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Wie nähert man sich dem Looshaus an? Im Fall der Schullins von der Seite des Kohlmarkts: Das kleine, feine Uhrengeschäft der Familie sollte zunächst um das Erdgeschoss des Hauses am Michaelerplatz 3 erweitert werden; das zumindest war der Plan. Daraus wurde mehr – ein Rundgang durch das Architekturjuwel, das alles er- und überlebt hat und nun auch wieder (wie von Adolf Loos vorgesehen) eine Werkstatt beherbergen wird.
Es geht die Geschichte um, dass Adolf Loos, der seinem Hang zum guten Massanzug stets nachgab, sich beim k. u. k. Hoflieferanten und Herrenausstatter Goldman & Salatsch etwas zu viel habe anmessen lassen – und die so angefallenen Rechnungen nicht mehr begleichen konnte. Leopold Goldman, der Sohn des Unternehmensgründers Michael Goldman, und sein Geschäftspartner Emanuel Aufricht engagierten den Architekten daraufhin für die Planung ihres neuen Geschäftsgebäudes am Michaelerplatz: Adolf Loos konnte so sein Guthaben bei Goldman & Salatsch wieder aufstocken und die Herrenausstatter hatten ein Geschäftslokal, das über die Landesgrenzen hinaus Aufsehen erregte. Es war die Zeit, die vom Klassizismus zum Historismus und Jugendstil in die Moderne überging – und Loos war einer ihrer radikalsten Vertreter.
Der moderne Bau mit seiner undekorierten Fassade war zu seiner Zeit der reinste Skandal; erst nach der Einplanung von Blumenkisten wurde 1909 die Baugenehmigung erteilt. Diesen Kompromiss zur Verzierung der Fassade musste Loos machen, und er fiel ihm gewiss nicht leicht, hielt er doch künstlerische Gestaltungsversuche an einem Gebrauchsgegenstand gleichsam für unangemessen wie überflüssig. Die Wiener, recht typisch, verpassten dem Gebäude ohne Fenstersimse gleich mal den Namen „Haus ohne Augenbrauen“, und Kaiser Franz Joseph soll fortan keinen Blick mehr von der Hofburg zum Michaelerplatz geworfen haben. Bis heute trägt das Looshaus die Spuren seiner Geschichte durch die Zeit: Nach dem „Anschluss“ 1938 wurde die Eingangshalle in ein Automobilverkaufslokal von Opel & Beyschlag umgebaut, die Treppen ins Mezzanin rausgerissen, ebenso wie das gesamte Interieur entfernt – bis das Haus 1947 unter Denkmalschutz gestellt wurde. In den 1960er- Jahren beherbergte das Haus noch ein Möbelgeschäft, bis es 1987 von der Raiffeisenbank Wien gekauft und mit grosser Sorgfalt und Präzision in seine ursprüngliche Form zurückgeführt wurde. Lang diente das Haus als Bankfiliale, zuletzt wurde über einen Museumsbetrieb nachgedacht.
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Bevor man das Looshaus betritt, sollte man auf der Eingangsschwelle zunächst einen Blick zur bronzenen Kassettendecke mit unzähligen Leuchtkörpern richten, die den Bereich vor dem Eingangstor – ebenso wie die hell beleuchteten, gebogenen und in einem Stück gefassten Auslagenscheiben – in ein fast festliches Licht tauchen. Der Schritt durch die mit (für den Architekten typischen) in Messing gefassten Fenstern versehene Eingangstür gibt den Blick auf die elegante Treppe im Zentrum des Parterres sowie auf die Ausstellungs- und Verkaufsflächen frei.
