Die Welt muss handeln

Der Welthandel ist zurück in der öffentlichen Debatte. Als Ifo-Forscher zählt Gabriel Felbermayr zu den bekanntesten Handelsökonomen Deutschlands. Ein Gespräch über Zölle, Machtpolitik – und eine neue Weltordnung.

Als „fordernd, brennend und ehrgeizig“ beschrieb Die Zeit Gabriel Felbermayr in einem grossen Porträt. Die zugehörige Überschrift lautete: „Der Antreiber“. Der österreichische Börsianer sagt hingegen Shootingstar zu dem 42-Jährigen, der aktuell noch das Zentrum für Aussenhandel am Münchner Ifo Institut für Wirtschaftsforschung leitet, ab März 2019 jedoch zu neuen Ufern aufbricht. Dann übernimmt Felbermayr die Leitung des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel. Neben dem Ifo und dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin gilt das IfW als wichtigstes Wirtschaftsforschungsinstitut Deutschlands. Doch das norddeutsche Haus fiel zuletzt in der öffentlichen Wahrnehmung zurück – ein Umstand, den Felbermayr geraderücken soll.

Die erste Frage, die wir dem Forscher bei unserem Treffen in München stellen, ist, ob er sich denn mit den medialen Zuschreibungen identifizieren kann. „Ich bin ganz sicher nicht antriebslos, aber mich als Antreiber zu bezeichnen, finde ich ein Stück weit übertrieben.“ Doch Felbermayr stellt auch klar: „Freude am Erfolg habe ich, sonst würde ich nicht machen, was ich mache.“

Gabriel Felbermayr
studierte Volkswirtschaftslehre in Linz und promovierte 2004 am European University Institute in Florenz. Er arbeitete als Universitätsassistent und für McKinsey, bevor er sich 2008 an der Universität in Tübingen habilitierte. Er wechselte an die Universität Hohenheim und ist seit 2010 am Ifo Institut für Wirtschaftsforschung in München tätig, wo er das Zentrum für Aussenwirtschaft leitet. 2019 übernimmt er die Leitung des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel.

Und was er macht, kann er gut, was der Österreicher auch in regelmässigen Wortmeldungen in der öffentlichen Debatte beweist. Neben seiner Expertise liegt das auch an der aktuell hohen Relevanz seines Spezialgebiets, dem Welthandel. Durch Donald Trump, einen immer wieder diskutierten Handelskrieg zwischen den USA und China sowie die Einführung von Strafzöllen, hatte Felbermayr ausreichend Möglichkeit, sein Wissen weiterzugeben.

Und auch Forbes klopfte angesichts unseres Schwerpunkts „Handel“ bei dem Ökonomen an, um mit ihm über Trump, eine zukunftsorientierte Welthandelsorganisation (WTO) sowie sinnvolle Handelsbündnisse für Europa zu erfragen – und welche Rolle Werte in alledem spielen.

Sie fordern weniger Ideologie und mehr Evidenzbasiertheit, eine stärkere Verankerung in Daten. Auch Daten und Statistiken lassen sich aber in die eine oder andere Richtung interpretieren.
Ganz wichtig ist, dass Korrelation nicht gleich kausaler Zusammenhang ist. In der Wissenschaft ist das eine Selbstverständlichkeit, in den Medien werden aber oft Dinge als Wirkungszusammenhang verkauft, wo überhaupt nicht klar ist, ob die Wirkung von der X-Achse auf die Y-Achse geht oder umgekehrt. Um hier zu sensibilisieren, müssen die Ökonomen stärker in die Öffentlichkeit wirken. Wir müssen klarmachen, dass es auch Missbrauchsmöglichkeiten für Daten gibt – aber auch, dass man aus Daten durchaus Zusammenhänge ablesen kann. Ein gutes Beispiel dafür ist eine Studie zur Relevanz des Suez-Kanals. Dieser war infolge des Sechstageskriegs ab 1967 jahrelang gesperrt. Der ganze Seeverkehr von Asien nach Europa musste rund um Afrika fahren, was die Preise verteuerte. Da lässt sich genau messen, welche Auswirkungen das auf Konsumentenpreise, Profitabilität, etc. hatte. Ein guter Beleg dafür, wie höhere Handelskosten die Wohlfahrt der Menschen reduzieren. Solche Beispiele sind wissenschaftlich sauber, und sie fliegen gut – in den Medien, aber auch beim Abendessen mit Freunden.

