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Moderne Lieferketten sind unglaublich komplex – sie umspannen unzählige Firmen, die überall auf der Welt verteilt sind. Da ist es nicht leicht für grosse Unternehmen, den Überblick zu behalten, geschweige denn, mögliche Risiken rasch zu erkennen. Das Wiener Start-up Prewave macht jedoch genau das: Mithilfe einer smarten KI prognostiziert es Risiken in der Supply Chain multinationaler Konzerne, mit dem Ziel, den Produktionsprozess transparenter und gerechter zu machen.
Ob bei McDonald’s, Apple oder H&M, Konsumenten legen zunehmend Wert darauf, wie ihre Lieblingsprodukte hergestellt werden. Auch die Gesetzgeber werden zunehmend strenger, wie das neue Lieferkettengesetz in Deutschland zeigt. Das stellt Unternehmen vor eine Herausforderung, denn oft spannen sich Lieferketten über Hunderte Produzenten und Dutzende Länder. Das österreichische Start-up Prewave möchte hier helfen: Mit seinem Algorithmus kann Prewave Lieferkettenrisiken frühzeitig erkennen und so Konzernen die Möglichkeit geben, entsprechende Massnahmen zu setzen.
Die Idee dazu stammt von Lisa Smith, die schon als Kind gerne programmierte und im jungen Alter von 14 Jahren an der HTL Spengergasse in Wien Programmierunterricht genoss. Nach der Schule studierte sie Wirtschaftsinformatik in Wien und Münster, wobei ihr Hauptinteresse schon immer Business Intelligence war, also das Erfassen und Verwerten von Unternehmensdaten. „Während des Studiums lag der Fokus immer auf den ökonomischen Faktoren, mich haben aber die sozialen und ökologischen Aspekte interessiert“, erinnert sich Smith. 2017 schloss sie ihren PhD an der TU Wien ab, in dessen Rahmen sie auch Prewave gründete, gemeinsam mit Harald Nitschinger, den sie aus der Schule kannte. „Wir sind ein guter Match: Ich habe den technischen Background und er bringt die praktische Erfahrung mit, was Unternehmensführung angeht“, so Smith. Heute ist sie für das Management, das Fundraising und den Data-Science-Bereich zuständig, während Nitschinger sich um das Produkt, den Kundenkontakt und das Marketing kümmert.
Doch wie genau funktioniert Prewaves künstliche Intelligenz? „Unsere Algorithmen sammeln Daten, primär aus lokalen Medien und Social Media“, erklärt Smith, „danach überprüft die KI, ob es sich bei dem Bericht um ein Risikoereignis handelt.“ Prewave überwacht über 130 verschiedene Risiken, darunter Fabriksbrände oder Streiks, aber auch Menschenrechtsverletzungen und Klimarisiken. Kommen genug relevante Ereignisse zusammen, meldet Prewave dem betroffenen Kunden das Risiko. Viele der Meldungen sind also Echtzeitmeldungen, doch vorhersehbare Ereignisse wie Arbeiterstreiks kann der Algorithmus bereits frühzeitig erkennen.
Die Effekte von Störungen auf der Makroebene – etwa jene durch den Handelskrieg zwischen den USA und China oder die abnehmende Globalisierung – kann Prewaves Software jedoch nicht voraussagen. Vielmehr geht es darum, den Firmen einen Überblick über das Geschehen entlang der Lieferkette zu verschaffen.
Darin unterscheidet sich die KI auch von Unternehmensberatungen oder Lieferkettenexperten, denn, so Smith: „Ein Mensch kann einfach nicht Millionen an Datenquellen nach Anzeichen für Risiken untersuchen. Das kann nur eine Maschine.“ Doch sie fügt auch hinzu: „Natürlich kann es sinnvoll sein, dass man in einem nächsten Schritt auch Consultants befragt. Wir können aufzeigen, wo es brennt, aber danach macht es durchaus Sinn, mit Experten zusammenzuarbeiten.“
Als 2020 die globale Coronapandemie ausbrach, schoss die Nachfrage für Prewaves Software in die Höhe. Das Start-up arbeitete auf Hochtouren, um den Kundennachfragen hinterherzukommen, und implementierte gleichzeitig viele neue Features. Neue Risikotypen wie Grenzschliessungen oder Corona-Ausbrüche in Fabriken wurden auf Anfrage der Kunden in die Software integriert. Prewave erleichterte auch die Kommunikation zwischen Firmen und ihren Lieferanten, indem das Start-up Status-Updates für Zulieferer in das Programm einbaute. Ein Lieferant konnte so allen seinen Kunden gleichzeitig mitteilen, zu welchen Kapazitäten er zu produzieren in der Lage ist.
