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Marie Curie ist vielfach die erste Frau, an die wir denken, wenn es um weibliche Wissenschaftler geht. Warum ist das so? Und was sind die Hintergründe des Lebens und der Geschichte der gebürtigen Polin, die als einzige Frau zwei Nobelpreise erhielt?
Marie Curie hat einst gesagt: „Man braucht nichts im Leben zu fürchten, man muss nur alles verstehen.“ Zu ihrem Hauptforschungsgebiet gehörte die Untersuchung der Radioaktivität diverser Elemente. Sie selbst hatte jahrelang mit den Auswirkungen der von ihrer Forschung verursachten Strahlenkrankheit zu kämpfen. Dennoch entwarf sie im Ersten Weltkrieg zusammen mit ihrer Tochter einen Röntgenwagen, um verwundeten Soldaten zu helfen. „Irgendwann konnte sie aufgrund der Strahlenkrankheit ihre Fingerkuppen nicht mehr spüren und bewegen. Später ist Marie Curie dann an einer Art Leukämie verstorben“, erzählt Natali Stegmann. Auf die Frage, ob Marie Curies Forschung innovativ war, zögert Stegmann: „Das ist eine philosophische Frage, denn grundsätzlich hat sie mit der Entdeckung von Polonium ja nur das benannt, was es vorher schon gab.“
Das Leben als Mutter stand bei Curie jenem als Wissenschaftlerin um nichts nach. Ihre zwei Kinder zog sie nach dem frühen Tod ihres Mannes alleine auf. Stegmann: „Ich fand es sehr faszinierend, dass Marie Curie in derselben Art und Weise von der Kindererziehung berichtet wie von ihrer Arbeit als Forscherin.“ Dennoch hatte Curie mit den Anstrengungen der Doppel- bzw. Dreifachbelastung als alleinerziehende Mutter und Forscherin zu kämpfen: Als Frau werde einem die Forschung nicht gerade einfach gemacht, beklagt sie. Tatsächlich können auch heute noch Mütter, die in der Wissenschaft tätig sind, um einiges weniger Publikationen vorweisen als ihre männlichen Kollegen. So hat etwa eine Studie der University of Colorado gezeigt, dass kinderlose Frauen rund 10 % weniger publizieren als ihre männlichen Mitstreiter; bei Akademikerinnen mit Kindern ist die Zahl noch niedriger – sie publizieren um ein Viertel weniger als Akademiker, die Kinder haben.
„Frauen hatten zu Marie Curies Zeiten eine desaströse Stellung. Curie konnte ihre Professur nur deshalb antreten, weil sie die akademische Erbin von Pierre Curie war“, erklärt Natali Stegmann. Ausserdem durfte sie ihre frühen Entdeckungen aufgrund ihres Geschlechts nie selbst vor der Académie des sciences vortragen. Als sie sich Jahre später für einen Platz an der Académie bewarb, hiess es seitens der liberalen Tageszeitung Le Figaro: „Man soll nicht versuchen … die Frau dem Manne gleich zu machen!“ Selbst wenn Curie nie an der französischen Akademie der Wissenschaften aufgenommen wurde (erst 51 Jahre später war eine ehemalige Assistentin von Marie Curie, Marguerite Perey, die erste Frau in ihren Reihen), konnte sie mit ihren beiden Nobelpreisen in der Wissenschaft Fuss fassen.
Bis heute sind weibliche Physik-Nobelpreisträger eine Seltenheit – nur 2 % dieser Auszeichnungen gingen an Frauen. Marie Curie hatte somit in der Wissenschaft eine sehr grosse Vorbildrolle inne. „Sie ist der Beweis dafür, dass Frauen zu wissenschaftlichen Höchstleistungen fähig sind“, sagt Stegmann.