Freuen Sie sich, dass der Welthandel so relevant geworden ist, dass auch beim Abendessen darüber diskutiert wird?
Die Tatsache, dass wir viele Jahre lang nicht über Welthandel diskutiert haben – eigentlich bis TTIP (Transatlantisches Freihandelsabkommen, Anm.) – war unglücklich. Wir leben in einer Welt, die sich seit den 90er-
Jahren dramatisch globalisiert hat, und wir haben darüber zu wenig nachgedacht. Sind die Regeln, die wir uns in den 80er-Jahren gegeben haben und die heute in der WTO ihren Ausdruck finden, noch adäquat? Ich bin froh, dass Donald Trump sichtbar macht, dass Handelsbeziehungen auch machtpolitische Aspekte haben. Das haben wir, etwas naiv, ausgeblendet.

Es gab viel öffentliche Debatte über Themen, die eigentlich nicht so relevant sind, etwa Zölle auf Stahl. Was bereitet Ihnen denn tatsächlich Sorge?
Die Stahlzölle sind es in der Tat nicht. Wie die Stahlzölle jedoch begründet werden, nämlich mit der Bedrohung der Sicherheit der USA, kann die Welthandelsorganisation aus den Angeln heben. Der General­angriff auf die WTO, den die USA gestartet haben, kann uns nicht egal sein. Wenn die WTO dysfunktional wird – und sie ist es leider ein Stück weit schon – dann birgt das für kleine Volkswirtschaften grosse Risiken. Das ist in Europa durch den Binnenmarkt etwas abgefedert, aber auch hier gibt es Gefahren, etwa durch den Brexit. Länder wie etwa Neuseeland sind aber zutiefst in Sorge. Sollte die WTO durch ein Powerplay zwischen USA, Europa und China abgelöst werden, sehe ich etwa auch für die vielen Staaten Afrikas grosse Schwierigkeiten.

Die nächste grosse Änderung im Welthandel wird darin bestehen, dass durch den Einsatz künstliche Intelligenz Sprachbarrieren reduziert werden.

Ist die WTO ein Bauernopfer im Kampf der Grossen – oder tatsächlich Ziel von China oder den USA?
Die WTO stört Donald Trump. Nicht unbedingt die USA, aber Trump. Erstens, weil die WTO Regeln hat, an die sich auch die grösste Volkswirtschaft halten muss. Und zweitens, weil sie diese Regeln mit ihren Schiedsgerichten durchsetzen kann. Die Amerikaner haben historisch ein Problem mit internationalen Schiedsgerichten, weil sie sich einem globalen Regelwerk unterwerfen müssen. China hingegen hat sich hervorragend in das Regelsystem eingelebt und zu seinem Vorteil angewandt. Die grosse Frage ist: Wie kriegen wir dieses Regelwerk modernisiert?

Der Beitritt Chinas zur WTO 2001 war eine Sensation. Man kann diskutieren, ob die WTO für ein Land wie China ausgelegt ist. Die Frage ist aber wohl, angesichts Chinas neuem Selbstbewusstsein: Wie müsste ein Konstrukt aussehen, dass die USA, China und alle anderen Player unter einem Dach vereinen kann?
Das Problem hat Ähnlichkeit mit dem europäischen Integrationsprojekt. One size does not fit all. Die WTO wurde 1995 nach achtjährigen Verhandlungen gegründet – unter der Annahme, dass die Welt zu einem freiheitlichen, demokratischen, marktwirtschaftlichen Modell konvergiert. Das ist nicht eingetreten. Das heisst, dass man ein System braucht, das flexibler ist und mit unterschiedlichen Entwürfen umgehen kann. Wir sollten die Illusion begraben, dass aus China in absehbarer Zeit eine demokratische Marktwirtschaft wird. Man könnte China also in ein Korsett pressen, was machtpolitisch möglich sein könnte, wenn Europa, die USA, Japan, Kanada, Australien, etc. sich zusammentun. Der Gegenentwurf wäre eine globale Ordnung, die ein Stück weit zurückgeht. Dass man den Ländern also das Recht gibt, sich etwa mit Zöllen stärker zur Wehr setzt. Also eine flexiblere und mithin sicher auch schwächere WTO. Oder aber ein Korsett, in das man die Chinesen zwingt. Das hängt stark davon ab, wie sich China selbst sieht.