Die Balance zwischen dem denkmalgeschützten Interieur aus poliertem Mahagoniholz mit Messingelementen und den ausgestellten Schmuckstücken und Luxusuhren, die man hinter modernsten und allen Sicherheitsstandards entsprechenden Scheiben bewundern kann, ist auffallend gefühlvoll gewählt: Kein Stück erschlägt das andere, die Juwelen haben ebenso viel Raum, zur Geltung zu kommen, wie die Luxusuhren und die Architektur. Es ist, als hebe das eine das andere, und als hätte das Haus zu keiner Zeit ein anderes Geschäft beherbergt. Offensichtlich ist, dass die Familie Schullin weiss, womit sie – bezugnehmend auf die Architektur – arbeitet, und es versteht, diese Vorzüge auch für die eigenen Arbeiten und zur Präsentation der Luxusuhren zu nutzen. Mit den Schullins zieht auch wieder ein Stück Handwerk in die altehrwürdigen Gemäuer dieses geschichtsträchtigen Hauses ein; das ist spürbar. Es passt also ganz gut, dass das Unternehmen an diesem Ort sein 50-jähriges Bestehen in Wien feiert.
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Die Geschichte des Familienunternehmens reicht weit über ein Jahrhundert, bis ins Jahr 1888, zurück, als Johann Schullin die Ausbildung zum Uhrmacher absolvierte und in Bad St. Leonhard im Lavanttal den Grundstein für kommende Generationen legte. „Meine Familie kommt ursprünglich aus dem rätoromanischen Bereich und ist über Norditalien und Slowenien in Kärnten eingewandert“, beginnt Herbert Schullin, Johann Schullins Enkel und heutiger Patron des Hauses, zu erzählen. „Im Raum Udine sollen heute noch Schullins leben, mit denen wir verwandt sein sollen.“ Sein Vater, Hans Schullin, eröffnete 1930 ein Schmuck- und Uhrengeschäft in Graz; nach dem Zweiten Weltkrieg begann die Familie bereits, Uhren (die meisten aus der Schweiz) zu importieren, und hielt mehrere Konzessionen.
In Graz sei er auch geboren worden, so Schullin weiter. Anders als sein Vater und sein Bruder absolvierte er aber die Goldschmiedlehre und studierte nebenher – Herbert Schullin ist promovierter Staatswissenschaftler. Als Jüngster der Familie sei er dann im Jahr 1974 nach Wien geschickt worden, um dort eine weitere Geschäftsniederlassung zu eröffnen. Ob es denn immer so klar gewesen sei, in die Fussstapfen der Vorfahren zu treten? Schullin lacht: „Mir nicht – meinen Eltern schon!“ Und weiter: „Ich wollte ja eigentlich Pilot werden.“ Schliesslich sei er den Wünschen der Eltern gefolgt und habe in Wien ein Geschäft eröffnet.
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In den frühen 1980er-Jahren habe er dann Hans Hollein kennengelernt und ihn mit der Gestaltung der ersten Boutique (am Graben 26) beauftragt, erzählt er. Hollein habe ihm eine Handskizze auf den Tisch gelegt, so Schullin weiter, „mit einem Riss in der Fassade“ – Hollein wollte den Entwurf später zurückziehen, „er ging mir aber nicht mehr aus dem Sinn. Es musste der Riss sein“, erinnert sich Schullin zurück. „Das war schon schön, wurde aber auch schnell mal zu klein.“ Es stellte sich also die Frage: „Gehen wir nach links in die Kärntner Strasse – die hat mir nie wirklich gefallen – oder gehen wir nach rechts in den damals noch etwas verschlafenen Kohlmarkt in Richtung Hofburg?“, so Schullin weiter. Letztere Adresse sollte es werden: Gerade zur rechten Zeit wollte der damals dort ansässige Antiquitätenhändler in Pension gehen – und wieder wurde Hans Hollein mit der Gestaltung beauftragt. „Beide Geschäfte haben die Zeit gut überdauert“, so Schullin. Nach dem Tod des Pritzker-Preis-Trägers Hollein im Jahr 2014 wurde „Schullin 1“ ebenso wie „Schullin 2“, wie die beiden Boutiquen in der Architekturwelt mittlerweile bezeichnet wurden, unter Denkmalschutz gestellt. Mit den Jahren wurde klar: Auch dieser Platz würde bald nicht mehr reichen.
