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Das Wirtshaus Steirereck am Pogusch in der Steiermark wird in der zweiten Generation von Familie Reitbauer geführt. Nach sieben Jahren Planung und Umbau eröffnete es im Mai 2021 in neuem Glanz – inklusive Kreislaufwirtschaft und ausgefallenen Übernachtungsmöglichkeiten.
Birgit Reitbauer trägt ein dunkelblaues, hochgeschlossenes Kleid, als sie uns hereinbittet. Stets an ihrer Seite: Dackelwelpe Ferdinand. Neben dem Parkplatz grasen Ziegen vor ihrem Stall, drinnen trägt das von aussen unveränderte traditionelle Wirtshaus ein neues Antlitz: Während die Gaststube eher klassisch gehalten ist, befindet sich inmitten des Raums eine moderne offene Küche. Die Materialien Glas und Holz dominieren. An diesem Mittwochmorgen ist es ruhig in der Gaststube, denn das Restaurant öffnet erst donnerstags, das Hotel hat allerdings die ganze Woche geöffnet. Die Gastronomin ist aber immer gefragt: Während Reitbauer uns durch ihr Reich führt, klingelt alle paar Minuten das Handy. Links wird der Kühlschrank repariert, rechts brutzelt ein Spiegelei – jeder braucht etwas von der Chefin.
Der Umzug, zurück auf den Pogusch nach dem Umbau des Wirtshauses, war für die Reitbauers eigentlich eine Heimkehr – das Paar führte das Haus, welches ursprünglich von Heinz Reitbauers Eltern eröffnet worden war, bereits Ende der 90er-Jahre, bevor es für die beiden nach Wien ging. Vor sieben Jahren begann bereits die Planung für den Umbau und die Vision für das heutige Wirtshaus, das ursprünglich für Bauern aus der Umgebung eröffnet worden war: „Für uns war immer klar, der Pogusch ist ein magischer Ort. Mit unserer Vorstellung für den Umbau wollten wir dem Standort die notwendige Nachhaltigkeit geben, die er verdient“, holt Birgit Reitbauer aus. Was genau bedeutet das? Gemeinsam mit dem Architekturbüro PPAG, das u. a. das Haus 10 des Otto-Wagner-Spitals in Wien neu gestaltete, erstellten die Reitbauers ein Kreislaufwirtschaftskonzept für das Wirtshaus, renovierten die Innenräume und entwickelten ausgefallene Übernachtungsmöglichkeiten für Gäste. So kann man beispielsweise im neuen hauseigenen Glashaus eine Kabane im Luxus-Hostel-Stil buchen und so zwischen Minze und Mangold zu Bett gehen. Wenn man es etwas ruhiger mag, bieten sich die Jagdhütte, eine kleine zweistöckige Holzhütte in der Nähe des Wirtshauses, oder die etwas weiter weg gelegenen Baumhäuser an, die mit einer wirklich einzigartigen Optik eine Luxusübernachtung mitten im Wald bieten. Auch im alten Ziegenstall lässt es sich nächtigen; insgesamt verfügt der Betrieb über 15 Zimmer und zehn Kabanen.
Das Haus ist heute energieautark – so werden durch die Abwärme der Kühlbereiche beispielsweise die Gehwege im Aussenbereich geheizt. „Es ist sehr viel Know-how in den Umbau geflossen, um das Unternehmen nicht nur gastronomisch zu modernisieren, sondern auch eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft zu schaffen‘‘, so Reitbauer. Die Energiekrise war zu Beginn des Umbaus im März 2020 noch weit weg, betont die gelernte Gastronomin. Heute empfängt „der Pogusch“ auf 1.100 Höhenmetern und 80 Hektar Fläche gemeinsam mit 50 Mitarbeitern zahlreiche Gäste aus aller Welt. Auf dem hauseigenen Hubschrauberlandeplatz, der ursprünglich als Rodelwiese diente, landen regelmässig Vertreter der High Society – zum Unmut der Nachbarn. Reitbauer lässt sich davon allerdings nicht beirren. Jedes Wochenende landen ungefähr fünf Helikopter im beschaulichen St. Lorenzen im Mürztal. Es wäre nicht das Steirereck, wenn nicht auch im naturbelassenen und nachhaltig konzipierten Wirtshaus zumindest ein wenig Extravaganz stecken würde.