Marie Curie ist wohl die berühmteste Wissenschaftlerin aller Zeiten. 1903 bekam sie ihren ersten Nobelpreis, in Physik, 1911, ihren zweiten, in Chemie. Damit war sie nicht nur die erste Frau aller Zeiten, der ein Nobelpreis verliehen wurde, sondern ist auch bis heute die einzige, die zweimal in verschiedenen Fächern zu dieser Auszeichnung kam. Es sind jedoch nicht nur die Preise, die Curie zu einer bemerkenswerten Wissenschaftlerin machten, vielmehr sind es ihre Taten, auf sowohl wissenschaftlicher als auch gesellschaftlicher Ebene: Sie entdeckte zwei neue Elemente, forschte an der Radioaktivität (was später viele Menschenleben retten sollte) und unterrichtete nebenbei als erste
und einzige Frau an der Pariser Universität Sorbonne.
Marie Curie war in ihrer Karriere, aber auch in ihrer Lebensweise als eigenständige Frau ihrer Zeit voraus – was auch den Medien nicht verborgen blieb: Viele Jahre lang wurde die Forscherin von der Boulevardpresse verfolgt. Vor allem während der sogenannten „Langevin-Affäre“, die in zahlreichen Biografien thematisiert wird, ist dies gut zu beobachten: Nach dem Tod ihres Mannes Pierre Curie fing Marie eine Affäre mit einem seiner damaligen Schüler, Paul Langevin, an. Langevin war nicht nur jünger als Curie, sondern auch verheiratet. Als die Ehefrau von der Affäre erfuhr, verriet sie der Presse von diesem Skandal und übergab ihr die Liebesbriefe von Marie Curie und Paul Langevin, die sie gefunden hatte. Im Zuge dessen erschien in der Zeitschrift L’Action française regelmässig eine Artikelreihe mit dem Namen: „Pour une mère“ (deutsch: Für eine Mutter), in der Curie als Ausländerin, Fremde und „intellektuelle Emanze“ beschimpft wurde. Sie hielt jedoch unbeirrt an ihrer Lebensweise fest – was sie bis heute zu einem Vorbild für viele eigenständige und freigeistige Frauen macht.
Natali Stegmann, Professorin für Geschichte an der Universität Regensburg mit Schwerpunkt auf der Geschichte von Südost- und Osteuropa, hat im Laufe ihrer Karriere mehrere Werke über Marie Curie verfasst, unter anderem auch ein Kinderbuch. „Das Kinderbuch ist vor längerer Zeit im Theaterverlag meines Vaters erschienen und aus diesem Grund nicht so bekannt geworden“, erzählt Stegmann lachend. Ihre anderen, grösstenteils geschichtlichen Werke erfreuen sich aber grosser Beliebtheit.
Marie Curie wurde 1867 in Warschau als Tochter eines Lehrerpaars geboren. „Sie ist in einem osteuropäischen Intellektuellenmilieu aufgewachsen, daher hatte sie einen starken Zug zur Bildung und vor allem zur naturwissenschaftlichen Bildung“, erklärt Stegmann. Da in Polen damals keine Frauen zum Studium zugelassen wurden – die erste Frau immatrikulierte 1918 –, zog es Marie Curie nach Frankreich. Dort begann sie 1881 an der Sorbonne, Mathematik und Physik zu studieren; dort lernte sie auch ihren späteren Mann, Pierre Curie, kennen, mit dem sie gemeinsam das Element Polonium, das nach ihrem Heimatland Polen benannt wurde, entdeckte. Nach dem frühen Unfalltod von Pierre (er kam unter die Räder eines Pferdefuhrwerks) übernahm Marie seinen Lehrstuhl an der Universität und war somit die erste Frau, die an der Sorbonne unterrichtete. In ihrem „Selbstzeugnis“, einer Art persönlich verfasster Biografie, schrieb sie: „Es haben sich Idioten gefunden, die mir zur Professur gratulieren.“ Stegmann erklärt: „Sie ist in diesem Moment also keinesfalls euphorisch, sondern eher mitgenommen vom Tod ihres Mannes.“
Natali Stegmann studierte Osteuropäische Geschichte in Frankfurt und Tübingen. Heute forscht sie an der Universität Regensburg über die Geschichte Ostmitteleuropas; ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf Polen und der ehemaligen Tschechoslowakei.
Text: Lela Thun
Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 2–22 zum Thema „Innovation & Forschung“.