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Jede Zeit hat ihren Ausdruck. Diesen Ausdruck muss man für sich finden und hoffen, dass er von den Kunden geschätzt wird.
Herbert Schullin
Herbert Schullin schaut zum Fenster hinaus Richtung Hofburg. Vom Mezzanin aus sind selbst an diesem kalten Wintertag Scharen von Touristen zu sehen – viele ziehen ihre Bahnen von der Spanischen Hofreitschule durch die Herrengasse ins Café Central. „Schauen Sie durch die Fenster, wie sich die Farben und Formen durch das Glas brechen“, verliert sich Schullin ein wenig in Gedanken. Auf der Suche nach einem neuen Geschäftslokal habe man kurzzeitig auch überlegt, nach Grossbritannien zu gehen, kommt er zurück zum Thema. „Gut, dass wir das nicht gemacht haben. Das wäre mit dem Brexit schwer geworden“, sagt er. Und mittlerweile wollte die Hauseigentümerin, die Raiffeisenbank Wien, auch den Filialstandort wechseln und dachte offensichtlich auch kurzzeitig daran, das Haus zu einem Museum zu machen – bis die Schullins ihr Interesse an dem Objekt bekundeten.
Die Verhandlungen erfolgten „in baby steps“, schliesst sich Lukas E. Schullin, mit seinem Vater in der Schullin-Geschäftsleitung tätig, nun dem Gespräch an. „Es begann im Jahr 2019 – also noch vor Corona, wo Gerüchte laut wurden, dass die Bank daran denkt, aus dem Haus auszuziehen, und wir kommuniziert haben, dass wir am Erdgeschoss interessiert wären“, so der junge Schullin weiter. Dann passierte monatelang nichts, erzählt er, bis ein von der Familie installierter Lobbyist wieder Schwung in die Verhandlungen brachte. Es entbrannte das Gespräch darüber, dass die Miete des Erdgeschosses ohne die des Mezzanins keinen Sinn mache – und gefühlt bei jedem weiteren Gespräch kam ein Stockwerk dazu, so beide Schullins unisono. Lukas Schullin: „Irgendwann stand die Familie dann vor der Entscheidung: ‚Machen wir es oder nicht?‘ Und dann haben wir gesagt: ‚Let’s go!‘“ Aber es habe sich „gezaht“, wie es auf gut Wienerisch heisst; es war ein langsamer Prozess der Annäherung. Die Miete für das gesamte Gebäude wurde für 20 Jahre abgeschlossen.
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Wir entscheiden alles gemeinsam. Jeder von uns arbeitet gerne – und gerne viel.
Lukas E. Schullin
Lukas Schullin, Gemmologe und studierter Betriebswirt, ist die grosse Freude über das Haus anzusehen: Er grinst schelmisch. Die Zukunft des Familienunternehmens liegt in seinen Händen ebenso wie in jenen seiner Frau Oriane und seines Bruders Johannes. Über die grossen Fussstapfen seiner Vorfahren denke er nicht viel nach, sagt er, er sei bereits die längste Zeit im Geschäft involviert. Die Familie entscheide alles gemeinsam. Und einmal ganz abgesehen davon könne er sich auch nicht vorstellen, dass sein Vater plötzlich zu arbeiten aufhören werde. „Wir arbeiten alle gerne und gerne viel“, so Lukas Schullin – allen voran der Vater, der über die geschäftlichen Möglichkeiten, die das Looshaus bietet, zum Teil ebenso gestaunt hat wie sein Sohn.
So hat sich etwa das Vorstandsgremium des Museum of Modern Art für eine Vorstandssitzung angemeldet, auch wurden bereits zwei Dokumentarfilme gedreht. „Und das alles, bevor wir überhaupt eröffnet hatten“, so Lukas Schullin weiter. Es gebe viele, ganz unterschiedliche Anfragen, sagt er. Über Geld – sowohl, was die Einnahmen als auch die Miete sowie die Investitionen in die Renovierung des Looshauses betrifft – hält sich Herbert Schullin, trotz mehrfacher Nachfrage, absolut bedeckt.