Und Extravaganz kann man sich mit dem Ruf des Gastronomenpaars auch leisten. Nicht umsonst ist der Name Steirereck so ziemlich jedem Österreicher ein Begriff. Meist lockt einen der Name allerdings in den Wiener Stadtpark, wo die Reitbauers seit 2005 das beste Restaurant Österreichs (das auch schon auf Rang neun der weltbesten Gastro-Betriebe war) führen.
Der Weg an die Spitze begann für Birgit Reitbauer in Langenzersdorf an der Stadtgrenze Wiens, wo die Gastronomin aufwuchs. Von dort ging es schnell Richtung Hauptstadt an die Tourismusschule und anschliessend an die Universität. Nebenbei sammelte sie laufend gastronomische Erfahrung. Nach Abstechern zum südafrikanischen Fremdenverkehrsamt und einer Stelle als Standortleiterin der Kurkonditorei Oberlaa am Neuen Markt in Wien ging es ab ins Steirereck. Dort lernte sie ihren Mann, den Geschäftsführer und Chefkoch Heinz Reitbauer, kennen. „Mein Mann wusste, dass er jemanden an der Front braucht, der ihm den Rücken freihält“, sagt Reitbauer. Bis heute leiten die beiden mit der Meierei insgesamt drei Standorte und erziehen drei gemeinsame Kinder – ein Familienunternehmen durch und durch.
Der Ursprung des international renommierten Namens für Haubenküche geht auf die Familie von Heinz Reitbauer und das Jahr 1970 zurück. Damals eröffnen seine Eltern Heinz sen. und Margarethe ihr erstes Lokal im dritten Wiener Gemeindebezirk an der Ecke Rasumofskygasse/Weissgerberlände: das Steirereck. Der Laden läuft, die Kassen füllen sich. Nach zahlreichen Entdeckungsreisen, die Heinz sen. und Margarethe Reitbauer durch die besten Häuser Europas führen, werden die beiden von Ehrgeiz und Inspiration gepackt und schrauben die Ansprüche an ihren Betrieb und an sich selbst immer höher. 1983 erhalten sie die erste Haube, 1986 folgt die zweite.
Für uns war immer klar: Der Pogusch ist ein magischer Ort.
Birgit Reitbauer
Im Jahr 1992 gelingt ein weiterer Coup: Das Steirereck erhält erstmals vier Gault-Millau-Hauben und gilt nun als bestes Restaurant Österreichs. 1996 eröffnen die aufsteigenden Gastronomen mit dem Pogusch ihren zweiten Standort; 2002 zieht das Wiener Lokal in den Stadtpark, ein paar Jahre später folgt der fliegende Wechsel der Reitbauers: Heinz sen. und Margarethe, die das Restaurant an die Spitze der österreichischen Gastronomie gebracht haben, kümmern sich von nun an um den Pogusch, für Heinz jun. und seine Frau geht es nun nach Wien. Dort wird der junge Küchenchef, der seine Lehre in seinem Elternhaus begann und in Werfen bei Karl und Rudi Obauer abschloss, nun an einem geschichtsträchtigen Ort kochen – der Meierei im Stadtpark.
