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Nach Steampunk, Cyberpunk und Co. zog 2014 ein neues literarisches Subgenre in die Welt der Science-Fiction ein: Solarpunk beschreibt im Gegensatz zu seinen meist dystopischen, düsteren Vorgängern eine Welt, in der man wirklich leben möchte. Grüne, umweltfreundliche Städte, moderne Technologien, die den Klimawandel bekämpfen und Inklusion und Diversität als Must-have. Doch wie viel Fiktion steckt in dieser Weltanschauung?
Einkaufszentren, durchzogen von Flüssen, moosbewachsene Gebäude, Solaranlagen wohin das Auge reicht, Drohnen, die Bio-Saatgut streuen und Windräder en masse – so sieht die Welt des Solarpunk aus. Das literarische Science-Fiction-Subgenre entstand zirka 2014 in online Foren und Blogs und beschreibt eine utopische Welt. Der Solarpunk malt eine Zukunft, in der sich die Menschheit den technologischen Fortschritt zunutze macht, um harmonisch im Einklang mit der Natur leben zu können. Dabei setzt diese Weltanschauung nicht auf weit hergeholte, erfundene Technologien, sondern verwendet bestehende Innovationen wie erneuerbare Energien, 3-D-Druck oder Drohnen, um die Probleme der realen Welt zu lösen.
Um den Solarpunk allerdings richtig verstehen zu können, muss zuerst der Ursprung der Bewegung erläutert werden. 1968 verfasst Philip K. Dick den Roman „Träumen Androiden von elektrischen Schafen?” der später durch die Verfilmung „Blade Runner” bekannt wird und legt das Fundament für den Cyberpunk. Dieser ist eine Strömung des Science-Fiction Genres und beschreibt eine düstere Zukunft für die Menschheit. In der Welt des Cyberpunk beherrschen grosse Konzerne durch Technologie die Welt. Die Kriminalitätrate und der Drogenkonsum steigen und künstliche Intelligenz sowie die Konvergenz von Mensch und Roboter nehmen wichtige Rollen ein. Die Filme „Brazil”, „In Time”, „Mute” oder die „Matrix”-Reihe sind nur einige wenige Vertreter des Cyberpunks. Das Genre nahm auch Einzug in die Videospielindustrie sowie in die Welt des Anime.
In den folgenden Jahrzehnten entstanden aus dem Cyberpunk diverse Strömungen, die jeweils einen eigenen Fokus hatten. Im Steampunk, welcher in den 1980ern entstand, wird die Zukunft aus Sicht des viktorianischen Zeitalters portraitiert. Es werden Elemente der Zukunft, wie zum Beispiel Dampfmaschinen mit den Kostümen und Frisuren der Vergangenheit vermischt. Vertreter sind zum Beispiel der Horrorfilm „Sleepy Hollow” von Tim Burton oder der Anime „Steamboy”. Der Atompunk beschäftigt sich mit postapokalyptischen Szenarien, ausgelöst durch Atomenergie und im Biopunk stehen biologische Veränderungen der Menschheit, wie zum Beispiel Genmanipulationen im Fokus. Sie alle haben eines gemeinsam: Sie beschreiben meist eine düstere, dystopische Zukunft. Nicht so der Solarpunk. Das Genre zeigt uns eine Welt, in der es die Menschheit schafft, durch ausgeklügelte Technologien harmonisch im Einklang mit der Natur leben zu können.
Der genaue Ursprung der optimistischen Bewegung ist schwer festzulegen, ein wichtiger Meilenstein war aber das Jahr 2014. Eine Nutzerin der Blog-Plattform Tumblr namens „missolivialouise” begann sich in ihrem Blog dem Solarpunk zu widmen und verfasste einen Post, der die Bewegung erstmals verfestigte. In ihrem Blogpost definiert Olivia Louise die Strömung konkret und legt sowohl graphische als auch inhaltliche Leitlinien fest: „Ein plausibles Science-Fiction-Genre der nahen Zukunft auf der Grundlage einer Jugendstil-, viktorianischen und edwardianischen Ästhetik, kombiniert mit einer Bewegung für grüne und erneuerbare Energien, um eine Welt zu schaffen, in der Kinder mit dem Bau von elektronischer Technologie sowie dem Anbau von Lebensmitteln und anderen Fertigkeiten aufwachsen. Ein Ort, wo Menschen wieder dazu kommen, Handwerker und Kunsthandwerker zu schätzen. Ein Gleichgewicht zwischen nachhaltiger, energiebetriebener Technologie, umweltfreundlichen Städten und einer abgefahrenen Ästhetik“, so lautet ein Auszug ihres sehr umfangreichen Textes. 2019 findet die Bewegung eine immer grössere Fangemeinde und die Solarpunk Community publiziert ein Manifest. Dieses beschreibt Solarpunk als Bewegung, die sich der Beeinflussung von Politik und Science-Fiction bewusst ist. Auch wenn es keine politische Agenda gibt, hoffen Vertreter des Solarpunks darauf, dass er zur Realität wird.