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Gehen wir nach links in die Kärntner Strasse – die hat mir nie wirklich gefallen – oder nach rechts in den Kohlmarkt?
Herbert Schullin
Die Familie geht bei der weiteren Instandsetzung und Widmung der Räumlichkeiten – dazu zählt auch die Werkstatt im hinteren Bereich des Gebäudes – Schritt für Schritt vor. Es soll eine Schauwerkstatt entstehen, sagt Herbert Schullin, aber alles zu seiner Zeit. Behutsamkeit in der Weiterentwicklung sei wichtig – und er zitiert den damaligen Leiter des Bundesdenkmalamts, Friedrich Dahm, der bei den Renovierungsarbeiten unter der architektonischen Leitung von Peter Plattner involviert war, mit erhobenem Zeigefinger: „Das Looshaus ist die Sixtinische Kapelle Wiens!“ Man nähere sich einer architektonischen Ikone wie dem Looshaus auch mit einem gewissen Gefühl der Verpflichtung an, sagt Architekt Plattner, der mit seiner Partnerin im Architekturbüro Plattner Mezzanotte, Elena Mezzanotte, bereits reichlich Erfahrung in der Revitalisierung historischer Gebäude – wie etwa in Florenz oder seiner Heimatstadt Bozen – gesammelt hat. „Der Bauherr ist das Gebäude, das ist bei historischen und denkmalgeschützten Gebäuden einfach so“, sagt er. Da gehe es ganz sicher nicht um die Verwirklichung der eigenen Vorstellungen, sondern um die Fortführung der Idee des ursprünglichen Architekten. Manchmal, so Plattner weiter, überkam einen schon die Sorge, ob man der Arbeit an einem architektonischen Juwel wie dem Looshaus, auf das auch international geschaut werde, überhaupt gewachsen sei.
Mit der Revitalisierung des Looshauses und dem Einzug mit einem grossen Teil des Familienunternehmens hinterlassen die Eltern, Herbert und Beate Schullin, ihren Kindern jedenfalls ein Vermächtnis, das sie gut in die Zukunft führen können.
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Am Weg zurück von der zukünftigen Schauwerkstatt in die Repräsentationsräume des Mezzanins ist an der Wand eine kleine Bleistiftskizze, wahrscheinlich für einen Schnitt, von der ursprünglichen Schneiderei zu sehen – ein charmantes Detail; wie auch eine kurze Stiege, die nirgendwo hinführt und auf die Herbert Schullin hinweist. Bei jedem Rundgang entdecke man wieder Neues, sagt er.
Im nächsten Schritt möchten die Schullins ihren Uhrenpartnern – beginnend bei Rolex über Hublot bis hin zu Tudor und Zenith – mehr Raum zur Präsentation zur Verfügung stellen. Das sei an diesem Ort gewährleistet, ebenso die notwendige Privatsphäre. Schullins Kunden lieben es diskret, so wie die Schullins selbst.
Was ihre Schmuckentwürfe betrifft, werden aber gerne Statements gesetzt. Es sind grosse Stücke, die Herbert Schullin am Ende des Gesprächs noch auspackt und zeigt: Ringe mit grossen Steinen, ein breiter Armreif mit schwarzen und weissen Diamanten im Hahnentrittmuster, ein Collier mit verschiedenfärbigen und vielfältig geschliffenen Steinen zu einem Preis, der gut ins Sechsstellige geht. Herbert Schullin zeigt einen Ring, auf den verschiedene Kuben gesetzt sind, und schliesst: „Jede Zeit hat ihren Ausdruck. Diesen Ausdruck muss man für sich finden und hoffen, dass er von den Kunden geschätzt wird.“
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Fotos: Peter Rigaud/Shotview Photographers