Sie fordern eine plurilaterale Freihandelszone zwischen den USA, Kanada, Europa und Japan. Bleiben da die „Kleinen“ nicht auf der Strecke?
Ich glaube, dass ein Weg, die globale Governance-Problematik in den Griff zu bekommen, mehr regionale Integration umfasst. Das heisst nicht nur geografisch, sondern auch die Kooperation von Ländern mit gleichgerichteten Interessen. Das sind auch jene Länder, mit denen wir schon heute Freihandelsabkommen haben. Auch mit den USA könnte noch ein Handelsvertrag in der einen oder anderen Form entstehen. Dann könnte „der Westen“ geeint auftreten. Damit die kleinen Länder nicht unter den Tisch fallen, braucht es ähnliche regionale Einigungen in Afrika.

Könnte das für Europa einen Block im Westen zementieren, obwohl man sich, zumindest aus volkswirtschaftlicher Betrachtung, vielleicht stärker an China annähern sollte?
Das glaube ich nicht. Ich bin sehr dafür, dass wir als Europa unsere Handelsbeziehungen mit allen Ländern der Welt auf eine rechtliche Basis stellen sollten. Etwa über bilaterale Abkommen mit Russland oder China, die über die WTO hinausgehen. Doch die grossen Themen, die für die Weltwirtschaft der Zukunft relevant sind, drehen sich stark um Regulierungsfragen. Da macht es einen Unterschied, wie ein politisches System aufgestellt ist. Ganz deutlich wird das beim Thema Datenschutz, wo China überhaupt keine Skrupel hat, während Europa hohe Sensibilität zeigt.Da sind unsere Verbündeten sicher nicht in Peking zu suchen. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir eine Handelsordnung für die Technologien von morgen schaffen, die einerseits Rechtssicherheit schafft, andererseits aber keine Zwangsjacke ist, der einzelne Länder bei der erstbesten Möglichkeit zu entfliehen suchen.


Wie kann man wirtschaftlich bei Infrastrukturprojekten wie der Belt and Road Initiative mitpartizipieren, ohne die eigenen Werte über Bord zu werfen?
Einerseits ist es zu begrüssen, wenn der eurasische Zwischenraum erschlossen wird, dort besteht ein riesiger Bedarf an Infrastrukturinvestitionen. Diese Region ist für Europa genauso geostrategisch wichtig wie für China. Wir müssen aufpassen, dass dieser Raum, der früher von den Russen „kolonialisiert“ wurde, jetzt nicht einfach den Besitzer wechselt. Dazu braucht es eine deutlich offensivere Ostpolitik der EU. Wir müssen mit grossen Projekten dorthin gehen, Geld in die Hand nehmen und Lösungen anbieten. Das gilt auch für Afrika. Das Problem ist nicht, dass die Chinesen ihre Interessen wahrnehmen – sondern, dass wir Europäer unsere Interessen nicht wahrnehmen.


Wie sollen sich Unternehmen in diesem Hin und Her im globalen Handel strategisch positionieren?
Die Wertschöpfungsketten und Produktionsnetzwerke müssen flexibler werden. Der chinesische Importzoll für Autos aus den USA ist im Handelskrieg auf aktuell 40 Prozent angewachsen – das zerstört das Geschäft. Wenn aber die Wertschöpfungsnetzwerke so flexibel sind, dass BMW in Shenyang (China) und Roslynn (Südafrika) die Produktion ohne grosse neue Kosten hochfahren kann, können Profitabilität und Marktanteile verteidigt werden. Die Frage ist also: Wie können globale Wertschöpfungssysteme schnell, kostengünstig und sicher reoptimiert werden? Da sind wir bei der künstlichen Intelligenz. Das Zollthema ist dabei nur eines unter vielen.

Welche grossen Trends sind denn absehbar?
Die nächste grosse Änderung im Welthandel wird darin bestehen, dass durch den Einsatz künstliche Intelligenz Sprachbarrieren reduziert werden. Dazu benötigen wir die passenden Systeme und Datensicherheit. Ein anderes Beispiel ist die internationale Schifffahrt, wo noch viel Papier eingesetzt wird und die Digitalisierung zu fallenden Kosten führen kann.

Diese Dinge werden den Welthandel der Zukunft prägen. Technologie, nicht so sehr die Politik, wird die entscheidende Rolle spielen.

Dieser Artikel ist in unserer Oktober-Ausgabe 2018 „Handel“ erschienen.

Klaus Fiala,
Chefredakteur

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