Im Solarpunk herrscht ein harmonisches Zusammenleben zwischen Mensch und Natur. Bestehende Technologien werden verwendet, um dem Klimawandel entgegenzuwirken, Inklusion und Diversität sind der Status quo. Anstatt all die Dinge aufzuzählen, die durch künstliche Intelligenz und fortschreitende Technologie zerstört werden könnten, fokussiert man sich auf die Möglichkeiten dieser Welt. Doch wo bleibt dabei der Punk?
Punk, das waren doch die jungen Leute mit den neonfarbenen Haaren, den nietenbesetzten Jacken und der lauten Musik. Solarpunk hört sich eher nach Barfuss gehen, Waldorf Schule und Kräuterkunde an. „Punk is not about a certain hair colour, style, or music. Punk is about liking what you like, being yourself, saying what you think. You don't need anything to be punk except for awareness, self respect, respect for others and an open mind”, so beschreibt das Urban Dictionary Punk. Der Punk entstand in den 1970ern aus einer Auflehnung der Jugend gegenüber den Machthabern ihrer Zeit. Punk ist ein Aufschrei über den Status quo. Punk ist Rebellion. Doch was hat das mit Solarpunk zu tun? Um die Utopie zur Realität zu machen, müssten radikale, unpopuläre Entscheidungen getroffen werden und unser gesamtes Wirtschaftssystem müsste reformiert werden. Dabei würden viele Menschen Macht verlieren und zahlreichen grossen Konzernen würde gewaltig auf die Füsse getreten werden – und auf einmal klingt Solarpunk wieder sehr rebellisch, aber auch sehr weit entfernt.
Dabei besteht die Bewegung nicht nur aus schönen Bildern voller heller Farben, sondern beschreibt konkrete Ideen und Vorschläge. In der idealen Stadt des Solarpunks sorgen erneuerbare Energien für Strom, Fahrräder und Elektroautos bieten Mobilität und Wohnunterkünfte werden aus recycelbaren Materialien im 3-D-Drucker hergestellt. Durch Urban Gardening soll die Stadt begrünt werden und Lebensmittel werden durch Vertical Farming gezüchtet. Luftschiffe sollen Waren und Güter transportieren und Fleisch gibt es nur noch aus dem Labor. Natürlich sind diese „Lösungen” nicht so einfach durchzusetzen, wie es in Werken des Solarpunks aussieht, aber sie bieten Inspiration. Dass der Solarpunk allerdings gar nicht so weit von der Realität entfernt ist, wie vermutet, zeigen Projekte wie das ReGen-Dorf in den Niederlanden. Dort wird gerade ein von der Weltwirtschaft autarkes, regeneratives Dorf geplant, dass alles, was seine Bewohner benötigen, selbst produzieren soll. Dabei werden wie auch im Solarpunk keine neuen Innovationen benötigt, sondern lediglich bestehende Technologien optimal verwendet. Im finnischen Ort Ii, dem grünsten Ort der Welt, hat man es geschafft, 80 % seiner CO2-Emissionen zu verringern. Inspiriert wurde die Wende durch ein Schulprojekt, bei dem Kinder ihren Strom- und Wasserverbrauch messen sollten und für Einsparungen Geld erhalten haben.
„Fiction is the Foundation of some of the greatest inventions, that we have today”, sagt Keisha Howard, Gründerin des Videospielherstellers Sugar Games, in ihrem Ted Talk zu Solarpunk. Doch der Solarpunk als literarisches Genre schafft nicht nur einen Boden für wichtige Ideen, er bietet vor allem zwei Dinge, die in unserer heutigen Zeit oft Mangelware sind: Hoffnung und Optimismus.
Text: Sophie Ströbitzer
Fotos: Andriy Onufriyenko/ Getty Images, Peerapon Chantharainthron/ Unsplash