545 € für grosse Tote-Bags aus hochwertigen Materialien. Im mittleren Preisbereich liegen viele der ikonischen Crossbody- und Schultertaschen, die zwischen 155 und 225 € kosten.
Obwohl der Onlinehandel wächst, betont die 58-Jährige, dass der stationäre Verkauf weiterhin eine wichtige Rolle spielt. „Wir haben nicht einmal die Hälfte unserer Verkäufe online“, verrät Kent. Die Pandemie hat zwar kurzfristig ihren E-Commerce gefördert, aber nun verzeichnet sie wieder ein starkes Wachstum in ihren Geschäften. Der direkte Kundenkontakt ist der Schlüssel zum Verkaufserfolg. „Wir sind noch immer nah am Kunden. Uns ist es unheimlich wichtig, Feedback zu holen“, sagt sie. Kent und ihr Marketingteam betreiben interne Umfragen, die direkt mit den Kunden durchgeführt werden. „Es ist extrem wichtig, zu wissen, was den Leuten gefällt und was nicht.“
Was Social-Media-Marketing betrifft, ist Kent vorsichtig: „Die Herausforderung bei den Postings ist, authentisch zu bleiben.“ Trendorientierte Plattformen wie Instagram bezeichnet sie als herausfordernd für Marken mit langlebiger Produktphilosophie. Dennoch hat Kent positive Erfahrungen mit Werbung auf Instagram gemacht. Sie hebt die Kooperation mit der österreichischen Schauspielerin Stefanie Reinsperger hervor: „Das ist einfach eine Person, die viel aussagt und zur Marke passt.“
Und auch die Kampagne „Who is afraid of … femininity?“ erregte im Sommer 2024 viel Aufmerksamkeit in den sozialen Netzwerken. Die Kampagne rückte Männer, die klassische Geschlechterstereotype verkörpern, in den Fokus und zeigte sie mit Taschen. Die Fotos zeigen einen Bauarbeiter, einen Türsteher, einen Landwirt, einen Anzugträger und einen Biker mit bunten Ledertaschen von Ina Kent. Teil des Konzepts war es, festgefahrene Klischees zu durchbrechen: „Aber eben mit einem humorigen Element, mit Augenzwinkern, so etwas mag ich einfach gern.“ Kent freute die Reaktion eines Mannes nach der Kampagne besonders: „Er kam in den Laden und kaufte eine Tasche. Er sagte, nachdem er die Kampagne gesehen hätte, sei er jetzt überzeugt. Das ist natürlich eine Bestätigung unserer Arbeit.“
Für die Zukunft möchte die Geschäftsführerin das, wie sie es selbst nennt, „organische Wachstum“ fortsetzen. Sie beschreibt sich selbst als „keine Gamblerin“ und möchte „nachts ruhig schlafen können“. Die Verantwortung über 16 Mitarbeiter ist beachtlich für jemanden, der nur Unternehmer wurde, um sein Kind ernähren zu können. Diese zurückhaltende Wachstumsstrategie, ohne grosse Pläne zu verkünden, unterscheidet Kent von vielen Unternehmern. Dennoch weiss sie genau, wo sie mit ihren Taschen hin möchte. Die Präsenz in Grosshandelsmärkten im deutschsprachigen Raum soll in den nächsten Jahren stark ausgebaut werden. „Mein Wunsch ist natürlich, dass wir trotzdem alle Fäden in der Hand behalten und die Marke ihren Charakter behält, auch im Wachstum.“
Ina Kent, geboren 1966, betreibt seit 2007 das gleichnamige Taschenlabel und führt zwei Geschäfte im siebten Wiener Gemeindebezirk. Das Handwerk hat sie sich autodidaktisch beigebracht. Mittlerweile lässt sie ihre Taschen in Indien herstellen.
Fotos: Gianmaria Gava