Diese wurde 1903 von Friedrich Ohmann als „Milchtrinkhalle“ der Stadt Wien eröffnet. Gemeinsam mit dem gesamten Stadtpark steht auch sie unter Denkmalschutz. Nachdem das Gebäude während des Zweiten Weltkriegs schwer beschädigt wurde, besitzt es nun aber nur noch wenige Teile der alten Bausubstanz. Als die Stadt Wien in den 90ern nach einer neuen Verwendung für die Milchbar, die früher vor allem den Eislaufplatz des Parks bewirtschaftete, suchte, waren die Reitbauers bei Weitem nicht die einzigen Anwärter. Nach einer Einigung mit der Stadt pachtete die Familie die Meierei schliesslich via Baurechtsvertrag auf 99 Jahre samt einer Kaufoption um eine jährliche Miete von 72.600 €, so berichtete die Wiener Zeitung zu der Zeit. Die Kosten des Umbaus wurden damals auf fünf Mio. € geschätzt.
Und so war aller Anfang schwer: „Nach der Übersiedlung in den Stadtpark waren wir einige Jahre nicht so stark. Wir sind am neuen Standort abgewertet worden und haben eine Haube und einen Stern verloren“, so Reitbauer. Wie sehr wirkt sich das auf die Kundschaft aus? „Bei uns eigentlich gar nicht. Wir hatten das Glück, dass uns unsere Stammgäste während dieser Zeit die Treue gehalten haben“, so die 47-Jährige, die während des Gesprächs immer wieder abwechselnd entweder ihren jungen Dackel Ferdinand in die Schranken weist oder Mitarbeitern in einem klaren, bestimmten Ton Anweisungen gibt – dabei fasst sie sich kurz. Ihr Kopf und ihre Augen sind überall, das ist schnell klar. So rasch sie die Probleme ihrer Mannschaft auf möglichst effiziente Art löst, so schnell ist die Unternehmerin wieder zurück im Gespräch und reisst charmante Schmähs.
Wie man in der Spitzengastronomie profitabel arbeiten könne, wollen wir wissen. „Man braucht eine gewisse wirtschaftliche Grösse, damit sich die Kosten rechnen. Ich brauche das gleiche Personal bei 30 oder 50 Gästen – der Umsatz ist aber ein anderer. Voraussetzung ist natürlich, dass die Qualität stimmt“, so die gelernte Betriebswirtin. Mit diesem Erfolgsrezept ging es auch schnell wieder zurück an die Spitze: 2009 schaffte es das Steirereck auf den neunten Rang der San-Pellegrino-Liste der 50 besten Restaurants der Welt und ist somit zu diesem Zeitpunkt das beste Restaurant im deutschsprachigen Raum. Der Ruf des Steirerecks hallt international und zieht auch immer wieder spannende Gäste aus aller Welt an. Trotzdem macht die Stammkundschaft das Tagesgeschäft aus. „Die Leute glauben von aussen meistens, dass bei uns nur die Reichen und Schönen speisen. Im Gegenteil, da sitzen zu 99 % ganz normale Menschen, denen es etwas wert ist, sich etwas Besonderes zu gönnen“, so die Unternehmerin über ihre Gäste. Und genau diese würden Restaurants wie dem ihren dann auch durch schwere Zeiten helfen, erzählt sie weiter.
Schwere Zeiten gab es für die Gastronomie in den vergangenen drei Jahren zur Genüge: Die Coronapandemie traf die Branche hart, Reitbauers Betriebe mussten teilweise zur Gänze geschlossen werden. Am Pogusch wurde die Zeit allerdings optimal genutzt: Die Baustelle für den Umbau des Areals startete genau am Tag des ersten Lockdowns. In Wien musste man erfinderisch werden: Als 100-Mitarbeiter-Betrieb, der Platz für 90 Gäste bietet, hatte das Unternehmen einen sehr hohen Warenstock an frischen Produkten im Haus, als die Mitteilung kam, dass Lokale nun erst einmal zusperren müssen. Sofort wurde zu kochen begonnen, und für die kommenden Monate belieferte das Steirereck systemrelevante Betriebe, die weiterlaufen mussten: Krankenhäuser, Polizei, Feuerwehr sowie die Caritas erhielten frische Speisen aus dem Hause Reitbauer. So schaffte es das Spitzenlokal, keine Mitarbeiter gehen lassen zu müssen. „Jeder weiss, wie schwer es ist, gute Mitarbeiter zu finden, und für uns war es überhaupt keine Option, jemanden gehen zu lassen“, so Reitbauer.