Prewaves „Corona-Map“ verschaffte dem Wiener Unternehmen zusätzlich Aufmerksamkeit. Smith und ihr Team legten öffentliche Coronazahlen über mehr als 10.000 Fabriken und machte die Daten frei zugänglich, damit möglichst viele Unternehmen davon profitieren konnten. Über die Karte wurde auch in verschiedenen Medien berichtet, wodurch Prewave an Bekanntheit gewann.
Heute fokussieren sich Smith und Nitschinger darauf, ihr Unternehmen zu skalieren. Dieses Jahr nahm Prewave deswegen auch eine 11-Mio.-€-Finanzierungsrunde auf. Damit will die Firma, die vor allem im deutschsprachigen Raum tätig ist, in andere Teile Europas expandieren. Das Team wächst dementsprechend: Gab es vor einem Jahr rund 20 Prewave-Mitarbeiter, sind es heute bereits über 70.
Die wird Smith auch brauchen, wenn sie die nächste Chance bestmöglich nutzen möchte, denn die ist bereits um die Ecke: Nächstes Jahr tritt in Deutschland ein neues Lieferkettengesetz in Kraft. Firmen mit mindestens 3.000 Mitarbeitern (2024 sinkt die Grenze auf 1.000) müssen definierte Sorgfaltspflichten erfüllen. Dazu gehört die Einrichtung eines Risikomanagements, um Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschäden zu identifizieren und zu minimieren.
Das Besondere daran: Die Firmen sind nicht nur für sich, sondern für ihre gesamte Lieferkette verantwortlich. Bei Verstoss drohen Strafen von bis zu acht Mio. € oder – falls das Unternehmen über 400 Mio. € Jahresumsatz macht – 2 % des globalen Umsatzes. (Die EU bastelt bereits an einer ähnlichen Legislatur, die alle Mitgliedsländer betreffen würde.) Smith dazu: „Wir haben in den letzten Jahren stark investiert und unser Produkt sehr gut an das neue Lieferkettengesetz angepasst. Diese frühe Adaption hebt uns von unseren Mitbewerbern ab.“
In ferner Zukunft möchte Smith sich immer weiter entlang der Lieferkette entlangtasten, bis Prewave nicht nur ein One-Stop-Shop in Sachen Risikomanagement für einzelne Unternehmen ist, sondern für die gesamte Supply Chain. „Mit Prewave soll man alle verschiedenen Glieder einer Lieferkette digital managen können“, so die Gründerin.
Die Motivation dahinter war für Smith schon seit der Gründung ein Streben nach transparenteren, faireren und umweltfreundlicheren Lieferketten. Smith: „Wir haben jetzt schon riesige Kunden und überwachen insgesamt um die 300.000 Fabriken. Dort arbeiten Millionen von Menschen und wir hoffen, dass Prewave Firmen dabei unterstützt, diesen Arbeitern bessere Bedingungen zu verschaffen.“
Lisa Smith und Harald Nitschinger schlossen diesen Herbst eine Finanzierungsrunde im Volumen von elf Mio. € ab. Damit wollen sie Prewave skalieren und in neue Märkte expandieren. Lisa Smith programmierte schon, als sie zwölf Jahre alt war. Später studierte sie Wirtschaftsinformatik in Wien und Münster und schloss 2017 ihren PhD an der TU Wien ab. Im Rahmen ihrer Forschung launchte sie 2017 auch Prewave – mit dem Ziel, globale Lieferketten transparenter, gerechter und umweltfreundlicher zu machen.
Text: Erik Fleischmann
Fotos: Gianmaria Gava