Dass dieser Beruf ein 24-Stunden-Job ist, lässt sich beim Besuch am Pogusch schnell erkennen. Heute Abend geht es für die Gastronomin noch zurück nach Wien, für die Abendschicht im Stadtpark. Einer der beiden Eheleute ist immer am Pogusch, der andere kümmert sich um die Wiener Niederlassung. Geöffnet ist das ganze Jahr bis auf ein paar Wochen im Januar. Wer hier keine Passion für sein Unternehmen, aber auch die gesamte Branche hat, geht schnell unter. Muss ein Gastronomiebetrieb, der die Grösse und Qualität des Steirerecks halten will, ein Familienunternehmen sein? „Natürlich ist es in der heutigen Situation der Personalknappheit schon von Vorteil, wenn du auf deine Familie zählen kannst – die ist natürlich eher da, um einen zu unterstützen“, sagt Reitbauer. „Der Nachteil ist aber immer, dass eine gewisse Distanz zum Unternehmen fehlt. Es kommt ja immer wieder vor, dass supererfolgreiche Familienunternehmen gelegentlich Fehler machen, weil einfach mehr emotionale Bindung dabei ist, als wenn man ein Unternehmen managt, zu dem man keine persönliche Verbindung hat“, erklärt die Wirtin.
Auch im eigenen Unternehmen musste man die Schwiegereltern erst einmal von der Notwendigkeit und Vision des Umbaus am Pogusch überreden, denn diese waren nicht von Beginn an überzeugt. „Am Ende sollte man bei einer Generationenübergabe aber den Jüngeren die Chance geben und Innovation zulassen“, sagt Reitbauer. Auch in der Umgebung sei man mit der Idee nicht gerade auf grosse Freude gestossen, erzählt Reitbauer, doch von ihrem Weg abbringen lässt sie sich nicht: Man müsse sich einfach ein dickes Fell wachsen lassen, betont sie, denn wenn man gefällig sei, habe man es immer leichter, als wenn man kontrovers sei, so ihre Devise. „Eine Veränderung ruft, egal, ob bei Jung oder Alt, immer wieder Unmut hervor“, meint die Unternehmerin – das sei aber ein persönliches Problem. „Natürlich provoziert man mit moderner Architektur, und das ist auch in Ordnung. Ich denke mir aber immer, worum geht es eigentlich? Am Ende des Tages geht es um gutes Essen und Trinken – da soll nichts Schlimmeres passieren“, so die Gastronomin schmunzelnd. Ob trotz oder wegen der Provokation: Der Laden läuft. Und trotz anfänglicher Kritik kämen mittlerweile auch aus der Umgebung viele Gäste, um in diesem so besonderen Wirtshaus zu speisen, erzählt Reitbauer zum Abschluss unseres Gesprächs nicht ohne Stolz.
Birgit Reitbauer (Jahrgang 1974)...
...wuchs im niederösterreichischen Langenzersdorf auf; nach dem Gymnasium besuchte sie die Tourismusschule in Wien. Gemeinsam mit ihrem Mann Heinz Reitbauer managt Birgit Reitbauer das Restaurant Steirereck in Wien und das Wirtshaus Steirereck am Pogusch. Gemeinsam mit ihrem Team versorgten die Reitbauers während der ersten Phase der Coronapandemie Rettungskräfte und den Krisenstab der Bundesregierung kostenlos mit Essen. Die Mutter dreier Kinder wurde mehrfach für ihre Arbeit ausgezeichnet – zuletzt 2020 als „Entrepreneur des Jahres“ in „Handel und Dienstleistung“.
Fotos: Lisi Specht